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Akronos als Advocatus Diaboli
ОглавлениеSie bewegen sich mit Ihren Argumenten auf sehr dünnem Eis, geschätzter Herr Kollege, denn die Schöpferkraft des weltlichen Herrschers ist aus den Augen der Götter sehr umstritten. Fakt ist doch: Unsere komplexe Gesellschaft ist ohne die den Menschen eingeimpften künstlichen Bedürfnisse gar nicht mehr in der Lage, das Bruttosozialprodukt zu erwirtschaften, um sich selbst über Wasser zu halten, denn wir sind mit den Wirtschaftssystemen so hoffnungslos verschmolzen, dass wir untergehen würden, wenn wir sie nicht mehr bedienen würden (selbst Oma hängt über die Rente an ihrem Tropf!). Nur wenn ein arglistiger Dämon uns überreden würde, herauszufinden, auf welchen Grundlagen wir wirklich stehen, müsste das Ganze zusammenbrechen, denn wir stehen auf einem Haufen Scheiße, einem kollektiven Wahn oder einem wuchernden Krebsgeschwür, das sich nur dadurch im Gleichgewicht halten kann, dass es ständig wächst. Die erste, notwendige Lüge besagt, dass eine feste, bedrohliche Welt da draußen existiert, die uns feindlich umgibt; die uns überwältigt und besiegt, wenn wir uns nicht dagegen wehren. Die Brille des Herrschers, durch die wir wahrnehmen, verleitet uns zur Annahme, dass alles, was wir sehen, so ist, wie es ist. Das ist die Falle. Denn die Realität erscheint uns nur als real, weil wir vergessen haben, dass wir sie selbst geschaffen haben, indem wir die Brille nämlich genau an jene Stelle rückten, wo sie sitzen muss, damit uns das Gesehene in der uns beschriebenen Form real erscheinen kann. Wir verdrängen, dass sich uns alles nur als wirklich zeigt, weil die gesellschaftliche Übereinstimmung uns vorgibt, die aufgeprägte Doktrin als real wahrzunehmen. Die Realität des Menschen erscheint an einer bestimmten Stelle im Bewusstsein, weil es die Prägungen so vorgeben, denn der genaue Sitz dieser Bewusstseinsfilter ist durch kollektive Gewohnheiten vorgegeben. Zuerst lernen wir, in welcher Position wir sie vor unserem Gesichtsfeld aufzusetzen haben, und dann setzen wir sie genau an der Stelle auf, an der unsere Sichtweise mit den Beschreibungen der Welt in Übereinstimmung ist. Die Möglichkeit, dass alles, was wir sehen, nur dort draußen ist, weil wir uns irgendwann entschieden haben, es da, wo wir es sehen, auch sehen zu wollen, und dass außerhalb der Entscheidung, die Welt in den von uns konstruierten Zusammenhängen entdecken zu wollen, alles auch ganz anders sein könnte, kommt dem Herrscher nicht in den Sinn. Doch die Wahrheit ist: Wir nehmen nicht wahr, was wir sehen, sondern wir sehen, was wir aufgrund unserer Modelle aus dem Geschauten wahrnehmen können. Unsere Sinne sehen nicht das, was da draußen ist, sondern nur das, was sie aufgrund ihrer anerzogenen Prägungen gezwungen sind, wahrzunehmen. Was wir auch nicht merken, ist, dass unsere Wahrnehmung keine unabänderliche Position darstellt, sondern sich durch die Gewohnheit fixiert hat, das Geschaute in der Form, wie wir es zu beschreiben gelernt haben, reflektieren zu wollen. Deshalb meine Antwort: Die Sicht des Herrschers ist aus der Sicht der Wirklichkeit nichts anderes als die Selbst-Betrachtung des historischen Bildmaterials oder Erlebnisinventars, das sich der Mensch im Laufe seiner Entwicklung angeeignet hat. Um bewusstseinsmäßig unabhängige Individuen zu werden, müssten wir erkennen, dass genau die Stelle unserer Perspektive letztlich unsere Identität und die Erlebnisse unserer Realität bestimmt.