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II

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Du weist, begann Alfred, daß ich mich der Malerkunst befleißigte, bevor mein braver Onkel starb und mir und meiner Schwester jedem eine jährliche Rente von 30000 Livres hinterließ.

Ich verneigte mich ein wenig, um meine Aufmerksamkeit auf das, was Alfred erzählte, und meine Achtung vor dem Schatten desjenigen zu bezeigen, welcher vor seinem Abschiede von dieser Welt noch ein so gutes Werk gestiftet hatte.

Von nun an, fuhr der Erzähler fort, betrieb ich die Malerei nur zum Vergnügen. Ich beschloß, zu reisen, Schottland, die Alpen und Italien zu sehen, traf deshalb mit meinem Notar ein Arrangement wegen meiner Geldangelegenheiten und reiste nach Havre ab, um von da aus meine Reise nach England anzutreten.

Zu Havre angekommen, erfuhr ich, daß Dauzats und Jadin sich in einem kleinen Dorfe am anderen Ufer der Seine, Namens Trouville aufhielten, und wollte Frankreich nicht verlassen, ohne zwei Kollegen meines früheren Ateliers die Hand zum Abschied gereicht zu haben. Ich mietete ein Boot, war in zwei Stunden in Honfleur und den andern Tag in Trouville; leider aber waren Beide den Tag, vorher abgereist.

Du kennst diesen kleinen Hafen mit seiner Bevölkerung von Fischern; er ist einer der malerischsten Punkte der ganzen Normandie. Ich blieb hier einige Tage, um Ausflüge in die Umgegend zu machen, Abends aber hörte ich am Kamine den Erzählungen meiner sehr ehrenwerten Wirtin, Madame Oseraie, von sonderbaren Ereignissen, deren Schauplatz seit drei Monaten die Departements Calvados, Loiret und la Manche geworden waren, zu. Es handelte sich um Räubereien, die mit außerordentlicher Geschicklichkeit und Kühnheit ausgeführt wurden. Reisende waren zwischen den Dörfern Buisson und Sallenelles verschwunden; man hatte den Postillon mit verbundenen Augen an einen Baum angebunden, den Postwagen auf der Chaussee und die Pferde ruhig weidend auf einer nahe liegenden Wiese gefunden. Dem Generaleinnehmer zu Caen erbrach man die Kasse und entwendete 70000 Francs, während er einem jungen Manne aus Paris, Namens Horaz von Beuzeval, und noch zwei Freunden auf dem Schlosse Burcy, ungefähr Lieues von Trouville, die dorthin gekommen waren, um das Vergnügen der Jagd zu genießen, ein Abendessen gab. Endlich war der Schullehrer von Pont l'Evêque auf dem Wege nach Lisieux, wo er 12000 Francs umwechseln wollte, ermordet worden. Sein Leichnam, von den Mördern in die Toques geworfen, von diesem kleinen Fluße aber wieder an's Ufer getrieben, hatte diese Mordthat enthüllt, deren Urheber jedoch bisher unentdeckt geblieben war, trotz der Tätigkeit der Pariser Polizei, die, durch diese Räubereien beunruhigt, mehrere ihrer geschicktesten Gehilfen in jene Departements gesendet hatte.

Diese Ereignisse und einer der häufigen Aufruhre, deren Ursachen unbekannt waren und damals von den Oppositionsjournalen der Regierung zur Last gelegt wurden, verbreiteten in der ganzen Normandie einen bisher in diesem guten Lande, bekannt durch seine Advokaten und Proceßführer, aber durchaus nicht pittoresk genug zum Aufenthalte für Räuber und Meuchelmörder, einen noch nicht gekannten panischen Schrecken. Was mich betrifft, so gestehe ich, daß ich Anfangs allen diesen Erzählungen keinen großen Glauben beimaß, weil mir dieselben mehr in die einsamen Schluchten der Sierra oder in die wilden Gebirge Calabriens, als in die reichen Ebenen von Falaise und in die fruchtbaren Thäler von Pont-Audemer, die mit Dörfern, Schlössern und Meiereien übersät sind, zu gehören schienen. Räuber konnten meiner Meinung nach nur mitten in einem Walde oder in der Tiefe einer Höhle sich finden. In allen drei oben genannten Departements gab es aber weder einen Schlupfwinkel, der den Namen einer Höhle verdient hätte, noch ein Holzgehäge, welches den eines Waldes hätte in Anspruch nehmen können.

Dennoch wurde ich bald genötigt, an die Wahrheit dieser Erzählungen zu glauben. Ein reicher Engländer, von Havre nach Alencon reisend, wurde eine halbe Meile von Dives, wo er die Pferde gewechselt hatte, angefallen. Man hatte den Postillon geknebelt und gebunden in den Wagen auf den Platz seiner Passagiere geworfen und die Pferde, den Weg wohl kennend, waren in ihrem gewöhnlichen Schritte zu Ranville angekommen, hatten am Posthause gehalten und ruhig bis zum Anbruche des Tages auf das Ausspannen gewartet. Ein Stalljunge, welcher früh die Türe öffnete, fand den Wagen, der weiter Niemand enthielt, als den armen geknebelten Postillon. Vor den Maire geführt sagte dieser aus, daß er auf der Straße von vier maskierten, Männern angehalten worden sei, die ihrem Äußern nach zu der niedrigsten Volksklasse gehörten. Sie hätten ihn gezwungen, zu halten und die Reisenden zum Aussteigen genötigt. Der Engländer hätte versucht, sich zu verteidigen, es sei, ein Schuß gefallen und im nämlichen Augenblicke habe er ein Stöhnen gehört; gesehen habe er aber nichts, weil man ihn mit dem Gesicht auf die Erde gelegt hätte. Dann habe man ihn geknebelt und in den Wagen geworfen, in welchem er geraden Wegs so sicher, als hätte er seine Pferde geführt, nach der Post gelangt sei,. Die Gendarmerie begab sich sogleich an den Ort, welchen der Postillon als denjenigen bezeichnete, wo das Verbrechen begangen worden war, und in der Tat fand man auch den Leichnam des Engländers in einem Graben von zwei Dolchstichen durchbohrt, von seiner Frau aber bemerkte man keine Spur. Dieses Ereigniß hatte sich kaum 10—12 Lieues von Trouville zugetragen und der Leichnam des Opfers wurde nach Caen gebracht. Ich konnte demnach nicht mehr an der Wahrheit zweifeln und wäre ich so ungläubig wie Thomas gewesen, denn in weniger als 5 bis 6 Stunden konnte ich hingehen und wie er die Finger in die Wunden legen.

Drei oder vier Tage nach dieser Begebenheit, den Tag vor meiner Abreise, beschloß ich, zum letzten Male die Küste zu besuchen, welche ich nun verlassen wollte. Ich ließ das Fahrzeug, das ich, für einen Monat gemiethet hatte, wie man in Paris einen Wagen miethet, gehörig in Stand setzen. Der Himmel war heiter und versprach einen schönen Tag; ich ließ also mein Mittagsbrot und meinen Zeichenapparat bringen und ging ganz allein an Bord. Meine Person machte die ganze Equipage des Fahrzeugs aus.

In der Tat, unterbrach ich ihn, ich kenne deine Ansprüche als Seemann und erinnere mich noch sehr wohl, wie du deine Lehre zwischen der Brücke der Tuilerien und der de la Concorde bei einer Einschiffung mit der amerikanischen Flagge bestanden hast.

Ja, erwiderte Alfred lächelnd,, allein diesmal wäre mir meine Anmaßung beinahe verderblich geworden. Anfangs ging Alles gut. Ich hatte eine kleine Fischerbarke mit einem einzigen Segel, welches ich vom Steuerruder aus regieren konnte. Der Wind kam von Havre und führte mich über das nur leicht bewegte Meer mit einer außerordentlichen Schnelligkeit. Auf diese Weise legte ich in Zeit von drei Stunden acht bis zehn Lieues zurück. Da trat plötzlich Windstille ein und das Meer war ruhig wie ein Spiegel. Ich befand mich gerade der Mündung der Orne gegenüber und hatte zu meiner Rechten die Ebene von Langrune und die Felsen von Lyon, zu meiner Linken die Ruinen einer Abtei, welche zum Schlosse Burcy gehört. Das Ganze bildete eine geschlossene Landschaft, die ich nur zu kopieren brauchte, um ein Gemälde zu entwerfen. Ich zog daher mein Segel ein und machte mich an die Arbeit.

In meine Malerei vertieft, weiß ich nicht, wie lange ich gearbeitet hatte, als ich eine von jenen warmen Brisen über mein Gesicht streichen fühlte, die gewöhnlich die Annäherung eines Sturmes verkünden. Zugleich verwandelte sich die Farbe des Meeres aus Grün in Aschgrau. Ich wandte mich nach der offenen See um und ein Blitz durchzuckte den mit dichten schwarzen Wolken bedeckten Himmel, so daß es schien, als durchfurche er eine Gebirgskette. Da war kein Augenblick mehr zu verlieren. Der Wind hatte sich, wie ich am Morgen hoffte, mit der Sonne gedreht; ich zog also mein kleines Segel auf und richtete das Vorderteil meines Schiffchens gegen Trouville, um die Küste so eilig wie möglich zu erreichen und das Fahrzeug, im Falle der Gefahr, an derselben stranden zu lassen. Aber kaum hatte ich eine halbe Lieue zurückgelegt, so flatterte mein Segel schlaff am Maste herab. Sogleich nahm ich es ab, dieser scheinbaren Ruhe mißtrauend; und in der Tat, kaum war ein Augenblick vergangen, so kreuzten sich mehrere Windstöße, das Meer begann, Wellen zu schlagen und es krachte ein starker Donnerschlag. Das war eine zu beachtende Warnung; und wirklich nahte sich der Sturm mit der Schnelligkeit eines Renners. Ich legte nun meinen Rock ab, nahm in jede Hand ein Ruder und beeilte mich, nach der Küste zu steuern.

Noch war ich zwei Lieues vom Lande entfernt. Zum Glück war es die Zeit der Fluth, und trotz dem, daß ich Gegenwind oder vielmehr gar keinen Wind hatte, denn nur einzelne Windstöße kreuzten sich bisweilen, trieben mich doch die Wellen nach demselben hin. Ich that hinsichtlich des Ruderns mein Möglichstes; der Sturm war aber schneller und erreichte mich endlich doch. Um das Maaß meines Mißgeschicks voll zu machen, begann es Nacht zu werden und es blieb mir kaum Hoffnung, vor Eintritt der Finsternis das Land zu erreichen.

Ich durchlebte eine fürchterliche Stunde. Mein Fahrzeug wurde wie eine Nußschale von den Wellen geschaukelt, folgte allen ihren Bewegungen, stieg und fiel mit ihnen. Noch immer ruderte ich, sah aber endlich ein, daß ich meine Kräfte umsonst erschöpfte. Leicht konnte der Fall eintreten, daß ich mich durch Schwimmen zu retten suchen mußte; deshalb zog ich die Ruder ein, legte sie auf den Boden des Fahrzeuges zu dem Maste und Segel und entledigte mich, das Hemd und die Beinkleider ausgenommen, Alles dessen, was meine Bewegung etwa hindern könnte. Zwei oder drei Mal war ich im Begriff, über Bord zu springen, allein die Leichtigkeit meiner Barke rettete mich. Sie schwamm wie ein Kork und schöpfte keinen Tropfen Wasser, doch fürchtete ich jeden Augenblick, daß sie umschlagen möchte. Einmal glaubte ich, sie stoße an etwas an, allein das Gefühl war so vorübergehend und so leicht, daß die Hoffnung sogleich wieder verschwand. Indessen war es so finster geworden, daß ich nicht zwanzig Schritte weit sehen konnte, und ganz und gar nicht wußte, in welcher Entfernung vom Lande ich mich! noch befand. Plötzlich fühlte ich eine heftige Erschütterung. Es unterlag keinem Zweifel mehr, daß ich angestoßen hatte. War es aber gegen einen Felsen oder gegen das Sandufer der Küste? Eine Welle hatte mich wieder flott gemacht und ich fühlte mich während einiger Minuten mit neuer Heftigkeit fortgerissen. Endlich wurde die Barke mit solcher Kraft vorwärts getrieben, daß der Kiel sich in den Sand grub und das Meer zurückwich, ohne sie wieder mit sich fort zu nehmen. Ich verlor keinen Augenblick, ergriff meinen Palletot und schwang mich, alles Übrige im Stiche lassend, eiligst über Bord. Das Wasser reichte mir nur bis an die Knie und glücklich gelangte ich auf das flache Ufer, bevor mich die Welle erreichte, die sich wieder, wie ein Gebirge, heranwälzte.

Du begreifst wohl, daß ich keinen Augenblick verlor. Ich warf meinen Palletot über die Schultern und eilte, die Küste zu erreichen. Bald fühlte ich auch die kleinen runden Kieselsteine unter meinen Füßen, welche man Strandsteine nennt und die Grenzen der Fluth bezeichnen. Ich fuhr fort, noch eine Zeitlang aufwärts zu steigen. Der Boden änderte nochmals seine Natur; ich ging durch hohe Kräuter, welche auf den Dünen wachsen. Jetzt hatte ich nichts mehr zu fürchten und hielt an, um auszuruhen.

Es ist ein großartiges Schauspiel, das Meer m der Nacht zu betrachten, während Blitze es beleuchten und der Sturm es peitscht. ES ist das Bild des Chaos, der Zerstörung! Es ist das einzige Element, dem Gott die Macht gegeben hat, sich gegen ihn zu erheben, und mit seinen Wogen seine Blitze zu kreuzen. Der Ozean erschien wie eine Kette sich bewegender Gebirge, mit Gipfeln, die in die Wolken reichen und Thälern, tief wie Abgründe. Bei jedem Donnerschlag schlängelte sich ein bleicher Blitz von diesen Gipfeln herab in jene Abgründe und verschwand in den Schlünden, die sich eben so schnell schlössen, als sie sich geöffnet hatten. Ich betrachtete mit Schrecken und Neugierde dieß wunderbare Schauspiel, welches Vernet gern zu sehen wünschte und ohne Nutzen von dem Maste aus betrachtete, an welchem er sich hatte festbinden lassen; denn nie wird ein menschlicher Pinsel dieses erstaunlich großartige und schrecklich-majestätische Schauspiel nachbilden! Vielleicht würde ich die ganze Nacht, im Anschauen und Hören vertieft, stehen geblieben sein, hätte ich nicht gefühlt, daß große Regentropfen mir in's Gesicht schlugen. Obgleich noch mitten im September, waren die Nächte doch schon kalt; ich dachte also daran, wo ich wohl Schutz fände gegen den Regen, und erinnerte mich an die Ruinen, welche ich vom Meere aus gesehen hatte. Diese konnten nicht mehr weit von dem Punkte der Küste entfernt sein, auf welchem ich mich befand. Ich fuhr also fort, einen steilen Abhang hinaufzusteigen und gelangte bald auf eine Ebene. Immer fortschreitend bemerkte ich in der Ferne eine dunkle Masse, die ich nicht genau unterscheiden konnte, die aber, was sie auch sein mochte, mir jedenfalls ein Obdach gewähren sollte. Endlich erglänzte ein Blitz und bei seinem Schein bemerkte ich die verfallene Halle einer Kirche; ich trat ein und befand mich in einem alten Kloster. Nun suchte ich nach einem Orte, der am wenigsten beschädigt war und setzte mich endlich in einen Winkel an dem Fuße eines Pfeilers nieder, entschlossen, den Anbruch des Tages hier zu er warten, denn ich kannte die Küste noch zu wenig, um bei diesem Wetter zu wagen, eine menschliche Wohnung aufzusuchen. Über dem hatte ich auf Jagden in der Vendée und in den Alpen wohl zwanzig Nächte in bretagneschen Strohhütten und schweizer Sennhütten schlechter verbracht als diese. Das Einzige, was mich beunruhigte, war ein gewisses Knurren des Magens, welches mich erinnerte, daß ich seit zehn Uhr Morgens nichts genossen hatte. Doch fiel mir ein, daß ich Madame Oseraie aufgetragen habe, für die Taschen meines Palletot zu sorgen. Eilig griff ich in dieselben und fand, daß meine Wirtin den Auftrag gewissenhaft erfüllt hätte. In der einen Tasche fand sich ein kleines Brod, in der andern eine Flasche Rum. Das war ein den Umständen ganz angemessenes Abendbrot, und kaum hatte ich es genossen, so fühlte ich eine wohltätige Wärme sich durch meine Glieder verbreiten, die schon zu erstarren begannen. Mein Geist, der in der Erwartung einer hungrigen Nachtwache eine etwas traurige Färbung angenommen hatte, erheiterte sich sogleich wieder, nachdem das Bedürfnis des Körpers befriedigt war. Ich fühlte, durch die Anstrengung des Tages ermüdet, eine Anwandlung von Schlaf, wickelte mich in meinen Palletot, lehnte mich an den Pfeiler und schlief, eingewiegt durch das Tosen des Meeres, welches sich an der Küste brach, und durch das Pfeifen des Windes, der sich in den Ruinen verfing.

Ich mochte ungefähr zwei Stunden geschlafen haben, als ich durch das Geräusch einer Türe geweckt wurde, die in ihren Angeln knarrte und an die Wand schlug. Ich riß die Augen groß auf, wie man zu tun pflegt, wenn man aus einem unruhigen Schlafe gestört wird, erhob mich schnell und versteckte mich instinktmäßig hinter einen Pfeiler. Aber, so viel ich mich auch umsah, ich sah und hörte nichts. Indessen blieb ich nichts desto weniger auf meiner Hut, überzeugt, daß das Geräusch, welches mich geweckt hatte, keine Täuschung eines Traumes sei,.

Pauline

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