Читать книгу Pauline - Александр Дюма - Страница 5
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ОглавлениеPauline öffnete erst die Augen wieder, als wir in den Hafen einfuhren. Ihre erste Bewegung war die des Schreckens. Sie glaubte einen beruhigenden Traum gehabt zu haben und streckte die Arme aus, als wolle sie sich überzeugen, daß sie nicht mehr die Mauern des Gewölbes berühre; dann sah sie sich unruhig um.
Wo führen Sie mich hin? frug sie.
Beruhigen Sie sich, antwortete ich ihr, die Häuser, welche Sie da vor sich sehen, gehören zu einem armen Dorfe, und die Bewohner desselben sind zu beschäftigt, als daß sie neugierig sein könnten. Sie werden da unerkannt bleiben, so lange es Ihnen gefällt. Wollen Sie jedoch von hier abreisen, so sagen Sie mir: wohin und Morgen, diese Nacht noch, ja in diesem Augenblicke reise ich mit Ihnen weiter, begleite Sie, bin Ihr Führer.
Auch außerhalb Frankreich?
Ueberall, wohin es auch sein mag.
Ich danke Ihnen, sagte Sie, lassen Sie mich nur eine Stunde darüber nachdenken. Ich will versuchen, meine Gedanken zu sammeln, denn in diesem Augenblicke ist mir der Kopf wüste und das Herz gebrochen; alle meine Kraft ist während der letzten zwei Tage und zwei Nächte geschwunden und ich fühle in meinem Geiste eine Verwirrung, welche an Wahnsinn grenzt.
Ich stehe ganz zu Ihren Diensten; wenn Sie mich sprechen wollen, so lassen Sie mich rufen. Sie gab mir ein Zeichen des Dankes, und in dem selben Augenblicke erreichten wir das Wirtshaus.
Sogleich ließ ich ihr ein Zimmer in Stand setzen, und zwar in einem Theile des Hauses, entfernt von dem, welchen ich bewohnte, um in keiner Weise Paulinens Zartgefühl zu verletzen. Dann empfahl ich meiner Wirtin, ihr vor der Hand keine andere Speise als schwache Bouillon zu reichen, da jede andere Nahrung bei dem Zustande der Schwäche und Erregung, in welchem sich der Magen der Kranken befand, jedenfalls nachtheilig sein mußte, und zog mich in mein Zimmer zurück.
Hier konnte ich mich endlich dem Gefühle der Freude, welches mich erfüllte, aber in Paulinens Gegenwart nicht laut werden lassen durfte, ganz überlassen. Pauline, die ich noch liebte und deren Andenken, trotz, einer Trennung von zwei Jahren, stets lebhaft in meinem Herzen fortgelebt hatte, Paulinen hatte ich gerettet; sie verdankte mir ihr Leben. Ich bewunderte die verborgenen Wege und die verschiedenen Verknüpfungen des Zufalls oder der Vorsehung, durch welche ich zu diesem Ziele geführt worden war. Ein tödlicher Schauer rieselte plötzlich durch meine Glieder, wenn ich bedachte, daß, wenn nur einer dieser glücklichen Umstände nicht gewesen wäre, wenn nur eins dieser Ereignisse, welche den leitenden Faden durch dieses Labyrinth bildeten, sich nicht zugetragen hätte, in dieser Stunde Pauline vielleicht, eingesperrt in das Grabgewölbe, die Hände im Todeskampfe durch Gift oder Hunger rang, während ich in meiner Unwissenheit vielleicht mit etwas Unbedeutendem beschäftigt, vielleicht dem Vergnügen nachgehend, sie dahinsterben ließ, ohne daß eine Ahnung, ein Vorgefühl, eine innere Stimme mir gesagt hätte: sie stirbt, rette sie!. . . Ein solcher Gedanke ist schrecklich, und die Furcht der Überlegung ist die schrecklichste! Doch auf der andern Seite ist sie auch das Tröstlichste; denn nachdem sie uns die Quellen des Zweifels hat erschöpfen lassen, führt sie uns zu dem Glauben zurück, welcher die Welt den Händen des blinden Zufalls entreißt, um sie in die der göttlichen Vorsehung zu legen.
So verbrachte ich eine Stunde und ich schwöre Dir zu, fuhr Alfred fort, daß kein unreiner Gedanke in meine Seele kam. Ich war glücklich, ich war stolz, sie gerettet zu haben; diese Handlung trug ihre Belohnung in sich und verlangte keine andere. Das Glück, sie vollbracht zu haben, war mir genug! – Nach einer Stunde ließ sie mich rufen. Ich erhob mich schnell, um nach ihrem Zimmer zu eilen, allein, vor der Türe angelangt, verließen mich die Kräfte und ich war genötigt, mich einen Augenblick an die Wand zu lehnen. Das Hausmädchen mußte erst zurückkommen, um mich nochmals einzuladen, bevor ich meine Kraft wieder sammeln konnte.
Sie hatte sich auf das Bett geworfen, ohne sich zu entkleiden. Ich näherte mich ihr, mit dem Scheine der größten Ruhe; sie reichte mir die Hand.
Noch habe ich Ihnen nicht gedankt, sprach sie: ich muß mich mit der Unmöglichkeit entschuldigen, Worte zu finden, die dem Ihnen schuldigen Danke nur einigermaßen entsprechend sind. – Denken Sie an den Schrecken und die Angst einer Frau, in der Lage, in welcher Sie mich finden, und verzeihen Sie mir.
Hören Sie mich, Madame, erwiderte ich, meine Bewegung verbergend und glauben Sie, was ich Ihnen sagen werde. Es giebt so unerwartete, so sonderbare Lagen, die von allen gewöhnlichen Formen, von allen konventionellen Vorbereitungen freisprechen. Gott hat mich zu Ihnen geführt und ich danke ihm dafür. Doch ist meine Sendung noch nicht vollbracht; ich hoffe Sie werden meiner noch weiter bedürfen. Hören Sie also und überlegen Sie jedes meiner Worte.
Ich bin frei. . . ich bin reich. . . Nichts bindet mich an einen Ort mehr, als an den andern. Ich war im Begriffe, zu reisen und ohne irgend einen Zweck nach England zu gehen. Ich kann also meinen Reiseplan ändern und mich nach dem Teile der Welt begeben, nach welchem mich der Zufall treiben will. Vielleicht wollen Sie Frankreich verlassen? Ich weiß es nicht, frage auch nach keinem Ihrer Geheimnisse und warte nur auf ein Zeichen von Ihnen, um Ihre Wünsche erraten zu können. Sei es aber, daß Sie in Frankreich bleiben, sei es, daß Sie es verlassen wollen, so disponieren Sie über mich, wie über einen Freund, einen Bruder. Befehlen Sie, daß ich Sie begleiten oder Ihnen von ferne folgen soll. Machen Sie aus mir einen Ihnen ganz ergebenen Beschützer, oder befehlen Sie, daß ich die Miene annehme, Sie nicht zu kennen, ich werde im Augenblicke gehorchen und zwar, glauben Sie es mir, ohne Rückhalt, ohne selbstische Hoffnung, ohne böse Absicht. Und nun, wie schon gesagt, vergessen Sie Ihr Alter, vergessen Sie das meinige, oder betrachten Sie mich als Bruder.
Ich danke Ihnen, sprach die Gräfin mit tiefbewegter Stimme. Ich nehme Ihr Anerbieten mit dem Vertrauen an, welches Ihre Biederkeit verdient. Ich vertraue mich ganz Ihrer Ehre an, denn ich habe Niemand auf der Welt, als Sie. Sie allein wissen, daß ich lebe.
Ja, Sie haben mit Recht vorausgesetzt, daß ich Frankreich verlassen muß. Sie gehen nach England und werden mich dorthin mitnehmen. Doch kann ich dort nicht allein und ohne Familie erscheinen. Sie haben mir den Namen Schwester angeboten und ich werde nun vor aller Welt Fräulein von Nerval sein.
O.' wie glücklich bin ich! rief ich aus. Die Gräfin gab mir ein Zeichen, sie weiter zu hören.
Ich verlange vielleicht mehr von Ihnen, als Sie glauben, fuhr Sie fort; auch ich war reich, allein die Toten besitzen nichts.
Aber ich bin es, mein ganzes Vermögen . . .
Sie verstehen mich nicht, sagte sie, und machen mich erröten, indem Sie meine Rede unterbrechen.
O! verzeihen Sie!
Ich werde Fräulein von Nerval sein, eine Tochter Ihres Vaters, wenn Sie wollen, . eine Waise, die man Ihnen anvertraut hat. Sie müssen Empfehlungsbriefe haben und werden mich also als Lehrerin in irgend einer Pensionsanstalt unterzubringen suchen. Ich spreche englisch und italienisch wie meine Muttersprache, ich habe gute Kenntnisse in der Musik, wenigstens hat man mir es sonst gesagt, und werde also Unterricht in der Musik und in Sprachen geben.
Aber das ist unmöglich, rief ich aus.
Das sind meine Bedingungen, erwiderte die Gräfin, verweigern Sie mir dieselben, mein Herr, oder nimmst du dieselben an, mein Bruder?
O! Alles, was Sie wollen, Alles, Alles, Alles!
Nun wohl, so ist keine Zeit zu verlieren. Wir müssen morgen abreisen. Ist dies möglich?
Gewiß!
Aber ein Pass?
Ich habe den meinigen.
Auf den Namen des Herrn von Nerval ausgestellt?
Ich werde hinzufügen »und seine Schwester
Sie wollen ein Falsum begehen?
Ein ganz unschuldiges. Wollen Sie lieber, daß ich nach Paris schreibe und einen zweiten Paß kommen lasse? . . . .
Nein, nein, das würde zu viel Zeit rauben. —
Von wo reisen wir ab?
Von Havre.
Auf welche Weise?
Mit dem Packetboote, wenn es Ihnen beliebt.
Und wenn?
Wenn es Ihnen gefällig ist.
Können wir sogleich?
Fühlen Sie sich nicht zu schwach?
Sie erinnern sich, ich bin stark. Sobald Sie zur Reise bereit sind, werden Sie auch mich bereit finden.
In zwei Stunden.
Sehr wohl. Adieu, Bruder.
Adieu, Madame.
Ach, rief die Gräfin lächelnd, schon verstoßen Sie gegen unsere Übereinkunft.
Lassen Sie mir Zeit, mich an einen Namen zu gewöhnen, der so süß für mich ist.
Hat es mir denn so viel Mühe gekostet? O! Sie . . . . rief ich, brach aber ab, weil ich fühlte, daß ich zu viel sagen würde. In zwei Stunden, fuhr ich fort, wird, nach Ihrem Wunsche, Alles bereit sein, verneigte mich dann und ging.
Kaum eine Viertelstunde war vergangen, seit ich mich ihr als Bruder angeboten hatte und schon fühlte ich alle Schwierigkeiten, die für mich aus diesem Verhältnisse entspringen würden. Der Adoptivbruder einer jungen schönen Dame zu sein, ist schon eine schwierige Sache, allem, wenn man diese Dame schon geliebt hat, wenn man sie verloren hat und dann einsam und verlassen wieder findet, ohne andern Schutz, als den, welchen man ihr gewährt; wenn das Glück, das man nie erwartet hätte, das man wie einen Traum betrachtet, so nahe ist, daß man bloß die Hand auszustrecken braucht, um es zu ergreifen, dann ist es trotz aller Entschlüsse, trotz des gegebenen Wortes unmöglich, das Feuer, welches in unserem Herzen glimmt, zu verbergen, und es entsprühen stets einzelne Funken entweder durch die Augen oder durch den Mund.
Ich fand meine Schiffer beim Essen und Trinken und eröffnete ihnen mein neues Vorhaben, während der Nacht nach Havre zu reisen, um zur Zeit der Abfahrt des Packetbootes dort einzutreffen. In dem Fahrzeuge, welches uns hierher gebracht hatte, wollten sie jedoch die Fahrt nicht unternehmen. Sie verlangten eine Stunde Zeit, um ein anderes in Stand zu setzen. Wir wurden bald des Handels einig, oder sie überließen es vielmehr meiner Freigebigkeit, sie für ihre Mühe zu belohnen. Ich fügte zu den 25 Louisd'or, die sie bereits empfangen hatten, noch fünf hinzu, und für diesen Preis hätten sie mich nach Amerika gefahren.