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IV

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Sechs Monate nach diesen eben erzählten Begebenheiten, in den ersten Frühlingstagen 1779, fuhr eine durchaus mit Staub bedeckte Postchaise, langsam, obgleich mit kräftigen Pferden bespannt, auf dem Wege von Vannes nach Auray. Der darin sitzende, und durch die tiefen Gleise eines Feldwegs derb zusammengeschüttelte Reisende war unser alter Bekannter, der junge Graf Manuel, den wir zu Port-Louis fanden. Er kam in aller Hast von Paris auf ein Familienschloß, über welches und seine Bewohner, wir jetzt genauere und umständlichere Nachricht geben wollen. Der Graf Manuel d'Auray war aus einem der ältesten Geschlechter der Bretagne. Einer seiner Vorfahren war dem heiligen Louis in das gelobte Land gefolgt, und seitdem war der Name, dessen letzter Erbe er war, beständig bei den Siegen und bei den Niederlagen deren die Geschichte der Monarchie erwähnt, genannt worden: der Marquis d'Auray, Manuels Vater war Ludwigsritter, Commandeur von St. Michael und Großkreuz des heiligen Geistordens, und genoß, am Hofe Ludwigs XV., wo er die Stelle eines Feldmarschalls bekleidete, eine solche Stellung, wie sie seine Geburt, sein Vermögen und sein persönliches Verdienst mit sich brachte. Eine Vermählung mit Fräulein von Sablé die ihm weder von Seiten ihres Geschlechts noch Ansehns nachstand, erhöhte diese Stellung noch mehr; so daß dem Ehrgeiz des jungen Paares, eine glänzende Laufbahn eröffnet war, als sich nach 5 Ehejahren plötzlich das Gerücht verbreitete, der Marquis habe auf einer Reise auf seine Güter, den Verstand verloren. Lange wollte man es nicht glauben: aber endlich kam der Winter, und weder er, noch eine Gemalin, erschienen in Versailles. Ein Jahr ließ man seine Stelle vakant, denn der König, der immer auf seine Wiederherstellung hoffte, weigerte sich sie zu vergeben; als aber auch der zweite Winter verging und nicht einmal die Marquise, der Königin ihre Aufwartung machte, so vergaß man ihn, denn in Frankreich vergißt man schnell. Die Abwesenheit ist ein Zehrfieber, dem die größten Namen in längerer, oder kürzerer Frist unterliegen. Das Grabtuch der Gleichgültigkeit breitete sich nach und nach über die Familie, die in ihrem Schloß wie in einer Gruft eingeschlossen, keine Stimme der Bitte, oder der Klage erhob. Nur die Genealogie hatte die Geburt eines Sohnes und einer Tochter aufgezeichnet; später entsproß kein Kind mehr aus dieser Ehe; so fuhren die Aurays fort, dem Namen nach unter Frankreichs Adel zu figuriren; allein seit 20 Jahren, hatten sie sich, weder in die innern Intriguen, noch politischen Geschäfte mehr gemischt, weder für die Pompadour noch Du Barry Parthei ergriffen, und weder in den Siegen des Marschalls von Broglie, noch bei den Niederlagen des Grafen Clermont sich ausgezeichnet; sie waren weder Ton noch Echo mehr und persönlich ganz und gar vergessen worden.

Jedoch war der Name der Herren d'Auray zweimal, aber ohne Effekt am Hof genannt worden; zuerst als der junge Graf Manuel 1769 unter die Pagen Sr. Majestät Louis XV. war aufgenommen worden, und das zweite mal, als er von den Pagen, zu der Infanterie des jungen Königs Louis XVI. gekommen war. Er hatte einen Baron von Lectour, einen Seitenverwandten des Herrn von Maurepas gekannt, der ihm wohl wollte, und einen ziemlich bedeutenden Einfluß auf diesen Minister hatte. Manuel war dem alten Hofmann vorgestellt worden, der, nachdem er erfahren, daß dieser eine Schwester habe, eines Tags einige Worte über die Möglichkeit einer nähern Familienverbindung fallen ließ. Jung, ehrgeizig, gelangweilt hinter dem Schleier zu stecken, der seinen Namen bedeckte, glaubte Manuel in einer solchen Heirath ein Mittel zu sehn, die Stellung, die sein Vater bei dem verewigten Könige am Hofe besessen hatte, wieder einzunehmen, und hatte sich sehr eifrig bei dieser Eröffnung bewiesen. Herr von Lectour hatte unter dem Vorwande, die brüderlichen Bande, die ihn schon jetzt mit dem jungen Grafen vereinten, noch mehr zu befestigen, ein für Manuel um so schmeichelhafteres Zudringen bezeigt, da er seine Schwester, deren Hand er begehrte, noch nie gesehn hatte. Die Marquise ihrerseits, hatte diese Combination mit Freuden gebilligt, da ihrem Sohne dadurch der Weg in Gunst zu gelangen, eröffnet ward, so daß diese Heirath unter den beiden jungen Männern, wenigstens unter den beiden Familien abgeschlossen war und Manuel dem Bräutigame drei bis vier Tage vorauseilend, jetzt seiner Mutter zu melden kam, daß Alles nach ihren Wünschen abgeschlossen sei. Was Margarethen, die künftige Gemalin, betraf, hatte man sich damit begnügt, ihr den gefaßten Entschluß mitzuteilen, ohne ihre Einwilligung zu begehren, ohngefähr so, wie man dem Verbrecher ein Todesurtheil bekannt macht.

Es war also, gewiegt von den glänzenden Träumen einer künftigen Erhebung, und mit den kühnsten Entwürfen des Ehrgeizes im Geiste liebkosend, daß der junge Graf Manuel in das düstre Schloß seiner Ahnen zurückkehrte, dessen lehnsherrliche Thürmchen, finstre Mauern und der mit Gras bewachsene Hof, einen schneidenden Contrast mit den goldnen Hoffnungen bildeten, die er in sich trug. Das Schloß lag eine und eine halbe Lieus entfernt von jeder Behausung. Eine seiner Facaden ging auf einen Theil des Meeres, dessen stets vom Sturm gejagten Wogen, ihm den Namen des wilden Oceans gaben. Die andre auf einen ungeheuern, aber seit zwanzig Jahren sich und seiner eigensinnigen Vegetation ganz überlassenen Park, der zu einem Walde geworden war. Die Zimmer waren beständig verschlossen, mit Ausnahme der von der Familie bewohnten; und ihr, unter Louis XIV. neugewesenes Meublement, hatte durch die Sorgfalt einer zahlreichen Dienerschaft, den reichen, aristokratischen Anblick behalten, den die modernen Meublen zu verlieren anfingen, die zwar eleganter, aber weniger grandiös waren, ob sie gleich aus den Kunstgewölben Boules, des Hoftapeziers hervorgingen.

Es war in eines dieser Gemächer mit hohen Simsen ausgehauenem Kamin, und eine Frescodecke, wohin der Graf sich bei seiner Ankunft beugte ehrfurchtsvoll ein Knie auf den Boden und verbeugte sich, die dargebotene Hand küssend.

»Steht auf, Graf!« sagte sie, »ich bin beglückt, euch wieder zu sehn.«

Sie sprach diese Worte so kalt, als ob sie der Sohn erst den Tag zuvor verlassen hätte. Manuel gehorchte, führte sie in einen großen Sessel und blieb vor ihr stehn, als sie sich niederließ.

»Ich habe euern Brief erhalten, Graf!« sagte sie jetzt, »und belobe eure Geschicklichkeit. Ihr scheint mir mehr zum Diplomaten geboren, als für den Krieg, und solltet den Baron von Lectour bitten um eine Gesandtenstelle, statt eines Regiments für euch anzuhalten.«

»Lectour ist bereit, um Alles anzuhalten was wir wünschen, gnädigste Frau, und was noch mehr ist, er wird auch Alles erhalten, so groß ist ein Einfluß auf Herrn von Maurepas, und so verliebt ist er in meine Schwester!«

»Verliebt in eine Dame die er nie gesehen, hat?«

»Lectour ist ein gefühlvoller Edelmann, und das Bild, das ich ihm von Margaris entworfen habe, vielleicht auch die Nachrichten, die er von unserem Vermögen eingezogen hat, haben ihm das lebhafteste Verlangen eingeflößt, ihr Sohn zu werden und mich Bruder zu nennen. Auch hat er darauf gedrungen, daß alle vorläufigen Ceremonien während seiner Abwesenheit geschehen möchten. Sie haben die öffentliche Proklamation des Aufgebots befohlen?«

»Ja!«

»So können wir übermorgen den Contract unterschreiben?«

»Mit Gottes Hilfe wird Alles bereit sein.«

»Tausend Dank, gnädige Frau!«

»Sag mir aber,« fuhr die Marquise fort, sich auf den Sessel lehnend, und sich zu ihm hinneigend, »hat er dir keine Fragen gethan, wegen dem jungen Menschen, dessen Deportation er durch die Ordre des Ministers bewirkt hat?«

»Ganz und gar nicht. Diese Dienste gehören zu denen, die man ohne Erklärung verlangt und mit Vertrauen gewährt, und man ist unter Leuten die savoir vivre besitzen, im voraus, einverstanden, sie zu vergessen, sobald sie geleistet sind.«

»Also – weiß er nichts? . .

»Nein! wüßte er's aber auch?«

»Nun?«

»Nun, gnädige Frau, so hielt ich ihn für philosophisch genug, daß diese Entdeckung auf seinen Entschluß keinen Einfluß hätte.«

»Das dachte ich mir, er ist ruiniert,« antwortete die Marquise mit dem Ausdruck unbeschreiblicher Verachtung, als spräche sie mit sich selbst.

»Und wenn auch, gnädige Frau!« antwortete Manuel mit Unruhe, »so hoffe ich, ihr Entschluß würde derselbe bleiben.«

»Sind wir denn nicht reich genug, ihm wieder Vermögen zu verschaffen, wenn er uns zu einer Stellung verhilft?«

»So wäre es blos meine Schwester . .

»Zweifelst du, daß sie gehorcht, wenn ich gebiete?«

»Glauben sie denn, daß sie Lusignan vergessen hat?«

»Seit sechs Monaten hat sie wenigstens nicht gewagt, sich seiner vor mir zu erinnern!«

»Erwägen sie, meine Mutter!« fuhr Manuel fort, »daß diese Heirath das einzige Mittel ist, unserer Familie wieder aufzuhelfen; denn ich darf ihnen nichts verbergen; mein Vater, der seit fünfzehn Jahren krank und eben so lange vom Hofe entfernt ist, war von dem alten Könige vor seinem Tode, von dem jungen Könige als er auf den Thron kam, durchaus vergessen worden. Ihre tugendhafte Sorgfalt für den Marquis, hat ihnen nicht erlaubt, ihn einen Augenblick zu verlassen, seitdem er die Vernunft verloren hat; ihre Tugenden, gnädige Frau, sind solche, die nur Gott sieht und belohnen kann, aber die Welt übersieht, und während sie in diesem alten, im Grunde der Bretagne verlorenen Schlosse ihre heilige, trostreiche Bestimmung erfüllen, die ihre Strenge, eine Pflicht nennt, verschwanden die alten Freunde, starben oder vergaßen, so daß – es ist hart es sagen zu müssen, wenn man wie wir 600 Jahre des Ruhmes zählt! – als ich wieder am Hofe erschien, kaum mein Name, der Name des Geschlechts d'Auray, den Majestäten anders bekannt war, als eine historische Erinnerung!«

»Ja – ja, die Könige haben ein kurzes Gedächtniß, ich weiß es!« murmelte die Marquise; aber, als bereue sie diese Lästerung, fuhr sie fort: »ich hoffe, daß Gottes Segen sich über die Majestäten und über Frankreich verbreite!«

»Ei , wer sollte ihr Glück antasten?« versetzte Manuel mit jener vollkommnen Zuversicht auf die Zukunft, die zu dieser Zeit ein entscheidender Charakterzug der thörichten und sorglosen Jugend des Adels war. »Louis XVI. ist jung und gut; Marie Antoinette jung und schön: beide sind von einem braven loyalen Volke geliebt. Gott feige priesen, das Geschick hat sie so gestellt, daß sie kein Unfall erreichen kann!«

»Mein Sohn,« versetzte die Marquise, den Kopf schüttelnd, »glaube mir, Niemand ist so gestellt, daß ihm Irrthum und menschliche Schwäche nicht erreichen könnte. Kein Herz ist weder so seiner selbst Herr, als es glaubt, noch, so standhaft es auch immer sei, vor Leidenschaften geschützt; und kein Haupt, wär es auch ein gekröntes, kann dafür stehen, nicht grau zu werden über Nacht. Das Volk ist brav und loyal, sagst du?« – sie stand auf, ging langsam auf das Fenster zu und streckte mit feierlicher Geberde die Hand aus. »Siehst du dieses Meer? es ist ruhig und still, und doch kann es vielleicht morgen, diese Nacht, in einer Stunde vielleicht vom Hauche des Sturmes bewegt, das Hilfsgeschrei der Unglücklichen zu hören geben, die es verschlingt. So entfernt, als ich auch von der Welt lebe, haben doch sonderbare Gerüchte mein Ohr erreicht, als ob unsichtbare, prophetische Geister sie brächten! Ist nicht eine philosophische Sekte vorhanden, die einige berühmte Männer zu ihren Irrthümern fortgerissen hat? Spricht man nicht von einem ganzen Welttheile, der sich von dem Mutterlande los machte, dessen Kinder ihren Vater nicht mehr anerkennen? Giebt es nicht ein Volk, das sich den Titel Nation giebt? Habe ich nicht sagen hören, daß gemeine Leute über den Ocean gezogen sind, um den Empörern die Schwerter anzubieten, die ihre Vorfahren nur bei dem Aufrufe ihrer legitimen Monarchen gezogen hatten; und hat man mir nicht auch erzählt – oder ists ein Traum meiner Einsamkeit? daß der König Louis XVI. und Marie Antoinette selbst vergessen haben, daß die Monarchen ein Brudergeschlecht sind, diese bewaffneten Umtriebe autorisiert, und Gott weiß, welchen Piraten Freibriefe gegeben haben?« —

Der Schiffs-Capitain

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