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IV

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Einmal auf der Eisenbahn, athmete meine Begleiterin wieder auf.

»Welche bewundernswürdige Künstlerin,« sagte sie zu mir.

»Sie sind ebenso groß wie sie, liebe Lilla, da Sie sie verstehen.«

»Indessen bin ich auf acht Tage krank.«

»Bah! wie denn das?«

»Ich habe keinen Nerv im ganzen Körper, der nicht zerrissen ist.«

Sie stieß einen Seufzer aus.

»Wollen Sie, daß ich versuche, Sie zu beruhigen?« fragte ich sie.

»Wie denn das?«

»Indem ich Sie magnetisire. Wir sind allein in dem Waggon, und Sie haben Vertrauen genug zu mir, um sich einen Augenblick einschläfern zu lassen? Sie werden, wenn nicht geheilt erwachen, doch aber Erleichterung empfinden.«

»Recht gern, versuchen Sie es; aber ich sage Ihnen vorher, daß es den Magnetiseurs noch immer mißlungen ist, wenn sie mich einschläfern wollten.«

»Weil Sie sich widersetzt haben. Haben Sie den Willen, mir unterwürfig zu sein, und Sie werden sehen, wenn ich Sie nicht vollständig in Schlaf bringe, daß ich Sie doch wenigstens schläfrig machen werde.«

»Ich werde nicht widerstreben, das verspreche ich Ihnen.«

»Was empfinden Sie?«?


»Eine heftige Hitze im Kopfe.«

»Man muß also den Kopf zuerst beruhigen.«

»Und wie wollen Sie das anfangen?«

»O! fragen Sie nicht darnach, ich habe den Magnetismus nicht als Wissenschaft studiert, ich habe ihn als Instinct gefühlt. Ich habe es gethan, um mir selber über seine Macht und seine Wirkungen Rechenschaft abzulegen, in dem Augenblicke, als ich Balsamo schrieb, und seitdem, wenn man mich gebeten hat es zu thun, aber nie zu meinem Vergnügen; die Sache strengt mich zu sehr an.«

»Das beweist wenigstens, daß Sie redlich sind; so ist der Magnetismus also für Sie Etwas, was über das Materielle hinausgeht?«

»Verständigen wir uns; nach meiner Meinung hängt ein Theil der Macht des Magnetismus mit der physischen und folglich mit der materiellen Welt zusammen. Diesen Theil will ich Ihnen als Philosoph zu erklären versuchen. Als die Natur den Mann und das Weib schuf, hatte sie, so vorausblickend sie auch ist, nicht die geringste Idee von den Gesetzen, welche die menschlichen Gesellschaften regieren würden; ehe sie daran dachte, den Mann und das Weib zu erschaffen, wollte sie, wie bei den anderen lebenden Wesen nur ein Männchen und ein Weibchen erschaffen. Das große Geschäft dieser großen Isis mit hundert Brüsten, der griechischen Cybele, der guten römischen Göttin war die Fortpflanzung der Gattungen. Daher der ewige Kampf der fleischlichen Triebe mit den socialen Gesetzen, daher endlich die Herrschaft des Mannes über das Weib und der Zug des Weibes zu dem Manne. Eins von den tausend Mitteln nun, welche die Natur anwendet, um zu ihrem Zwecke zu gelangen, ist der Magnetismus. Die physischen Ausströmungen sind ebenso viel Kräfte, welche das Schwache zu dem Starken hinziehen, und es ist so wahr, daß ich glaube, der Magnetiseur gewinnt einen unwiderstehlichen Einfluß über den Gegenstand, den er magnetisirt, nicht nur, wenn dieser Gegenstand eingeschlafen, sondern auch, wenn er wach ist.«

»Und Sie gestehen mir das?«

»Warum sollte ich Ihnen das nicht gestehen?«

»In dem Augenblicke, wo Sie den Vorschlag machen, mich einzuschläfern!«

»Halten Sie mich für einen redlichen Mann oder nicht?«

»Ich halte Sie für einen redlichen Mann, und der Beweis liegt in der Art, wie ich gegen Sie handle, denn wer würde Sie verhindern zu sagen, daß ich Ihre Geliebte gewesen?«

»Und was sollte mir diese Lüge nützen?«

»Nun, ich weiß nicht, was es den Männern von gutem Glück nützt.«

»Ei, liebe Lilla, haben Sie mir je die Beleidigung angethan zu glauben, daß ich die Anmaßung habe, ein Mann von gutem Glück zu sein, oder dafür zu gelten?«

»Man hatte mir dort drüben gesagt, daß Sie der eitelste Mann in Frankreich wären.«

»Es ist möglich, aber meine Eitelkeit hat nie, so jung ich auch gewesen sein mag, das gute Glück, wie Sie es nennen, zum Gegenstande gehabt. In einem gewissen Grade des Reichthums oder der Berühmtheit hat man nicht Zeit zu suchen und nicht nöthig zu lügen. Ich habe die hübschesten Frauen von Paris, Florenz, Rom, Neapel, Madrid und London, oft nicht nur die hübschesten Frauen, sondern die größten Damen, am Arme gehabt, und ich habe nie ein Wort gesagt, welches diejenige, welche ich am Arme hatte, zu dem Glauben bringen konnte, mochte sie nun Grisette, Schauspielerin, Prinzessin oder Königin sein, daß ich für diese Frau etwas Anderes empfinde, als den Refseet oder die Erkenntlichkeit, die ich immer für die Dame empfunden habe, die sich unter meinen Schutz stellte, wenn sie schwach war, die mich unter ihren Schutz nahm, wenn sie mächtig war.«

Lilla sah mich an und murmelte zwischen ihren Lippen.

»Wie wunderlich es mit dem Rufe ist, den man den Menschen beilegt!«

Dann fügte sie sogleich ohne Uebergang hinzu:

»Mein Kopf brennt; schläfern Sie mich ein.«

Ich stand auf, nahm ihr den Hut ab, blies ihr auf den Kopf und fuhr nach jedem Athemzuge mit der Hand über ihr Haar, bis sie mir sagte:

»Ah! ich fühle mich besser, mein Kopf wird freier.«

Dann setzte ich mich vor sie und legte ihr einfach die Hand auf den oberen Theil der Stirn, indem ich halblaut, aber gebieterisch zu ihr sagte:

»Jetzt schlafen Sie!«

Zehn Minuten später lag sie in einem so ruhigen Schlummer, wie ein Kind.

Seltsam! weder meine Begleiterin, noch ich waren je in Spaa gewesen; weder sie, noch ich kannten den Namen der Stationen; als wir von der letzten abfuhren, begann sie unruhig zu werden und sich zu bewegen, und stotterte einige unverständliche Worte hervor.

Ich berührte ihr die Lippen mit der Fingerspitze und sagte zu ihr:

»Reden Sie!«

Dann sagte sie ohne alle Anstrengung:

»Wir kommen an; erwecken Sie mich.«

Ich erweckte sie, und in der That kündigte fünf Minuten später das Pfeifen der Locomotive an, daß wir auf der Station ankamen.

Sie fühlte sich viel besser.

Wir stiegen im Hotel de l'Orange, dem besten in der Stadt, ab; und da man noch die Badesaison nicht beendet hatte, war es fast ganz voll.

Es waren mir noch zwei Zimmer übrig, die mit einander in Verbindung standen; nur stand vor der Verbindungsthür auf jeder Seite ein Bett. Auf der einen Seite war vermöge des Schlosses und auf der anderen vermöge des Riegels für die Sicherheit des Reifenden gesorgt.

Es versteht sich von selber, daß sich die Thür nach der Seite öffnete, wo das Schloß sich befand.

Ich zeigte meiner Reisegefährtin die Topographie des Gasthauses. Ich ließ die Herrin des Hauses heraufkommen, damit sie ihr selber die Versicherung gebe, daß kein Fallstrick mit dieser Nähe in Verbindung stehe, und ließ ihr die Wahl zwischen den beiden Zimmern.

Sie wählte die Seite des Riegels, indem sie mich nur bat, mein Bett an die Wand zu stellen, anstatt es an der Thür zu lassen, was ich auch eiligst that.

Es war um zehn Uhr Abends, meine Reisegefährtin trank eine Tasse Milch und legte sich zu Bette. Ihr Kopf war ruhig und frei, aber sie empfand einige Magenschmerzen.

Ich speiste solider zu Abend, nahm einen Band von Michelet aus meinem Reisesack, legte mich nieder und begann zu lesen.

Nachdem ich eine Stunde gelesen, und in dem Augenblick, als ich eben mein Licht gelöscht hatte, hörte ich leise an die Verbindungsthür klopfen.

Ich glaubte mich geirrt zu haben; aber auf die Aufforderung folgten die beiden mit leiser Stimme ausgesprochenen Worte:

»Schlafen Sie?«

»Noch nicht; aber es scheint, als ob Sie auch nicht schlafen.«

»Ich habe Schmerzen.«

In der That war die Stimme verändert.

»Was fehlt Ihnen?«

»Ich habe furchtbare Magenkrämpfe.«

»Mein Himmel!«

»Beunruhigen Sie sich deshalb nicht, das begegnet mir zuweilen; es ist schmerzlich, hat aber nichts Beunruhigendes.«

»Wollen Sie, daß ich rufe?«


»Nein, der Aether selbst nützt dabei nicht.«


»Und ich, vermag ich mehr, als der Aether?«


»Vielleicht.«

»Wie denn?«

»Versuchen Sie, mich einzuschläfern.«


»Durch die Thür?«


»Ja.«

»Ich Zweifle, daß es mir gelingen wird, ich will es versuchen.«

Ich versuchte, meinen Willen in jenes Zimmer eintreten zu lassen, aus welchem mich die Schamhaftigkeit der Kranken ausschloß; aber ich erlangte nur einen halben Erfolg.

»Nun?« fragte ich sie.

»Ich fühle, daß ich betäubt werde; aber bei dieser Betäubung leide ich fortwährend.«

»Ich müßte Ihre Brust berühren können, wie ich Ihren Kopf berührt habe; dann würde der Schmerz aufhören.«

»Glauben Sie es?«

»Ich glaube es.«

»Nun, wenn, Sie die Thür öffnen wollen, den Riegel habe ich eben aufgezogen.«

Ich zog ein Pantalon an, und von dem Lichte ihrer Wachskerze geleitet, welches durch die Spalten der Thür drang, ging ich zu dem Schlüssel, den ich umdrehte, und als ich oben und unten die Riegel geöffnet hatte, gingen die beiden Flügelthüren auf.

Mein erster Blick war prüfend; spielte meine Nachbarin eine Komödie, oder litt sie wirklich Schmerzen?

Sie war blaß; ihr Mund war in den Winkeln verzogen und die Gesichtsmuskeln wurden von leichten Kampf»haften Zuckungen bewegt.

Ich faßte ihre Hand, sie war kalt, feucht und zitternd; sie litt wirklich.

»Finden Sie es nicht sehr seltsam, daß ich, anstatt einem Mädchen des Gasthauses zu klingeln und irgend ein beruhigendes Mittel zu verlangen, Sie rufe und Sie verhindere zu schlafen?«

»Durchaus nicht, im Gegentheil finde ich es sehr einfach, sehr natürlich.«

»Ich will Ihnen Eins gestehen.«

»Bah! sollten Sie mich vielleicht lieben?«

»Sie wissen wohl, daß ich Sie liebe, und zwar sehr, aber das ist es nicht. Warten Sie, ich leide.«

Und das Gesicht der Kranken nahm in der That einen Ausdruck des Schmerzes an, den man nicht verkennen konnte.

Ich legte meinen Arm unter ihren Kopf und hob ihn auf, sie erstarrte, ein Schauder überlief ihren ganzen Körper, sie kehrte zur Unbeweglichkeit zurück.

»Es ist vorüber,« sagte sie.

»Sie wollten mir Etwas sagen, mir ein Geständniß ablegen.«

»Ja, ich wollte Ihnen gestehen, daß mein Schlummer im Waggon nicht nur eine Ruhe, sondern auch ein liebliches Gefühl hatte, wie ich es nie empfunden. Schläfern Sie mich also ein, ich bitte Sie, und ich bin gewiß, daß meine Schmerzen aufhören werden.«

Ein Liebesabenteuer

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