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Erster Theil
V.
Der Tugendbund

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Durch dieses Gitterthor gelangte man, wie schon erwähnt, in einen unterirdischen Saal, der ganz schwarz ausgeschlagen und von einer einzigen, an der Decke hängenden Lampe erleuchtet war.

Unter der Lampe waren eine Menge Gewehre, Schwerter und Pistolen aufgethürmt, so daß Jeder im Falle einer Ueberraschung augenblicklich mehre Waffen ergreifen konnte. Die Gewehrläufe und Klingen funkelten drohend in dem trüben Lampenlichte.

Jenseits dieses Waffenhaufens, dem Eingange gegenüber, stand auf einer Erhöhung ein für den Vorsitzenden bestimmter Tisch von schwarzem Marmor, und über dem Präsidentenstuhl glänzte der aus Metall getriebene deutsche Adler.

Sechzehn mit Pulver gefüllte Fässer, die zu beiden Seiten des Tisches im Halbkreise aufgestellt waren, dienten den Affiliirten als Sessel. Diese Pulverfässer deuteten an, daß die Mitglieder des Bandes die Pflicht hatten, sich lieber in die Luft zu sprengen als zu ergeben.

In diesen Saal führte nur eine einzige Thür. Vielleicht waren hinter den erwähnten schwarzen Vorhängen noch andere Thüren, aber sie waren nicht sichtbar und wenn sie wirklich vorhanden, nur den »Wissenden« bekannt.

Eine unsichtbare Uhr schlug halb eins, als sich das Gitterthor hinter dem Spion Schlick schloß. Aus den Gruppen, welche die Affiliirten bildeten, trat ein verlarvter Mann hervor und stieg auf die Erhöhung

»Brüder,« sagte er, »höret mich an.«

Alle schwiegen und wendeten sich zu dem, der das Wort verlangte.

»Brüder,« wiederholte er, »die Nacht rückt vor, die Zeit vergeht . . . Wächter, wie viele Sehende sind hier?«

»Sechzehn, mich inbegriffen,« antwortete der Wächter.

»Dann ist der siebzehnte ein Verräther, gefangen oder todt,« sagte der Sprecher; »denn wer würde in der Versammlung fehlen, welche die Befreiung Deutschlands vom Joch der Franzosen zum Zweck hat!«

»Bruder, antwortete der Wächter, »der Siebzehnte ist weder ein Verräther, noch gefangen oder todt, er steht in der Uniform eines österreichischen Soldaten vor der Thür auf dem Posten.«

»Dann kann die Sitzung eröffnet werden.«

Alle Anwesenden nickten.

»Bruder,« fuhr der Sprecher fort, »wir dürfen nicht vergessen, daß, wie auf dem Congreß jeder Minister einen König vertritt, jeder von uns im Namen eines Volkes hier ist.Wächter, rufe die Namen auf!«

Der Wächter rief folgende Namen: Baden, Nassau, Hessen, Würtemberg, Westphalen, Oesterreich, Italien, Ungarn, Böhmen, Spanien, Tirol, Sachsen, Luxemburg, Hannover, Holstein, Mecklenburg, Baiern.

Bei jedem Namen, mit Ausnahme von Hannover, antwortete einer der Anwesenden: hier! Der Vertreter von Hannover bewachte die Thür.

»Ziehet einen dieser Namen aus der Urne,« fuhr der Sprecher fort, »und der durch diesen Namen Bezeichnete, wird den Vorsitz führen.«

Der Wächter griff in die Urne und nahm ein Hölzchen heraus.

»Hessen,« sagte er.

»Das bin ich,« sagte einer der Affiliirten.

Während der bisherige Sprecher die Stufen herabstieg, ging der eben ernannte Vorsitzer hinauf und setzte sich.

»Brüder, nehmet Platz,« sagte er.

Die fünfzehn Affiliirten setzten sich, ein Platz blieb leer; es war der Platz des Vertreters von Hannover.

»Brüder,« sagte der Wortführer, »es handelt sich um die Aufnahme eines neuen Affiliirten und um die Wahl des Rächers. Wir wollen zuerst unsern neuen Bruder wählen und sodann losen.«

»Wer ist der Pathe des neuen Bruders?« fragte eine Stimme.

»Ich,« sagte Schlick aufstehend.

»Wer bist Du?«

»Baden.«

»Gut; die beiden jüngsten Brüder mögen aufstehen und den Novizen holen.«

Jeder gab sein Alter an, die beiden jüngsten, die Vertreter von Baiern und von Tirol, von denen der eine zwanzig, der andere einundzwanzig Jahre zählte, standen auf und holten den Novizen, der gleich darauf am Gitterthor erschien,wo ihn sein Pathe erwartete. Die Augen waren ihm verbunden. Seine Führer nahmen ihre Plätze wieder ein und nur sein Pathe blieb bei ihm.

Tiefe Stille folgte, alle Augen waren auf den Novizen gerichtet. Endlich fragte der Vorsitzende laut und gebieterisch:

»Bruder, welche Stunde ist es?«

»Die Stunde, wo der Herr wacht und der Sclave schläft,« antwortete der Novize.

»Zähle sie.«

»Ich höre sie nicht mehr, seitdem sie für den Herrn schlägt.«

»Wann wirst Du sie hören?«

»Wenn sie den Sclaven geweckt hat.«

»Wo ist der Herr?«

»Bei Tische.«

»Wo ist der Sclave?«

»Auf der Erde.«

»Was trinkt der Herr?«

»Blut.«

»Was trinkt der Sclave?«

»Seine Thränen.«

»Was willst Du mit beiden machen?«

»Ich will den Sclaven an den Tisch setzen und den Herrn zu Boden werfen.«

»Bist Du Herr oder Sclave?«

»Keins von beiden.«

»Wer bist Du denn?«

»Ich bin noch nichts, aber ich gedenke etwas zu werden.«

»Was denn?«

»Ein Sehender.«

»Weißt Du was Du als solcher zu thun hast?«

»Ich lerne es.«

»Wer lehrt es Dich?«

»Gott.«

»Hast Du Waffen?«

»Ich habe diesen Strick und diesen Dolch.«

»Was ist dieser Strick?«

»Das Sinnbild unserer Kraft und Vereinigung.«

»Was bist Du nach diesem Sinnbild?«

»Ich bin einer dieser Hanffäden, den die Eintracht zusammengefügt, die Kraft gedreht hat.«

»Warum hast Du diesen Strick genommen?«

»Um zu binden und zusammenzuhalten.«

»Warum den Dolch?«

»Um zu zerschneiden und zu trennen.«

»Bist Du bereit zu schwören, dass Du Strick und Dolch gebrauchen willst gegen jeden Verurtheilten, dessen Name in das rothe Buch geschrieben wird?«

»Ja.«

»Schwöre es.«

»Ich schwöre.«

»Widmest Du Dich selbst dem Strick und dem Dolch, wenn Du den Schwur, den Du auf Schwert und Kreuz geleistet, brechen solltest?«

»Ja.«1

»Gut, Du bist unter die Freunde des Tugendbundes aufgenommen. Es steht Dir frei, je nachdem dein Herz vertrauensvoll oder argwöhnisch ist, verlarvt zu bleiben oder dein Gesicht zu zeigen; unsere Statuten geben Dir das Recht, zuthun was Du willst.«

Der Novize nahm ohne Zögern zugleich die Binde und die Maske ab, und ließ seinen Mantel fallen.

»Wer nichts fürchtet,« sagte er, »kann mit offenem Antlitz sehen und gesehen werden.«

Man sah nun einen schönen jungen Mann von etwa fünfundzwanzig Jahren; seine Haltung war militärisch, er hatte blaue Augen, kastanienbraunes Haar und Schnurrbart und trug Studentenkleider, obgleich er aller Wahrscheinlichkeit nach schon seit einigen Jahren die Universität verlassen hatte.

Aber während alle Augen auf ihn gerichtet waren, that sich die metallene Thür an der Wendeltreppe plötzlich auf, und der siebzehnte Tugendbündler, der in der Uniform eines österreichischen Soldaten Wache stand, trat ganz bestürzt ein.

»Brüder,« sagte er, »wir sind Alle verloren!«

»Was gibt’s?« fragte der Vorsitzende.

»Mehr als hundert Personen sind in die Ruinen gekommen; sie gaben das Losungswort, und ich hielt sie folglich für Brüder, aber es sind wahrscheinlich Feinde, die uns umzingeln wollen.«

»Woraus schließest Du das?«

»Erstens weil Ihr hier nur Sechzehn seyd; dann ging ich, als ich abgelöst war, ebenfalls in die Ruinen, weil ich einen Verrath vermuthete. Ich versteckte mich hinter einer Mauer und belauschte meinen Nachfolger, der keineswegs einer der Unsrigen ist. Bald erschien eine Schaar von etwa fünfzig Bewaffneten; der Führer dieser Schaar gab das Losungswort, und die Schildwache ließ sie durch. Da eilte ich herunter, um Euch zu warnen, und ich hoffe zeitig genug gekommen zu seyn, wenn nicht um Euch zu retten, doch wenigstens um mit Euch zu sterben . . . Zu den Waffen, Brüder! Zu den Waffen!«

Alle Anwesenden stürzten nun auf den Waffenhaufen zu, und Jeder nahm sich ein Gewehr oder ein Schwert. Der Spion Schlick benutzte die Verwirrung, näherte sich rasch dem Novizen und flüsterte ihm zu:

»Nehmen Sie Ihre Maske vor und fliehen Sie mit mir . . Es sind mehre Ausgänge . . .«

»Ich nehme meine Maske vor, aber ich fliehe nicht,« erwiederte der junge Mann.

»Dann nehmen Sie Waffen und kämpfen Sie!«

Der junge Mann eilte auf den Waffenhaufen zu; aber während des kurzen Gesprächs mit Schlick hatten sich die Anderen aller Flinten und Pistolen bemächtigt, so daß ihm nur ein Schwert blieb.

Unterdessen hatte man oberhalb der Treppe Waffengeklirr gehört; plötzlich wurde die in der Eile schlecht geschlossene metallene Thür ausgerissen und mehre Bajonnete blitzten im Halbdunkel.

»Feuer!« rief der Vorsitzende

Zehn Studenten gehorchten, aber man hörte nur das Ratschen des Feuersteins auf dem Pfaundeckel und sah nur die Funken.

»Wir sind verrathen!« riefen die Studenten: »Die Ladung ist aus den Gewehren gezogen . . . Zu den geheimen Thüren!«

Die Tugendbündler zerstreuten sich in verschiedenen Richtungen; man sah, daß sie auf alle möglichen Gefahren vorbereitet waren. Aber die schwarzen Vorhänge zerrissen an fünf verschiedenen Stellen, und an jeder Oeffnung sah man Waffen blitzen.

Die Studenten blieben stehen und sahen sich nach allen Seiten um: sie waren von Bajonneten umgeben. Hundert-fünfzig Soldaten in bairischer Uniform umringten sie.

»Brüder,« sagte der Vorsitzende, »es bleibt uns nichts übrig, als zu sterben!« – Und leise setzte er hinzu: »Feuer an die Pulverfässer!«

Der Befehl machte in den Reihen die Runde; die Verschwörer schienen vor den Bajonneten zurückzuweichen und zogen sich mit tactischer Gewandtheit in die Mitte des Saales zurück. Die bairischen Soldaten rückten ihnen immer näher.

Mit Blitzesschnelle ergriff nun Jeder eine für diesen Fall bereitliegende Lunte, zündete den Brander an und stürzte auf das ihm als Sitz angewiesene Pulverfaß zu.

Aber statt der erwarteten Explosion hörte man ein lautes Wuthgeschrei; statt des mit Pulver bestreuten Schwefelfadens waren die Fässer mit einem gewöhnlichen dünnen Docht verbunden, der nicht brennen wollte.

»Verrathen! verkauft!« riefen die Studenten, die Waffen wegwerfend.

»Die Sache scheint bedenklich zu werden,« flüsterte Schlick seinem Begleiter ins Ohr; »wir haben freilich immer den Ausweg, daß wir uns nennen können, denn die Baiern sind ja die Verbündeten Ihres Kaisers.«

Der junge Mann durchlief den Kreis der Soldaten mit einem Blicke, dessen Blitze man sogar durch die Oeffnungen seiner Maske sehen konnte und sagte, seinen Degen zerbrechend:

»Ich hätte wahrlich lieber gekämpft, wär’s auch gegen Verbündete gewesen.«

Dann trat er unter die Studenten.

Der Kreis, den die bairischen Soldaten bildeten, war inzwischen so klein geworden, daß sie nur noch fünf bis sechs Schritte zu machen hatten, um die achtzehn Verschwörer mit ihren Bajonneten zu treffen.

»Meine Herren,« sagte der Hauptmann, der die Schaar führte, »im Namen des Königs Maximilian verhafte ich Sie. . . Sie sind meine Gefangenen!«

»Das ist möglichst erwiederte der Vorsitzende, »denn wir sind in Ihrer Gewalt, aber wir haben uns nicht ergeben, wir sind verrathen.«

»Das ist mir gleichgültig,« antwortete der Offizier; »ich bin nicht hierher gekommen, um mit Worten zu spielen, sondern um meine Pflicht zu thun und meine Befehle zu vollziehen.

»Freunde,« sagte der Vorsitzende, »wir sind in der Gewalt der Baiern und bereit unser Leben hinzugeben; welches Urtheil fället Ihr über die Abtrünnigen?«

»Sie sind nicht werth, ein deutsches Volk zu heißen.«

»Sie mögen sich künftig Franzosen nennen,« setzte ein Anderer hinzu.

»Sie sind Verräther am Vaterlande!«

»Jedes Mitglied des Tugendbundes soll das Recht haben . . .«

»Still!« rief der Offizier mit einer Donnerstimme.

»Es lebe Deutschland!« riefen die Studenten einstimmig. »Deutschland hoch!«

»Still,« wiederholte der Offizier. »Stellen Sie sich ohne Widerstand in einer Reihe auf.«

»Gut,« antwortete der Vorsitzende; »wir fürchten die französischen Kugeln nicht, wir werden zu sterben wissen. . . Ihr echten deutschen Streiter, stellt Euch auf.«

Alle Tugendbündler stellten sich mit trotziger Haltung und drohenden Blicken in einer Reihe auf. Der Offizier zog ein Papier aus der Tasche und las:

»Der Hauptmann Ernst von Mühldorf soll hundertfünfzig Mann nehmen und die Burgruinen von Abensberg, die einer Bande von Verschwörern als Versammlungsort dienen, umzingeln und durchsuchen. Alle, die in dem sogenannten Berathungssaale, dem dermaligen Sitzungssaale des Vehmgerichts, betreten werden, soll er verhaften und in einer Reihe aufstellen; sind es zehn, soll er einen von ihnen, sind es zwanzig, zwei erschießen lassen, und so fort; die Uebrigen sollen in Freiheit gesetzt werden.

»München, 16. April1809.

»Maximilian.«

»Es lebe Deutschland!« riefen die Gefangenen einstimmig.

»Herr Lieutenant,« flüsterte Schlick seinem Begleiter zu, »suchen Sie doch einen andern Platz, ich glaube, Sie sind der Zehnte.«

Der junge Mann gab keine Antwort und ging nicht von der Stelle.

»Meine Herren,« fuhr der Hauptmann fort, »ich weiß nicht was Sie sind; aber ich bin Soldat, und ein Soldat muß sich an seinen Befehl halten, die militärische Justiz ist schnell . . .«

»Nur zu,« antwortete eine Stimme.

»Nur zu,« antworteten Alle einstimmig.

Der Hauptmann zählte von der Rechten zur Linken bis zehn.

Schlick hatte Recht gehabt: der neue Sehende war der Zehnte.

»Treten Sie heraus,« sagte der Hauptmann.

Der junge Mann gehorchte.

»Sie haben den Blutzehnten zu entrichten,« sagte der Hauptmann.

»Gut,« antwortete der neue Tugendbündler gelassen.

»Sind Sie bereit?«

»Ja.«

»Haben Sie etwa noch Anordnungen zu treffen?«

»Nein«

»Haben Sie keine Freunde . . . keine Eltern oder Angehörige?«

»Ich habe einen Bruder; der Freund, der mein Pathe war und nach dem Buchstaben der uns vorgelesenen Verordnung frei ist, kennt meinen Bruder und wird ihm sagen, wie ich gestorben bin.«

»Sind Sie Katholik oder Protestant?«

»Ich bin Katholik.«

»Sie wünschen vielleicht einen Priester?«

»Ich bin täglich in Todesgefahr und Gott, der in meinem Herzen liest, weiß, daß ich mir nichts vorzuwerfen habe.«

»Sie bitten also weder um Gnade noch um Aufschub?«

»Ich bin mit den Waffen in der Hand, als Verschwörer ergriffen worden . . . machen Sie mit mir was Sie wollen.«

»Dann bereiten Sie sich zum Tode . . .«

»Ich habe Ihnen gesagt, daß ich bereit bin.«

»Es sieht Ihnen frei, Ihre Maske zu behalten oder abzunehmen; wenn Sie sie nicht abnehmen, werden Sie mit ihr begraben, und Niemand wird erfahren, wer Sie sind.«

»Aber wenn ich sie nicht abnehme, könnte man glauben, ich wolle meine Blässe verbergen . . . ich nehme sie ab.«

Der junge Mann nahm seine Maske ab und zeigte ein heiteres Gesicht

1

Diese Förmlichkeiten wurden bei jeder Ausnahme eines neuen Mitgliedes genau beobachtet. Ausführlicheres findet sich in dem Drama von Leo Burkard, das wir vor etwa sechzehn Jahren gemeinschaftlich gearbeitet und insbesondere in der von ihm allein geschriebenen vortrefflichen Vorrede. Anmerk. d. Verf.

Capitän Richard

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