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Sechster Theil
Zweites Capitel.
Der Abbé Pronio

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Ungefähr zu derselben Stunde, wo der Fiscalprocurator Vanni seinen Gefangenen wieder in den Kerker zurückführen ließ, erschien der Cardinal Ruffo, einem dem König während der Nacht gegebenen Versprechen gemäß, an der Thür der königlichen Gemächer.

Da Befehl ertheilt worden war, ihn vorzulassen, so gelangte er ohne Hinderniß bis zu dem König.

Der König hatte eben eine Unterredung unter vier Augen mit einem Manne von etwa vierzig Jahren.

Daß dieser Mann ein Abbé war, sah man an der kaum bemerkbaren Tonsur, welche mitten unter einem Wald von schwarzem Haar fast gänzlich verschwand. Uebrigens war er von rüstigem Körperbau und schien eher geschaffen, die Uniform eines Carabiniers als das geistliche Gewand zu tragen.

Ruffo trat einen Schritt zurück.

»Ich bitte um Verzeihung, Sire,« sagte er. »Ich glaubte Euer Majestät allein zu treffen.«

»Treten Sie nur ein, treten Sie nur ein, mein lieber Cardinal!« sagte der König. »Sie stören durchaus nicht. Ich stelle Ihnen den Abbé Pronio vor.«

»Ich bitte um Verzeihung, Sire,« sagte Ruffo lächelnd.

»Ich kenne den Abbé Pronio nicht.«

»Ich auch nicht,« sagte der König. »Der Herr Abbé tritt eine Minute vor Ihnen, Eminentissime, ein; er kommt im Auftrage meines Beichtvater Monseigneur Rossi, Bischofs von Nicosia. Eben hatte er den Mund geöffnet, um mir zu erzählen, was ihn hierherführt. Er wird es nun, anstatt mir allein, uns beiden erzählen. Alles, was ich nach den wenigen Worten, welche der Herr Abbé gesprochen, weiß, besteht darin, daß er ein Mann ist, welcher gut spricht und noch besser zu handeln verspricht. Erzählen Sie Ihre Angelegenheit. Der Herr Cardinal Ruffo ist ein Freund von mir.«

»Ich weiß es, Sire,« sagte der Abbé, indem er sich vor dem Cardinal verneigte, »und zwar einer Ihrer besten Freunde.«

»Wenn ich nicht die Ehre habe, den Herrn Abbé Pronio zu kennen, so sehen Sie, daß dagegen der Herr Abbé Pronio mich kennt.«

»Und wer kennte Sie nicht, Herr Cardinal, Sie, den Befestiger von Ancona! Sie, den Erfinder eines neuen Ofens zur Herstellung von glühenden Kugeln.«

»Ah, da sind Sie gefangen, Eminentissime!« sagte der König lachend. »Sie erwarteten, daß man Ihnen Complimente über Ihre Beredsamkeit und Frömmigkeit mache, und siehe da! man macht Ihnen deren über Ihre kriegerischen Leistungen.«

»Ja, Sire. Wollte Gott, daß Eure Majestät das Commando der Armee lieber Seiner Eminenz anvertraut hätte, anstatt dem hergelaufenen Prahlhans.«

»Herr Abbé, das was Sie da sagen, ist eine große Wahrheit,« bemerkte der König, indem er Pronio die Hand auf die Schulter legte.

Ruffo verneigte sich.

»Ich glaube aber, sagte er, »der Herr Abbé ist nicht blos gekommen, um Wahrheiten zu sagen, welche er mir erlauben wird für Schmeicheleien zu nehmen.«

»Sie haben Recht, Eminenz,« sagte Pronio, indem er sich seinerseits verneigte. »Eine von Zeit zu Zeit und wenn die Gelegenheit sich dazu darbietet, ausgesprochene Wahrheit kann allerdings zuweilen dem Unklugen schaden, der sie jagt, aber niemals dem König, der sie hört.«

»Sie besitzen Geist, mein Herr,« sagte Ruffo.

»Das habe ich mir auch gleich gedacht,« sagte der König, »und dennoch ist er weiter nichts als schlichter Abbé, während ich zur Schande meines Cultusministeriums in meinem Königreiche so viel Esel habe, welche Bischöfe sind.«

»Aber Alles dies sagt uns nicht, was den Abbé zu Euer Majestät führt.«

»Ja, sagen Sie es, sagen Sie es, Herr Abbé. Der Cardinal erinnert mich daran, daß ich noch mehr zu thun habe. Wir hören Sie.«

»Ich werde mich kurz fassen, Sire. Gestern neun Uhr Abends war ich bei meinem Neffen, welcher Postmeister ist.«

»Sehr richtig,« sagte der König.

»Ich sann eben nach, wo ich Sie schon gesehen hätte. Jetzt besinne ich mich. Dort war es.«

»Ja wohl, Sire. Zehn Minuten vorher war ein Courier vorbeigekommen, hatte Pferde bestellt und zu dem Postmeister gesagt: »Laffen Sie vor allen Dingen nicht warten; es ist für einen sehr vornehmen Herrn.« Dann war er lachend weitergesprengt. Ich ward nun neugierig, diesen vornehmen Herrn zu sehen. Als der Wagen hielt, näherte ich mich demselben und erkannte zu meinem großen Erstaunen den König.«

»Er hat mich erkannt und nichts von mir verlangt! Das ist schon sehr hübsch von ihm, nicht wahr, Eminentissime?«

»Ich behielt es mir für diesen Morgen vor, Sire,« antwortete der Abbé, indem er sich verneigte.

»Sprechen Sie weiter! Sie sehen, daß der Cardinal Ihnen zuhört.«

»Mit der größten Aufmerksamkeit, Sire.«

»Der König, den man in Rom wußte, fuhr Pronio fort, »kam allein in einem Cabriolet zurück, von einem einzigen Cavalier begleitet, welcher die Kleider des Königs trug, während der König die Kleider dieses Cavaliers anhatte. Dies war ein Ereigniß.«

»Und zwar ein stolzes,« sagte der König.

»Ich befragte die Postillone von Fondi, und von Postillon zu Postillon bis auf den von Albano zurückgehend, hatten die unsrigen erfahren, daß eine große Schlacht geliefert, daß die Neapolitaner geschlagen worden und daß der König – wie soll ich sagen, Sire?«, fragte der Abbé, sich ehrerbietig verneigend, »daß der König –«

»Ausgerissen war. Entschuldigen Sie, meine Herren, wenn ich mich dieses etwas unedlen Ausdrucks bediene,« sagte der König lachend, »ich weiß aber, daß er hier am rechten Orte ist.«

»Ich kam nun,« fuhr der Abbé fort, »auf den Gedanken, daß, wenn die Neapolitaner wirklich auf der Flucht wären, sie in einem Striche bis nach Neapel rennen würden, und daß es folglich nur ein Mittel gäbe, die Franzosen aufzuhalten, welche, wenn man sie nicht aufhielte, den Besiegten auf den Fersen folgen würden.«

»Und welch ein Mittel wäre dies?« fragte Ruffo.

»Die Abruzzen und die Terra di Lavoro zu revolutionisieren und, da man den Franzosen keine Armee mehr entgegenstellen kann, ihnen ein Volk entgegenzustellen.«

Ruffo sah Pronio an.

»Sollten Sie vielleicht zufällig ein Mann von Genie sein, Herr Abbé?« fragte er ihn.

»Wer weiß,« antwortete dieser.

»Die Sache sieht mir ganz so aus.«

»Laffen Sie ihn weitersprechen, lassen Sie ihn weiter sprechen,« sagte der König.

»Demzufolge nahm ich heute Früh ein Pferd von meinem Neffen und ritt in einem Strich bis Capua. Hier zog ich auf der Post Erkundigungen ein und hörte, daß der Königin Caserta sei. Nun begab ich mich nach Caserta und erschien kühn an der Thür des Königs, als käme ich im Auftrage des Monseigneur Rossi, Bischofs von Nicosia und Beichtvaters Seiner Majestät.«

»Sie kennen aber wohl Monseigneur Rossi?« fragte Ruffo.

»Nein, ich habe ihn niemals gesehen, entgegnete der Abbé, »aber ich hoffte, daß der König im Hinblick auf meine gute Absicht mir die Lüge verzeihen würde.«

»Jawohl, ich verzeihe Ihnen,« sagte der König »Herr Cardinal, ertheilen Sie ihm sofort die Absolution.«

»Nun, Sire, wissen Sie Alles,« sagte Pronio. »Wenn der König auf mein Insurrectionsprojekt eingeht, so wird eine Pulverschlange nicht schneller auffliegen. Ich proclamire den heiligen Krieg, und ehe acht Tage vergehen, insurgire ich das ganze Land von Aquila bis Teano.«

»Und Sie wollen dies ganz allein machen?«, fragte Ruffo.

»Nein, Monseigneur. Ich werde mir zwei Männer der That zugesellen.«

»Und wer sind diese beiden Männer?«

»Der eine ist Gaëtano Mammone, mehr unter dem Namen des Müllers von Sora bekannt.«

»Habe ich,« fragte der König, »diesen Namen nicht bei Gelegenheit der Ermordung jener beiden Jakobiner della Torre nennen gehört?«

»Das ist wohl möglich,« antwortete der Abbé Pronio. »Es geschieht selten, daß Gaëtano Mamone nicht zugegen ist, wenn zehn Meilen in der Runde Jemand umgebracht wird. Er wittert das Blut.«

»Sie kennen ihn also?« fragte Ruffo.

»Er ist mein Freund, Eminenz.«

»Und wer ist der Andere?«

»Ein ungemein vielversprechender Bandit, Sire. Er heißt Michele Pezza, hat aber den Namen Fra Diavolo angenommen, wahrscheinlich weil es nichts Boshafteres gibt, als einen Mönch, und nichts Schlimmeres, als den Teufel. Kaum einundzwanzig Jahre alt, ist er schon Hauptmann einer Bande von dreißig Mann, welche sich in den Gebirgen von Mignano aufhält. Er liebte die Tochter eines Stellmachers in Itri, bewarb sich um ihre Hand, ward aber abgewiesen. Hierauf erklärte er seinem Nebenbuhler, welcher Peppino hieß, offen und ehrlich, daß er ihn umbringen würde, wenn er auf Francesca, so hieß das junge Mädchen, nicht verzichtete. Sein Nebenbuhler wollte nicht zurücktreten und Michele Pezza hielt ihm Wort.«

»Das heißt, er brachte ihn um, nicht wahr?« fragte Ruffo.

»Ja, Eminenz. Vor vierzehn Tagen drang er mit sechs der Entschlossensten seiner Bande während der Nacht durch den an die Gebirge stoßenden Garten in das Haus des Vaters Francescas, entriß ihm seine Tochter und führte sie mit sich fort. Wie es scheint, besitzt der Bursche ein nur ihm bekanntes Geheimniß, die Frauen in ihn verliebt zu machen. Francesca, welche Peppino liebte, betet jetzt Fra Diavolo an und raubt und mordet mit ihm, als ob sie ihr ganzes Leben lang weiter nichts gemacht hätte.«

»Und das sind die Männer, deren Sie sich zu bedienen gedenken?« fragte der König.

»Sire, mit Seminaristen kann man kein Land insurgiren.«

»Der Abbé hat Recht, Sire,« sagte Ruffo.

»Gut, zugegeben. Und mit diesen Mitteln versprechen Sie sich Erfolge?«

»Ich bürge dafür.«

»Und Sie wollen die Abruzzen und die Terra di Lavora insurgiren?«

»Vom Kind bis zum Greise. Ich kenne dort alle Welt und alle Welt kennt mich.«

»Sie scheinen mir Ihrer Sache sehr sicher zu sein, mein lieber Abbé,« sagte der Cardinal.

»So sicher, daß ich Sie ermächtige, Eminenz, mich erschießen zu lassen, wenn ich keinen Erfolg erziele.«

»Dann gedenken Sie wohl, Ihre Freunde Gaëtano Mammone und Fra Diavolo zu Ihren beiden Lieutenants zu machen?«

»Ich gedenke aus ihnen zwei Capitäne zu machen, wie ich bin. Sie sind nicht weniger werth als ich und ich bin nicht weniger werth als sie. Der König möge blos geruhen, mein Patent und die ihrigen zu unterzeichnen, damit wir den Bauern beweisen können, daß wir in seinem Namen handeln, und ich stehe für Alles.«

»Ei, ei!«, sagte der König. »Ich bin nicht übertrieben gewissenhaft, aber zwei solche Kerle zu meinen Capitänen zu ernennen! Sie gestatten mir wohl zehn Minuten Bedenkzeit, Herr Abbé?«

»Zehn, zwanzig, dreißig, Sire; ich fürchte nichts. Das Geschäft ist zu vortheilhaft, als daß Eure Majestät es von sich weisen könnten, und der Herr Cardinal den Interessen der Krone zu eifrig ergeben, als daß er Ihnen nicht dazu rathen sollte.«

»Wohlan, Herr Abbé,« sagte der König, »lassen Sie mich einen Augenblick mit dem Cardinal allein. Wir wollen uns über Ihren Vorschlag besprechen.«

»Ich werde mich in das Vorzimmer begeben, um in meinem Brevier zu lesen, Sire. Wenn Eure Majestät zu einem Entschluß gelangt sind, werden Sie mich rufen lassen.«

»Ja, gehen Sie, Herr Abbé, gehen Sie.«

Pronio verneigte sich und ging.

Der König und der Cardinal sahen einander an.

»Nun, was sagen Sie zu diesem Abbé, Eminentissime?« fragte der König.

»Ich sage: das ist ein Mann, Sire, und die Männer sind rar.«

»Eine Art heiliger Bernhard, der einen Kreuzzug predigt, bedenken Sie doch!«

»Ja, Sire, und er wird vielleicht mehr Glück machen, als der echte gemacht hat.«

»Sie sind also der Meinung, daß ich ein Anerbieten annehmen soll?«

»In der Lage, worin wir uns befinden, erachte ich es für klug und angemessen.«

»Aber sagen Sie mir, wenn man Enkel Ludwigs Vierzehnten ist und sich Ferdinand von Bourbon nennt, kann man doch nicht wohl mit diesem Namen Patente einen Räuberhauptmann und einen Menschen unterzeichnen, welcher das Blut trinkt, wie ein Anderer helles Wasser, denn ich kenne seinen Gaëtano Mammone wenigstens Rufe nach.«

»Ich begreife den Widerwillen, welchen Eure Majestät hiergegen hat. Unterzeichnen Sie aber doch blos das Patent des Abbé und ermächtigen Sie ihn, die der beiden Anderen zu unterzeichnen.«

»Sie sind ein anbetungswürdiger Mann, denn es gibt nichts, wodurch Sie in Verlegenheit gebracht werden könnten. Wollen wir den Abbé wieder hereinrufen?«

»Nein, Sire. Wir wollen ihm Zeit lassen, sein Brevier zu lesen. Wir haben unsererseits einige kleine Geschäfte abzumachen, welche wenigstens eben so großer Beschleunigung bedürfen, als die einigen.«

»Das ist wahr.«

»Gestern fragte Eure Majestät mich um meine Meinung in Bezug auf die Fälschung eines gewissen Briefes.«

»Ich entsinne mich dessen vollkommen und Sie verlangten von mir eine Nacht Bedenkzeit. – Haben Sie wirklich darüber nachgedacht, Eminentissime?«

»Ich habe gar nichts Anderes gethan, Sire.«

»Nun und?«

»Nun, es gibt eine Thatsache, welche Eure Majestäz nicht streitig machen werden, nämlich die, daß ich die Ehre habe, von der Königin verabscheut zu werden.«

»Das ist das Schicksal. Aller, die mir treu und anhänglich sind, mein lieber Cardinal. Wenn wir das Unglück hätten, uns zu veruneinigen, so würde die Königin Sie anbeten.«

»Da ich nun nach meiner Ansicht schon hinreichend von ihr verabscheut werde, so möchte ich, wenn es möglich wäre, Sire, wünschen, daß sie mich nicht noch mehr verabscheue.«

»In welcher Beziehung sagen Sie mir dies?«

»In Bezug auf den Brief des Kaisers von Oesterreich.«

»Was glauben Sie denn?«

»Ich glaube nichts, nach meiner Ansicht aber ist die Sache folgendermaßen zugegangen.«

»Lassen Sie hören,« sagte der König und stemmte sich, um bequemer zu hören, mit dem Ellbogen auf die Armlehne seines Sessels.

»Zu welcher Stunde reisten Eure Majestät mit André Baker an dem Tage, wo dieser junge Mann Ehre hatte, mit Euer Majestät zu dinieren, nach Neapel ab?«

»Zwischen fünf und sechs Uhr.«

»Wohlan, zwischen sechs und sieben Uhr, das heißt eine Stunde nachdem Eure Majestät abgereist waren, erhielt der Postmeister in Capua Befehl, dem Courier Ferrari, wenn derselbe das bei ihm zurückgelassene Pferd wieder holen würde, zu sagen, daß er nicht bis nach Neapel reiten brauche, da Eure Majestät in Caserta seien.«

»Und wer hat dem Postmeister diese Weisung theilt?«

»Ich möchte nicht gern Jemand nennen, Sire, aber ich hindere Eure Majestät nicht, es zu errathen.«

»Weiter, ich höre Sie!«

»Anstatt nach Neapel zu reiten, ritt Ferrari demgemäß nach Caserta.«

»Warum wollte man, daß er nach Caserta käme?«

»Ich weiß es nicht. Wahrscheinlich um mit ihm einen Verführungsversuch vorzunehmen.«

»Ich habe Ihnen schon gesagt, mein lieber Cardinal, daß ich Ferrari nicht für fähig halte, mich zu verrathen. «

»Man hat sich nicht die Mühe zu geben gebraucht, von seiner Treue zu überzeugen. Ferrari stürzte, was weit besser war, mit dem Pferde, verlor die Besinnung und ward in die Apotheke geschafft.«

»Durch Acton's Secretär, wir wissen das.«

»Hier hat man aus Furcht, daß seine Ohnmacht nicht lange genug dauere und er vielleicht in dem Augenblick wieder zu sich käme, wo man es nicht erwartete, es räthlich gefunden, diese Ohnmacht mit Hilfe einiger Tropfen Laudamum zu verlängern.«

»Wer hat Ihnen dies gesagt?«

»Ich habe nicht nöthig gehabt, Jemanden zu befragen. Wer nicht betrogen sein will, darf sich auf Niemanden verlassen als auf sich selbst.«

Der Cardinal zog, indem er dies sagte, einen Kaffeelöffel aus der Tasche.

»Hier,« sagte er, »ist der Kaffeelöffel, mittelst welchem man dem Courier die Tropfen in den Mund geflößt. Es ist noch wenig davon in dem Löffel zurückgeblieben, was beweist, daß der Verwundete das Laudanum nicht selbst getrunken hat, weil er sonst diesen Bodensatz mit den Lippen hinweggenommen hätte, und der scharfe, durchdringende Geruch des Opiums verräth nach länger als einem Monat, welcher Substanz dieser Bodensatz angehört hat.«

Der König betrachtete den Cardinal mit jenem naiven Erstaunen, welches er allemal zu erkennen gab, wenn man ihm etwas demonstrierte, was er allein nicht gefunden hätte, weil es über die Tragweite seines Verstandes hinausging.

»Und wer hat dies gethan?« fragte er.

»Sire,« antwortete der Cardinal, »ich nenne Niemanden. Ich sage Man. Wer hat das gethan? Ich weiß es nicht. Man hat es gethan, das weiß ich.«

»Und dann?«

»Eure Majestät wollen der Sache auf den Grund gehen, nicht wahr?«

»Versteht sich, ich will der Sache auf den Grund gehen.«

»Wohlan, Sire, als Ferrari durch die Gewalt des Sturzes ohnmächtig und aus übergroßer Vorsicht durch Laudanum betäubt worden, nahm Man den Brief aus seiner Tasche, entsiegelte ihn, indem man das Siegel über eine brennende Kerze hielt. Man las den Brief, und da er das Gegentheil von dem enthielt, was Man hoffte, so entfernte Man die Schrift durch Benetzung mit Oxalsäure.«

»Aber wie können Sie genau wissen, daß man gerade diese Säure angewendet?«

»Hier ist das kleine Fläschchen, welches, ich sage nicht sie enthielt, sondern welches sie enthält. Es ist, wie Sie sehen, kaum die Hälfte des Inhalts zu der Operation nöthig gewesen.«

Und ebenso wie er den Kaffeelöffel aus der Tasche gezogen, zog der Cardinal jetzt ein halbleeres Flacon hervor, in welchem sich eine krystallhelle und augenscheinlich destillirte Flüssigkeit befand.

»Und Sie sagen,« fragte der König, »daß man mit dieser Flüssigkeit die Schrift entfernen kann?«

»Ich bitte Eure Majestät, mir irgendeinen werthlosen Brief zu geben.«

Der König nahm das erste beste beschriebene Blatt von einem Tisch, der Cardinal goß einige Tropfen der Flüssigkeit auf die Schrift, strich sie mit dem Finger so, daß vier bis fünf Zeilen damit bedeckt wurden, und wartete.

Nach einer Weile ward die Schrift gelb und verschwand allmälig ganz.

Der Cardinal spülte das Papier mit gewöhnlichem Wasser ab und zeigte dann dem König zwischen den ober- und unterhalb stehenden Linien einen leeren Raum, den er am Feuer trocknete und auf welchen er dann, ohne weitere Zurichtung, zwei oder drei Zeilen schrieb.

Diese Beweisführung ließ nichts zu wünschen übrig.

»Ah, San Nicandro! San Nicandro!« murmelte der König, »wenn man bedenkt, daß Du mich dies Alles hättest lehren können!«

»San Nicandro selbst nicht, Sire, denn er wußte es nicht, wohl aber hätte er es. Sie durch Andere lehren lassen können, welche kenntnißreicher waren als er.«

»Kommen wir auf unsere Angelegenheit zurück,« sagte der König seufzend.

»Was ist denn weiter vorgegangen?«

»Nachdem man auf diese Weise anstatt der Weigerung des Kaisers eine Zustimmung untergeschoben, hat man den Brief wieder versiegelt und zwar mittelt eines Petschafts, welches dem des Kaisers gleicht; nur hat man, da diese Operation in der Nacht bei Kerzenlicht erfolgte, dazu rothes Siegellack verwendet, welches ein wenig dunkler war als das des echten Siegels.«

Der Cardinal hielt, indem er dies sagte, dem König den Brief so vor die Augen, daß das Siegel nach oben gekehrt war. »Sire,« sagte er, »sehen Sie den Unterschied zwischen dieser aufgetragenen und der unterm Schicht? Auf den ersten Anblick scheint die Farbe dieselbe zu sein, besteht man sie aber genauer, so bemerkt man einen leichten, aber dennoch sichtbaren Unterschied.«

»Das ist wahr!« rief der König. »Es ist wirklich wahr.«

»Uebrigens, hob der Cardinal wieder an, »ist hier die Stange Siegellack, deren man sich beim Nachmachen des Siegels bedient hat. Euer Majestät sehen, daß die Farbe ganz dieselbe ist, wie die der oberen Schicht.«

Der König betrachtete mit Erstaunen die drei Beweisstücke, Löffel, Fläschchen und Siegellackstange, welche Ruffo ihm vor Augen gehalten und eins neben das andere auf den Tisch gelegt hatte.

»Und wie haben Sie sich diesen Löffel, dieses Fläschchen und dieses Siegellack verschafft?« fragte der König, den diese scharfsinnige Ermittelung der Wahrheit in solchem Grade interessierte, daß er davon aufs Genaueste unterrichtet zu sein wünschte.

»O, auf die einfachste Weise, Sire. Ich bin so ziemlich der einzige Arzt Ihrer Colonie San Leucio. Ich komme daher von Zeit zu Zeit in die Apotheke des Schlosses, um diese oder jene Medicamente zu holen. Heute Morgen kam ich wie gewöhnlich, aber mit einer gewissen bestimmten Absicht dahin und siehe da, ich fand diesen Löffel auf dem Nachttisch, dieses Fläschchen in dem Glasschrank und die Stange Siegellack auf dem Tische.«

»Und dies ist Ihnen genügend gewesen, um Alles zu entdecken?«

»Der Cardinal von Richelieu verlangte blos drei Zeilen von der Hand eines Menschen, um ihn an den Galgen zu bringen.«

»Ja,« sagte der König. »Unglücklicherweise aber gibt es Leute, welche man nicht an den Galgen bringen kann, mögen sie gethan haben, was sie wollen.«

»Sire,« sagte der Cardinal, indem er den König fest ansah, »halten Sie viel auf Ferrari?«

»Ja wohl, ich halte viel auf ihn.«

»Wohlan, Sire, es könnte, glaube ich, nichts schaden, wenn man ihn auf einige Zeit entfernte. Ich glaube, die Luft in Neapel ist für ihn in diesem Augenblick äußerst ungesund.«

»Glauben Sie?«

»Ich glaube es nicht blos, Sire, sondern ich bin davon überzeugt.«

»Nun, mein Himmel, die Sache ist ganz einfach. Ich werde ihn wieder nach Wien schicken.«

»Es ist dies allerdings eine anstrengende Reise, Sire, es gibt aber heilsame Anstrengungen.«

»Uebrigens können Sie sich denken, Eminentissime, daß ich mir die Sache vom Herzen schaffen will. Demzufolge schicke ich die Depesche, in welcher der Kaiser mir schreibt, daß er ins Feld rücken werde, sobald ich in Rom eingezogen sein würde, an ihm zurück und frage ihn meinerseits, was er davon denkt.«

»Und damit man nichts ahne, reisen Eure Majestät heute noch mit dem ganzen Hofe nach Neapel zurück, nachdem Sie Ferrari gesagt, daß er mich heute Nacht in San Leucio aufsuchen und meine Befehle eben so ausführen solle, als ob sie von Euer Majestät ausgingen.«

»Und Sie?«

»Ich, ich schreibe in Eurer Majestät Namen an den Kaiser, setze Ihre Zweifel auseinander und bitte ihn, die Antwort an mich zu senden.«

»Sehr schön; aber Ferrari wird in die Hände der Franzosen fallen. Sie können sich leicht denken, daß alle Straßen bewacht werden.«

»Ferrari nimmt den Weg über Benevento und Foggia nach Manfredonia. Hier schifft er sich nach Triest ein und nimmt dann wieder Postpferde bis Wien. Wenn der Wind gut ist, so erspart er zwei Tagreisen und vierundzwanzig Stunden Ermüdung. Die Rückreise macht er dann auf denselben Wege.«

»Sie sind ein wunderbarer Mann, mein lieber Cardinal. Nichts ist Ihnen unmöglich.«

»Und Eure Majestät sind mit diesem Allen einverstanden?«

»Ich müßte sehr difficil sein, wenn ich nicht damit einverstanden wäre.«

»Dann, Sire, wollen wir uns mit etwas Anderem beschäftigen. Sie wissen, jede Minute ist eine Stunde werth, jede Stunde einen Tag, jeder Tag ein Jahr.«

»Wir wollen uns mit dem Abbé Pronio beschäftigen, meinen Sie, nicht wahr?« fragte der König.

»Ganz recht, Sire.«

»Glauben Sie, daß er nun Zeit gehabt hat, sein Brevier zu lesen?« fragte der König lachend.

»Nun, wenn er nicht Zeit gehabt hat, es heute zu lesen,« sagte Ruffo, »so liest er es morgen. Er ist nicht der Mann, der um einer solchen Kleinigkeit willen sein Seelenheil gefährdet glaubte.«

Ruffo klingelte.

Ein Lakai erschien an der Thür.

»Sage dem Abbé Pronio, daß wir ihn erwarten, sprach der König.

La San Felice Band 6

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