Читать книгу Handlungstheorie - Albert Martin - Страница 16
2.2.2 Widerspruchsfreiheit
ОглавлениеWenn eine Person A lieber hat als B, sollte sie das eigentlich wissen. Wenn sie nun die Möglichkeit erhält, A zu wählen, sollte man meinen, dass sie nicht stattdessen B wählt. Natürlich darf die Person ihre Präferenzen ändern und A verschmähen. Aber was, wenn sie ihre Präferenz gar nicht geändert hat und sich dennoch für B entscheidet? Dann wird man dieses Verhalten kaum vernünftig nennen: es verletzt das sogenannte Dominanzprinzip, nach dem man von zwei Alternativen diejenige wählen sollte, die unter allen Bedingungen mindestens gleich gut, unter mindestens einer Bedingung aber besser ist. Obwohl unvernünftig kommt derartiges Verhalten häufig vor. Menschliches Verhalten ist nicht widerspruchsfrei, wohl weil auch menschliches Denken und Empfinden nicht widerspruchsfrei ist. Sehr schön demonstrieren lässt sich das am Beispiel des von TVERSKY/KAHNEMAN (1981) sogenannten Invarianzprinzips. Es besagt, dass (rationale) Menschen sich bei ihrer Präferenzbildung nicht von der Art der Darstellung eines Entscheidungsproblems beeinflussen lassen. Tatsächlich wird das Invarianzprinzip aber sehr häufig verletzt. Die Art und Weise wie ein und dasselbe – sachlogisch identische – Entscheidungsproblem dargestellt wird, macht sehr wohl einen Unterschied. Man spricht in diesem Zusammenhang häufig von „Framing“-Effekten, also von Effekten, die von der „Einrahmung“ des Problems ausgehen.
Ein bekannter Framing-Effekt ist der Reihenfolgeeffekt. Oft findet die zuletzt betrachtete Alternative eine ungebührlich große Beachtung („recency-effekt“), manchmal ist es dagegen die zuerst genannte Alternative („primacy-effect“), je nachdem welche der Alternativen sich besser in die Erinnerung einprägen. Ein anderer Framing-Effekt ist der „Prominence-Effect“ (FISCHER/HAWKINS 1993; CARMON/SIMONSON 1998). Auch hier geht es um das „Format“, in dem das Entscheidungsproblem angeboten wird. Man kann einfach zwischen zwei Alternativen wählen lassen („Choice“, Beispiel: Welche der beiden Arbeitsstellen A oder B mit den Merkmalen … würden Sie vorziehen?) oder man kann danach fragen, unter welchen Bedingungen die beiden Alternativen als gleichwertig gelten können („Matching“, Beispiel: Wie hoch müsste der Lohn auf Stelle A sein, damit die Stelle A für Sie ebenso attraktiv wäre wie Stelle B?). Die unterschiedliche Darstellung des Problems führt dazu, dass sich das Gewicht der Merkmale der Alternativen verändert, die für den Entscheider besonders wichtig sind und die seine Wahl bestimmen. In der Choice-Bedingung misst man dem wichtigsten Merkmal (z.B. dem Lohn) ein höheres Gewicht zu, als in der Matching-Bedingung. Die Neigung, bestimmte Merkmale einer Alternative besonders herauszustellen, ist allgemein größer, wenn man eine rein qualitative – im Gegensatz zu einer quantitativen – Bewertung vornimmt (FISHER/HAWKINS 1993). Das liegt vermutlich daran, dass eine quantitative Bewertung zu einer größeren Vollständigkeit der Überlegungen zwingt, eine qualitative Bewertung verlässt sich leicht auf Merkmale, die unmittelbar ins Auge springen und uns besonders begehrenswert oder abstoßend erscheinen.
Matching- und Choice-Bedingungen setzen (wie die meisten der empirischen Untersuchungen zum Framingeffekt) an formalen Aspekten, dem „Format“ an, in dem sich ein Entscheidungsproblem präsentiert. Daneben sind es natürlich auch und vor allem inhaltliche Punkte, die die Problemwahrnehmung bestimmen und gegebenenfalls verengen und in eine falsche Richtung drängen. Im Kapitel 4, das sich mit der Definition der Situation beschäftigt, kommen wir hierauf zurück. An dieser Stelle genüge ein Beispiel. Wenn ein Verkäufer uns eindringlich darauf hinweist, dass alles teurer wird und daher gerade jetzt der richtige Zeitpunkt ist, die empfohlene Anschaffung zu tätigen, dann lenkt er den Blick auf den Gewinn, der daraus entsteht, dass man ein Gut erwirbt, das in Zukunft (wegen des steigenden Preises) deutlich mehr wert sein wird als jetzt. Das ist aber nichts anderes als eine Illusion, eine „Geldillusion“, die entsteht, wenn man im Rahmen von nominalen Preisentwicklungen denkt, angemessen ist es dagegen, die reale Geldentwicklung zu beachten, also die Inflation und die relative Preisentwicklung im Auge zu haben.
Das klassische Experiment zum Framing-Effekt stammt von TVERSKY UND KAHNEMAN (1981). Die Versuchsteilnehmer bekommen hierin mitgeteilt, dass eine unbekannte „asiatische Krankheit“ das Leben von 600 Bürgern bedroht. Als Handlungsoptionen stehen nur zwei gleichermaßen unerfreuliche Alternativen zur Verfügung. In einem ersten Szenario führt die Alternative A dazu, dass das Leben von 200 Personen ganz sicher gerettet wird, Alternative B ist mit einer 1/3-Chance verknüpft, alle 600 Personen zu retten. In einem zweiten Szenario führt die Alternative C dazu, dass 400 Personen sterben werden, die Alternative D eröffnet die 1/3-Chance, dass niemand sterben wird. Wie man leicht erkennt, sind jeweils die Alternativen A und C einerseits und die Alternativen B und D andererseits identisch. In der Bewertung der Versuchsteilnehmer kommt dies allerdings nicht zum Ausdruck. Die Alternative A wird eindeutig der Alternative B vorgezogen (72 % gegenüber 28 %), allerdings gilt dies nicht im Verhältnis der Alternativen C und D, bei dieser Gegenüberstellung gewinnt die Alterative D mehr Zustimmung (78 % gegenüber 22 %). Die Beschreibung der beiden Szenarien unterscheidet sich substantiell in nichts, außer in der Wortwahl, im ersten ist davon die Rede, dass Menschenleben gerettet werden (positiver Rahmen), im zweiten, dass Menschen sterben werden (negativer Rahmen). Tversky und Kahnemann sehen in den Ergebnissen ihres Experiments einen Beleg für ihre Prospect-Theory (s.o.), wonach Verluste (negativer Rahmen) eine größere Risikobereitschaft induzieren, während Gewinne (positiver Rahmen) die sichere Alternative nahelegen. Man muss das Experiment aber nicht so interpretieren, möglicherweise unterliegen Tversky und Kahneman selbst einem Rahmeneffekt: Als Protagonisten ihrer Theorie liegt es nahe, dass sie den Gewinn- bzw. Verlustaspekt herausstellen, der in der Situationsschilderung steckt. Das Verhalten der Versuchspersonen ist aber möglicherweise ganz anders begründet. Jedenfalls ist es durchaus plausibel, das Experiment auch im Lichte einer Angst- und Verdrängungsthese zu interpretieren. Es ist nicht leicht, die vielen Toten, die innerhalb der negativen Rahmenschilderung ins Bewusstsein gerufen werden, zu akzeptieren, weshalb man lieber auf die Wahrscheinlichkeitsalternative ausweicht; innerhalb des positiven Rahmens wird die schreckliche Tatsache der 400 Toten dagegen akzeptiert, aber nur, weil sie von der positiven Nachricht der 200 Überlebenden verdeckt wird.
Das Auftreten von Framing-Effekten ist letztlich unvermeidlich. Nicht nur im Alltag, auch in der Wissenschaft gibt es keine vorbehaltlos richtige Wahrnehmung und entsprechend keine unvoreingenommene Urteilsbildung. Wahrnehmung und Urteilsbildung gründen in mentalen Voraussetzungen und sie sind geprägt von theoretischen Vorannahmen, die uns oft gar nicht bewusst sind. Das heißt nicht, dass man diese Hintergrundtheorien und -annahmen nicht ins Bewusstsein rücken und damit auch in gewisser Weise überwinden könnte, ohne sie auskommen kann man aber nicht, man kann sie nur durch andere – hoffentlich bessere – Annahmen ersetzen. Die Geschichte der Wissenschaften liest sich wie eine Illustration dieser These, so wurde in der Physik des 19. Jahrhunderts die Vorstellung der Fernwirkung durch die Betrachtung von Kraftfeldern ersetzt, wodurch konkrete im Experiment beobachtete Phänomene in einem anderen Licht erschienen, in der Biologie ist die Idee von lebensbegründenden Vitalkräften von der Auffassung verdrängt worden, Leben gründete auf molekularbiologischen Vorgängen, Experimente in der Sozialpsychologie, die zur Prüfung der Theorie der kognitiven Dissonanz konzipiert wurden, lesen sich im Lichte attributionstheoretischer Vorstellungen oft anders usw.
Nun führen diese Hinweise auf die Bedingtheit der Erkenntnis etwas von der Frage weg, wie es kommt, dass Präferenzen so wenig stabil sind, und warum sie sich von nebensächlichen Aspekten bestimmen lassen, z.B. vom „Format“, in dem sich ein Entscheidungsproblem präsentiert. Die übliche Antwort hierauf besteht in dem Hinweis auf die fehlerbehaftete kognitive Struktur, die Menschen zu eigen sei, es wären danach also Fähigkeitsdefizite, die unsere Präferenzen verwirren. Für diese Ansicht spricht, dass Menschen oft bereit sind, ihre Auffassung zu revidieren, wenn man Sie darauf hinweist, dass sie bei ihrer Urteilsbildung einen „logischen“ Fehler begangen haben. Aber es wäre nur die halbe Wahrheit, lokalisierte man die Widersprüchlichkeit ausschließlich in den Mängeln des Verstandes. Menschliche Motive, Bestrebungen und Wünsche sind eben häufig nicht widerspruchsfrei und gut austariert oder, in der nüchternen Sprache der Entscheidungstheorie: Die Annahme der logisch widerspruchsfreien, „konsistenten“ Präferenzordnung erweist sich oft genug als Illusion. Sehen kann man dies daran, dass Menschen häufig das Transitivitätsaxiom verletzen. Dieses Axiom fordert, dass jemand, der die Alternative A der Alternative B und die Alternative B der Alternative C vorzieht, nun nicht plötzlich Alternative C besser findet als Alternative A. Dass eben dies dann doch häufig geschieht, zeigen sowohl Alltagserfahrungen als auch empirische Studien. Auf derartiges Verhalten angesprochen, wird man die vermeintliche Inkonsistenz nicht selten bestreiten. Betrachten wir zur Illustration die Präferenzordnung gegenüber drei Parteien, wobei Partei A eine konservative Partei sei, Partei B eine gemäßigte Reformpartei und Partei C eine radikale Reformpartei. Hans präferiert die radikale Reformpartei vor der konservativen Partei (C > A), außerdem präferiert er die gemäßigte Reformpartei vor der radikalen Reformpartei (B > C) und schließlich, zur Verwunderung seiner Freunde, präferiert er die konservative Partei vor der gemäßigten Reformpartei (A > B). Zu seiner Rechtfertigung argumentiert Hans wie folgt: er sei für Reformen, daher erhalte bei ihm C eindeutig den Vorrang vor A, da aber C einige abenteuerliche Führungspersonen aufweise, ziehe er die gemäßigte Reformpartei B der radikalen Reformpartei C vor. Andererseits liebe er klare Aussagen, weshalb er im Vergleich die konservative Partei A wegen ihrer eindeutigen Positionen mehr schätze als die wankelmütige Reformpartei B. Franz kann diese Argumentation nicht verstehen, für Hans ist sie dagegen äußerst schlüssig, jedenfalls enthält sie nachvollziehbare Überlegungen. In anderen Fällen verzichtet Hans dagegen gern auf irgendwelche Begründungen, so hört er Schubert beispielsweise lieber als Mozart, Mozart lieber als Beethoven, aber Beethoven wiederum lieber als Schubert. Wem immer diese Präferenzmuster bizarr erscheinen mögen, man kann Hans daraus keinen Vorwurf machen. Es sind die Präferenzen, die er für richtig hält und gemäß denen er leben will. Selbst wenn Hans mit inkonsistenten Präferenzen bei Geldgeschäften hantierte, kann man ihn eigentlich nur darauf aufmerksam machen, dass darin finanzielle Gefahren lauern. Wenn er gewillt ist, Verluste zu vermeiden, wird er wohl auch Ordnung in seine diesbezügliche Präferenzstruktur bringen. Zusammengefasst: Widersprüchliche Präferenzen entstehen nicht nur aus fehlerbehafteten gedanklichen Operationen, sie sind nicht selten in den Präferenzstrukturen selbst angelegt.
Erwähnt sei schließlich noch ein Framing-Effekt, der eine Zeitperspektive enthält und damit einen guten Übergang zu den im folgenden Abschnitt behandelten zeitlichen Aspekten der Entscheidungsfindung herstellt. Investoren unterscheiden sich unter anderem danach, ob sie eine eher enge oder eine weite Zeitperspektive einnehmen. Nimmt ein Investor eine enge Zeitperspektive ein, dann sammelt er regelmäßig und häufig Informationen über die Entwicklung seiner Anlagen. Wenn man – realistischer Weise – davon ausgeht, dass die Kursentwicklung schwankt, dann ist auch davon auszugehen, dass mit häufigeren Beobachtungen auch häufiger Kursabschwünge beobachtet werden, als wenn man sich in größeren Zeitabständen mit der Kursentwicklung befasst. Verluste führen nun aber dazu, dass man vorsichtiger agiert. Diese Tendenz ist stärker als die gegenteilige, wonach Gewinne (die man in der Kurzfristperspektive natürlich auch häufiger feststellen wird) zu mehr Risikofreude beitragen. Im Ergebnis bedeutet das, dass man eher in Papiere mit geringerem Risiko investiert und damit – wenn man eine allgemein positive wirtschaftliche Entwicklung unterstellen kann – auch weniger Erträge erzielt (THALER U.A. 1997).
Abschließend sei noch darauf hingewiesen, dass Menschen nicht ausschließlich Opfer der verstandesmäßigen Unzulänglichkeiten sind und deshalb den geschilderten Framing-Effekten unterliegen, sie sind durchaus auch aktiv darum bemüht, sich den Denkrahmen zu schaffen, der ihnen frommt. Ein Beispiel hierfür ist die Neigung, sich bei der Wahl einer Alternative vor allem an den positiven Seiten der Alternative zu orientieren, bei der Zurückweisung einer Alternative dagegen vor allem an deren negativen Aspekten (SHAFIR 1993). Mit dieser unbewussten (gleichwohl „strategischen“) Rahmensetzung beschafft man sich gewissermaßen schon im Vorfeld die Rechtfertigung, die eingefordert werden wird, sollten nach der Entscheidung Dissonanzen (das sogenannte „Bedauern nach der Entscheidung“) auftreten. Einen ähnlichen Mechanismus findet man im Übrigen auch bei der Übernahme und dem Rückzug aus größeren Projekten, hierauf gehe ich in Kapitel 4 etwas ausführlicher ein.