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5 Das weiße Blut

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Tamara ging ihm nicht aus dem Kopf, seine Gedanken drehten sie jetzt noch mehr um sie als vorher.Ihr Gesicht, Augen, Haar, Hände, ihre Stimme. Obwohl sie an dem Abend wenig sprach, hatte ihn auch durch ihre Stimme beeindruckt; eine angenehme Alt-Stimme, die er als "dunkel" empfand. Nie zu laut, nie drängend - und was sie sagte, war natürlich charmant, gut überlegt und gewürzt mit einem Quentchen Humor. Sie war feiner als all die anderen Mädchen, die er um sich sah, egal wo und wann.

Und wie fand sie wohl ihn? Seit Wochen hatte er sich nicht mehr rasiert, sein Vollbart war buschig und seine Haare lang. Möglicherweise verliehen ihm seine nach Maß geschneiderten Jacken und Hosen trotzdem einen gewissen Hauch von Eleganz; anders als seine Altersgenossen trug er auf den Wunsch seiner Mutter keine Kleidung von der Stange.

Doch nicht deswegen fand sie ihn auch interessant, wie sie später einmal zugab.

“Mir fielen deine Augen auf. Die Augen sind der Ausdruck der Seele.“

Sie hatten sich an jenem Tag nicht verabredet, obwohl sie es eigentlich beide wünschten und sich unterschwellig näher kommen wollten. Einige Tage darauf sah er sie im Lesesaal des Klementinum, - das war für viele der einzige Ort, der fürs Bücherlesen und das Studium geeignet war -, aber sie war meist in Begleitung eines jungen Mannes mit strohblondem Haar, mit dem sie französisch sprach. Dennoch lächelte er sie gelegentlich an, sie lächelte zurück. Wer war wohl dieser Mann, der ihm einige Jahre älter schien, als er selbst?

Sein Gesicht war eine Spur zu hellhäutig und die bleiche Haut - mit dünnem rötlichen Stoppelbart überzogen - sonnenentwöhnt. Französisch sprach er, doch Franzose war er sicher nicht, eher schon Engländer oder Holländer - einer aus dem Land im Norden, wo es selbst im Sommer weniger Sonnentage gibt als anderswo. Wie sollte er ihn einschätzen? Er schien ihm zu langsam, unbeholfen, ohne Temperament. War er Tamaras Freund? Nie gingen sie zusammen Hand in Hand.

Das Klementinumgebäude - ein prächtiger, barocker Bau, ehemaliges Jesuitenkolleg und Kloster wurde im Laufe der Jahrhunderte mehrfach umgebaut, hatte einen großen Innenhof und in den Kellerräumen auch einen Raum für Raucher. Dort gab es einige Tische mit Aschenbechern, jedoch keine Stühle, keine Sitzbänke. Gut genug für eine Zigarette im Stehen.

Hier trafen sich bei schlechtem Wetter - bei gutem Wetter war der große Innenhof der ideale Treff – viele Klementinumbesucher, um ihren Lesestress durch einen Plausch ohne Inhalt mit dem unverzichtbaren Glimmstängel in der Hand abzuschütteln.

So auch Tamara und Hendrik, denn er war es, der junge Belgier mit flämischem Blut, der jetzt scheinbar hilflos an Tamaras Rockzipfel hing.

Eines Abends kurz bevor er gehen wollte, traf Jan sie im Raucherraum an. Diesmal war sie ohne Begleitung und zog bedächtig an einer schicken, kleinen Damenpfeife, schmal, elegant mit einem weißen Punkt am Mundstück. Der Rauch war parfümiert und kontrastierte angenehm mit den tschechischen Tabaksorten, die unerbittlich scharf nach russischem Machorka rochen.

Jan fasste sich ein Herz und sprach sie an.

"Pfeife rauchst du?" staunte er.."Es riecht angenehm.."

"Holländischer Tabak", sagte sie und sah ihm mit einem Unschuldslächeln in die Augen.

"Möchtest du mal probieren?"

Ohne seine Antwort abzuwarten, hielt sie ihm das Pfeifchen mit einer einladenden Geste vors Gesicht.

"Schick", sagte er leicht verlegen, zog daran und nahm etwas von dem blauen Dunst in den Mund.

"Lecker!"

Er gab ihr die Pfeife zurück und in dem Augenblick fiel ihm ein etwas schlüpfriges, russisches Lied ein, das seine Schulkameraden manchmal auf dem Schulhof sangen, wenn der Lehrer nicht da war.

Leise begann er zu summen:

...er rauchte Machorka

rauchte Tabak

er liebte die Mädchen

wie ein echter Kasak...

Die erste Strophe war harmlos und bei der blieb es auch. Er hielt den Atem an.

"Kennst du das Lied?"

"Wer kennt es nicht?" lachte Tamara, "aber Machorka ist eklig. Nichts für meine Dunhillpfeife."

"Wo hast du sie her?"

"Ein Weihnachtsgeschenk. Hendrik fährt über Weihnachten nach Antwerpen zurück. Die Pfeife ist ein Geschenk von ihm."

"Ist er dein Freund?"

"Er braucht Hilfe für seine Dissertation. Ich helfe ihm, sonst nichts."

Vielleicht war dem so und er wollte es ihr glauben; der Wunsch ist der Vater des Gedanken, sagt man. Sie zog etwas länger an ihrem Pfeifchen und schwieg.

"Und du? Fährst du Weihnachten nach Hause oder bleibst du in Prag?" fragte er.

"Ich fahre nach Marienbad, bin mir aber nicht sicher, ob sie auf mich warten."

"Hast du zu Hause Probleme? "

Sie schaute ihn mit großen Augen an. Zahm und sanft.

"Eigentlich nicht.. Aber sie werden wohl froh sein, wenn ich wieder gehe."

Und sie erzählte ihm einiges über ihre Familie, ihren Stiefvater und seine kleine Tochter.

"Vielleicht kannst du mit ihr einen Schneemann bauen", sagte er, um Verständnis zu zeigen.

"Wenn es Schnee gibt, ja. In diesem Jahr sieht es aber nicht danach aus. Und du?"

"Ich bleibe hier. Weihnachten zu Hause mit Christbaum und Weihnachtskarpfen - ich weiß nicht so recht. Ich mag die vielen Grätchen nicht. Als Kind habe ich die Weihnachtszeit genossen. Jetzt nicht mehr. Obendrein ist die Zugverbindung nach Osten jetzt im Winter schlecht. Was macht die Lokomotive, wenn ihr die Kohle ausgeht?“

Er lachte kurz über diese Bemerkung, die witzig sein sollte, die er aber im gleichen Augenblick unbeholfen und dumm fand. Sie lächelte - jedoch ohne Überzeugung.

"Ja, Ich bleibe lieber hier“, fuhr er fort .“Mein erstes Weihnachten in Prag. Vielleicht werde ich mit unseren kubanischen Freunden feiern. Weihnachten auf kubanisch!."

Er erzählte ihr über seine ausgeflippten kubanischen Kollegen, die Studentenkolonie am Stadtrand und das ausgediente Fabrikgebäude, so gut geeignet für ein Weihnachtsfest mit Rockkonzert und gab ihr auch die Telefonnummer des Portiers.

"Für den Fall, dass du Lust hättest, vorbeizukommen", sagte er. Die Nummer ist nur für den Notfall, der große Bruder muß nicht alles wissen.:Es ist die Endstation der Straßenbahn Nummer 6."

Tamara klopfte nachdenklich die Aschenreste aus ihrem Pfeifenkopf in einen überquellenden Aschenbecher.

"Festlegen kann ich mich nicht", sagte sie. "Ausserdem ist bis Weihnachten noch Zeit genug und vieles kann sich ändern. Einige Behandlungstermine beim Arzt stehen noch an."

"Wieso? Du bist doch nicht krank?"

"Doch, ich habe Leukämie."

Er schaute sie ungläubig an, mit einer stummen Frage in den Augen..

"Blutkrebs", sagte sie, "und vielleicht habe ich nur noch zwei Jahre zu leben. Gut...vielleicht auch mehr. Ein Damoklesschwert hängt über mir, Jan."

Und sie lächelte ihn an, jetzt deutlicher als zuvor, ein schönes Lächeln aber auch ein trauriges Lächeln. Dann ging sie einfach fort, ohne Jans Reaktion abzuwarten, nur so, ohne ihm die Hand zu reichen, und ohne sich zu verabschieden.

*********

Jan war verunsichert. Doch Tamara war für ihn durch die Krankheit nicht weniger interessant geworden, eine Krankheit, die man nicht sieht, ist keine Krankheit. Er las am gleichen Abend noch in verschiedenen Nachschlagewerken über Leukämie nach, um mehr zu erfahren.

Leukämie - auch weißes Blut genannt - sei zwar eine Krebserkrankung, lernte er, jedoch - in ihrer chronischen Form, wie sie bei Kindern auftritt, - häufig ohne Symptome und auch behandelbar. Mit Hilfe von Therapien wie Zytostatikaverabreichung oder Knochenmarktransplantation - wäre diese Krankheit letztlich auch heilbar.

Die Hoffnung, geheilt werden zu können, wollte er nicht als Hoffnung verstehen, sondern als sichere Tatsache. Tamara, eine Kranke ohne greifbares Krankheitsbild, war für ihn nicht krank.

Er selbst hielt sich für kerngesund und war es auch. Sein Körper war jung und durchtrainiert, obwohl er – außer den Sportpflichtstunden an der Universität - wenig Sport trieb.

Dem Spruch der alten Römer - mens sana in corpore sano - zum Trotz, war ihm der Geist und die Seele wichtiger als pure Körperertüchtigung, die ihm zu langweilig war.

Tamara hingegen nahm bereits als fünfjähriges Mädchen, noch bevor ihr das weiße Blut diagnostiziert wurde, Ballettstunden.

Die Spagatstellung war ihr Glanzstück. Der Körper einer Balletttänzerin hat schön zu sein; der Körper war ihr wichtiger als die Seele.

Es kam auch vor, dass sie sorgfältig überlegte und von langer Hand geplante Entscheidungen aus scheinbar nichtigen Gründen oder ganz ohne Grund plötzlich verwarf. Manchmal war sie sich selbst ein Rätsel, doch kann man über den eigenen Schatten springen?

Wenn es stimmt, dass man eine Frau nie ganz kennt, so traf dies auf Tamara zu; sie war ständig auf der Suche nach sich selbst, ohne sich je zu finden.

Das Herz einer Frau und der Himmel im Herbst, verändern sich schnell, sagt ein japanisches Sprichwort.

Mondschein-Serenade

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