Читать книгу ALIEN: COVENANT - der offizielle Roman zum Film - Alan Dean Foster - Страница 10
III
ОглавлениеVon einem Augenblick zum nächsten war alles verschwunden, wie eine zarte Blume, die von einem Wirbelsturm hinweggefegt wurde. Das Zimmer in der namenlosen Stadt, das Blockhaus, das Bett, der Kaffee, der Ehemann – alles verschwand blitzartig, als wäre es nie da gewesen.
Daniels wurde aus dem Schlaf gerissen, war sofort hellwach, und wurde in der Hyperschlafkapsel hin und her geworfen. Während sie noch dabei war, zu realisieren, wo sie sich befand, wurde sie von einem erneuten Ruck nach oben gegen die klare, gebogene Gehäuseabdeckung geschleudert. Als sie wieder zurückfiel, blutete ihre Nase von dem Aufprall. Ihr erster Gedanke war, dass sie vermutlich eine Gehirnerschütterung davongetragen hatte. Noch benommen, in Ermangelung zusammenhängender Gedankengänge, übernahm ihr Training die Kontrolle über ihren Körper.
Die Finger ihrer rechten Hand, halb taub von den Nachwirkungen des Hyperschlafs, hämmerten auf das Tastenfeld im Inneren der Kapsel. Die Traumbilder, Wärme, Geschmäcker und Liebe wurden durch die kalte Starre der Schlafkammer ersetzt, deren harte Oberflächen und grellen Lichter durch die Abdeckung zu sehen waren. Benebelt von den Monaten, die sie im Hyperschlaf verbracht hatte, und vom plötzlichen Aufwachen, versuchte sie, ihre Umgebung zu verstehen. Die Realität zu verstehen.
Ein paar der anderen Kapseln waren bereits geöffnet. Einige waren leer, doch in den meisten befanden sich noch ihre Insassen. So wie Daniels kämpften auch diese um mentales und körperliches Gleichgewicht. Anders als sie hatten einige jedoch mit weitaus stärkeren Nebenwirkungen einer hastigen Wiederbelebung zu kämpfen. Wüste Beschimpfungen begleiteten die breite Palette von körperlichen Reaktionen wie Erbrechen, Schwitzen und Zittern.
Im Idealfall sollte das Notfallweckprogramm aus dem Hyperschlaf eigentlich keine derartigen Nebenwirkungen hervorrufen. Andererseits, so rief sie sich ins Gedächtnis, sollte das Notfallweckprogramm erst gar nicht eingeleitet werden. Lichter blitzten um sie herum auf, und aus mehreren Wandpaneelen stoben teuflische Funken. Außerdem war da Rauch. Rauch in einem Raumschiff war ein schlechtes Zeichen. Die Filter des Lüftungssystems arbeiteten bereits auf Hochtouren. Alarme drangen an ihr Ohr.
Das war nicht die Art, wie sie aus einem Hyperschlaf hätte aufwachen sollen. Es hätte Kaffee geben sollen. Es hätte Essen geben sollen. Und zu allem Überfluss trieben noch immer die übrig gebliebenen Fragmente ihres wunderschönen, wohltuenden Traumes durch ihr Bewusstsein, bis …
Jemand schlug sie. Das war ganz sicher kein Teil ihres Traums. Es störte sie nicht, dass das ein Teil der Realität war, denn es half ihr, auf eine Weise den Kopf freizubekommen, wie es das Übermaß an visuellen und akustischen Warnsignalen nicht vermochte.
»Daniels … Daniels, wir … können Sie mich hören? Ich bin es, Oram. Christopher Oram!«
Sein Tonfall war eindringlich und sachlich, als würde er seine Worte an jemanden richten, der schon vollständig aufgeweckt worden war. Obwohl er noch seinen weißen Schlafanzug trug, war er in deutlich besserer Verfassung als sie, schwitzte nur leicht und wirkte zumindest optisch nicht krank. Im Gegensatz zu seinem schlanken Körperbau war seine Stimme stark und energisch, wie sein Griff, und er hatte ganz offensichtlich keine Zeit, sie oder irgendjemand anderen zu verhätscheln.
»Wachen Sie auf, Daniels! Wachen Sie auf! Ich hab keine Zeit für so was. Ich brauche Sie – ich brauche jeden – und zwar jetzt! Wir haben ernsthafte Schäden erlitten und …« Er sah in die Richtung, aus der ein anderes erst kürzlich aufgewachtes Crewmitglied auf sie zu getaumelt kam. »Tennessee – helfen Sie mir mal. Ich muss mich um die anderen kümmern!«
Damit überließ Oram die immer noch unsichere Daniels dem Neuankömmling und eilte zu einer weiteren Kapsel, die sich öffnete.
»Komm schon, Liebling.« Tennessee, ein alter Freund und Kollege, half ihr, aus der Kapsel zu steigen, und hielt sie fest. »Jacob steckt in Schwierigkeiten.«
Groß, kräftig, mit dicken schwarzen Locken auf dem Kopf und einer Gesichtsbehaarung, die wie mit der Axt gehauen aussah, wirkte er eher wie jemand, dem man lieber nicht in einer dunklen Gasse hinter einer Bar begegnet wäre, und nicht wie ein ausgebildeter Pilot eines Kolonieschiffs. Wenn man ihn nur entsprechend anregte oder reizte, konnte er sich auch so anhören. In seinem Schlafanzug sah er wie ein gigantischer, wenn auch urplötzlich zornig gewordener Teddybär aus. Er beugte sich über sie, und rief mit dröhnender Stimme: »Jacob braucht uns.«
Das war der letzte Ruck, den sie benötigte, um endgültig wach zu werden. Sie wirbelte zu der Kapsel neben ihr herum. Jacobs Kapsel. Anders als die Kapseln der anderen Crewmitglieder hatte sich seine nicht geöffnet. Ihr Ehemann lag reglos darin, noch immer gefangen im morpheusschen Griff des Hyperschlafs. Er lächelte, was normal war. Unter der transparenten Abdeckung sammelte sich wirbelnder Rauch und nahm ihnen die Sicht auf den Schlafenden. Das war definitiv nicht normal. Und was noch schlimmer war – sie wusste, was das zu bedeuten hatte, und was passieren würde, wenn …
»MACHT SIE AUF!«
Nachdem mehrere Versuche an den äußeren Kontrollen der Kapsel erfolglos blieben, trat Tennessee an die manuelle Notentriegelung. Doch alles ziehen, drücken und sich gegen die Hebel lehnen, half nichts – sie wollten nicht nachgeben.
Oram, der zurückkehrte, sah, was los war, und versuchte alles, was ihm einfiel, um von den Instrumenten an der Kapsel irgendeine Art von Rückmeldung zu bekommen. Doch nichts funktionierte. Das einzige Resultat war, dass die Menge und Dichte des Dampfes in der Kapsel zunahm, zusätzlich begleitet von einem plötzlichen Funkenregen und knackenden Geräuschen am Fuße der Hyperschlaf-Einheit, wo sie mit dem Deck verbunden war.
In der Kapsel ging ein Zucken durch Jacobs Gesicht, der langsam das Bewusstsein erlangte, während die Kapsel damit kämpfte, auf Orams immer verzweifeltere Befehle von außen zu reagieren. Gefangen zwischen katastrophalem mechanischen Versagen und immer knapper werdender Zeit gab es nichts, was Daniels regungsloser Ehemann an seinem Schicksal hätte ändern können.
»Zurück! Aus dem Weg!«
Sergeant Lopé kam zu ihnen. Mit seinem Bart, der langsam ergraute, hatte er das Auftreten eines freundlichen Großvaters. Ein freundlicher Großvater, der es mühelos mit einem Trio Angreifer aufnehmen konnte. Als erfahrener Anführer des militärischen Teils der Besatzung, welcher der Schiffsmannschaft assistieren sollte, konnte es der hagere Berufssoldat nicht mit den technischen Fähigkeiten der Leute aufnehmen, die bereits um Jacobs Leben kämpften. Statt technischen Wissens brachte er primitivere, wenn auch gleichsam nützliche Fähigkeiten mit.
Er packte eine der überdimensionierten mechanischen Zwingen, die sie anachronistischerweise Rettungsscheren nannten, rammte ein Ende des Geräts in den funktionslosen Verschlussmechanismus der Schlafkapsel und suchte nach der richtigen Position.
»Steck es auf deiner Seite rein«, rief er Tennessee zu.
Beide Ansatzpunkte mussten absolut luftdicht sitzen, sonst würde es nicht funktionieren. Einen Teilerfolg gab es bei dieser Prozedur nicht – entweder, die Kapsel würde sich öffnen, oder verschlossen bleiben, bis es zu spät war.
Zusammen gelang es den Männern, die Zwinge vorschriftsmäßig zu befestigen, dann legten sie ihr gesamtes Gewicht in den Apparat, denn nun ging es nur noch um pure Kraftanwendung. Es war egal, ob sie die Schlafkapsel dabei beschädigten, denn im Fall der Fälle gab es noch Reserveexemplare an Bord. Sie bissen die Zähne zusammen, während ihre Muskeln sich verkrampften. Schließlich sprang ihnen Daniels zur Seite, die die verzweifelten Anstrengungen der Männer mit all ihrer Kraft unterstützte.
Doch nichts rührte sich.
In der Kapsel gab es eine Explosion. Verglichen mit der Kakofonie der anderen Geräusche in der Hyperschlaf-Sektion war diese nicht laut, aber doch erheblich genug, um die beiden Männer zu zwingen, reflexartig zurückzuweichen. Auf der anderen Seite der Plastikscheibe quoll noch mehr Rauch hervor und zum ersten Mal … Feuer. Daniels stieß ein unkontrolliertes Heulen aus, warf sich hysterisch auf die Kapsel und zerrte verzweifelt an dem nutzlosen Rettungswerkzeug.
In der Kapsel erwachte unterdessen ihr Ehemann und riss die Augen auf. Durch den Rauch und die stärker werdenden Flammen erkannte er, wo er war. Sein Blick blieb an ihr hängen. Doch er dauerte nur einen kurzen Moment. Genau wie sein Lächeln. Es sollten die letzten beiden Dinge sein, die er in seinem Leben tat.
Daniels hörte nicht auf zu schreien, als das Innere der Kapsel in Flammen aufging, so als hätte jemand eine Fackel auf einen Haufen aus leicht brennbarem Material geworfen. Obwohl prinzipiell feuerfest, brannten die Kapseln schnell und heiß, wenn das Innere erst einmal Feuer gefangen hatte. Alles ging in Flammen auf – das Bett, die Versorgungsschläuche, die Instrumente … und Jacob.
In der Hyperschlaf-Sektion gab es zwar Feuerlöschsysteme, aber kaum innerhalb der einzelnen Kapseln. Denn die Pods waren so konzipiert worden, dass sie sich leicht und unmittelbar öffnen ließen, wenn nötig auch über die manuellen Notsysteme. Im schlimmsten aller Fälle konnten sie über die speziellen Rettungswerkzeuge geöffnet werden, wie jenes, das Lopé und Tennessee benutzten. Und das seinen Dienst versagt hatte.
Es kostete Tennessee seine ganze Kraft, um Daniels von dem Pod und dem Inferno wegzuziehen. Die Kapsel, immer noch versiegelt, immer noch nicht zu öffnen, hielt den Brand unter Verschluss.
Tennessee, der sie verzweifelt zu trösten versuchte, konnte Daniels nur in die Arme nehmen, sie festhalten und hemmungslos an seiner Brust schluchzen lassen. Oram und Lopé, deren Bemühungen nutzlos gewesen waren, konnten nichts anderes tun als zusehen. Weder Orams Fähigkeiten noch die körperliche Stärke des Sergeants hatten ausgereicht, um die widerspenstige Kapsel zu öffnen.
Wenn wir nur etwas mehr Zeit gehabt hätten, dachte Oram.
Zeit. Zu wenig, um ein Leben zu retten. Doch nun musste er schnell handeln, um das Überleben der anderen zu sichern. Tausender anderer. Er bemerkte den bärtigen, dicklippigen, kräftig gebauten Cole und den schlanken, jugendlichen Ledward, zwei Privates, die neben Lopé aufgewacht waren, und wies sie an, sich um Jacobs Überreste zu kümmern. Dann begab er sich mit dem Sergeant im Schlepptau ohne Umwege zur Krankenstation des Schiffs.
Das Bild, das sich ihm bot, war fürchterlich, und nur mit dem Wissen zu ertragen, dass es noch schlimmer hätte sein können.
Ein Segment von Hyperschlaf-Kapseln war aus den Halteklammern gerissen und auf den Boden gestürzt. Trotz ihrer robusten Bauweise waren einige davon aufgesprungen, und hatten ihre unwissenden Insassen der unvollendeten Wiederbelebung ausgesetzt. Andere waren aus den Pods gefallen, deren Deckel sich vollständig und vorzeitig geöffnet hatten. Sie waren ebenfalls tot. Überall stoben Funken herum, und Crewmitglieder versuchten, gegen die Flammen anzukämpfen und den Strom für jene Pods abzuschalten, die nicht mehr benötigt wurden.
Zwei weitere reanimierte Privates bahnten sich ihren Weg durch das Chaos auf der Suche nach weniger beschädigten Pods und Schlafenden, die das Desaster womöglich überlebt hatten. Oram erkannte die stets ernste Rosenthal, deren körperliche Attraktivität über ihre stumpfe Professionalität hinwegtäuschte, und die gleichaltrige, blonde Ankor. Lopé ging zu ihnen, um den Stand ihrer Bemühungen zu erfragen.
Oram wandte seinen Blick von dem Desaster ab und erblickte Karine, die die Verwahreinheiten der Embryonen überprüfte. Ihre glatten, dunkelblonden Haare schimmerten auf der dunklen Haut. Sie quittierte die Ankunft ihres Ehemanns mit einem flüchtigen Blick, blieb aber, wo sie war, und tat ihre Arbeit. Für das Überleben der Embryonen zu sorgen war ihr wichtiger als alles andere. Ihre Sorge und ihr Interesse galten dem Leben an Bord des Schiffs, nicht der Technik.
Sie hatte ihren Job, er hatte seinen.
Er wusste, dass sie ihn in diesem Moment um seinen nicht beneidete.
Oram und Karine überließen die Aufsicht der Hyperschlaf-Sektion Lopé und seinem Team. Sie erreichten den Eingang zu der hell erleuchteten Brücke und hielten an.
Oram hatte nicht um diesen Moment gebeten. Es spielte keine Rolle, dass man ihn für so etwas trainiert und er die Fähigkeiten erworben hatte, es zu tun. Er hätte alles dafür gegeben, in diesem Moment in seiner Kapsel zu liegen und zu schlafen, und darauf zu warten, an ihrem eigentlichen Bestimmungsort ungleich gesünder aufzuwachen. Viel zu oft treffen wir die Entscheidungen in unserem Leben nicht selbst, sondern sie werden für uns gefällt. Jacob war …
Karine legte eine Hand auf seinen Arm. »Das ist jetzt deine Mannschaft. Sie brauchen einen Anführer. Du hast keine andere Wahl. Du wusstest das, als wir uns dafür gemeldet haben.« Sie schenkte ihm ein liebenswürdiges, aufmunterndes Lächeln. »Du schaffst das, Chris. Du hast es immer geschafft.«
Mit diesen Worten ließ sie ihn zurück und betrat die Brücke. Ein weiteres Crewmitglied, das sich zu den anderen gesellte. Aber sie war nicht einfach nur ein anderes Crewmitglied. Nicht für ihn. Natürlich hatte sie recht. Und außerdem hatte er einen Vertrag unterschrieben. Er nahm sich einen Moment Zeit, um sich vorzubereiten, dann folgte er ihr.
Die Navigationskonsole in der Mitte des Raums war so etwas wie ein Anachronismus. Wie die anderen Konsolen an der gegenüberliegenden Seite der Brücke ebenfalls. Auf einem Kolonisierungs-Raumschiff stand die Kommunikation jedem zur Verfügung, der wach und bei Bewusstsein war. Man musste nur laut genug sprechen, damit Mutter es hören konnte. Die Brücke wirkte daher wie eine Reise zurück in eine Zeit, in welcher der Kontakt zwischen Individuen nur persönlich und von Angesicht zu Angesicht hergestellt werden konnte.
Diejenigen jedoch, die Schiffe wie dieses studiert, gebaut und designt hatten, wussten es besser. Je länger die Reise andauerte, desto wichtiger wurden zwischenmenschliche Interaktionen. Gespräche über Handheld-Geräte oder das allgegenwärtige Schiffsystem waren schnell und effizient, aber sie taten nichts für die menschliche Psyche. In der unermesslichen und unpersönlichen Weite des Alls hielt die Nähe zu einem Lächeln, einem Geruch oder zu Schweiß die Menschlichkeit am Leben. Die mentale Gesundheit der Crew war mindestens so wichtig wie die physische Gesundheit des Schiffs.
Deshalb gab es Konsolen und Stühle, die am Boden festgeschraubt waren, und durch die Arbeit waren alle gezwungen, einander anzusehen, sich zuzuhören und hin und wieder auch physischen Kontakt herzustellen. So konnte man sich davon überzeugen, dass der Gegenüber aus Fleisch und Blut war und nicht nur eine Holo-Projektion, die aus einer der Schiffsdateien stammte oder einem schlimmen Hyperschlaftraum.
Oram nahm auf seinem Sitz Platz. Die meisten der Crewmitglieder waren anwesend. Natürlich als Paare – mit Ausnahme von Walter. Nur Paare bildeten die Crew eines Kolonisierungsschiffes. Paare gewährleisteten Effizienz und Detailgenauigkeit. Ganz abgesehen von geistiger Gesundheit.
Oram war noch nicht offiziell der Captain, obwohl er seine bisherige Stellung als Chef der Biowissenschaft bereits an seine Frau abgegeben hatte. Er fühlte sich unwohl in seiner neuen Rolle, die ihm durch die Tragödie und die Umstände aufgezwungen worden war. Ohne Karine, die ihn unterstützte und beriet, hätte er die Verantwortung höchstwahrscheinlich abgelehnt, Vertrag hin oder her.
Aber sie war hier, saß neben ihm, ruhig und zuversichtlich, gewieft und einfallsreich, wo er unsicher war. Manchmal hielten die anderen Mitglieder der Crew seine Hilflosigkeit für Arroganz. Dagegen konnte er nichts tun. So war er eben. Er konnte vielleicht die anderen täuschen, aber nicht seine Frau.
Tennessee saß nicht auf seinem Platz oder irgendwo anders, sondern lungerte auf der Brücke herum. Oram beneidete den großen, unbekümmerten Piloten für seine Fähigkeit, sich zu entspannen. Was andere vielleicht für Sorglosigkeit hielten, war charakteristisch für jemanden, der mit sich und dem Universum im Reinen war. Eine nützliche Eigenschaft, ganz besonders in einer solchen Situation. Egal, wie die Umstände auch sein mochten, er wusste, dass er sich darauf verlassen konnte, dass der Pilot seine Befehle effizient und ohne Fragen ausführen würde. Außerdem würde die arme Daniels ohne die Freundschaft zu Tennessee und seiner emotionalen Stärke bereits auf der Krankenstation liegen.
Faris war ebenso unbekümmert wie ihr Gatte. Ein Mädchen vom Lande, das es vorzog, sich das nicht anmerken zu lassen, und sogar eine noch bessere Pilotin war – ein Thema, über das sich die beiden häufig im Scherz stritten. Ihre temperamentvolle und leicht schlüpfrige Beziehung belebte zu jeder Zeit die Wachphasen der Mannschaft.
Vor ihrem Abflug aus dem Erdorbit hatte die Verwaltung ihre hin und wieder bissigen Streitereien mit Sorge beobachtet, bis man verstand, dass diese gelegentlichen Sticheleien stets warmherzig und nie bösartig gemeint waren.
Upworth und Ricks waren das mit Abstand jüngste Paar am Tisch. Ihr junges Alter stand jedoch nicht im Widerspruch zu ihren Fähigkeiten, welche die Navigation und Kommunikation umfassten.
Insbesondere Upworth war schnell beleidigt, wenn der Verdacht aufkam, sie sei für ihre Position nicht qualifiziert genug. Vielleicht lag es an ihren großen Augen, ihrem vollen Mund und ihrer zierlichen Statur, die sie noch jünger wirken ließ, als sie war. Tennessee hatte sie einmal »als Sprengstoff verkleidete Kewpie-Puppe« bezeichnet, woraufhin sie in der Schiffsbibliothek nachsehen musste, was eine Kewpie-Puppe war.
Wenn man etwas an ihr bemängeln konnte, dann dass sie dazu neigte, für Probleme improvisierte Lösungsansätze zu finden, obwohl für diese Probleme bereits genaue Anweisungen existierten. Rick hingegen war ruhig, kompetent, und neigte eher dazu, die Dinge nach Vorschrift anzugehen. Er bildete den Gegenpart zu Upworths hin und wieder aufbrausendem Charakter.
Wenn es um das Unvorhergesehene ging, war Oram selbst jemand, der eher nach Protokoll vorging als zu improvisieren. Seine Frau ebenso. Daher fühlte er sich mit Ricks verbunden.
Aber abgesehen von Upworths Hang, hier und da ein wenig auszuflippen, hatte er den allerhöchsten Respekt vor dem frisch vermählten Paar, das es vorgezogen hatte, die Erde zu verlassen, um sich für die Kolonisierung einzuschreiben.
Lopé stand ebenfalls lieber als zu sitzen. Als Chef der Sicherheit an Bord der Covenant, und später der Sicherheit für die Kolonie, war er Soldat der alten Schule. Seinen weniger ehrfurchtgebietenden und jüngeren, aber gleichsam professionellen Lebenspartner und stellvertretenden Leiter Sergeant Hallet übertraf er nur um ein Rangabzeichen.
Hallet war der Letzte, der etwas außer Atem eintraf.
»Entschuldigen Sie die Verspätung, Sir«, sagte er zu Oram und gesellte sich zu Lopé. Sein Ehering blitzte kurz im Licht der Deckenlampe auf, und passte genau zu jenem, den der Sergeant trug.
Oram winkte ab. Das war nicht der Zeitpunkt, um auf das Protokoll zu pochen. Er räusperte sich ein paar Mal und sah jeden der Anwesenden an, bevor er mit düsterem Tonfall das Wort ergriff.
»Es hilft nichts, darum herumzureden. Wir haben einen furchtbaren Verlust erlitten, sowohl für die Crew als auch für die Kolonisten. Und ich – ich bin jetzt Ihr neuer Captain.«
Seine Stimme verschärfte sich. »Ich habe nicht darum gebeten, ich habe es nicht gewollt, aber so ist es nun mal. Ich werde mein Bestes tun, um Jacobs großartigem Vorbild zu folgen.« In dem Wissen, dass die anderen ihn gespannt musterten, suchte er nach Worten. Bioscans von schlafenden Lebensformen abzunehmen war definitiv einfacher als mit wachen Personen zu sprechen, stellte er verdrießlich fest. Er suchte nach etwas Geistreichem, aber ihm fielen nur Plattitüden ein. Sie würden reichen müssen.
»Wir werden ihn schmerzlich vermissen«, fuhr Oram fort. »Aber wir haben viel Arbeit vor uns. Danke, dass Sie mich unterstützen werden.«
Na also. Für den Moment hatte er seine Pflicht getan, was die emotionalen Bedürfnisse seiner Crew anbelangte. Ihren Gesichtern nach zu urteilen waren seine Worte vielleicht nicht inspirierend gewesen, aber sie hatten genügt. Erleichtert konnte er nun zum Wesentlichen übergehen.
»Wenn man bedenkt, dass das, was uns getroffen hat, praktisch aus dem Nichts aufgetaucht ist, sind wir in einem besseren Zustand als gedacht. Unsere strukturelle Integrität liegt derzeit bei dreiundneunzig Prozent, obwohl noch immer ein paar der Sekundärsysteme offline sind. Wir haben siebenundvierzig Kolonisten und sechzehn Embryonen der zweiten Generation verloren. Und ein Crewmitglied, wie Sie wissen. Darüber hinaus haben zweiundsechzig Pods Schäden erlitten, allesamt rettbar.«
»Rettbar?«
Upworths Sarkasmus ließ nicht lange auf sich warten.
Er schürzte die Lippen. »Reparierbar, wenn Ihnen das lieber ist. Wichtig ist, dass wir sonst niemanden verloren haben.« Das war das Problem mit Hyperschlaf-Einheiten. Entweder funktionierten sie – oder sie versagten. Dazwischen gab es nichts, weder in der Technologie, noch für die Schlafenden. Obwohl er gerüchteweise gehört hatte, dass es in Einzelfällen anders gewesen war und die Resultate recht hässlich ausfielen. Eine beschädigte Kapsel erfolgreich zu reparieren war eine heikle Angelegenheit. Aber auf der Covenant würde es keine dieser Einzelfälle geben. Nicht, solange er das Kommando innehatte.
»Also, was war das? Was ist passiert?«, wechselte Tennessee geschickt das Thema. »Lassen Sie mich raten. Mutter saß auf dem kybernetischen Pott und während sie überschüssige Bytes abgedrückt hat, sind wir in etwas hinein gerauscht?«
Rosenthal und Cole lächelten, aber niemand lachte.
Froh darüber, sich wieder den technischen Fragen zuwenden zu können, ließ Oram Walter die Lage erklären.
»Das Schiff wurde von einer hochenergetischen Schockwelle getroffen, deren Annäherung vor unseren Langstreckensensoren wegen der Dichte von Materie und Strahlung in unserer unmittelbaren räumlichen Nähe verborgen blieb«, erklärte Walter. »Deshalb wurde sie erst bemerkt, als sie sozusagen direkt über uns war. Sie traf uns, bevor die Kollektoren vollständig eingefahren werden konnten. Und sie traf uns mit voller Wucht. Wenn wir …«
Oram, den ein plötzlicher Gedanke zornig machte, unterbrach ihn. »Warum waren Sie nicht an den Kontrollen? Dafür sind Sie und Mutter doch hier.«
»Dafür«, räumte Walter ein, »und für viele andere Dinge. Ich kann keine Entschuldigungen anbieten, nur Erklärungen. Alle Überwachungssysteme waren online und voll funktionsfähig. Ich war die ganze Zeit über anwesend, wie immer. Allerdings gibt es noch einen Präzedenzfall oder eine Vorschrift, wie im Fall von Partikelblitzen, deren Gegenwart von ähnlich hinderlichen Feldern verborgen wird, zu verfahren ist. Man ging davon aus, dass in der Tiefe des Raums ein solches Ereignis zu unwahrscheinlich wäre, um sich darüber Sorgen zu machen.« Er machte eine Pause. »Einfach gesagt, war das nicht der Fall. Oder, um es weniger technisch auszudrücken: Wir hatten Pech.«
»Walter hat recht«, ergriff die stets verständnisvolle Faris Partei für den Androiden. »Es war Pech. Selbst die besten Piloten haben einmal Pech.« Sie lächelte Walter an. »Und die besten Androiden.«
Oram weigerte sich, das zu akzeptieren.
»Nein, nein. Ich glaube nicht an Glück oder Pech«, sagte er. »Der Weltraum ist kein Ort, um sich auf Glück zu verlassen. Mir wäre es lieber, wenn wir besser vorbereitet und kompetenter wären, als einfach Glück zu haben.«
Seine Frau zuckte mit den Schultern, verschränkte die Arme und sah ihren Mann an. »Ich bin sicher, dass die Konstrukteure der Covenant das berücksichtigten, als sie die Systeme installierten und kalibrierten.«
»Schuldzuweisungen, wenn man das so nennen kann, bringen uns nicht weiter.« Wie immer konnte man sich darauf verlassen, dass Tennessee eine Diskussion wieder auf eine sachliche Ebene brachte.
Da weitere Vorwürfe offensichtlich zu nichts führten, beschloss Oram, die Erklärung hinzunehmen – so unbefriedigend sie auch sein mochte – und weiterzumachen. Er konnte die Hintergründe später noch mit Walter diskutieren, nachdem andere wichtige Entscheidungen getroffen und in die Tat umgesetzt worden waren. Sie besprechen und einen Bericht über den Zwischenfall an die Erde schicken.
»Wir haben noch – wie viele? – acht oder neun Ladezyklen vor uns, bis wir Origae-6 erreichen«, sagte er. »Dann sollten wir damit beginnen. Die beschädigten Sektionen der Kollektoren müssen repariert oder ersetzt werden. Das Gleiche gilt für die Schäden am Schiff. Alle kritischen Schäden müssen behoben sein, bevor wir den nächsten Sprung machen können.«
Ein unangenehmes Schweigen folgte.
Er spürte, dass sie erneut darauf warteten, dass er etwas sagte. Etwas mehr. Aber was? Karine versuchte ihm mit ihren Blicken etwas zu signalisieren, aber er wurde beim besten Willen nicht schlau daraus.
Zu seiner Überraschung war es Walter, der das zum Ausdruck brachte, was alle außer Oram dachten: »Sollen wir einen Termin für die Trauerfeier anberaumen, Sir?«, fragte er. »Für die Toten?«
Das war es also? Während ein Teil von ihm es verstand … und sogar nachempfinden konnte, war es der dienstbeflissene, geschäftsmäßige Teil von ihm, der im Moment die Oberhand besaß. »Kümmern wir uns zuerst um die notwendigen Reparaturen«, antwortete er, und fügte dann hinzu: »Ich achte die Verstorbenen genauso wie Sie, aber meine Sorge gilt jetzt erst einmal den Lebenden.«
Obwohl die Sicherheit normalerweise dem Captain unterstand, agierte sie mit einem gewissen Grad an Unabhängigkeit, die dem Mitarbeiterstab versagt blieb. Daher zögerte Lopé nie, seine Meinung zu sagen. Seine Stimme klang traurig. »Wir haben gerade siebenundvierzig Kolonisten und unseren Captain verloren. Wir sollten ihnen die letzte Ehre erweisen.«
Von dem Einwand des Sergeants aus der Fassung gebracht, drehte sich Oram zu seiner Frau um. Dieses Mal ohne den Versuch einer nonverbalen Konversation.
»Er hat recht, Christopher.«
Oram war nicht überzeugt. »Wenn wir die Reparaturen nicht schnell angehen, könnten wir alle Kolonisten verlieren.« Er ließ seinen Blick durch den Raum wandern. »Eine Sache der Perspektive, meine Damen und Herren. Das größte Glück der größten Zahl.«
»Wir sollten zumindest etwas für Captain Branson tun.«
Die Tatsache, dass der Protest, so milde er auch war, von dem ansonsten kooperativen Tennessee kam, bestärkte Oram nur darin, auf seiner Meinung zu beharren. Entweder zeigte er jetzt die nötige Autorität, oder man würde ihn und seine Entscheidungen für den Rest der Reise anzweifeln. Möglicherweise war es nicht der richtige Zeitpunkt oder das richtige Thema, um seine Durchsetzungskraft zu demonstrieren, aber die Umstände hatten ihn in diese Lage versetzt – und nicht umgekehrt.
»Nein. Die Diskussion ist beendet. Die Entscheidung wurde getroffen. Ich sehe keinen Grund, darüber weiter zu diskutieren.«
Seine Frau sah zu Boden. Sie schämte sich für ihn, gleichzeitig aber wusste sie, dass das Schlimmste, was sie tun konnte, war, sich auf die Seite der Crew zu schlagen. Also schwieg sie.
Es war nicht der unpassendste Moment, den sich Daniels aussuchen konnte, um die Brücke zu betreten, aber nah dran. Niemand sagte etwas, was in dieser Situation das Klügste schien. Das Wichtige zuerst, Trauer und tröstende Worte konnten warten. Sie sah am Boden zerstört und verzweifelt aus, als sie jeden der Reihe nach ansah und neben einem verdächtig leeren Stuhl Platz nahm. Doch als sie sich an die anderen wandte, klang sie gefasst.
»Das Terraforming-Modul ist stabil«, sagte sie, »obwohl die, ahm, Verbindungsstreben etwas beschädigt wurden. Ohne EVA-Untersuchung kann ich es nicht genau sagen.«
»Darum kann ich mich kümmern, ferngesteuert«, versicherte Walter. »Wenn die Lage besorgniserregend wäre, hätte Mutter uns das bereits mitgeteilt.«
Sie nickte. »Ich muss noch die Verriegelungen an den Klammern für die schweren Maschinen und Fahrzeuge prüfen. Um den Kleinkram mache ich mir keine Sorgen. Wenn davon etwas herumgeflogen ist, stellen wir es einfach wieder hin. Auf den Monitoren im Hangar sind keine Schäden zu sehen, aber ich will sichergehen. Wir sind anständig durchgerüttelt worden.«
»Wenn Sie wollen, kann ich Ihnen auch dabei helfen«, bot Walter an. »Mutter wird mich informieren, wenn meine Dienste anderweitig benötigt werden.«
Sie sah den Androiden an. »Danke.«
»Wie lange dauert es, bis wir den nächsten Sprung machen können, Walter?«, fragte Oram.
»In ein paar Stunden werde ich es genauer wissen. Mutter ist immer noch dabei, die Schadensberichte auszuwerten. Wir müssen hier warten, bis der Ladevorgang vollendet ist. Natürlich würde es unseren Weiterflug beschleunigen, wenn wir die beschädigten Kollektoren reparieren. Wenn wir davon ausgehen, dass die dringendsten Probleme schnell behoben werden, würde ich sagen, dass ein paar Tage genügen werden, um uns wieder auf die Reise zu schicken.«
»Wenn alle wichtigen Reparaturen beendet sind«, fuhr er fort, »sollten wir den Versuch unternehmen, diesen Sektor zu verlassen, für den Fall, dass noch weitere Energieblitze folgen, die ähnlich unvorhersehbar sind wie jener, der uns traf. Zweitrangige Reparaturen können während des Weiterflugs erledigt werden.«
»Ich stimme zu.« Oram sah jeden auf der Brücke an. »Wir können die kleineren Reparaturen nach dem nächsten Sprung beenden. Gehen wir an die Arbeit.« Sie wussten, was zu tun war. Oram schluckte es hinunter wie andere eine Pille gegen Verstopfung. »Wegtreten.«
Aus dem Augenwinkel sah er, wie Tennessee das Gesicht verzog und ihn tonlos nachäffte. Er entschied, es durchgehen zu lassen, als sich alle ihren Stationen und Aufgaben zuwandten.
Daniels wollte ebenfalls aufstehen und den anderen folgen.
»Danny?«, raute Oram ihr leise zu. »Kann ich Sie kurz sprechen?«
Sie setzte sich wieder auf ihren Stuhl, während der letzte ihrer Kollegen die Brücke verließ. Oram beugte sich über den Tisch zu ihr herüber und senkte die Stimme. Auf seine unbeholfene Art versuchte er, sie zu trösten.
»Ich weiß, es gibt nichts, was ich sagen könnte, aber … es tut mir leid. Er war ein hervorragender Captain und ein guter Mann. Jacob und ich waren nicht immer einer Meinung, wie Sie wissen. Aber selbst, wenn wir uns wegen einer Formalität uneins waren, habe ich seine Entscheidungen stets respektiert. Am Ende hat er es immer geschafft, die Leute zu überzeugen, und dass ohne sie anzuschreien oder auf seinen Rang zu pochen. Es war eine Ehre, unter ihm dienen zu dürfen.«
Sie rang sich ein Lächeln ab. »Ich weiß das zu schätzen, Chris. Und Jacob auch …«
Sein Tonfall veränderte sich. »Sie sollten sich ein paar Tage freinehmen.«
»Ich würde mich lieber auf Trab halten.« Das Lächeln, oder was davon übrig war, verschwand sofort wieder.
»Das war kein Befehl.« Er bemühte sich, die Stimmlage zu halten, doch es gelang ihm nicht gut genug.
Sie starrte ihn an. Für gewöhnlich wäre ihr Auftreten entschiedener gewesen, trotziger, das wusste er. Aber in ihrer Situation war sie dazu nicht in der Lage. Er sah ihrem Blick an, dass er sich näher erklären sollte.
»Ich bin jetzt für die Mission verantwortlich«, erinnerte er sie, »und für das Leben und Wohlergehen jedes Einzelnen hier an Bord, egal ob es die Crew ist oder die schlafenden Kolonisten. Ich habe mich nicht darum gerissen, diese Position einzunehmen, und ich brauche die Hilfe aller. Das heißt, ich muss darauf zählen können, dass jeder sein Bestes gibt. Sie eingeschlossen.« Er versuchte seinerseits ein Lächeln. »Wenn wir keine Pausen machen wollen, ist das meistens der Moment, wo wir sie am nötigsten brauchen. Nehmen Sie sich ein paar Tage frei. Heulen Sie sich aus, okay?«
Sie starrte ihn ungläubig an.
»Mich ausheulen? Ich hab da einen Vorschlag, Chris – Captain. Vielleicht könnte er sich als hilfreich erweisen. Wie wäre es, wenn ich den Verlust meines Ehemannes auf meine Art verarbeite? Ich denke nicht, dass ich damit gegen irgendwelche formale Richtlinien des Mannschaftshandbuches verstoße … Sir.«
Sie stand auf, drehte ihm schroff den Rücken zu und verschwand schnell von der Brücke.
Oram sah ihr nach, in dem Wissen, dass die Situation besser hätte ablaufen können. Das alles war neu für ihn, so viel musste er zugeben. Nicht, dass es einen Unterschied gemacht hätte. Noch vor Kurzem war er ein einfaches Mitglied der Crew gewesen. Doch nun, mit dem Tod von Jacob Bronson, hatte sich eine unvermeidliche Kluft zwischen ihm und der Crew gebildet. Dagegen konnte er nichts tun. So funktionierte die Befehlskette eben.
Er brauchte nun Karines Rat dringender als je zuvor.
Oram kramte zwei metallene Betperlen aus seiner Tasche und begann, sie gedankenverloren in einer Hand herumzurollen und dem Geräusch zu lauschen, das sie machten, wenn sie aneinanderstießen. Er durfte nicht zulassen, dass Episoden wie die Begegnung mit Daniels eben ihn von seinen Pflichten ablenkten. Von nun an hing alles von Konzentration, Konzentration und Konzentration ab. Deshalb musste er gelassen bleiben und jede Situation gründlich ausloten, seien es zwischenmenschliche Interaktionen oder ein Bericht aus der Technik. Denn trotz seiner neuen Position und der damit verbundenen Verantwortung war ihm sehr daran gelegen, weiterhin ein freundschaftliches Verhältnis zu seiner Crew zu pflegen.
Die Zukunft würde zeigen, ob das möglich war.
Tennessee und Ankor tauchten aus einer der Wartungsschleusen auf und entfernten sich von dem riesigen Rumpf der Covenant. In der Schwärze des interstellaren Raums wirkten sie mit ihren leuchtend gelben EVA-Raumanzügen voller Ausrüstung und den übergroßen Hochleistungshelmen wie riesige einäugige Käfer.
Mit äußeren Antennen wäre die Ähnlichkeit zu Käfern noch größer gewesen, aber aus Sicherheitsgründen war alles – inklusive verschiedener Anzeigen – in den Anzügen oder den Helmen selbst verbaut worden. Die rundliche Form der Anzüge sorgte dafür, dass man in ihnen gegen das Schiff oder andere feste Objekte prallen konnte, ohne Angst haben zu müssen, dass dabei lebenswichtige Gerätschaften abrissen oder herausgezogen wurden.
Tennessee wählte seinen Kurs so, dass er an der Spitze des Auslegers von einem der Kollektoren ankommen würde, während Ankor auf den Mastkern zusteuerte. Beide Männer hatten eine genau vordefinierte Aufgabe. Sofern keine unvorhergesehenen Probleme auftauchten, bestand keine Notwendigkeit, zusammenzuarbeiten. Sie wussten, was sie taten. Wenn jeder für sich schuftete, war die Arbeit doppelt so schnell geschafft.
Um sie herum erstreckte sich das Weltall: eine endlose Weite von Sternen und Nebeln, wunderbar und überwältigend in ihrer Schönheit. Das Wissen, dass dieser Anblick, der sich ihnen bot, faktisch kein Ende besaß, machte die Aussicht nur noch ehrfurchtgebietender. Jene Pracht dehnte sich beinahe unendlich in alle Richtungen aus, ohne einen angrenzenden Planeten oder Mond, der die Sicht versperrte.
Eine Pracht, und gleichzeitig eine kalte, gleichgültige Leere, die nur von ihren Anzügen zurückgehalten wurde. Staunen und Angst lagen dicht beieinander. Es half, sich auf die Arbeit zu konzentrieren, die vor einem lag, um sich nicht ablenken zu lassen. Tennessee jedoch konnte nicht anders, als seine Eindrücke laut auszusprechen.
»Verdammt. Ihr solltet diese Aussicht sehen.«
Upworths Stimme, klar und vertraut, drang aus den Lautsprechern seines Anzugs. »Wir können gar nichts sehen, bis du die äußeren Kameras repariert hast. Außerdem wäre es nicht das Gleiche. Sich eine Projektion anzusehen, ist etwas anderes, als wirklich da draußen zu sein.«
»Projektion, Schmojektion – warum siehst du nicht einfach aus dem verdammten Fenster, Schätzchen?« Dann wandte er sich per Funk an seinen Begleiter. »Ankor, sehen wir zu, dass wir die Teile wieder zum Laufen kriegen, damit die armen Leutchens in der Blechdose die Aussicht genießen können. Ich geb's auf, es zu beschreiben.« Er unterbrach sich kurz, um die hell leuchtenden Anzeigen in seinem Helm, in der Nähe seines Kinns zu überprüfen. »Gib mir Bescheid, wenn du in Position bist.«
Tüchtig wie eh und je war sein Kollege bereits am Zielort angelangt.
»Ich bin in Position. Vielleicht ja deshalb, weil ich nicht herumalbere und die Aussicht bestaune. Lass uns anfangen.«
Tennessee grinste und begann, mit einem Schneidwerkzeug den beschädigten Teil eines der Kollektoren abzusägen. Dann zog er daran. Obwohl das lichtdurchlässige Material um ein Vielfaches größer war als der winzige Mann im Raumanzug, wog es vergleichsweise wenig. Ein Ruck genügte, um die gerade herausgeschnittene Sektion davonschweben zu lassen, weg von dem Rest des Paneels und der Covenant.
Tennessee spulte etwas von einem schnurähnlichen Kabel hinter sich ab, zündete die Treibstoffdüsen an seinem Anzug und steuerte, stark beschleunigend, auf das hintere Ende des Masts zu. Es dauerte eine Weile, bis er die Lücke, die nun ohne Kollektoren war, überflogen hatte. Als er das andere Ende der beschädigten Sektion erreicht hatte, sicherte er sein Kabel und gab Ankor ein Zeichen. Daraufhin holte der andere Mann das reparierte Segel ein.
Das ist schon mal ein guter Anfang, dachte Tennessee bei sich. Und jetzt zum nächsten, lass das All um deinen Kopf kreisen, versuche zu vermeiden, dass dir schwindelig wird, und immer so weiter.
Jeder für sich bewegten sich beide Männer methodisch von einem beschädigten Teil des Kollektors zum nächsten.