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Analyse

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Hinter der oft schweren Pranke der Ausgleichung mit ihrer drückenden Last von Recht und Ordnung und des teilweise unbewussten Über-Ichs mit seinen komplexen Verschachtelungen von Gewissen und Moralität erwartet uns der wohl bekannteste Archetyp in seiner überlieferten Rolle als alter Mann mit Laterne. Es ist der geheimnisvolle Alte aus der Karte der Liebenden, wo er als hoher Priester das königliche Brautpaar miteinander vermählte. Hier führt er uns nun von der äußeren Welt in die Tiefe unseres inneren Seelenraums. Das ist der nächste Schritt zur Ausweitung unseres Bewusstseinsrahmens, denn mit der Karte VIIIAusgleichung haben wir die Oberfläche der Außenwelt ausreichend erschlossen. Der Eremit findet sich überall dort, wo wir versuchen, etwas zu beschreiben, was sich nicht unmittelbar im dualen Erleben ausdrückt, sondern sich in einer tieferen Einsicht im Leben niederschlägt. Der Laternenträger als Platzhalter für das, was C. G. Jung als das Selbst bezeichnen würde, ist Wegweiser und Führer in der Innenwelt und steht in unmittelbarem Zusammenhang mit intuitiven Begegnungen der Dritten Art, die man in der Kunst, in Träumen oder Phantasieerlebnissen erfahren kann.

Die Karte zeigt an, dass der Eremit in seiner Funktion als höhere Einsicht nicht nur als geheime Erkenntnis in dunklen Seelenfalten funkelt, sondern in tiefgründigen Momenten mit seinem Licht auch ins Bewusstsein des Menschen hineinleuchten kann. Seine gebeugte, abgewandte Haltung steht für die Erkenntnis, nicht an den trügerischen Höhepunkten des Lebens festzuhalten. Seine (verdrehte) Gestalt erinnert an die Form des Buchstaben Jod, und die Farbe seines Mantels ist das erdfarbene Rot von Binah, in deren Schoß er wächst, fährt Crowley fort. In seiner Hand hält er eine Lampe, in deren Mitte die Sonne ist, die dem Siegel des großen Königs des Feuers nachempfunden wurde.5 Man könnte es auch so ausdrücken: Jod entspricht der Hand in der Mitte des Bildes, die den Kristall hält, mit dem Licht in das Dunkel geworfen wird. Dort verbirgt sich die Urerkenntnis, aus der alle anderen Erkenntnisse hervorgehen. Erst in der Meditation über unseren kreativen inneren Willen können wir diesen tief in uns verborgenen Persönlichkeitspunkt erfahren, der sich normalerweise nicht im alles miteinander in Bezug setzenden Denken offenbart. Sehen wir uns zur Verdeutlichung die Rhythmen der biologischen Zyklen einmal an: In den beiden ersten Lebensdritteln strömen die Energien noch leicht und mühelos in unsere materiellen Ziele, und die Psyche findet ihr natürliches Streben in der Unterstützung der Absichten des Ichs.6 Doch im Herbst und Winter des Lebens kehrt sich dieser Ablauf normalerweise ins Gegenteil. Es geht dann darum, die Widerborstigkeit des kindlichen Ichs und die trotzige Anmaßung des königlichen Ego an die reiferen Bedürfnisse des Selbst anzupassen. Wenn es uns nicht gelingt, die natürlichen Rhythmen des Lebens an uns heranzulassen, lassen uns auch Weisheit und Reife nicht an sich heran. Wie immer es sich auch nach außen darstellt, es ist die Entwicklung der Seele, die Erfahrung des Selbst, die dem Sein Sinn und Erfüllung verleiht. Es geht hier darum, die tieferen Schichten des Lebens zu ergründen und uns mit dem verborgenen Auftrag unserer Ahnen zu beschäftigen.

Kommen wir nun zu den verschiedenen Requisiten auf dem Bild: Die leuchtende Laterne in der Form eines Oktaeders (Achtflächner) mit der sechzehnstrahligen Sonne, die an einen strahlenden Diamanten erinnert, ist das Licht der Erkenntnis oder der Schnittpunkt, an dem sich unbewusstes Wissen mit bewusster Erinnerung vermischt.7 Es ist die Stelle, an der sich persönliche Einsicht und kollektive Weisheit verbinden. Wenn wir selbst einem Weisen begegnen, werden wir uns auf diesen Punkt ausrichten und ihn in seinem äußeren Erscheinungsbild erfassen, und zwar in dem Rahmen, wie uns das unser eigener geistiger Führer erlaubt. D. h. im Grunde löst der alte Mann mit der Laterne das Bild in uns aus, wie wir unsere eigene Lebenserfahrung und Reife wahrnehmen können. Die Strahlenpyramide, die das Licht des Diamanten mit der Sonne potenziert und in geometrischen Lichtbündeln über das ganze Bild verteilt, steht für geistige Vision, spirituelle Befreiung und Erleuchtung. Das Ganze ist wie ein Strahlencluster, der die Flammen der Erkenntnis in der Dunkelheit des menschlichen Materialismus und der Oberflächlichkeit verstreut, und die sich wahrnehmende Erkenntnis entspricht exakt dem Eremiten. Es ist die durch Askese in mächtigem Umfang freigesetzte Libido, die plötzlich losbricht. Wir können es auf den Punkt bringen und sagen, die diamantene Sonne ist des Alchemisten inneres Bild der Suche, das gespiegelte Bild seines inneren Feuers, und solange er dessen Glanz (noch) nicht erträgt, muss er sich abwenden (und masturbieren). Diese innere Kraft wird ihn aber trotzdem leiten, solange er die Bestätigung seines Ego im außen nicht braucht und ihn auch die Projektion nicht interessiert, wie die Welt seine Person wahrnimmt.1

Das wichtigste Requisit ist das schlangenumwundene (= Orphische) Weltenei, dem es gelingt, die Aufmerksamkeit des Eremiten auf sich zu ziehen, auf den Ursprung aller Dinge und das Mysterium der Schöpfung, für das es steht, und damit seinen geistigen Kanälen die richtige Richtung zu geben. So wie das Ei die Lebendigkeit des Alten ausdrückt und seine geistig-imaginäre Kraft, entspricht das Spermatozoon im unteren Teil der Karte dem zeugenden Impuls, aus dem alles entstehen kann, sofern es auf fruchtbaren Boden trifft. Crowley glaubt, dass der Höhepunkt des Abstiegs in die Materie das Anzeichen für die Erneuerung durch den Geist ist.8 Poetisch ausgedrückt klingt das so:

Wandere alleine; trage das Licht und deinen Stab. Und sei ein Licht von solchem Glanz, dass kein Mensch dich erkenne.

Buch Thoth, S. 253

Oder aber auch:

Der Erkennende erkennt stets nur den Schatten seines eigenen Unerkannten. Der Sinn der Wahrheit liegt weniger darin, sie zu erkennen, sondern vielmehr in der Beantwortung der Frage, warum wir sie überhaupt suchen müssen.

Baphomet – Tarot der Unterwelt

Das Spermatozoon als geistiges Symbol zeigt weiter an, dass es der gebeugten Gestalt um den Schöpfungsimpuls, den Sinn des Lebens, und nicht um die oberflächlichen Spiegelbilder der auf- und abhüpfenden Alltagsflashs geht, die ihn in seiner Ernsthaftigkeit behindern. Der einzig freie Himmelsausschnitt im riesigen Weizenfeld hinter dem Orphischen Ei offenbart dem Betrachter ganz klar, dass es ihm auf der Ebene des Eremiten gelingt, hinter den Spiegel der gesellschaftlichen Reflexionen zu schauen und einen Blick auf die wesentlichen Dinge zu werfen, an die er sich wieder erinnert. Da dieser Blick aber nicht darauf zielt, festzustellen, ob Menschen ihm auf seinem Weg folgen oder nicht, zeigt diese Karte weniger die Verbindung mit anderen Seelen an als den Wunsch nach Verschmelzung mit der eigenen Erkenntnis. Auf dieser Suche macht er auch vor der Hölle nicht Halt. Der gezähmte, dreiköpfige Höllenhund Zerberus als Symbol der in der Persönlichkeit integrierten Unterwelt, die dem Alten wie ein Schatten folgt, füllt den archetypischen Anteil des bei sich selbst Unentdeckten aus. Dass er aber in den Bereich der Lichtstrahlen fällt, zeigt auch, dass es dem Eremiten trotz bewusster Abwendung gelingt, sich auf einer unbewussteren Ebene damit auseinanderzusetzen. Dem suchenden Menschen eröffnen sich aus dem geheimnisvollen Schoß im Dunkeln die großen Inspirationen, die zu einzigartigen Schöpfungen führen, wie wir sie aus den alten Schriften eines Vergil oder Dante kennen. In diesem Sinne ist er auch der Hinterfrager des überlieferten Weltbildes, die Sicht der Dinge, die er sieht, da man sie ihm von Kindsbeinen an eingeflößt hat, nicht einfach zu übernehmen. Der Trick jeder anerzogenen Kultur besteht nämlich darin, die Leute dahin zu bringen, sich harmonisch mit dem zu verbinden, was man ihnen vordem als Lebensgrundlage eingetrichtert hat – damit die menschliche Gesellschaft überhaupt funktioniert.

Akrons Crowley Tarot Führer

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