Читать книгу Ein schwerer erster Schritt: Dr. Lisa Groschner - Eine Praxis in den Bergen Band 1 - Alea Raboi - Страница 5
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Lisas Nerven lagen blank. Missgelaunt lehnte sie sich an den Bus.
Herrje!, schoss es ihr durch den Sinn, erst die Hälfte der Strecke.
Ihre Füße schmerzten, ihr Rücken schmerzte, ihr Kopf schmerzte. Sie blickte auf ihre Füße hinab. Die Armen steckten in den High Heels seit heute früh. Sie hatte sie eine Nummer zu klein gekauft, da ihre Größe vergriffen war. Unbedingt hatte sie dieses Paar haben wollen, und wenn Lisa etwas wollte, dann nahm sie es sich. Auch wenn das hieß, Schuhe zu tragen, die ihr viel zu klein waren.
Aus dem Augenwinkel bemerkte sie einen Schatten, der sich neben sie stellte. Sie schaute ihn an. Ein Mann, ungepflegt, mit einem Glimmstängel zwischen seinen schrundigen Lippen. Sie rümpfte bei diesem Anblick die Nase. Der Typ stank nicht nur nach Tabak, sondern auch nach Alkohol und Urin.
Wenn der nachher nur nicht neben mir sitzt, dachte sie.
Sie flanierte vor den Bus, wo die meisten Passagiere warteten und ein paar neue dazustießen, und ließ ihren Blick durch die Menge schweifen. Wohin sie auch sah, überall standen Leute herum, die sich offenkundig keinen Deut darum scherten, wie die Umwelt sie wahrnahm. Einigen von ihnen schien Bequemlichkeit wichtiger zu sein. Wie konnten die Leute nur so reisen? Sie würde in solchen Klamotten nicht einmal den Müll runterbringen.
»Na, auch allein hier?«, ertönte eine tiefe Stimme. Ein Mann schob sich in ihr Sichtfeld.
Eingehend musterte sie ihn. Ein Typ mit zerzausten, braunen Haaren, einem Dreitagebart, braunen Augen und einer sportlichen Statur.
»Ja«, brummte sie und schluckte eine abfällige Bemerkung hinunter. In ihrer Stimme schwang Argwohn mit, doch sie ließ sich nichts anmerken.
»Und was, wenn ich fragen darf, zieht Sie in die Berge?« Seine Stimme hatte einen äußerst charmanten Klang. »Und sagen Sie jetzt nicht, Sie müssten sich von Ihrem ach so stressigen Berufsalltag erholen.«
Das Charmante flog von dannen.
»Ich ... ich werde ein paar Tage in St. Albert verbringen. Und Sie? Was treibt Sie zu dieser Jahreszeit in die von Touristen überrannten Berge?«
Er fuhr sich durchs Haar. »Ich steige übrigens auch in St. Albert aus. Was ich da will? Arbeiten.«
Sie fixierte ihn. »Natürlich, was denn sonst. Lassen Sie mich raten ... Sie arbeiten den Sommer über auf der Alm?«
»Nicht ganz«, sagte er und schaute sie schmunzelnd an. »Ich wohne da. War nur für zwei Wochen in der Toscana. Bei meiner Großmutter, sie ist dort in einem Pflegeheim.«
Sie lächelten sich an.
»Die lieben Omas«, sagte Lisa. »Und was arbeiten Sie?«, rutschte es aus ihr heraus und sie erschrak ob ihrer Neugierde.
»Ach, so dies und das. Ich bin sozusagen Mädchen für alles. Ich helfe den Bauern, übernehme hie und da Arbeiten des Hausmeisters an der Schule. Und wer weiß, vielleicht ergattere ich mir auch noch einen Job als Kellner.« Er zwinkerte sie an. »Hauptsächlich arbeite ich aber als Gärtner. Meine Lehrjahre sollen schließlich nicht umsonst gewesen sein. Morgen helfe ich einer alten Freundin der Familie, das zu ihrer Berghütte gehörende Umland auf Vordermann zu bringen.«
»Die Touristen kommen.«
»Genau, Sie sagen es. Und alles muss noch schnell erledigt werden. Immer dasselbe.«
»Einsteigen!«, brüllte der Fahrer.
»Übrigens«, sagte ihr Gesprächspartner und streckte ihr seine Hand entgegen. »Ich bin David.«
»Lisa.«
»Also dann, Lisa, auf eine schnelle zweite Hälfte der Fahrt.«
»Und bitte ohne Stau. Das ist das Letzte, was ich jetzt gebrauchen kann, einen blöden, zeitraubenden Stau.«
»Amen«, sagte er und lachte auf.
David ließ Lisa vor ihm einsteigen. Sie bedankte sich mit einem breiten Lächeln und suchte ihren Platz. Nummer zehn, da war er ja. Ein Fensterplatz. Sie legte ihre Handtasche auf den Boden, ließ sich ächzend in die Lehne sinken, schälte sich aus den hohen Hacken und legte ihre Füße auf die Tasche. Sie hasste es, mit dem Bus zu reisen, aber vor zwei Wochen war sie zu schnell unterwegs gewesen und hatte nun ihren Führerschein für eine Weile abgeben müssen.
Sie linste nach vorne. Zwei Reihen weiter nahm ihre neue Bekanntschaft den Platz ein. Kurz darauf setzte sich neben David eine ältere Dame.
Der Raucher von vorhin betrat nun den Bus. Langsamen Schrittes kam er auf Lisa zu.
Himmel! Bitte nicht!
Auf ihrer Höhe blieb er stehen. Für einen Augenblick setzte ihr Atem aus. Er ging weiter, und sie schnaufte erleichtert durch. Ihren Kopf lehnte sie an die Scheibe und schaute anderen Bussen zu, wie sie losfuhren. Bald würde auch ihrer sich in Bewegung setzen.
Wie aus dem Nichts drang ein beißender Geruch in ihre Nase.
Oh nein.
Langsam drehte sie ihren Kopf und sah den Raucher vor sich.
»Wir zwei Hübschen sind jetzt Sitznachbarn«, erklärte er.
Sie rang sich ein quälendes Lächeln ab, er erwiderte es breit und Lisa, so sehr sie auch wollte, konnte ihren Blick nicht von seinem Mund abwenden.
Zwei Zähne waren ausgefallen, die anderen sahen ziemlich düster aus. Eigentlich wollte sie gar nicht hinsehen, aber sie wurde wie von einer fremden Macht angezogen. Wie bei einem Unfall; man will nichts Hässliches sehen, und doch schaut man hin. Als sich der Mann hinsetzte, waberte ein übel riechender Nebel aus abgestandenem Zigarettenrauch, Alkohol, Urin und mangelnder Mundhygiene zu ihr herüber und legte sich auf sie nieder. Durchdrang ihre Kleidung und biss sich in ihre Haut. Verachtend zog sie den Ärmel ihres Blazers über die Hand und legte ihn auf die Nase. Gut, dass sie ihn gestern erst aus der Reinigung geholt hatte, so konnte sie den frischen Duft von weißen Rosen einatmen.
Wieder an der Scheibe lehnend hoffte sie inständig, von ihrem Sitznachbarn nicht mehr angesprochen zu werden. Sie schaute hinaus und sagte ihrer Heimat in Gedanken tschüss.
Bis ganz bald.
Der Motor heulte auf und der Reisebus tuckerte vom Parkplatz.