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Erster Theil
III.
Die Zwillinge
ОглавлениеGegen neun Uhr Morgens entstand eine große Bewegung unter der Volksmenge, und ein lautes Gemurmel, das sich wie ein Lauffeuer vom äußersten Ende der Dillinger-Straße bis in den Mittelpunkt der Stadt verbreitete, war der Verbote eines ungewöhnlichen Ereignisses.
Dieses Ereigniß war die Ankunft eines Couriers in grüner, goldbetreßter Uniform, der dem Wagen des Kaisers um eine halbe Stunde voraus eilte.
Er sprengte im Galopp durch die auf beiden Seiten zurückweichende Menge der oberen Stadt zu, und hielt am Thore des vormaligen Klosters zum heiligen Kreuz an, wo Gemächer für den Kaiser eingerichtet worden waren.
Der Generalmajor Berthier, der den Kaiser in dem alterthümlichen stattlichen Gebäude erwartete, wurde durch die Ankunft des Couriers keineswegs überrascht Der Prinz von Neuchâtel, der auf der Plattform des Schlosses durch ein Fernrohr schaute, hatte schon seit zehn Minuten den kaiserlichen Wagenzug auf der Landstraße bemerkt.
Am 9. April hatte Erzherzog Carl ein Schreiben »an den Obergeneral der französischen Armee« nach München abgehen lassen. Mit einer andern Adresse war das Schreiben nicht versehen. Meinte der Erzherzog den Kaiser Napoleon damit und war für ihn, wie für den Abbé Loriquet, der Marquis von Bonaparte damals nur noch der Obergeneral Seiner Majestät Ludwig XVIII. Wenn dies der Fall war, so zeigte Erzherzog Carl überaus viel Starrsinn.
Wir wollen dahingestellt seyn lassen, wer der Obergeneral, Marschall, Prinz, König oder Kaiser war, den der Erzherzog meinte; das kurze Schreiben lautete folgendermaßen:
»Nach der Erklärung Sr. Majestät des Kaisers von Oesterreich zeige ich dein Herrn Obergeneral der französischen Armee an, daß ich die Weisung habe, mit den unter meinem Befehle stehenden Truppen vorzurücken und Jedermann, der mir Widerstand leisten wird, als Feind zu behandeln.«
Dieser Brief war vom 9. April. Am 12. Abends hatte der Kaiser Napoleon in den Tuilerien durch eine telegraphische Depesche die Nachricht von diesem Beginne der Feindseligkeiten erhalten. Er war am 13. Morgens abgereist, und am 16. hatte er zu Dillingen den König von Baiern angetroffen, der seine Hauptstadt verlassen und sich gegen zwanzig Stunden zurückgezogen hatte.
Durch die dreitägige ununterbrochene Reife ermüdet,verweilte Napoleon zu Dillingen, um daselbst zu übernachten, und gab dem Könige sein Wort, ihn binnen vierzehn Tagen in seine Hauptstadt zurückzuführen.
Am andern Morgen um sieben Uhr setzte er seine Reisefort, und um den Zeitverlust wieder einzudringen, legte er dennoch übrigen Weg in der größten Eile zurück. Er fuhr im sausenden Galopp durch die engen Gassen von Donauwörth, und selbst die Anhöhe hinauf ging’s im Galopp, bis er endlich im Hofe des vormaligen Klosters anhielt und von dem Generalstabschef Berthier empfangen wurde.
Die Förmlichkeiten waren kurz mit Napoleon. Er begrüßte den Fürsten von Neuchâtel mit einem kurzen: »Guten Tag, Berthier,« und dieser erwiederte den Gruß, wie gewöhnlich, murrend und an den Nägeln kauend. Dann winkte er dem übrigen Generalstabe mit der Hand zu und eilte, von einem Dutzend Diener geleitet, in die für ihn eingerichteten Gemächer.
Auf einem großen Tische lag eine Specialkarte von Baiern ausgebreitet, auf welcher jeder Baum, jeder Bach, jedes Thal, jedes Dorf, sogar jedes Haus angegeben war.
Napoleon trat sogleich an den Tisch, während ein Adjutant das Reiseportefeuille offen auf einen Säulentisch legte und der Kammerdiener das Bett auf dem ledernen Sack zog und in einem Winkel des Salons bereitete.
»Gut,« sagte er, den Finger auf Donauwörth haltend, »sind Sie mit Davoust in Verbindung?«
»Ja, Sire,« antwortete Berthier.
»Mit Massena?«
»Ja, Sire.«
»Mit Oudinot?«
»Ja, Sire.«
»Dann geht Alles gut. Wo stehen die Generale?«
»Der Marschall Davoust ist in Regensburg, der Marschall Massena und der General Oudinot sind in Augsburg;einige von ihnen abgeschickte Offiziere erwarten Ew. Majestät, um Bericht abzustatten.«
»Haben Sie Spione ausgeschickt?«
»Zwei sind schon zurückgekommen, ich erwarte den dritten und gewandtesten.«
»Was haben Sie gethan?«
»Ich habe mich so viel als möglich an den Plan Ew. Majestät gehalten, nemlich auf der großen Heerstraße gerade nach Regensburg zu marschiren und von da gegen Wien vorzurücken, zu Wasser aber nur die Kranken und Verwundeten sammt einem Theil der Munition und des Gepäcks der Armee fortzuschaffen.«
»Gut, an Fahrzeugen wird es uns nicht fehlen; ich habe auf allen Nebenflüssen der Donau Alles ankaufen lassen, was zu finden war, und zwölfhundert meiner besten Seeleute von Boulogne genommen, falls wir auf den Inseln Widerstand finden. Sie haben Hacken und Schaufeln ankaufen lassen?«
»Fünfzigtausend, ist das genug?«
»Es ist gerade nicht zu viel . . . Sie sind am 13. Abends hier angekommen; was haben Sie seitdem angeordnet?«
»Ich ertheilte zuerst Befehl, alle Truppen gegen Regensburg ausrücken zu lassen«
»Haben Sie denn meinen Brief nicht erhalten, der Ihnen befahl, alle in Augsburg zusammenzuziehen?«
»Ja wohl, und ich schickte sogleich Gegenbefehl an Oudinot, der mit seinem Armeecorps schon auf dem Marsche war; aber ich glaubte Davoust in Regensburg lassen zu müssen.«
»Dann ist aber die Armee in zwei Massen getheilt: die eine steht in Regensburg, die andere in Augsburg . . .«
»Und die Baiern stehen dazwischen.«
»Hat irgendwo schon ein Zusammenstoß stattgefunden?«
»Ja, Sire, bei Landshut, zwischen den Oesterreichern und Baiern.«
»Welche Division?«
»Die Division Duroc.«
»Haben sich die Baiern gut gehalten?«
»Seht gut, Sire; aber sie mußten der vierfachen Uebermacht weichen.«
»Wo stehen sie jetzt?«
»Dort, Sire, im Walde bei Dürnbach.«
»Wie stark sind sie?«
»Etwa 27,000 Mann.«
»Und wo steht der Erzherzog?«
»Zwischen der Isar und Regensburg; aber bis jetzt war es unmöglich, genaue Erkundigungen einzuziehen.«
»Lassen Sie den vom Marschall Davoust abgeschickten Offizier hereinkommen.«
Berthier gab einen Wink, ein Adjutant öffnete eine Thür und führte einen jungen Jägeroffizier herein.
Der Kaiser sah ihn flüchtig, aber mit sichtlichem Wohlgefallen an: es war unmöglich, einen schöneren stattlicheren Cavalier zu sehen.«
»Sie kommen von Regensburg, Herr Lieutenant?« fragte der Kaiser.
»Ja, Sire,« antwortete der junge Offizier.
»Zu welcher Stunde sind Sie fortgeritten?«
»Um ein Uhr Nachts.«
»Der Marschall Davoust bat Sie abgeschickt?«
»Ja, Sire.«
»Wie stark war sein Corps, als Sie Regensburg verließen?«
»Vier Divisionen Infanterie, eine Division Kürassiere und eine Division leichte Cavallerie.«
»Im Ganzen?«
»Etwa 50,000 Mann. Die Generale Nansouty und Espagne mit der schweren und einem Theile der leichten Cavallerie, und der General Demont mit dem vierten Bataillon und dem Artilleriepark stehen am linken Donauufer.«
»Hat die Zusammenziehung der Truppen um Regensburg ohne Schwierigkeiten stattgefunden?«
»Sire, die Divisionen Gudin, Morand und Saint-Hilaire haben ihre Stellungen eingenommen, ohne einen Schuß abzufeuern; aber die Division Friant, welche sie deckte, hatte beständig mit dem Feinde zu kämpfen, und obgleich sie hinter sich alle Brücken zerstört hat, wird der Marschall Davoust doch wahrscheinlich in Regensburg angegriffen werden«
»Wie viele Stunden sind Sie unterwegs gewesen?«
»Sieben Stunden, Sire.«
»Und wie weit ist Regensburg von hier?«
»Zweiundzwanzig Wegstunden.«
»Sind Sie zu ermüdet, um in zwei Stunden wieder zurückzureiten?«
»Ew. Majestät wissen wohl, daß man im Dienste nie müde wird. Man gebe mir ein frisches Pferd, und ich reite fort, wann Ew. Majestät es befehlen.«
»Ihr Name?«
»Lieutenant Richard.«
»Ruhen Sie zwei Stunden, Herr Lieutenant, aber in zwei Stunden müssen Sie zur Reise gerüstet seyn.«
Der Lieutenant Richard salutirte und ging.
In diesem Augenblicke kam ein Adjutant und sprach mit Berthier.
»Lassen Sie den Abgesandten des Marschalls Massena kommen,« sagte der Kaiser.
»Sire,« antwortete Berthier, »ich halte es für überflüssig, ich habe ihn befragt und Alles erfahren was zu wissen nothwendig ist. Massena ist mit Qudinot, Molitor und Boudet in Augsburg. Sein Corps zählt mit Einschluß der Baiern und Würtemberger etwa 80,000 Manns aber ich glaube Ew. Majestät etwas Besseres bieten zu können.«
»Was denn?«
»Der Spion ist zurückgekommen.«
»Wirklich?«
»Er hat sich durch die österreichischen Reihen geschlichen.«
»Lassen Sie ihn hereinkommen.«
»Ew. Majestät wissen, daß diese Leute sich oft weigern,in Gegenwart mehrerer Personen zu reden.«
»Lassen Sie mich mit ihm allein.«
»Fürchten Ew. Majestät nicht . . .«
»Was soll ich denn fürchten?«
»Man spricht von Illuminaten, von Fanatikern . . .«
»Lassen Sie ihn nur hereinkommen, ich werde es ihm schon in den Augen ansehen, ob Sie mich mit ihm allein lassen können.«
Berthier öffnete eine kleine Thür, die in ein Cabinet führte, und holte einen etwa dreißigjährigen wie ein Schwarzwälder Holzhauer gekleideten Mann heraus.
Der Mann trat einige Schritte vor, hielt die Hand an die Stirn und salutirte militärisch.
»Gott bewahre Ew. Majestät vor jedem Unglück,« sagte er.
Der Kaiser sah ihn an.
»Oho!« sagte er, »wir sind ja alte Bekannten.«
»Sire, am Tage vor der Schlacht bei Austerlitz gab ich Ihnen im Vivonac Auskunft über die Stellung der Russen und Oesterreicher.«
»Die Auskunft war ganz genau, Meister Schlick.«
»O, Donner und Wetter!« erwiederte der falsche Schwarzwälder mit einem echt deutschen Fluch, »Ein Majestät erkennen mich also? das freut mich!«
»Ja,« sagte der Kaiser; »Alles gebt gut,« – Dann gab er dem Generalstabschef einen Wink und setzte hinzu: »Ich glaube, daß Sie mich ohne Bedenken mit ihm allein lassen können.«
Der Fürst von Neuchâtel schien diese Meinung zu theilen, denn er entfernte sich mit seinen Adjutanten, ohne die mindeste Einwendung zu machen.«
»Zuerst das Dringendste,« sagte der Kaiser; »kannst Du mir über den Erzherzog etwas mittheilen?«
»Ueber ihn oder seine Armee, Sire?«
»Ueber Beides.«
»O, ich kann über Beide Auskunft geben: ein Vetter von mir dient in seiner Armee und mein Schwager ist sein Kammerdiener.«
»Wo ist er oder das Gros seiner Armee?«
»Außer den 50,000 Mann, die unter Bellegarde und Kolowrat aus Böhmen gegen die Donau anrücken und in Regensburg mit dem Marschall Davoust zusammenstoßen sollen, bat der Erzherzog selbst etwa 150,000 Mann. Am 10. April ist der Prinz mit beiläufig 60,000 Mann über den Inn gegangen.«
»Kannst Du alle Bewegungen, die Du mir angibst, auf einer Karte verfolgen?«
»Warum nicht? Unsereins ist ja in die Schule gegangen.«
Der Kaiser zeigte dem Spion die aus dem Tische ausgebreitete Karte.
»Suche den Inn auf dieser Karte.«
Der Spion brauchte nur einen Blick darauf zu werfen,und hielt den Finger auf den Inn.
»Sehen Sie, Sire, sagte er, »hier bei Braunau ist der Erzherzog über den Fluß gegangen, während der General Hohenzollern unterhalb Mühlheim mit etwa 30,000 Mann den Uebergang bewerkstelligte; ein viertes Corps von 40,000 Mann endlich, dessen Befehlshaber mir nicht bekannt, ist bei Schärding in Baiern eingerückt.«
»Also nahe an der Donau?«
»Ganz recht, Sire.«
»Aber da sie schon am 10. über den Inn gegangen sind, sollten sie schon weiter vorgerückt seyn.«
»Sie saßen zwischen Inn und Isar fest, erst gestern sind sie bei Landshut über die Isar gegangen, und es ging ziemlich heiß her.«
»Mit den Baiern?«
»Ja, Sire; aber die Baiern konnten sich mit ihren 27- bis 28,000 Mann nicht halten, und haben sich in den Dürnbacher Wald zurückgezogen.«
»Dann sind wir nur noch etwa zwölf Stunden von dem Feinde entfernt?«
»Nicht einmal so weit, Sire; denn seit heute Früh muß er vorgerückt seyn. Es geht freilich langsam, weil viele kleine Flüsse zu überschreiten sind und das Land sumpfig und waldig ist. Es sind nur zwei Heerstraßem von Landshut nach Neustadt und nach Kelheim.«
»Es blieb ihm noch die Straße, die von Eckmühl in gerader Richtung nach Regensburg führt.«
»Sire ich habe gesehen, daß die österreichischen Truppen auf den beiden anderen Straßen verrückten, und da ich wußte, daß Ew. Majestät heute in Donauwörth eintreffen würden, eilte ich fort – und hier bin ich.«
»Es ist gut. Du meldest mir zwar nichts von Bedeutung, aber Du berichtest nun doch was Du weißt.«
»Sire, haben Sie die Gnade, mir andere Fragen vorzulegen.«
»Ueber was?«
»Ueber die Stimmung des Landes zum Beispiel, über die geheimen Gesellschaften . . .«
»Wie! Du beschäftigst Dich auch mit diesen Angelegenheiten?«
»Ich richte mein Augenmerk auf Alles was zu meinem Geschäft gehört.«
»Nun, so laß hören; ich bin begierig zu erfahren was Deutschland von uns denkt.«
»Es ist höchst erbittert gegen die Franzosen, die es nicht nur besiegen und demüthigen, sondern auch in Besitz nehmen und zu Grunde richtend.«
»Deine Deutschen kennen also nicht das Sprichwort des Marschalls von Sachsen: der Krieg muß den Krieg ernähren.«
»O ja, sie kennen es, aber sie möchten lieber ernährt werden, als ernähren. Es ist so weit gekommen, daß man damit umgeht, sich der Fürsten zu entledigen, die sich der Franzosen nicht zu entledigen wissen.«
»So! und wie will man das anfangen?«
»Auf zweierlei Art: erstens durch einen allgemeinen Aufstand . . .«
Napoleon warf den Mund aus. »Das könnte wohl geschehen, wenn ich vom Erzherzog geschlagen würde . . . aber ich werde ihn schlagen, und folglich wird es nicht geschehen. Laß daher das zweite Befreiungsmittel hören.«
»Zweitens, durch einen Dolchstich.«
»Bah; einen Mann, wie ich bin, erdolcht man nicht.«
»Cäsar ist doch erdolcht worden . . .«
»O, die Verhältnisse waren ganz anders; es war auch ein großes Glück für Cäsar, erdolcht zu werden, er war dreiundfünfzig Jahre alt, er kam in die Jahre, wo der menschliche Geist abnimmt. Er war immer glücklich gewesen, die Glücksgöttin ist der Jugend hold, wie Ludwig XVI. Zu Herrn von Villeroy sagte, sie war vielleicht im Begriffe ihm den Rücken zu kehren; eine einzige Niederlage, und Cäsar war nicht mehr ein Alexander, sondern ein Pyrrhus oder Hannibal. Er hatte das Glück, ein paar Dutzend Gimpel zu finden, die nicht einsahen, daß Cäsar nicht eigentlich ein Römer, sondern die Seele Roms war; sie mordeten den Kaiser, aber aus dem Blute des Kaisers ging das Kaiserreich hervor. Sey nur ruhig, ich habe das Alter Cäsars noch nicht erreicht. Frankreich ist im Jahre 1809 keineswegs da, wo Rom 44 Jahre vor Christus war; nein, Meister Schlick, man wird mich nicht ermorden.«
Napoleon lachte über diese historische Vorlesung, die er einem badischen Bauer hielt. Er antwortete freilich nicht dem Bauer, sondern seinen eigenen Gedanken.
»Das ist wohl möglich,« antwortete Schlick, »aber ich rathe Ew. Majestät gleichwohl, denen, die Ihnen zu nahe kommen, auf die Finger zu schauen, zumal wenn die Finger einem Mitgliede des Tugendbundes angehören.«
»Ich glaubte, alle diese Verbindungen wären aufgelöst.«
»Sire die deutschen Fürsten, und insbesondere die Königin Louise haben sie wieder in Kraft gesetzt, und es gibt zu dieser Stunde in Deutschland vielleicht zweitausend junge Männer, die das Gelübde gethan haben, Sie zu ermorden.«
»So! diese Sekte hat also ihre Vereinigungspunkte?«
»Allerdings, nicht nur ihre Vereinigungspunkte, sondern auch ihre Formeln, ihren Wahlspruch, ihre Erkennungsszeichen . . .«
»Woher weißt Du das?«
»Ich gehöre selbst dazu.«
Napoleon trat unwillkürlich einen Schritt zurück.
»Fürchten Sie nichts, Sire. Ich gehöre dazu, aber wie der Schild zur Rüstung gehört, um die Streiche abzuwehren.
»Wo kommen denn die Verschworenen zusammen?«
»Ueberall wo ein unterirdischer Raum oder eine Burgruine ist. Ew. Majestät wissen, daß die Deutschen sehr poetische Naturen sind. Bei Abensberg auf der Anhöhe steht eine alte Burg, dort wurde ich vor acht Tagen in den Bund aufgenommen.«
»Es ist gut,« sagte Napoleon, »ohne dieser Warnung mehr Aufmerksamkeit zu schenken, als sie verdient, will ich sie doch nicht unbeachtet lassen. Geh, ich werde Befehl geben, daß es Dir an nichts fehle.«
Schlick verneigte sich und ging aus der kleinen Seitenthür, aus der er gekommen war.
Napoleon wurde nachdenkend. »Er hat Recht,« sagte er für sich: »einen Dolchstoß kann man leicht bekommen. Heinrich IV. rüstete sich ebenfalls zu einem Kriegszuge gegen Oesterreich; aber er war siebenundfünfzig Jahre alt, wie Cäsar; er hatte sein Werk vollbracht, aber ich habe das meinige noch lange nicht vollbracht, und großes Unglück kommt immer erst nach dem fünfzigsten Jahre, das hat sich bei Cäsar, Hannibal, Mithridates, Heinrich IV. Gezeigt . . . Alexander ist freilich im Alter von dreiunddreißig Jahren gestorben, aber wie Alexander zu sterben ist kein Unglück.«
Ein Adjutant trat ein.
»Was gibt’s?« fragte Napoleon.
»Sire,« sagte der Adjutant, »ein Offizier von der italienischen Armee ist als Abgesandter des Vicekönigs angekommen; wollen Ew. Majestät ihn sehen?«
»Ja wohl,« erwiederte Napoleon, »führen Sie ihn sogleich herein.«
»Kommen Sie herein,« sagte der Adjutant.
Der Offizier erschien in der Thür und hielt seinen dreieckigen Hut in der Hand. Er war ein junger Mann von etwa fünfundzwanzig Jahren und an der blauen, mit Silber gestickten Uniform als ein Offizier aus dem Generalstabe des Vicekönigs zu erkennen. Seine äußere Erscheinung wohl etwas Eigenthümliches, Auffallendes haben, denn Napoleon, der eben das Wort nehmen wollte, hielt plötzlich inne und betrachtete den jungen Offizier vom Kopf bis zu den Füßen.
»Was soll die Maskerade?« sagte er:
Der junge Offizier sah sich um, weil er glaubte, diese seltsame Anrede gelte einem Andern; aber als er sah, daß er mit dem Kaiser allein war, erwiederte er:
»Damit zu Gnaden, ich weiß nicht was Ew. Majestät meinen.«
»Warum haben Sie die grüne Uniform, die Sie so eben trugen, mit der blauen vertauscht?«
»Sire, seit zwei Jahren trage ich keine andere Uniform als die des Generalstabes Sr. Hoheit des Vicekönigs . . .«
»Wann sind Sie hier angekommen?«
»Ich steige soeben vom Pferde, Sire.«
»Woher kommen Sie?«
»Von Pordenone.«
»Wie heißen Sie?«
»Lieutenant Richard.«
Napoleon sah den jungen Offizier noch aufmerksamer an;
»Haben Sie von Eugen ein Schreiben, das Sie bei mir accreditirt?«
»Ja, Sire.«
Der Offizier überreichte dem Kaiser einen Brief mit dem Wappen des Vicekönigs von Italien.
»Wenn Ihnen dieser Brief abgenommen worden wäre?« fragte Napoleon, »oder wenn Sie ihn verloren hätten?«
»Se. Hoheit hatte mir befohlen, ihn auswendig zu lernen.«
»Aber wie kommt es,« setzte der Kaiser hinzu, »daß Sie vor einer Stunde in Gardejägeruniform von Regensburg, und vor zehn Minuten in Eugens Generalstabsuniform von Pordenone kommen? Erklären Sie mir, wie Sie zugleich beauftragt seyn können, mir Nachrichten von dem Marschall Davoust und dem Vicekönig zu bringen?«
»Halten zu Gnaden: Ew. Majestät sagen, es sey vor einer Stunde ein Gardejägeroffizier von dem Marschall Davoust gekommen?«
»Ja, vor einer Stunde.«
»Ein Mann von fünfundzwanzig Jahren?«
»Ja, von Ihrem Alter.«
»Der mir ähnlich sieht?«
»Wie ein Wassertropfen dem andern.«
»Und er heißt? . . . Ew. Majestät verzeihen, aber ich bin so freudig überrascht.«
»Lieutenant Richard.«
»Er ist mein Bruder, Sire, mein Zwillingsbruder; wir haben uns seit fünf Jahren nicht gesehen.«
»Jetzt ist das Räthsel gelöst . . . Sie sollen Ihren Bruder sogleich sehen.
»O, Sire, wenn ich nur meinen lieben Paul umarmen kann, so will ich gern auf der Stelle wieder fort.«
»Sind Sie im Stande wieder abzureisen?«
»Sire, ich hoffe mit Ihren Befehlen beehrt zu werden.«
»Nun, dann begrüßen Sie Ihren Bruder und halten Sie sich zur Abreise bereit.«
Der junge Offizier salutirte und entfernte sich.
Napoleon, der allein blieb, erbrach den Brief. Kaum hatte er einige Zeilen gelesen, so verfinsterte sich seine Stirne.
»O! Eugen, Eugen!« sagte er, »meine Liebe zu Dir hat mich verblendet: Du bist ein recht guter Oberst, aber ein schlechter General, und als Obergeneral gar nicht zu brauchen . . . Die italienische Armee auf dem Rückzuge gegen Sicilien, die ganze Nachhut durch die Schuld eines Generals geworfen! . . . Schon wieder Einer, der des Krieges überdrüssig ist! Zum Glück brauche ich die italienische Armee nicht . . . Berthier! Berthier!«
Der Chef des Generalstabes erschien.
»Mein Entschluß ist gefaßt,« sagte Napoleon; »zehn Couriere sollen sich bereit halten, meine Befehle zu überbringen; jeder Befehl soll dreifach ausgefertigt und auf drei verschiedenen Wegen an seine Bestimmung abgeschickt werden.«