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Erster Theil
II.
Drei Staatsmänner

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Regis de Cambacérès war damals ein Mann von sechsundvierzig bis siebenundvierzig Jahren, also vier bis fünf Jahre älter als Napoleon. Er war sanft und wohlwollend von Charakter und ein gelehrter Jurist. Er war anfangs Steuerrath gewesen und 1792 Mitglied des Convents geworden. Am 19. Jänner 1793 hatte er für den Aufschub der Hinrichtung des Königs gestimmt, und 1794 war er Präsident des Wohlfahrtsausschusses geworden. Im Jahre1795 hatte er das Portefeuille der Justiz erhalten; 1799 hatte ihn Bonaparte zum zweiten Consul gewählt, und endlich im Jahre 1804 war er zum Erzkanzler ernannt, zum Reichsfürsten erhoben und mit dem Titel eines Herzogs von Parma beschenkt worden.«

Cambacérès war von mittler Größe und zur Beleibtheit geneigt; dabei ein Feinschmecker, elegant, vornehm in Haltung und Benehmen. Er hatte sich die Hofmanieren mit ungemeiner Schnelligkeit und Leichtigkeit angeeignet und sich dadurch beidem großen Erneuerer des socialen Gebäudes sehr beliebt gemacht.

Ueberdies hatte er in den Augen Napoleons noch ein anderes Verdienst. Cambacérès hatte wohl eingesehen, daß der große Mann, dereinst sein vertrauter Freund gewesen und nun sein Monarch geworden war, Anspruch auf seine Ehrerbietung hatte. Ohne gerade unterwürfig zu seyn, ohne sich zum Schmeichler herabzuwürdigen, beobachtete er gegenüber dem Erwählten des Schicksals, der damals in ganz Europa gefürchtet wurde, die Haltung eines aufrichtigen Bewunderers.

Eine Viertelstunde hatte ihm genügt, um eine Toilette zu machen, die in einem Kreise von Hofleuten tadellos gewesen wäre, und obgleich mitten im Schlafe geweckt, erschien er um halb drei Uhr Früh eben so heiter und munter, als ob ihn der Kaiser um sieben Uhr Abends, nach dem Diner hätte rufen lassen.

Aber das Gesicht des Kaisers war keineswegs so freundlich wie das seinige. Der Erzkanzler, etwas betroffen, machte eine Bewegung, die einem Rückzuge nicht unähnlich war.

Napoleon, dessen Adlerblick, die größten und die kleinsten Dinge nicht entgingen, errieth die Ursache dieser plötzlichen Betroffenheit und sagte mit herzgewinnender Freundlichkeit:

»O, kommen Sie, kommen Sie, Herr Erzkanzler, Ihnen zürne ich nicht.«

»Und ich hoffe, daß Ew. Majestät mir nie zürnen werden,« antwortete Cambacérès, »denn Ihre Ungnade würde mich sehr unglücklich machen.«

Der Kammerdiener entfernte sieh, die Armleuchter zurücklassend.

»Constant,« sagte der Kaiser zu ihm, »schließen Sie die Thür, bleiben Sie im Vorzimmer und führen Sie die Person, die ich erwarte, in den grünen Salon.«

Dann wandte er sieh wieder zu Cambacérès und sagte tief aufathmend: »Ach! da bin ich wieder in Frankreich, inden Tuilerien! Wir sind allein, Herr Erzkanzler, und können ganz offen reden.«

»Sire,« sagte der Erzkanzler, »abgesehen von der Ehrerbietung, die meinen Worten Schranken setzt, spreche ich nie anders mit Ew. Majestät.«

Der Kaiser sah ihn scharf an.

»Sie mühen sich ab, Cambacérès; Andere suchen sich geltend zu machen und an dasselbe Tageslicht zu treten, Sie hingegen treten immer weiter in den Schatten. Das gefällt mir nicht. Bedenken Sie, daß Sie nach mir der erste Mann im Staate sind.«

»Ich weiß, daß Ew. Majestät mich nach Ihrer Güte und nicht nach meinen Verdiensten behandelt haben.«

»Sie irren sich, ich habe Sie nach Ihrem Werthe behandelt, und deshalb habe ich Ihnen die Einrichtung der Gesetzpflege übertragen. Aber das Criminalgesetzbuch wird nicht gefördert; ich hatte Ihnen gesagt, daß es im Jahre 1808 beendet werden sollte, und heute haben wir den 22. Jänner1809. Der gesetzgebende Körper ist während meiner Abwesenheit versammelt geblieben, aber das Gesetzbuch ist nicht fertig, und wird vielleicht noch nicht in drei Monaten beendet. «

»Erlauben mir Ew. Majestät, über diese Angelegenheit offen zu reden?« fragte der Erzkanzler.

»Das versteht sich, Cambacérès sagte der Kaiser.

»Sire, ich bemerke nicht mit Besorgniß – denn so,lange Ew. Majestät das Scepter oder Schwert halten, fürchte ich nichts – aber mit Bedauern, daß sich überall ein Geist der Unruhe und Zügellosigkeit zu zeigen beginnt . . .«

»Ich weiß es,s erwiederte Napoleon, »und bin hierher geeilt, um zugleich diesen Geist und die Oesterreicher zu bekämpfen.«

»Zum Beispiel der gesetzgebende Körper, Sire . . .«

»Der gesetzgebende Körper!« wiederholte Napoleon, die Achseln zuckend.

»Der gesetzgebende Körper,« fuhr Cambacérès fort, ohne sich irr machen zu lassen,« brachte früher nur eine schwache Opposition von zwölf bis fünfzehn Stimmen zusammen; jetzt bietet er uns die Spitze, zweimal waren bei der Abstimmung achtzig, und einmal hundert schwarze Kugeln . . .«

»Ich bebe die gesetzgebende Versammlung auf!«

»Nein, Sire, wählen Sie, wählen Sie einen Moment wo sie günstiger gestimmt ist. Aber Ew. Majestät müssen in Paris bleiben; wenn Sie hier sind, geht Alles gut.«

»Ich weiß es, aber leider kann ich nicht hier bleiben.«

»Das ist nicht gut.«

»Sie haben Recht, Cambacérès . . . Ich werde daran denken; wenn ich’s vergessen sollte, so erinnern Sie mich daran.«

»Ew. Majestät sagten, daß Sie nicht in Paris bleiben können . . .«

»Glauben Sie denn, ich sey in vier Tagen von Valladolid gekommen, um hier zu bleiben? Nein, in drei Monaten muß ich in Wien seyn.«

»O! Sire,« sagte Cambacérès mit einem Seufzer, »immer Krieg?«

»Diese Sprache hätte ich von Ihnen nicht erwartet, Cambacérès. . . mache ich denn den Krieg

»Sire, der Krieg in Spanien . . .«

»Ja, den vielleicht. Aber warum hatte ich ihn unternommen? weil ich des Friedens in Norden versichert zu seyn glaubte, Mit Rußland verbündet, mit Westphalen und Holland verbrüdert, mit Baiern befreundet, von Preußen, dessen Armee auf 40,000 Mann zusammengeschmolzen ist, nichts befürchtend, konnte ich ahnen, daß Oesterreich, dessen Adler nach dem Verlust Italiens nur noch einen Kopf hat, im Stande seyn werde, 500,000 Mann gegen mich zu bewaffnen? Es scheint wahrlich der Lethe, und nicht die Donau bei Wien zu fließen; denn man hat die frühern Erfahrungen vergessen, aber die neuen Erfahrungen, die man machen wird, sollen nicht so leicht vergessen werden, dafür stehe ich. Ich will den Krieg nicht, ich habe kein Interesse dabei, und Europa ist mein Zeuge, daß mein ganzes Streben, meine ganze Aufmerksamkeit auf das von den Engländern gewählte Schlachtfeld, nemlich auf Spanien, gerichtet war. Oesterreich, das die Engländer schon einmal im Jahre1805 rettete,. als ich über die Meerenge von Calais gehen wollte, rettet sie wieder, indem es mich in dem Augenblick aufhält,wo ich im Begriffe war, sie ins Meer zu werfen. Ich weiß wohl, daß sie an einem andern Orte wieder zum Vorscheinkommen, wenn sie verschwinden; aber England ist nicht wie Frankreich, eine kriegerische Nation, es ist ein Handelsvolk – Karthago ohne Hannibal. Ich würde es endlich geschwächt oder zur Herbeiziehung seiner Truppen aus Indien gezwungen haben, und wenn nur der Kaiser Alexander Wort hält, o! dann soll Oesterreich diese Seitenwendung theuer bezahlen! Es muß entweder auf der Stelle seine Truppen entlassen, oder einen Vernichtungskrieg gewärtigen. Wenn es mich über seine künftigen Absichten beruhigt, so stecke ich selbst das Schwert in die Scheide; denn freiwillig ziehe ich es nur in Spanien, und gegen die Engländer. Wenn nicht, so lasse ich 400,000 Mann gegen Wien rücken, und in Zukunft wird England keine Bundesgenossen mehr auf dem Continent haben.«

»400,000 Mann?« fragte Cambacérès.

»Sie möchten gern wissen, wo sie sind, nicht wahr?«

»Ja, Sire, ich sehe kaum 100,000 über die Sie jetzt verfügen könnten.«

»So! man fängt an, meine Soldaten zu zählen, und Sie, Herr Erzkanzler, sind der erste Zweifler!«

»Sire! . . .«

»Man sagt, es sind nur 200,000, nur 150,000, nur 1000 Mann da. Der Feldherr wird schwach, er hat nur noch zwei Armeen; jetzt ist der günstige Zeitpunkt, den wir benützen müssen . . . Die Leute irren sich.« – Napoleon berührte die Stirne mit der Hand, »hier ist meine Kraft,« er streckte beide Arme aus, – »und dies sind meine Kriegsheere . . . Sie wollen wissen, wie ich 400,000 Mann zusammen bringen werde? Ich will’s Ihnen sagen. . . nicht um Ihretwillen, Cambacérès, Sie vertrauen vielleicht noch meinem Glücksstern, ich will’s Ihnen sagen, damit Sie es Anderen wieder sagen. Meine Rheinarmee besteht aus einundzwanzig Infanterieregimentern von je vier Bataillonen; sie sollten je fünf Bataillone stark seyn, aber eine Täuschung wäre hier nicht am rechten Ort. Es sind also 84 Bataillone, das ist 70,000 Mann Infanterie. Außerdem habe ich meine drei Divisionen St. Cyre, Legrand, Bouvet; diese sind nur drei Bataillone oder 30,000 Mann stark. Es sind also 100,000 ohne die 5000 Mann der Division Dupas. Ich habe vierzehn Regimenter Kürassiere, welche 12,000 Reiter in ihren Reihen zählen, und sich mit den in den Depots befindlichen auf 14,000 bringen lassen. Ich habe 17,000Mann leichte Infanterie; außerdem kann ich aus dem Süden leicht 5 bis 6000 Dragoner kommen lassen. Wir haben also schon 100,000 Mann Infanterie und mehr als 30,000 Reiter.«

»Sire, das macht zusammen erst 130,000 Mann, Ew. Majestät sagten 400,000.«

»Warten Sie nur, dazu kommen 20,000 Mann Artillerie, 20,000 Mann Garde, 100,000 Deutsche.«

»Alles dies, Sire, macht erst 270,000 Mann«

»50.000 nehme ich von meiner italienischen Armee, sie marschiren durch Steiermark und vereinigen sich in Baiern mit mir. Rechnen Sie dazu 10,000 Italiener und 10,000 Franzosen, die ich aus Dalmatien herbeiziehe und wir haben70,000 Mann mehr.«

»Zusammen also 340,000 Mann«

»New Geduld, Sie werden sehen, daß wir mehr zusammen bringen, als wir brauchen.«

»Ich weiß nicht, Sire, woher Sie die übrigen nehmen werden.«

»Sie vergessen meine Conscribirten, Herr Erzkanzler; Sie vergessen, daß Ihr Senat im September vorigen Jahres zwei Aushebungen bewilligt hat.«

»Ja wohl, Sire: die eine von 1809 ist schon unter den Waffen, und die von 1810 darf nach dem Gesetz im ersten Jahre nur im Innern des Landes dienen.«

»Ganz recht, aber glauben Sie, daß 80,000 Mann für 115 Departements genügen? Nein, ich bringe die Aufhebung auf 100,000, und lasse je 20,000 aus den Classen von 1809, 1808, 1807 und 1806 einberufen: das macht 20,000 Mann von 20 bis 23 Jahren, während die von 1810 erst 18 Jahre alt sind, und ich habe Zeit, diese heranwachsen zu lassen.«

»Sire, die 115 Departements liefern jährlich nur 337,000 Mann im dienstfähigen Alters 100,000 Mann wären mehr als der vierte Theil dieses Contingents, und es gibt keine Bevölkerung, die nicht bald zu Grunde geht, wenn man ihr jedes Jahr den vierten Theil der jungen Männer nimmt . . .«

»Wer sagt Ihnen denn, daß man sie ihr jedes Jahr nehmen wird? Ich nehme sie von vier Jahren, und befreie die früheren Classen; einmal ist nicht immer. Diese 80,000 Mann lasse ich durch meine Garde einüben und ausbilden; sie versteht sich darauf, es ist für sie eine Arbeit von drei Monaten. Im April werde ich mit 400,000 Mann an der Donau stehen, dann wird Oesterreich wie heute meine Legionen zählen, und wenn es mich zwingt loszuschlagen, so wird Europa erschrecken vor den Streichen, die ich führen werde.«

Cambacérès seufzte und fragte: »Haben Ew. Majestät sonst nichts zu befehlen?«

»Der gesetzgebende Körper soll sich morgen versammeln.«

»Sire, er hält seit Ihrer Abreise Sitzung.«

»Es ist wahr; morgen werde ich mich einfinden und ihm meinen Willen kundgeben.«

Cambacérès entfernte sich. Aber er kehrte wieder um und sagte: »Ich sollte Ew. Majestät an einen gewissen General Mallet erinnern.«

»Ja, es ist wahr, aber ich will erst mit Herrn Fouché reden Sagen Sie, wenn Sie durch das Vorzimmer gehen, daß ich Herrn Fouché zu sprechen wünsche; er muß im grünen Salon seyn.«

Cambacérès verneigte sich; als er an der Thür war, rief ihm Napoleon sehr freundlich nach: »Adieu, lieber Erzkanzler!«

Cambacérès entfernte sich beruhigter für sich selbst, aber in großer Besorgniß für Frankreich

Als er fort war, ging Napoleon mit starken Schritten im Zimmer auf und ab. Seit neun Jahren der Regierung— denn das Consulat hatte sich von einer monarchischen Regierung kaum unterschieden – hatte er trotz der Bewunderung, die er einflößte, zuweilen offenen Tadel, sogar Anfeindungen erfahren, aber nie war ein Zweifel laut geworden. Jetzt zweifelte man an seinem Glücksstern, und dieser Zweifel war zuerst in seiner Armee, in seiner Garde, bei seinen alten Kriegern laut geworden. Die verhängnißvolle Capitulation von Baylen hatte seinem Ruhm den ersten furchtbaren Stoß gegeben. Varus hatte sich wenigstens mit seinen drei Legionen, die Augustus von ihm zurückverlangte, niederhauen lassen. Varus hatte sich nicht ergeben. Schon in Valladolid wußte Napoleon alles was Cambacérès soeben gesagt hatte, und noch andere Dinge. Tags vor seiner Abreise hatte er Musterung über seine Grenadiere gehalten; er wußte daß diese Prätorianer gemurrt hatten, daß sie in Spanien bleiben sollten, und wollte diese von der Sonne Italiens und Egyptens gebräunten Gesichter in der Nähe sehen, um zu wissen, ob sie die Vermessenheit haben würden, unzufrieden zu seyn. Er stieg vom Pferde und ging zu Fuß durch ihre Reihen. Die Grenadiere präsentirten düster und schweigend das Gewehr, nicht ein einziger Ruf: »Es lebe der Kaiser!« wurde gehört; ein einziger Soldat sagte leise: »Sire, nach Frankreich!«

Das hatte Napoleon erwartet. Er riß ihm das Gewehr aus den Händen und schleppte ihn vor die Fronte.

»Taugenichts!« sagte er zu ihm. »Du verdientest, daß ich Dich erschießen ließe! – Ich weiß wohl,« sagte er laut zu dem ganzen Corps, »Ihr wollt nach Paris zurück, um daselbst euer Schlaraffenleben und eure Dirnen wiederzufinden. Doch daraus wird nichts, Ihr bleibt unter den Waffen bis eure Zöpfe schneeweiß sind« ’

Er warf dem Grenadier das Gewehr wieder in die Arme. Der Soldat ließ es vor Schmerz fallen.

In diesem Augenblicke der Erbitterung bemerkte er den General Legendre, der die Capitulation von Baylen mit unterzeichnet hatte. Er ging mit zornglühenden Blicken auf ihn zu. Der General blieb stehen, als ob seine Füße in der Erde Wurzel geschlagen hätten.«

»Ihre Hand, General,« sagte er.

Der General streckte zagend die Hand aus. »Ich begreife nicht,« sagte Napoleon, indem er sie betrachtete, »daß diese Hand, als sie die Capitulation von Baylen unterzeichnete, nicht verdorrt ist!«

Und er wandte sich mit dem Ausdrucke der Verachtung ab, wie von einem Verräther.

Der General, der die Capitulation nur auf höhern Befehl unterzeichnet hatte, war wie vernichtet.

Napoleon stieg wieder zu Pferde und ritt nach Valladolid zurück, von wo er, wie erwähnt, am folgenden Tage nach Frankreich abreiste.

Er war in dieser Stimmung, als sich die Thür wiederaufthat und der Thürsteher meldete:

»Se. Excellenz der Polizeiminister.«

Das blasse Gesicht Fouché’s erschien zögernd und furchtsam in der Thür.

»Ja, Herr Fouché,« sagte Napoleon, »ich begreife wohl, daß Sie zögern, vor mir zu erscheinen.«

Fouché gehörte zu den Charakteren, die vor der unbekannten Gefahr zurückbeben, aber darauf losgehen oder sie erwarten, sobald sie eine Gestalt angenommen hat.

»Ich, Sire?« erwiederte er, seinen Kopf mit den gelblichen Haaren, mit der blassen Gesichtsfarbe, mit den Vergißmeinnichtaugen und dem großen Munde aufwerfend; »warum sollte ich, der Kartätschenmann von Lyon, Bedenkentragen, mich vor Ew. Majestät zu zeigen?«

»Weil ich kein Ludwig XVI. bin!«

»Ew. Majestät geruhen – und es ist nicht das erste Mal – auf mein Votum vom 19. Jänner anzuspielen.«

»Nun, wenn ich’s thäte?«

»Dann würde ich antworten, daß ich als Mitglied des Convents nicht dem Könige, sondern der Nation den Eid geleistet hatte, und diesen Eid habe ich gehalten.«

»Und wem haben Sie am 13. Thermidor des Jahres VII den Eid geleistet? etwa mir?«

»Nein, Sir.«

»Warum haben Sie mir denn am 18. Brumaire so gute Dienste geleistet?«

»Ew. Majestät wollen sich huldreichst erinnern, daß Ludwig XIV. Sagte: der Staat bin ich! . . . Am 18. Brimaire waren Sie die Nation, und deshalb diente ich Ihnen.«

»Aber das hinderte mich nicht, Ihnen 1802 das Portefeuille der Polizei zu entziehen.«

»Ew. Majestät hofften einen geschicktern, wenn nicht treuern Polizeiminister zu finden; Sie gaben mir das Portefeuille 1804 zurück.«

Napoleon ging einige Schritte vor dem Camin hin und her; er blickte starr vor sich nieder und zerdrückte das Papier, das die wenigen Worte Josephinens enthielt. Plötzlich blieb er stehen, sah seinen Polizeiminister scharf an und sagte:

»Wer hat Sie ermächtigt, mit der Kaiserin von Scheidung zu sprechen?«

Wäre Fouché nicht so weit von dem Lichte entfernt gewesen, so hätte man sehen können, daß sein Gesicht noch blässer wurde als zuvor.

»Sire,« sagte er, »ich glaube zu wissen, daß Ew. Majestät die Scheidung sehnlich wünschen.«

»Habe ich diesen Wunsch gegen Sie geäußert?«

»Ich habe gesagt: ich glaube zu wissen, und glaubte Ew. Majestät einen Dienst zu erweisen, wenn ich die Kaiserin auf dieses Opfer vorbereitete.«

»Ja, schonungslos, wie Alles was Sie thun.«

»Sire, Niemand kann sein Naturell ändern: ich habe meine Laufbahn als Lehrer bei den Vätern des Oratoriums begonnen, und hatte in dieser Eigenschaft unbändige Knaben im Zaum zu halten, später ist mir etwas von der Ungeduld aus meiner Jugendzeit geblieben; ich bin ein Obstbaum, man darf keine Blumen bei mir erwarten.«

»Herr Fouché, Ihr Freund,« und Napoleon betonte diese beiden Worte absichtlich stark, »Ihr Freund Talleyrand empfiehlt seinen Untergebenen immer: nur keinen Eifer. Ich will diesen Grundsatz von ihm borgen, um ihn auf Sie anzuwenden. Dieses Mal haben Sie wirklich zu viel Eifer gezeigt; ich will nicht, daß man in Staatssachen oder Familienangelegenheiten die ersten Schritte thue.«

Fouché schwieg.

»Weder kommt es,« fuhr Napoleon fort, »daß Sie jetzt wieder der beste Freund Talleyrand’s sind, nachdem Sie sein erbitterter Feind waren? Zehn Jahre lang haben Sie sich gegenseitig gehaßt und angeschwärzt: Sie nannten ihn einen frivolen Diplomaten, und er nannte Sie einen plumpen Intriganten; Sie verachteten eine Diplomatie, welche, wie Sie sagten, von der Siegesgöttin ins Schlepptau genommen wurde; er verspottete den eitlen Prunk mit einer Polizei, die bei der allgemeinen Unterwerfung leichtes Spiel habe und sogar überflüssig sey. Sind denn die Verhältnisse wirklich so bedenklich, daß Sie sich, wie Sie behaupten, für die Nation opfern und Beide Ihre alte Feindschaft vergessen? Sie haben die Vermittlung dienstfertiger Personen angenommen und haben sich öffentlich ausgesöhnt. öffentlich besucht; Sie haben einander zugeflüstert, es sey möglich, daß mich in Spanien das Messer eines Fanatikers, in Oesterreich eine Kanonenkugel treffe; nicht wahr, das Haben Sie gesagt?«

»Sire,« antwortete Fouché, »die spanischen Dolche wissen die großen Monarchen zu finden, das hat man bei Heinrich IV. gesehen; die österreichischen Kanonenkugeln wissen die großen Feldherren zu treffen, das hat man bei Turenne und dem Marschall Berwiek gesehen.«

»Sie beantworten eine Thatsache mit einer Schmeichelei,« erwiederte Napoleon; »ich bin nicht todt, und will nicht, daß mein Nachlaß schon bei meinen Lebzeiten getheilt werde.«

»Sire, daran denkt Niemand, am allerwenigsten wir.«

»Sie dachten so wenig daran, daß Sie meinen Nachfolger schon erkoren hatten. Warum lassen Sie ihn nicht im voraus krönen? Der Augenblick ist günstig, der Papst hat mich in den Bann gethan . . . Glauben Sie denn, die französische Krone passe nicht aus jeden Kopf? Aus einem Churfürsten von Sachsen kann man wohl einen König von Sachsen machen, aber aus einem Herzog von Berry macht man nicht so leicht einen König von Frankreich oder einen Kaiser der Franzosen. Um das Eine zu werden, muß man ein Nachkomme Ludwig des Heiligen seyn; um das Andere zu werden, muß man von meinem Geblüt seyn. Sie haben freilich ein Mittel, um den Moment, wo ich nicht mehr seyn werde, zu beschleunigen . . .«

»Sire,« antwortete Fouché, »ich bitte Ew. Majestät, mir dieses Mittel zu nennen.«

»Morbleu! Sie dürfen nur die Verschwörer unbestraft lassen.«

»Verschwörer gegen Ew. Majestät sollten unbestraft geblieben seyn? Haben Sie die Gnade, sie zu nennen.«

»O! das ist nicht sehr schwer: ich will Ihnen sogleich drei nennen.«

»Ew. Majestät meinen die angebliche Verschwörung, die der Polizeipräfect Dubois entdeckt haben will.«

»Mein Polizeipräfect Dubois ist nicht, wie Sie, der Nation, sondern mir ergeben.«

Fouché zuckte die Achseln; diese Bewegung entging dem Scharfblick Napoleons nicht.

»Sie zucken die Achseln, weil Sie nichts zu erwiedern wissen,« sagte Napoleon, auf dessen Stirn sich ein Ungewitter zusammenzog; »wo es sich um Verschwörungen handelt, kann ich die Zweifler nicht leiden.«

»Kennen Ew. Majestät die Personen, um die es sich handelt?«

»Ich kenne zwei von den dreien; ich kenne den General Mallet, der ein unverbesserlicher Verschwörer ist.«

»Ew Majestät glauben, daß der General Mallet conspirire?«

»Ich weißes gewiß.«

»Und Ew. Majestät fürchten eine Verschwörung, anderen Spitze ein Tollhauscandidat steht?«

»Sie sind in einem doppelten Irrthum befangen, Herr Fouché: erstens fürchte ich nichts, und zweitens ist der General Mallet kein Tollhauscandidat.«

»Er hat wenigstens eine fixe Idee.«

»Ja wohl, aber Sie werden zugeben, daß er kein Narr ist, denn seine fixe Idee besteht darin, daß er einst, wenn ich dreihundert, vierhundert Meilen entfernt bin, meine Abwesenheit benutzen wird, um die Nachricht von meinem Tode auszusprechen und einen Aufstand hervorzurufen.«

»Halten Ew. Majestät die Sache für möglich?«

»So lange als ich keinen Erben habe, ja.«

»Eben deshalb habe ich es gewagt, mit der Kaiserin von Scheidung zu sprechen.«

»Auf diese Angelegenheit wollen wir nicht zurückkommen. Sie verachten Mallet, Sie haben ihn wieder in Freiheit gesetzt. Ich will Ihnen etwas sagen, was mein Polizeiminister mir hätte sagen sollen: Mallet ist nur einer der Fäden einer unsichtbaren Verschwörung, die sich im Heere anspinnt.«

»Ach ja, die Philadelphen . . . Glauben Ew. Majestät an die Magie des Obersten Oudet?«

»Ich glaube an Arena,« antwortete Napoleon, »ich glaube an Cadoudal, ich glaube an Moreau. Mallet ist einer von diesen Träumern, von diesen Illuminaten, von diesen Narren, wenn Sie wollen; aber für den gefährlichen Narren gehört die einsame Zelle und die Zwangsjacke; Sie haben den Ihrigen in Freiheit gesetzt . . Der zweite ist Servan; ist der ein Narr, ein Königsmörder?«

»Wie ich, Sire.«

»Ja, aber ein Königsmörder aus der Schule der Gironde, ein vormaliger Verehrer der Madame Roland, ein Mann, der als Minister Ludwigs XVI. zum Verräther an ihm wurde und aus Rache für seinen Sturz am 10. August eine Hauptrolle spielte.«

»Er handelte gemeinschaftlich mit dem Volke.«

»O! das Volk thut nur das, wozu es verleitet, getrieben wird. Die Vorstädte Saint-Marcau und Saint-Antonin, die unter der Führung Alexandre’s und Santerre’s so unruhig waren, sie rühren sich nicht mehr, seitdem ich ihnen den Daumen aufs Auge halte . . . Ihren Florent Guyot kenne ich nicht, aber ich kenne Mallet und Servan. Diesen Beiden trauen Sie nicht! Ueberdies ist der eine General, der andere Oberst, und es gibt unter einer militärischen Regierung ein schlechtes Beispiel, wenn zwei Offiziere conspiriren.«

»Sire, man wird ein wachsames Auge auf sie haben.«

»Jetzt, Herr Fouché, habe ich Ihnen noch den schwersten Vorwurf zu machen.«

Der Polizeiminister verneigte sich.

»Was haben Sie mit der öffentlichen Meinung gemacht, Herr Fouché?«

Ein anderer Minister hätte die Frage noch einmal wiederholen lassen. Fouché verstand sehr gut was der Kaisersagen wollte; allein um sich Zeit zur Antwort zu nehmen, gab er sich das Ansehen, als ob er nicht recht wüßte was Napoleon meinte.

»Die öffentliche Meinung?« wiederholte er; »ich weiß nicht was Ew. Majestät damit sagen wollen.«

»Ich will damit sagen,« erwiederte Napoleon, »daß Sie die öffentliche Meinung über die Tagesbegebenheiten irregeleitet, getäuscht, daß Sie Deuteleien und vorwitzige Bemerkungen über meinen letzten Feldzug gestattet, daß man, weil Sie es ruhig geschehen ließen, von Kriegsunglück sprach, während meine Heere von Sieg zu Sieg eilten. Das Geschwätz der Pariser macht das Ausland übermüthig. Wissen Sie wohl, auf welchem Wege ich’s erfahren habe? Ueber Sanct-Petersburg! Ich habe Feinde, ich rühme mich dessen; aber daß meine Feinde unter Ihren Augen, Herr Minister, von Verminderung meines Ansehens, von Mißstimmung, von Widerstreben gegen meine Politik, von meiner Schwäche und Ohnmacht faseln, das ist zu arg! Die Folge davon ist, daß Oesterreich, an diese Albernheiten glaubend, meine vermeintliche Schwäche benützen und mich angreifen will; aber ich werde sie Alle demüthigen, die innern wie die äußern Feinde!. . . Apropos, Sie haben doch meinen Brief vom 31. December erhalten?«

»Welchen’, Sire?«

»Den von Benevento datirten.«

»Worin von den Söhnen der Ausgewanderten die Rede war?«

»Sie scheinen ein kurzes Gedächtniß zu haben, Herr Fouché!«

»Befehlen Ew. Majestät, daß ich den Brief Wort für Wort wiederhole?«

»Ja, beweisen Sie mit, daß Sie ein gutes Gedächtniß haben.«

»Sire,« erwiederte Fouché, eine Brieftasche hervorziehend, »hier ist das Schreiben . . .«

»So! Sie haben es bei sich?«

»Die eigenhändigen Briefe Ew. Majestät trage ich immer bei mir. Als ich Schulmeister bei den Vätern des Oratoriums war, las ich jeden Morgen mein Brevier; seitdem ich Polizeiminister bin, lese ich jeden Morgen die Briefe Ew. Majestät . . . Diese Depesche,« setzte Fouché hinzu, ohne den Brief aufzumachen, »lautet folgendermaßen . . .«

»Ich verlange nicht den Wortlaut, sondern den Inhalt,« unterbrach ihn Napoleon.

»Ew. Majestät schrieben mir, mehre Emigrantenfamilien hätten ihre Söhne der Conscription entzogen und ließen sie in sträflicher Unthätigkeit; Sie beauftragten mich zugleich, ein Verzeichniß dieser Familien anfertigen zu lassen, um alle jungen Männer derselben, die das achtzehnte Jahr überschritten, in die Militärschule nach Saint-Cyr zu schicken. Zu dieser Liste sollte jedes Departement mindestens zehn, die Stadt Paris mindestens fünfzig Namen liefern, und auf etwaige Beschwerden sollte ich kurzweg antworten, es sey der Wille Ew. Majestät.«

»Es ist gut; ich will nicht, daß sich ein Theil der Nation den Anstrengungen entziehe, welche die jetzige Generation für den Ruhm der künftigen macht . . Jetzt gehen Sie dies ist Alles was ich Ihnen zu sagen hatte!«

Fouché verneigte sich; aber da er sich nicht schnell genug entfernte, fragte Napoleon:

»Wünschen Sie noch etwas?«

»Sire,« erwiederte der Minister, »Ew. Majestät haben viele Dinge zur Sprache gebracht, um mir zu beweisen, daß meint Polizei schlecht sey; ich will nur eine Thatsache erwähnen, um Ihnen das Gegentheil zu beweisen . . . In Bavonne haben Ew. Majestät zwei Stunden verweilt . . .«

»Ja.«

»Ew Maiestät haben sich einen Bericht abstatten lassen . . .«

»Einen Bericht?«

»Ja, über die Beschwerden, die gegen mich vorliegen sollen. Der Bericht schloß mit dem Antrage, mich von meinem Posten abzuberufen und durch Herrn Savary zu ersetzen.«

»Und ist dieser Bericht unterzeichnet?«

»Ja, Sire, er ist unterzeichnet, und Ew. Majestät haben ihn bei sich . . . in der linken Rocktasche.«

Fouché deutete mit dem Finger auf die Stelle der Uniform, wo die Tasche war.«

»Sie sehen, Sire,« setzte er hinzu, »daß meine Polizei wenigstens in gewissen Richtungen eben so gut ist wie jene des Herrn Lenoir und des Herrn von Sartines.«

Und ohne die Antwort des Kaisers abzuwarten, verschwand Forsche, der schon nahe an der Thür gestanden.

Napoleon griff in die Tasche, zog eine in Depeschenform zusammengelegte Schrift heraus, faltete sie auseinander, warf einen flüchtigen Blick darauf, schaute noch einmal nach der Thür hin und sagte lächelnd:

»Ja, Du hast Recht: Du bist noch der geschickteste . . . wenn Du nur auch der rechtlichste wärest!«

Er zerriß das Papier und warf es ins Feuer. Während die Schrift von den Flammen verzehrt wurde, meldete der Thürsteher:

»Se. Excellenz der Oberkämmerer.«

Das lächelnde Gesicht des Fürsten von Benevent erschien hinter dem Thürsteher.

Die Poeten erfinden nichts. Als Goethe, der große Zweifler, seinen »Faust« schrieb, ahnte er nicht, daß Gott,sowohl seinen menschlichen Helden als seinen Mephistopheles bereits geschaffen hatte, und daß beide in kürzester Frist, der Eine mit seiner ernsten, geistvollen Stirn, der Andere mit seinem Pferdefuß, auf dem Welttheater erscheinen sollten.

Der von Gott geschaffene Faust hieß Napoleon; der Mephistopheles – Talleyrand. Wie Faust die Tiefen der Wissenschaft ergründet, bat Napoleon alle Labyrinthe der Politik durchwunden, – und wie Mephistopheles den Faust ins Verderben stürzt, war Talleyrand Napoleons böser Genius. Eben so wie sich Faust in seinen Momenten des Abscheues von Mephistopheles loszumachen sucht, suchte sich Napoleon in seinen Stunden des Zweifels von Talleyrand loszumachen. Aber sie schienen durch einen Höllenpact aneinander gekettet zu seyn, und wurden erst getrennt, als die Seele des Denkers, des Poeten, des Eroberers in den Abgrund fiel.

Unter den Dreien war Talleyrand vielleicht am bangsten zu Muth, aber er erschien gewiß mit dem heitersten Antlitz.

Napoleon konnte sich eines unheimlichen Gefühls nicht erwehren, als er ihn erblickte, und ohne seine Anrede abzuwarten, streckte er die Hand aus, um ihn weiter vortreten zu lassen, und sagte:

»Fürst von Benevent, ich habe Ihnen nur ein paar Worte zu sagen. Wer mich verläugnet, ist mein Gegner, und ich achte ihn als solchen, aber wer sich, um mich zu verläugnen, sich selbst verläugnet, ist der Gegenstand meines größten Abscheues. Sie behaupten überall, daß Sie an dem Tode des Herzogs von Enghien keinen Theil gehabt; Sie versichern, daß Sie dem spanischen Kriege fremd seyen. Sie haben mir den Tod des Herzogs von Enghien schriftlich gerathen, und ich habe Briefe, in denen Sie mir die Politik Ludwigs XVI. dringend anempfehlen. Herr von Talleyrand,wer ein so kurzes Gedächtniß hat, kann mein Freund nicht seyn; schicken Sie mir morgen Ihren Kammerherrnschlüssel zurück, der dem Herrn von Montesguiou nicht nur bestimmt sondern bereits zugesichert worden ist.«

Ohne den Fürsten von Benevent zu entlassen, ohne ein Wort hinzuzusetzen entfernte sich Napoleon durch die in Josephinens Gemächer führende Thür.

Talleyrand wankte wie an dem Tage, wo ihn Maubreuil auf den Stufen der Kirche St. Denis mit einer Ohrfeige zu Boden warf. Aber dieses Mal traf der Schlag nur seine äußeren Verhältnisse, und der Oberkämmerer zählte, wie Mephistopheles, auf Satans Beistand, um mehr wieder zu bekommen, als er verloren hatte.

Die Leser erinnern sich, daß Napoleon in derselben Nacht zu Cambacérès gesagt hatte, er werde im April mit 400,000 Mann an der Donau stehen. Er hielt Wort: die Bevölkerung von Donauwörth, die am 17 April 1809 auf den Straßen und Plätzen des Städtchens wogte, erwartete den Kaiser der Franzosen.

Capitän Richard

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