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AMERIKANISCHE KUTSCHEN

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Wir lachten früher schon regelmäßig über die amerikanische Großmannssucht bei ihren Autos. Viele Deutsche träumen bis heute von den ungeheuren Schlitten, die noch in den 60er Jahren den Glanz und die Glorie Amerikas darstellten. Dann kam der große Ölschock, und die Autoindustrie durchlief eine grundlegende Reform. Mittlerweile ist diese aber in die Jahre gekommen, der Benzinpreis hat sich praktisch halbiert, und so braucht sich keiner mehr wirklich Gedanken darüber zu machen, was für ein Auto man fährt. Die Grünen sind natürlich darauf bedacht, ein Elektroauto oder ein Hybrid-Fahrzeug zu erstehen, alle Hochachtung, aber der Durchschnittsamerikaner sieht das alles ganz anders.

Ich muss gestehen, ich bin überwiegend Fahrradfahrer. Meistens kann ich ohne große Probleme morgens zu Arbeit fahren und abends wieder sicher nach Hause kommen. Manchmal aber gibt es die Notwendigkeit, kurz die Hauptverkehrsstraße zu benutzen. Auch nur für hundert Meter, aber da bleibt mir doch die Spucke weg. Auf drei Spuren donnern die großen Pick-Ups oder die Vans an mir vorbei, oder ähnliche Ungetüme. Der richtige Amerikaner, der etwas auf sich hält, hat schon lange Abstand davon genommen, einen normalen Personenwagen zu fahren. Wer sind wir denn, so sagen sie sich alle. Wer nicht durch Volumen zu dominieren vermag, hat auf der Straße gar nichts zu suchen. Darum geht es vor allem. Es muss groß, mächtig, beeindruckend, dominierend, selbstherrlich sein. Das ist schon fantastisch, diese Armada von amerikanischen Personenwagen, die wie eine Herde wildgewordener Pferde daherkommen und alles vor sich dahinwalzen, was sich ihnen in den Weg zu stellen wagen sollte. Ein Fahrrad würde überhaupt nicht wahrgenommen werden. Man fährt heute selbstherrlich, sitzt sozusagen im zweiten Stock, überschaut die Welt vor sich und denkt an nichts.

Aber halt, ganz so ist das nicht. Da klingelt ja immer wieder das Handy, und da die amerikanischen Politiker weiß Gott nicht daran denken, Telefongespräche bei der Autofahrt zu verbieten, gibt es halt immer wieder so ein paar Unschuldsknaben, die es gewagt hatten, den Zebrastreifen zu benutzen, um die Straße zu überqueren. Meine Güte, einfach platt fahren, das Gewicht hält das schon aus, wird sowieso ein Obdachloser gewesen sein, oder so ein Linksintellektueller. Der stolze Amerikaner fährt einfach weiter, merkt noch nicht einmal, dass es da ein Problem gegeben haben könnte, und außerdem war der Anruf auf dem Smartphone sowieso wichtiger gewesen.

In Texas fährt man auf jeden Fall mit den größten Autos. Dort ist alles immer am größten, man würde sich geradezu schämen, wenn es anders sein sollte. Das Land ist groß, die Regierung ist fern, der Weg ist weit, also bitte einen inneren Wohnraum auch im Auto. Da sollte zumindest ein Kühlschrank installiert sein, und ein Fernseher gehört sowieso dazu, damit die Kinder mit etwas Beruhigendem berieselt werden können. Ich finde das wirklich wunderbar, da fahren die Leute von Arizona oder die lieben Texaner-Touristen z. B. durch die Bergwelt von Sedona und dann weiter oben vom Gran Canyon, aber im Auto ist man auf den Videofilm fixiert; was soll denn die Welt da draußen?

In Arizona wagen es ein paar verrückte liberale Politiker, ein Gesetz durchzusetzen, wonach Teenager für die ersten sechs Monate nicht beim Autofahren Telefongespräche führen oder eine Sims schicken dürfen. Zum Glück haben die Republicans die völlige Mehrheit und werden schon sicherstellen, dass keine solche Regelungen durchgesetzt werden könnten. Seltsamerweise gilt aber, dass man einen Sicherheitsgurt tragen muss, und dies sogar bei uns im Südwesten. Das ist ja ungeheuerlich, die Regierung will uns zwingen, solch einen einengenden Gurt vor der Abfahrt anzuschnallen, wo bleibt denn da unsere Freiheit? Gut, im Flugzeug macht man das schon, aber dort zwingt uns ja die Stewardess dazu. Wenn ich aber mit dem Auto fahre, sollte ich da nicht machen dürfen, was mir gerade so recht wäre? Ach, Gesetze, Regelungen, Vorschriften – all das ist ja so lästig, und wir Amerikaner wollen wirklich nichts damit zu tun haben. Hurra, Freiheit ist das Stichwort, und wenn auch die anderen darunter leiden könnten, was soll’s, jeder darf machen, was er oder sie will. Nun, sagen wir mal, was er will; die lieben Frauen sollten doch ein wenig kuschen und sich unterordnen. Sie reden sowieso zuviel am Telefon, während Männer, ganz gleich welchen Alters, nur wichtige Dinge zu sagen haben. Also, liebe Polizei, wenn ich dann wieder einmal bei der großen Kreuzung nach links abbiege und mehrere Spuren überqueren muss, dann sollte ich wirklich das Recht haben, gleichzeitig mit der Schwiegermutter über die Auswahl für das nächste Abendessen zu streiten oder darüber zu diskutieren, ob der neueste Kinofilm wirklich sein Versprechen eingelöst haben könnte oder nicht. Hoppla, und da kommt so ein blöder Verkehrsteilnehmer von der rechten Seite und beansprucht das gleiche Recht wie ich! Nun gut, es kam zu keiner Karambolage, aber das muss ich gleich der Schwiegermutter haarklein berichten, auch wenn ich nicht so ganz begreife, was bei der nächsten Ampel passiert.

Was soll ich mich auch besorgen, um mich herum ist so viel Blech und Stahl, da könnte selbst eine Handgranate Schwierigkeiten haben, sich durch die Außenwand zu kämpfen. Der Krieg ist der Vater aller Dinge, nicht wahr, und so auch im normalen Straßenverkehr. Wer würde daher darauf verzichten wollen, eine rollende Festung zu besitzen, mit der man alle Sorgen wegen eines Staus oder anderer Probleme ignorieren kann. Da sitze ich ganz hoch oben, überblicke den Verkehr, und wenn man mir keinen Platz einräumt, fahre ich einfach los und überrolle die kleinen Autos, die diesen Namen noch nicht einmal verdienen. Ja, ich weiß, da war auch ein Fahrer drin, aber bei diesem Stau muss man sich einfach durchsetzen. Je höher man sitzt, desto mehr Vorrang besitzt man. Und wenn die Ampel weit voraus auf Rot springt, drücke ich erst recht aufs Gas, um dann kurz vor den wartenden Autos eine Vollbremsung hinzulegen, bei der meine mächtigen Reifen kräftig Spuren auf dem Asphalt hinterlassen. Gerade noch mal so geschafft, aber wen soll das denn stören? Die Straße gehört mir, sitze ich ja am höchsten. He, he, das sind die neuen amerikanischen Verkehrsregeln!

Klar, wenn man dann eine Parklücke sucht, erweist sich das als recht schwierig, denn wie passt so ein Panzer zwischen zwei kleine Personenwagen? Na, das soll dann die Versicherung klären. Und der Spritverbrauch? Mensch, damit solltest du mich aber wirklich nicht belästigen. Dafür gibt es Kreditkarten, und wie viele Meilen ich pro Gallone fahren kann, geht wirklich niemanden an. Hauptsache, der Motor brummt so richtig kräftig und demonstriert meine eigene Männlichkeit. Ja, in Amerika macht es noch Spaß, sich auf der Straße motorisiert zu bewegen. Da brauche ich gar keine Viagra-Pillen mehr und fühle mich wie ein Cowboy aus den alten Tagen.

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