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6 Fiesta cubana

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Weihnachten stand jetzt unmittelbar vor der Tür und Jan hatte seitdem Tamara nicht mehr gesehen. Ins Klementinum kam sie nicht mehr. Die Studentenkolonie leerte sich; viele Einheimische waren nach Hause verreist.. So auch Martin, Jans Zimmergenosse und Milan, der Bauernsohn, der ohnehin nur selten da war. Geblieben waren Ausländer, die meisten aus Südamerika.

( Die Sowjetunion unter Nikita Chruschtschow hatte sich nicht nur die Eroberung des Weltalls zum erklärten Ziel gemacht – nach der Hündin Laika war der Kosmonaut Juri Gagarin bereits als erster Russe erfolgreich um den Erdball geflogen - sondern auch die Eroberung Lateinamerikas. Kuba war nur der erste Schritt auf diesem Weg.)

Eines Abends kam Manuel vorbei, der schwarze, ehemalige Varieté -Tänzer aus Havanna.

In den Pflichtsportstunden glänzte er mit perfekt koordinierten Turnübungen auf dem Schwebebaum. Unglaublich elastisch und sicher war er sogar in den schwierigsten Positionen; selbst der immer schlecht gelaunte, arrogante Sportlehrer, dem selten eine Leistung gut genug war, konnte seine Bewunderung kaum verbergen.

Jan war allein im Zimmer und unterhielt sich mit Manuel im Stehen, da im Zimmer keine zwei Stühle waren.

"Kommst du Samstagabend vorbei?" fragte Manuel. "Wir aus Kuba veranstalten ein Weihnachtsfest dort drüben in der alten Fabrik. Eine fiesta cubana!"

Manuel setzte sich unauffordert auf Jans Bett.

"Es wird getanzt, Musik aus Kuba haben wir auf dem Tonbandgerät -"cuando salí de Cuba", trällerte er plötzlich los, " he cerrado mi corazón!" Bei uns ist Weihnachten ein lustiges Fest."

"Schöne Sprache habt ihr, klangvoll und melodisch, Spanisch!"

"Kubanisch", sagte Manuel. " Für uns ist Spanisch eine andere Sprache!"

"Wir stellen dort ein paar Tische auf und die Mädchen mit Gisela", kicherte er, "werden Häppchen mitbringen. Selbstgemachte kubanische tostados ! Weißt du, was tostados sind?“

Jan hatte keine blasse Ahnung.

"Frittierte Kleinigkeiten zum Essen. Nicht fette Bratwurst wie hier!"

“Claro..ich bin dabei. Und wann geht es los?"

Manuel fasste plötzlich Jans Hand an, zog ihn zu sich aufs Bett und legte einen seiner dunklen Arme um seine Schulter.

"Du bist nicht aus Prag", sagte er."Woher kommst du genau?"

"Kennst du nicht! Eine kleinere Stadt im Osten." Jan nannte ihm den für kubanische Zungen schier unaussprechlichen Namen seiner Geburtsstadt. "Und du ?"

"Kennst du auch nicht! Eine kleine Stadt in der Mitte Kubas. Sind wir Freunde?"

Er schwenkte den anderen Arm in unklarer Richtung aus, um die Bedeutungslosigkeit dieser Stadt zu unterstreichen. Seine Hand berührte dabei wie zufällig Jans Brust. Er zog sie nicht zurück, die Geste war eindeutig.

"Aber getanzt habe ich in einem Varieté in Havanna."

"Was du nicht sagst?"

Bei so viel freundschaftlicher Nähe fühlte Jan sich plötzlich nicht mehr wohl, stand auf und sagte forsch: " Eure Musik gefällt mir, guter Tänzer bin ich aber nicht!"

"Wusste ich doch", sagte Manuel deutlich enttäuscht und stand auch auf, "dass du aus einer spießigen Kleinstadt kommst!"

Die Zimmertür, deren Schloss und Klinke im äußerst schlechten Zustand und reparaturbedürftig waren - um die Tür richtig zu schließen bedarf es einer besonderen Anstrengung, gepaart mit technischer Kunstfertigkeit - ging wie von selbst auf.

Vom Korridor her zischte ein kalten Luftzug, man hörte Husten und rauhe Stimmen, die auf spanisch fluchten.

"Cojones..das sind sie!",sagte Manuel.

"Wer?"

"Dionisio und Roberto"

"Habt ihr euch in meinem Zimmer verabredet?"

"Nein, hier zieht es doch wie Hechtsuppe".

"Suchen Sie etwa dich?"

"Vermutlich", grinste Manuel. Er hatte auffallend weiße Zähne. "Ich habe ihnen einen Pantomimentanz für die Fiesta versprochen."

Die beiden Kubaner betraten das Zimmer. Dionisio, der kräftige Hände hatte, befleißigte sich, die Zimmertür wieder zu schließen. Roberto, blass, erschöpft, schaute ihm mutlos zu.

Die kubanischen Amtsträger, die die muchachos nach Prag geschickt hatten, kannten die Tücken des tschechischen Winters nicht oder sie wollten sie nicht kennen. Sie gaben ihnen keine Wintermäntel auf die Reise mit.

Zu jener Zeit entsprach der Preis eines Wintermantels etwa der Hälfte des Monatslohns eines tschechischen Durchschnittsverdieners. Die Kubaner verfügten nur über schmale Stipendien: der Kauf eines Wintermantels bedeutete für sie, für die nächsten zwei Monate gänzlich Pleite zu sein.

"Sucht ihr euren compañero Manuel oder kommt ihr zu mir?" staunte Jan. Es war der erste Besuch, den er je in diesem Zimmer hatte.

"Roberto ist erkältet und braucht einen Wintermantel", sagte Dionisio. Seine tiefe, ein wenig heisere Stimme klang ruhig, zu ruhig für einen temperantvollen Nachkommen der spanischen conquistadores. Doch in der Ruhe liegt Kraft. Er selbst hatte einen Wintermantel, unklar war jedoch auf welchen Wegen er zu diesem gekommen war. Immerhin konnten die Kubaner auf Antrag einen angemessenen Bekleidungszuschuß vom tschechischen Sozialdienst erhalten.

"Wieso hast du einen und er nicht?"

"Er ist nicht nur Chaote, sondern auch ein Vollidiot", sagte Dionisio - betont langsam und mit einem gewissen Widerwillen, da er über seinen Kameraden nicht unbedingt herziehen wollte.

"Das Geld für den Mantel hat er im Carioca verprasst, der Unglückliche!"

Carioca war ein bekanntes Varieté am Wenzelsplatz, bescheidene Prager Variante eines westlichen Stripteaselokals. Die Go-girls tanzten dort in konservativ geschnittenen Badeanzügen, ohne viel Haut zu zeigen. Es war das einzige Cabaret für Touristen aus dem Westen und gleichzeitig der Ort ihrer elenden Enttäuschung.

Verlegen strich der Blondschopf Roberto mit beiden Händen über seinen zerzausten Kopf. An Jan vorbeischauend, sprach er zu Manuel: "Einmal im Leben wollte ich das Paris des Ostens sehen.

Aber hier tanzt man auf den Tischen in Wintermänteln!"

"Den wirst du jetzt wohl brauchen", grinste Jan.

“ Was sollen wir tun?" murrte Dionisio.

"Tun ist immer gut", sagte Jan."Betteln ist in diesem Land verboten. Aber vielleicht könnt ihr die fiesta cubana mit einem Programm anbieten und Eintrittsgeld kassieren. Nicht offiziell, claro que no ! Freies Unternehmertum ist hierzulande genauso verboten wie jetzt auf Kuba. Zwei Jahre Knast warten auf dich, wenn sie dich erwischen."

"Unser Weihnachtsfest wird ein privates Fest sein", beteuerte Manuel, dem diese Idee plötzlich gefiel.

"Tanzen und singen werden wir ..wie daheim auf Kuba! Ich mache mit, compañeros...Cuba si, Yanqui no !"

Und damit war das Fest der Kubaner eine beschlossene Sache.

*********

Die heruntergekomene Fabrik, die in ihren letzten Jahren als Malsana volkseigener Betrieb firmierte, war jetzt - nach Jahren treuer Dienste für die einst florierende und jetzt langsam dahinsiechende heimische Wirtschaft - ein toter Betrieb. Sie bestand aus drei großen, mit roten Ziegelsteinen erbauten Hallen, in welchen früher Verpackungsmaschinen standen.

Zu Kriegszeit wurden hier Lebensmittel aller Art verpackt; vor allem Kaffeersatz, Suppenpulver und an Farbstoff und künstlichen Aromastoffen reiche Getränke, um die deutsche Wehrmacht im Feld zu versorgen. Jetzt standen die Hallen so gut wie leer.

Die Maschinenausstattung war bereits schrottreif, nichtsdestotrotz waren die Maschinen nicht vollständig verschrottet worden; einige brauchbare Geräte wurden sogar nach Kriegsende nach Russland abtransportiert, zwecks Versorgung der Sowjetarmee. Andere blieben einfach stehen.

Der Fabrikeingang bestand aus einem kleinen Empfangsbüro und einem Wachposten - einer giftgrün angestrichenen Holzbude, wo nach der Machtübernahme durch die kommunistische Partei ein bewaffneter Wächter zu stehen hatte. Ein sogenannter Militionär, dessen Aufgabe es war, im imaginären Angriffsfall das neue Volkseigentum zur Not mit einem Gewehr in der Hand zu schützen. Diese Figur war nach einigen Jahren nur noch symbolisch und keiner nahm sie ernst. An diesem Wachmann führte kein Weg vorbei; jeder Besucher, der hier hineinwollte, musste mit ihm klarkommen. Im Laufe der Zeit und nachdem der Betrieb stillgelegt worden war, verlor die Bude allerdings vollständig ihre Funktion. Für den Verkauf von Eintrittstickets für das Kubanerfest war sie - obwohl stark heruntergekommen und im prekären Zustand - dennoch gut geeignet.

Der sauberste und am besten erhaltene Raum war die großräumige, ehemalige Kantine mit den Waschräumen. Hier gab es immer noch fließendes Wasser und die Räume waren abschließbar. Somit wardie Kantine brauchbar und diente als Notunterkunft für Studenten in dringenden Fällen.

Dort, wo ursprünglich die überdimensionale Betriebsküche war, befand sich eine mit grossen, gelben Fliesen bepflasterte, weiträumige Bodenfläche. Groß und viereckig lud sie zum Tanzen oder zu Vorführungen, welcher Art auch immer, ein.

Den Schlüssel hatte der Heimverwalter; ein gealterter Prager Bohemien; Überbleibsel der goldenen Zwanziger Jahre und vom Typ her Jean Gabin in seinen besten Jahren. Er strahlte immernoch den sorglosen Flair der längst begrabenen kaiserlich- königlichen Monarchie aus.

Gerüchte gingen um, dass er - trotz grauer Haare - er dürfte um die Sechzig gewesen sein - heimlich Damenbesuche in seinem Büro empfange, worauf er insgeheim stolz war. Möglicherweise hatte er diese Gerüchte sogar selbst geschürt. Im Büro hatte er eine antiquierte Chaiselongue stehen, deren Daseinsberechtigung unklar war. Die Existenz dieser seltsam geformten Couch - halb Stuhl halb Bett – wurde mit der Notwendigkeit begründet, seine Beine bräuchten bessere Durchblutung und auf den Tisch könnte er sie nicht legen.

Nachdem das Kubaner-Trio - begeistert von Jans Idee und mit Händen und Füßen diskutierend – wieder draußen war, holte Jan seine Gitarre aus dem Schrank. Dort führte das Musiknstrument seit einigen Monaten ein stilles Stiefmütterchendasein und war demzufolge stark verstimmt.

Er setzte sich auf das Bett und griff in die Saiten: Eine Kakophonie wie sie im Buche steht!

Mit Ungeduld versuchte er, die Gitarre nach Gehör zu stimmen, doch eine bereits recht verschlissene Saite riss bei dem Versuch. Dadurch wurde das süße Holz vorläufig unbrauchbar und er legte es verärgert in den Schrank zurück.

Lustlos öffnete er das klapprige, undichte Fenster und schaute hinaus; der Abendhimmel war grau. Dicke, bauchige, mit Schnee beladene Wolken hingen wie ein tristes, fahles Gewölbe über den Wohnhäusern der Studentenkolonie.

Bald wird Schnee kommen, dachte er, und begann leise ein Lied zu summen: Schneewittchen, Schneewittchen...Tamara kam ihm wieder in den Sinn.

Seine Stimme war zu heiser und brach ab; er schloss das Fenster wieder, öffnete die Tür und lief zum Büro des Heimverwalters, um von dort aus zu telefonieren.

Als er das Büro betrat, ruhte Jean Gabin sich gerade auf seiner Couch aus; er war gerade dabei, sein Nachmittagsnickerchen abzuhalten.

"Schon wieder Damenbesuch gehabt?"

Der Alte wischte sich mit der Hand über die Augen, dann griff er nach seiner Brille, setzte sie auf und musterte Jan mit stolzer Ironie im Blick. "Kannst du es beweisen?"

"Selbst dann, wenn ich es könnte, würde ich es Ihnen nicht antun!" Mit einem Verwalter - welcher Art auch immer - soll man sich gut stehen.

" Kann ich telefonieren?"

Das Telefon - ein schwarzes Wandgerät aus vorsintflutlicher Zeit - befand sich direkt neben der Eingangstür; die runde Drehscheibe enthielt neben Nummern auch Buchstaben und beim ersten Wahlversuch kam keine Verbindung zustande.

"Das Ding funktioniert?"

"Einwandfrei! Im Störungsfall ist die Post schuld, nicht der Apparat."

Beim zweiten Versuch rauschte es in der Hörmuschel wie in einem Sandsturm. Die Stimme am anderen Drahtende war stark verzerrt und fast bis zur Unkenntlichkeit entstellt.

"Hallo!" Jan sprach lauter und deutlicher als sonst, bemüht um eine klare Artikulation. "Wer spricht?"

"Ryba am Apparat!", sagte etwas angestrengt eine dunkle Frauenstimme.

"Hier ist Jan, Jindras Freund. Kann ich mit ihm sprechen? "

"Mit wem?"

"Mit Ihrem Sohn Jindra." Im Telefon knirschte es, die Verbindung drohte abzubrechen.

"Ich habe keinen Sohn", sagte die Stimme am anderen Ende. "Meine Tochter hat einen Sohn. Ich bin die Oma."

Eine zweite Stimme kam hinzu; es gab einen aufgeregten Wortwechsel, der nicht für Jans Ohren bestimmt war und schließlich hieß es:

"Hallo, Jindra Ryba am Apparat ! Wer spricht?"

Jan war bei seinem neuen Freund und möglicherweise künftigem Mentor Ryba angekommen und - trotz weiterer Unpäßlichkeiten der Telefonverbindung - hatte er sich mit ihm für den nächsten Abend in der Musikbar Viola verabredet, um mit ihm über das geplante Fest der Kubaner zu reden.

Als Bassgitarrist der Underground Gruppe mit dem schrägen Namen Hells Angels of Prague war Ryba immer wieder auf der Suche nach interessanten Ereignissen, über welche die in Prag als Berichtserstatter ansässigen Reporter der Westpresse in ihren Medien berichten würden..

Sein Stiefvater - eines der höheren Tiere bei der Geheimpolizei Prags – fand an Jindras Annäherungsversuchen mit dem Westen wenig Gefallen: zwischen Vater und Sohn gab es andauernd Streit. Nur seiner Frau und seiner Schwiegermutter zuliebe hatte der Geheimagent seinen Stiefsohn nicht auf die Straße gesetzt. Die Bassgitarre war ihm ein Dorn im Auge.

"Dieser Krempel nimmt hier nur Platz weg", schrie er einmal im Streit Jindra an, griff nach der Gitarre und öffnete das Fenster. Die elegante Luxusetage eines ehemaligen Patrizierhauses am rechten Moldauufer lag im dritten Stock. Zornerfüllt machte er Anstalten, die Gitarre aus dem Fenster in die Moldau zu werfen.

"Tu’ das!" konterte Jindra, griff nach dem neuen Fernsehapparat - einem begehrten Statusobjekt damaliger Zeit - und hob das Gerät hoch. "Und ich lass ihn fallen!"

Zum Glück schritt die Großmutter ein - elegante alte Dame, die früher bessere Zeiten gesehen hatte - und verhinderte das Schlimmste.

Jindras Stiefvater besaß auch einen Dienstrevolver. Diesen hatte er im Nachtkasten neben dem Ehebett aufbewahrt, für den Fall, dass einmal "losgehen" würde. Er meinte den dritten Weltkrieg.

*********

Die Musikbar "Viola " tat ihrem Namen alle Ehre. Gelegen in der Nationalstrasse, einer der Prachtstrassen der Prager Neustadt neben dem nostalgischen Literatencafe Slavia und in umittelbarer Nachbarschaft des Vereins der tschechoslowakischen Schriftsteller, war sie der ideale Treff von zwei richtigen Männern am richtigen Ort.

Die dunkelrot angestrichenen Wände sowie die rot gepolsterten Stühle und Plüschsofas suggerierten Sensualität. In einer Ecke stand ein schwarzer Flügel mit beigestelltem Mikrophon: Für den Abend war ein Gastauftritt der bekannten Pariser Chansonsängerin Juliette Greco angesagt.

Jan war als erster da, setzte sich an einen der kleinen Marmortische unweit des Mikrophons und bestellte Cuba libre mit viel Eis. Er wusste, er wird warten müssen: Jindra kam immer zu spät - das war eine der grundlegenden Eigenschaften eines echten Pragers.

Die Sängerin war noch nicht zugegen, das Lokal war nahezu leer - mit Ausnahme von einer Handvoll ausgeflippter Musikertypen an der Bar und einigen älteren Damen mit gefärbten Haaren, die im Begriff waren, sich gegenseitig durch ein Gespräch über Paris zu beeindrucken.

"Paris muss man zu Fuss erobern", sagte eine. Einen Spazierstock als Gehhilfe hatte sie dabei.

"Wie ich vor dreißig Jahren", sagte eine andere, die ein rotes Stirnband trug.

"Das waren andere Zeiten."

"Französisch istct eine schöne Sprache!"

"Jetzt sind die Kommunisten dran, unsere Republik zu verfressen, mon dieux !"

"Unsere Republik!"

Die Sängerin erschien, sie trug ein langes rotes Abendkleid mit gewagtem Ausschnitt, der ihren Busen ahnen ließ und schwarze Seidenhandschuhe. Zeitgleich mit ihr tauchte endlich Jindra Ryba auf, abgehezt und schnaufend wie ein Bär.

Der französische Pianist am Flügel griff in die schwarzweißen Klaviertasten; die mit Gefühl angeschlagenen Akkorde ließen eine melancholische Mischung von Pariser Nostalgie entstehen, die den Raum füllte.

Parlez-moi d'amour sang sie und suchte einen geigneten Blickkontakt mit jemanden unter den Zuhörern, wobei ihr Blick Jans Augen streifte.

Erst später - nach Jahren - erfuhr Jan, dass Juliette Greco zu den Jüngern-und Jüngerinnen von Sartre gehörte, die sich in Paris der siebziger Jahre um ihn scharten.

( In Prag waren die französischen Intelektuellen mehr als nur eine vorübergehende

Trenderscheinung. Frankreich und Italien waren zwei vielsprechende Länder, welche

die Sowjetunion durchaus aufnahmefähig in den Hammer-und –Sichel - Klub hielt.

Beide Länder verfügten über starke kommunistische Parteien - und in Prags Zeitungskiosken wurden neben der russischen Prawda auch rote Westzeitungen wie L'Humanité, Il Popolo oder - die englische Arbeiterzeitung The Daily Worker angeboten.)

Ryba bestellte ein Campari-Orange, passend zur Umgebung, eine dunkelrote Mischung von Blutorangesaft und italienischem Campari.

"Jetzt bin ich endgültig Pleite", bemerkte er hämisch lächelnd. Er hatte einen breiten, fischähnlichen Mund.

"Nicht die Rede“, sagte Jan.“ Nicht jeder hat so viel Glück wie du. Wie läuft das Musikgeschäft mit den Hells Angels?"

"Geschäft? Wir sind hier nicht im Westen, deswegen machen wir keine Geschäfte und nagen am Hungertuch. In London wäre unsere Band längst 'ne Kanone geworden, wie die Stones."

Jan richtete er seine Augen auf die Französin und versuchte ihren Blickkontakt zu erwidern; sie erinnerte ihn an Tamara.

"Kein Geschäft?“ sagte er wie nebenbei .“Vielleicht hätte ich etwas für euch. Was spielt ihr noch außer Rock und Twist?"

Ryba musterte ihn prüfend, fasste mit seiner breiten Bassistenhand sein Glas an und nahm einen kräftigen Schluck.

"Gut...eigentlich spielen wir fast alles..auf Wunsch“, grinste er. “Was wäre das?"

"Latin rock aus Südamerika."

Während Juliette ihren nächsten sentimentalen Spaziergang unter dem Himmel von Paris unternahm, - was die anwesenden älteren Damen in schmachtende Verzückung versetzte -, erzählte Jan ihm über die Idee der Kubaner, in der ehemaligen Fabrik ein kubanisches Weihnachtsfest mit Programm zu veranstalten..

"Ganz von der Hand zu weisen, ist die Idee nicht", meinte Ryba. "Mal sehen, was der Bandleader dazu sagt. Morgen gebe ich dir Bescheid."

"Mañana sage ich dir auch mehr zum Programm. Kennst du Manuel?"

"Ist das der kleine Schwarze?"

"Ehemaliger Ballettänzer, behauptet er."

"Klarer Fall! Der ist doch von der anderen Fakultät.."

"Keine Ahnung. Möglicherweise wird er als Mime auftreten und könnte Musik als Tonkulisse brauchen.“

Juliette kam beim gefühlvollen Singen ins Schwitzen; Jan konnte deutlich perlierende Schweißtropfen sehen, die von ihrer Stirn herunter zu den Augenbrauen hin kullerten und sanfte Spurrillen in ihrem Make-up hinterließen. Er fand sie begehrenswert.

"Singen ist Arbeit", meinte Ryba trocken.

Als sie das Lokal verließen, fielen langsam die ersten Schneeflocken vom Himmel. Plötzlich wurde es kalt und die Flocken schmolzen nicht mehr; Prags Straßenpflaster färbte sich zuckerweiß und wurde rutschig .Als guter Prager nahm Ryba ein Taxi, obwohl er, wie er sagte, gänzlich bankrott war. Mehr Schnee fiel.

Auf die letzte Straßenbahn, die erst kurz vor Mitternacht kam, musste Jan lange warten.

Mondschein-Serenade

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