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2 Präferenzen

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„Doch ich, zu Possenspielen nicht gemacht, noch um zu buhlen mit verliebten Spiegeln … Ich nun, in dieser schlaffen Friedenszeit, weiß keine Lust, die Zeit mir zu vertreiben, als meinen Schatten in der Sonne spähn und meine eigne Mißgestalt erörtern; und darum, weil ich nicht als ein Verliebter kann kürzen diese fein beredten Tage, bin ich gewillt, ein Bösewicht zu sein und feind den eitlen Freuden dieser Tage.“

William Shakespeare, König Richard der Dritte,

Erster Akt, erste Szene

Wer das Handeln eines Menschen verstehen will, fragt zumeist und zuallererst nach den Gründen, die ihn veranlassen, dies oder jenes zu tun oder es eben auch nicht zu tun. Dabei interessieren uns nicht notwendigerweise nur Vernunftgründe – als Ursachen für uns vorderhand unverständliche Handlungen wollen uns diese ohnehin nicht einleuchten – oft sind wir schon damit zufrieden, wenn wir überhaupt ein Motiv erkennen, denn ohne ein Verständnis davon zu gewinnen, was einen Menschen bewegt, können wir auch sein Handeln nicht verstehen. Wir gehen ganz natürlich davon aus, dass menschliches Handeln motiviert ist: irgendetwas muss sein Verhalten antreiben, ihm Richtung und Inhalt geben. Die genaue Bestimmung einer Motivlage ist allerdings nicht ganz einfach, denn das Repertoire menschlicher Antriebskräfte ist sehr groß, es umfasst gleichermaßen Bedürfnisse und Wünsche wie Ziele und Interessen, Absichten, Pläne, Hoffnungen, Sehnsüchte, Träume, Strebungen, Anmutungen, Regungen und Launen, Leidenschaften und Begierden, Drangsale, Ängste, Schrecken, Begeisterung, Spaß und Übermut und vieles mehr, nämlich ganz allgemein all unser Sinnen und Trachten.

Eine bündige Theoriebildung tut sich mit dieser Mannigfaltigkeit naturgemäß schwer. Man behilft sich daher notgedrungen mit Vereinfachungen. Am weitesten geht dabei die Ökonomie, indem sie all das, was der Mensch schätzt und was ihn zum Handeln treibt, unter den Begriff des „Nutzens“ zusammenfasst. Das hat natürlich einen immensen Vorteil, weil man sich nur noch mit der Netto-Wirkung der Motivation zu beschäftigen braucht und sich mit den dahinterliegenden Ursachen nicht mehr näher beschäftigen muss. Und das dynamisch-energetische Element der Motivation wird durch das Nutzenkonzept ebenfalls (sprachlich) gezähmt, weil es die Motivationskraft, die hinter verschiedenen Antrieben steht, mit dem harmlosen Begriff des Nutzenniveaus verblassen lässt. Die Nachteile einer solchen Vereinheitlichung des Motivationsgeschehens sind eigentlich unmittelbar greifbar, sie ebnet die Unterschiede in den Antrieben ein und macht vergessen, dass diese Antriebe auf ganz unterschiedliche Arten das Handeln des Menschen bestimmen. Für die Nutzentheorie ist es gleichgültig, um welches Verhalten es geht – ob um den Kauf von Waschpulver, um die Partnerwahl, das Lesen von Büchern, das politische Engagement – es läuft alles auf eins hinaus, der Maßstab des Handelns ist der Nutzen, der aus dem Handeln entspringt. Gewählt wird die Verhaltensalternative, die den größten Nutzen bringt. In der Abwägung der verschiedenen Nutzengrößen kommen die individuellen Präferenzen zum Ausdruck oder, anders ausgedrückt, die individuellen Präferenzen sagen einem, was man lieber hat und tut: mehr Freizeit oder mehr Lohn, sein Geld für eine größere Anschaffung zusammenhalten oder freigebig ausgeben, um möglichst alle Tage zu genießen, geht man Wandern im Schwarzwald oder zieht es einen in die ferne Welt, wohnt man in der Stadt oder auf dem Land, was macht man mit seinem Geld, mit seiner Zeit, seinen Fähigkeiten und mit seiner Energie? Hinter allem, was man tut, steht eine Nutzenbewertung, genauer gesagt: ein Nutzenvergleich. Der Nutzenvergleich ist notwendig, weil man nicht alles, was einen positiven Nutzen hat, gleichzeitig und in gleichem Maße haben kann und weil man nicht alles, was man will, gleichzeitig und in gleicher Weise tun kann. Im Vergleich der Nutzengrößen, die man durch ein bestimmtes Handeln erreicht (bzw. nicht erreicht) kommen die Präferenzen zur Geltung: Wer lieber faulenzt als sich körperlich ertüchtigt wird keinen Sport machen, wer Status mehr schätzt als Schuldenfreiheit kauft sich eher ein größeres als ein kleineres Auto und so weiter. Positivisten hüten sich allerdings vor dieser Ausdrucksweise. Weil sie sich sehr davor fürchten, über Dinge zu „spekulieren“, die man nicht direkt beobachten kann, machen sie auch keine Aussagen über die Wirkung von Präferenzen (eine psychologische Größe, deren reales Substrat sich eigentlich nicht fassen lässt), sie neigen vielmehr zu der Auffassung, dass die individuellen Präferenzen durch die konkrete Wahl eines Verhaltens lediglich definiert werden. Wesentlich plausibler ist es, an der Vorstellung festzuhalten, dass Bedürfnisse, Ziele, Wünsche und Hoffnungen durchaus real sind, auch wenn sie sich nicht immer und so ohne Weiteres im konkreten Verhalten wiederfinden. Als mentale Kräfte führen Bedürfnisse, Ziele, Wünsche und Hoffnungen ein bewegtes Eigenleben, sie machen uns nicht selten ordentlich zu schaffen und nehmen, wenngleich nicht unbedingt geradlinig, auch in einem erheblichen Maß Einfluss auf unser Handeln. Die damit verbundenen metaphysischen Probleme sollen hier aber nicht behandelt werden, vielmehr gehe ich etwas bodenständiger auf die folgenden Fragen ein: Wollen Menschen möglichst viel? Gibt es ein optimales Niveau in der Befriedigung von Bedürfnissen? Wiegt ein Gewinn so viel wie ein Verlust? Sind unsere Wünsche beständig? Wissen wir überhaupt so genau, was wir wollen, jetzt und künftig?

Handlungstheorie

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