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III
ОглавлениеEs versteht sich von selber, daß ich mein Zimmer auf der anderen Seite des Vierecks wählte.
Ich nahm ein Bad und legte mich nieder.
Als ich erwachte, erkundigte ich mich nach meiner Reisegefährtin. Sie war schon ausgegangen und hatte ihre fünfzehn bis zwanzig Colli besorgt, die mit dem Frachtzuge abgehen sollten, während sie ihre Kunstreise machte, um Madame Schröder aufzusuchen.
Wie alle Künstler und Künstlerinnen, welche die Gewohnheit der raschen Ortsbewegung haben, hatte meine Reisegefährtin das Bewundernswürdige, daß sie ebenso wenig in Verlegenheit war, wie ein Mann, daß sie ihre Koffer packte und zuschnürte, daß sie ihre Reisesäcke füllte und schloß, und daß sie immer fünf Minuten vor der Stunde bereit war, was man sich nicht die Mühe geben darf, von einer Weltdame zu verlangen.
Während ich mich nach ihr erkundigte, kehrte sie zurück.
»Ah! meiner Treu!« sagte ich zu ihr, »ich glaubte Sie schon ausgeflogen.«
»Ich war es in der That.«
»Ja, aber auf immer.«
»Ich bin von der Natur der Schwalben, ich kehre zu dem Neste zurück.«
»Was haben Sie gethan?«
»Ich habe alle meine Koffer abgeschickt und habe die Scheine dafür in Empfang genommen, so daß ich weiter nichts habe als das Kleid, welches ich anhabe, ein anderes in meinem Reisesack und sechs Hemden. Ein Student, das sehen Sie wohl, würde es nicht besser machen können.«
»Und wann reisen Sie ab?«
»Wann Sie wollen.«
»Sie wollen indessen doch Brüssel sehen?«
»Was ist in Brüssel zu sehen?«
»Der Rathhausplatz und der St. Hubertusgang.«
»Und dann?«
»Dann die grüne Allee.«
»Und dann?«
»Das ist Alles.«
»Nun, führen Sie mich in irgend ein Gasthaus; ich gebe Ihnen dort ein Frühstück.«
»Sie?«
»Ja. Meine Colli kosten weniger Fracht, als ich glaubte: ich bin reich. Was ißt man hier?«
»Austern von Ostende, geräuchertes Rindfleisch, Krebse.«
»Und was trinkt man?«
»Faro und Lambick.«
»Nun so lassen Sie uns Faro und Lambick trinken und Krebse, geräuchertes Rindfleisch und Austern von Ostende essen.«
»Kommen Sie.«
Wir machten uns auf den Weg.
Ich schwöre Euch zu, wenn meine Begleiterin Pantalons und einen Oberrock getragen hätte, anstatt eines Kleides und eines Burnus, hätte ich mich von meiner Illusion täuschen lassen und mir vorgestellt, ich sei der Mentor eines schönen jungen Mannes, anstatt der Cavalier einer bezaubernden Frau zu sein.
Wir frühstückten, wir besuchten den St. Hubertusgang, den Rathhausplatz, wir machten einen Umweg zu der grünen Allee und kehrten in das Hotel zurück.
»Da haben wir Alles gesehen, was in Brüssel zu sehen ist?« fragte mich meine Reisegefährtin.
»Alles, mit Ausnahme des Museums.«
»Was giebt's im Museum?'
»Vier oder fünf prächtige Rubens und zwei oder drei bewundernswürdige Vandyk.«
»Warum sagten Sie mir das nicht sogleich?«
»Ich hatte es vergessen.«
»Schöner Cicerone! Lassen Sie uns das Museum sehen!«
Wir gingen, das Museum zu besuchen; die große Künstlerin, welche mit Shakspeare wie mit Schiller, mit Victor Hugo wie mit Shakspeare, mit Calderon wie mit Victor Hugo vertraut war, kannte Rubens und Vandyk wie Calderon und sprach von der Malerei wie sie von dem Theater sprach.
Wir blieben zwei gute Stunden im Museum.
»Nun,« sagte sie hinausgehend zu mir, »was bleibt mir in der Hauptstadt Belgiens zu sehen übrig?«
»Madame Pleyel, wenn Sie wollen.«
»Madame Pleyel! Madame Pleyel, die große Künstlerin? die, von welcher Lißt mir so viel gesagt hat?«
»Dieselbe.«
»Sie kennen sie?«
»Sehr gut.«
»Und Sie können mich ihr vorstellen?«
»In einer halben Stunde.«
»Einen Wagen.«
Und meine ungarische Enthusiastin gab einem Kutscher ein Zeichen, welcher herbeieilte, und als er mich erkannte, seinen Wagenschlag mit Eifer öffnete.
Zu einer besonderen Verwunderung gereichte meiner Reisegefährtin diese Bekanntschaft, welche nicht nur macht, daß auf den Straßen von Paris von zehn Personen, die mir begegnen, fünf mich mit dem Kopfe oder mit der Hand begrüßen, sondern mich auch in die Provinz begleitet, die Grenze mit mir überschreitet und mir ins Ausland folgt. Nun waren wir in Brüssel angekommen, und in Brüssel waren es, die Kutscher mit inbegriffen, nicht mehr fünf, sondern acht Personen von zehn, die mich kannten.
Wir stiegen in einen Wagen; Madame Pleyel wohnte sehr weit entfernt in der Tiefe der Vorstadt Searbeck, so viel ich mich erinnern konnte, so daß meine schöne Begleiterin Zeit genug hatte, mich über die große Künstlerin zu befragen, die wir besuchen wollten, und ich, auf ihre Fragen zu antworten.
Ich kannte Madame Pleyel seit etwa fünfundzwanzig Jahren. Eines Tages meldete man sie mir an, als sie noch keinen anderen Nimbus hatte, als die commmerzielle Berühmtheit ihres Mannes. Ich kannte sie nicht persönlich; ich sah bei mir eine junge magere braune Frau mit weißen Zähnen, schwarzen, prächtigen Augen und einer unglaublichen Beweglichkeit der Physiognomie eintreten.
Beim ersten Anblick begriff ich, daß ich eine Künstlerin vor mir habe.
Und in der That, noch in der Unbestimmtheit treibend, ein enthusiastisches Herz in sich schlagen fühlend, wußte sie noch nicht, zu welcher Kunst sie hingezogen wurde; und kam, mich um Rath zu fragen, was sie thun solle.
Zu dieser Zeit glaubte sie im Theater ihre Bestimmung zu finden.
Ich war im Begriff, Kean zu schreiben. Ich ging zu meinem Tische, ich nahm mein Manuscript, ich öffnete es bei der Scene zwischen Kean und Anna Damby und las es ihr vor; die Situation war eine ähnliche.
Ueberdies war Madame Pleyel nicht frei: sie hatte einen Mann; um aufs Theater zu gehen, mußte sie mit gesellschaftlichen Verhältnissen brechen, deren Zerreißung immer schmerzlich ist.
Ich hatte das Glück, sie wenigstens augenblicklich zu überzeugen, daß alle Bühnentriumphe nicht so viel Werth sind wie die ruhige Monotonie des ehelichen Lebens.
»Sie spann Wolle und blieb zu Hause,« schrieben die alten Römer auf das Grab ihrer Matronen.
Ich selber, damals ein Mann von zwei und dreißig Jahren, war ganz erstaunt, einer Frau von zwanzig gegen über so vernünftig gewesen zu sein.
Ich hatte seit einem oder zwei Jahren nicht mehr von ihr reden hören. Plötzlich erfuhr ich, daß ihr ein Unglück begegnet sei. Ich habe vergessen von welcher schändlichen Schlinge sie das Opfer gewesen – sie war genöthigt, sich zu verbannen.
Sie dachte nicht an mich in ihrem Unglück, so groß, daß sie an nichts dachte, als Frankreich zu verlassen.
Sie reiste mit ihrer Mutter ab.
Alle Beide waren in Hamburg nahe daran, vor Hunger zu sterben, als sie eines Tages beim Vorübergehen vor einem Laden von musikalischen Instrumenten eine große Lust bekam, einzutreten, als ob sie ein Piano kaufen wolle, um ihr Herz mit ein wenig Harmonie zu erfrischen.
Sie war damals noch nicht die bewundernswürdige Künstlerin, die sie gegenwärtig ist; aber indessen hatte das Unglück bei ihr die Flamme des Genies belebt. Sie setzte sich vor das Instrument, ließ ihre Finger auf die Klaviatur fallen, und gleich die ersten Accorde, die sie hervorbrachte, glichen einem herzzerreißenden Geschrei.
Der Kaufmann, der sie nicht kannte, und nur die kaufmännische Höflichkeit für eine gewöhnliche Käuferin gezeigt hatte, näherte sich ihr und hörte zu.
Sie spielte keine bekannte Arie: sie improvisirte; aber in dieser Improvisation lag Alles, was sie seit drei Monaten gelitten; Liebestäuschung, Schmerzen, vereitelte Hoffnungen, Thränen, Verbannung. Da war selbst das entsetzliche Geschrei eines Geiers, der über ihr schwebte, und welchen man dm Hunger nennt.
»Wer sind Sie, und was kann ich für Sie thun?« fragte sie der Kaufmann, als sie geendet.
Sie brach in Thränen aus und erzählte ihm Alles.
Da machte ihr der vortreffliche Mann begreiflich, welch' ein strenger aber erhabener Lehrer der Schmerz sei; er zeigte ihr die geheimnißvolle Stimme, vermöge welcher die Vorsehung sie zum Glück, zur Berühmtheit, vielleicht zum Ruhme treibe; sie zweifelte an sich selber, er, beruhigte sie, ließ sein bestes Piano zu ihr bringen und redete ihr zu, ein Concert zu geben.
Ein Concert! ein Concert, zu geben sie, welche noch am Tage zuvor mit ihrem Genie unbekannt war.
»Der Kaufmann bestand darauf, übernahm alle Kosten, kurz, er stand für Alles.
Die arme Marie entschloß sich dazu.
Sie hieß Marie, wie die Malibran, wie die Dorval.
Ich bin der vertraute Freund dieser berühmten und unglücklichen Frauen gewesen.
Ich habe Unrecht, das Beiwort unglücklich ist nur auf die beiden Anderen, auf die Sängerin und die Schauspielerin anwendbar; das Beiwort glücklich muß man dagegen mit dem Namen Marie Pleyel in Verbindung setzen.
»Sie war glücklich, denn ihr Concert fand Beifall, und sie sah die Zukunft des Erfolges vor sich, die ihr bevorstand.
Zehn Jahre lang ertönten Petersburg, Wien, Dresden von ihren Erfolgen. Sie kehrte in ihr Vaterland Belgien zurück, und gegen alles Herkommen ließ man ihr Gerechtigkeit widerfahren.
Man ernannte sie zum Professor am Conservatorium.
Da kehrte sie nach Paris zurück, wohin ihr der Ruf vorangegangen war: sie gab Concerte und machte Fourore.
Ich sah sie wieder.
Dann ging ich nach dem zweiten December nach Belgien, und zum dritten Mal fand ich sie wieder.
Als wir an ihrer Thür klingelten, kannte Madame Bulyowsky sie ebenso gut wie ich.
Ihre Kammerfrau stieß ein Freudengeschrei aus, als sie mich erkannte!
»O! wie erfreut wird Madame sein!« rief sie.
Und ohne daran zu denken, die Thür hinter uns zu schließen, eilte sie in den Salon, indem sie meinen Namen ausrief.
»Nun,« fragte ich meine Reisegefährtin, »zweifeln Sie noch, daß wir gut empfangen werden?«
Sie hatte keine Zeit zu antworten, als Marie Pleyel uns majestätisch wie eine Königin, graziös wie eine Künstlerin entgegenkam.
»Umarmen Sie sich vorher einander,« sagte ich zu den beiden Frauen, »Sie werden hernach Bekanntschaft machen.«
Meine Reisegefährtin umschlang Marie Pleyel's Hals mit ihren beiden Armen, und einen Augenblick brachte ich damit zu, diese beiden Wesen von so verschiedenem Anblick und so wahrhaft schön? jede von einer der anderen entgegengesetzten Schönheit zu bewundern.
Madame Bulyowsky, schlank, biegsam, blond? und? rosig, voll Innigkeit, wie die deutschen und die ungarischen Frauen.
Madame Pleyel, groß, mit wunderbar ausdrucksvollen Formen, braun, ruhig, fast strenge.
Ein Bildhauer, der diese Gruppe hätte wiedergeben, diese beiden so entgegengesetzten Naturen hätte darstellen können, würde einen glänzenden Erfolg gehabt haben.
Nachdem sie einander umarmt hatten, nahm ich eine unter jeden Arm. Ich trat mit ihnen in den Salon, ließ sie sich niedersetzen, die eine zu meiner Rechten, die andere zu meiner Linken, und setzte mich zu ihnen nieder.
Dann erklärte ich der Madame Pleyel unseren Besuch.
»Sie haben also Lust, mich zu hören?« sagte Madame Pleyel zu der Fremden.
»Ich sterbe vor Verlangen!«
»O Himmel! es ist sehr leicht! Sie kommen mit einem Manne, der das Vorrecht hat, mich Alles thun zu lassen, was er will.«
Ich fiel ihr um den Hals; ich hatte sie noch nicht umarmt.
»Was wollen Sie, daß ich Ihrer Tragödin spiele?« fragte sie mich ganz leise.
»Irgend Etwas in dem Genre von dem, was Sie bei Ihrem Instrumentenhändler in Hamburg gespielt.«
Sie lächelte mit jenem traurigen und bezaubernden Lächeln, welches an die vergangenen Leiden erinnert, und warf ein brillantes Vorspiel in die Lüfte.
»Ah! Marie, Marie.« sagte ich zu ihr, »Sie sind glücklich. Wir. verlangen kein Glück von Ihnen.«
»Und wenn mein Herz brechen will, wie das der Antonia?«
»Nun, so werde ich meine Hand darauf legen, und verhindern, daß es bricht.«
Sie sah mich an, zuckte leicht die Achseln und sagte zu mir:
»Geck!«
Und sie begann.
Ich will nicht versuchen, Euch zu sagen, was die große Künstlerin uns vorspielte; nie haben unter irgend einer Hand Elfenbein und Holz solche Accorde hervorgebracht; ohne Unterbrechung folgten einander eine Stunde lang die ergreifendsten Empfindungen, die berauschendsten Schmerzen; das Instrument selbst schien zu leiden, zu klagen, zu seufzen.
Endlich, nach Verlauf einer Stunde stand sie mit einem Schrei aus.
»Sie haben kein Mitleiden mit mir,« sagte sie zu mir, »sehen Sie nicht, daß Sie mich tödten?«
Ich sah Madame Bulyowsky an. Sie war blaß, bebend, fast ohnmächtig.
Zuhörerin und Spielerin waren einander würdig.
Die beiden Frauen umarmten einander von Neuem; ich zog Madame Bulyowsky fort; ich fürchtete mehr für diese schwache und nervöse Natur, als für die kräftige und mächtige Natur der Marie Pleyel.
»Nun,« fragte ich sie, als ich auf der Straße war, »wollen Sie noch Etwas in Brüssel sehen?«
»Und was sollte ich sehen, nachdem ich diese bewundernswürdige Frau gesehen und gehört habe?« fragte sie mich.
»Was wollen wir denn thun?«
»Ich reise nach Spaa ab – und Sie?«
»Wahrhaftig, ich. ich folge Ihnen.«
Eine Viertelstunde später waren wir auf dem Bahnhofe und reisten nach der Stadt der Mineralwasser und, der Spiele ab, welche ich, während meines dreijährigen Aufenthalts in Belgien nicht die Neugierde gehabt hatte zu besuchen.