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1-stes bis 5-tes Bändchen
Der Reisende

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Dieser Mann kam von Neapel oder schien daher zu kommen.

Bei Tagesanbruch hatte man ihn aus Genzano weggehen sehen. Hatte er in diesem Dorfe geschlafen? War er die ganze Nacht marschirt und hatte er die Pontinischen Sümpfe während der finstern Stunden durchwandert, wo das Fieber und die Banditen in der ungeheuren Wüste wachen?

Niemand wußte es.

Er folgte der Straße, welche von Genzano nach der Riccia führt; allmälig bevölkerte sich diese Straße mit Bauern und Bäuerinnen, die denselben Weg machten, wie er; denn er schien auch nach Rom zu gehen und in derselben Absicht, wie sie, – in der Absicht, den großen Segen zu empfangen.

Doch gegen die Gewohnheit der Pilger, welche diese Fahrt vollbringen, sprach er mit Niemand, und Niemand sprach mit ihm; er ging mit mehr raschem, als langsamem Schritte, mit jenem gleichmäßigen Schritte, der den Reisenden, die einen weiten Weg zu machen haben, eigenthümlich ist, und dessen Regelmäßigkeit den Menschen bezeichnet, welcher durch oft wiederholte Wanderungen eine vollkommene Gewohnheit des Marschirens angenommen hat.

Bei der Riccia machten die meisten Bauern einen Halt; die Einen begrüßten mit einem freundlichen guten Morgen ihre Freunde oder auch ihre einfachen Bekannten, die Andern gruppierten sich vor den Thüren der Schenken, um ein Glas Wein von Vellettri oder Orvierto zu trinken.

Er grüßte Niemand, nahm nichts zu sich und zog seines Weges.

Er kam nach Albano, wo beinahe alle Reisende anhalten, so große Eile sie auch haben mögen. Es gab zu jener Zeit viele eines Besuches würdige Ruinen in dieser Pathe von Alba Longa, die ihren Ursprung mitten in der Villa von Pompejus genommen hat und mit ihren achthundert Häusern und dreitausend Einwohnern nicht einmal die umfangreichen Gebäude ausfüllt, die der Kaiser Domitian der Villa des Siegers von Silarus, des Besiegten von Pharsalos hat beifügen lassen.

Er hielt nicht an.

Rechts hatte er, von Albano weggehend, das Grab von Ascan, dem Sohne von Aeneas, dem Gründer von Alba, gefunden, das ungefähr eine Meile vom Grabe von Telegonos, dem Sohne von Ulysses, dem Gründer von Tusculum, entfernt lag. In diesen beiden Städten und in diesen von zwei feindlichen Geschlechtern abstammenden Menschen hatten sich zwei Nationalitäten, die asiatische und die griechische, personificirt; unter den alten Königen von Rom, wie unter der römischen Republik, waren die beiden Städte Nebenbuhlerinnen und die beiden Einwohnerschaften feindlich gegen einander geblieben: der Zweikampf, den die Väter vor Troja begonnen, hatte sich in Rom zwischen den Kindern fortgesetzt. Die zwei Haupthäuser von Alba und von Tusculum waren das Haus Julia, aus dem Cäsar abstammte, und das Haus Porcia, aus dem Cato kam. Man kennt den furchtbaren Kampf dieser zwei Männer; nach einer Dauer von mehr als tausend Jahren endigte der Zweikampf von Troja in Utica. Cäsar, ein Nachkomme des Besiegten, rächte Hector an Cato, einem Nachkommen des Siegers.

Das waren sicherlich große Erinnerungen, welche hohe Gedanken erzeugen mußten und es wohl verdienten, daß ein Reisender einen Augenblick anhielt, und wäre es auch nur außen vor dem Grabe des Sohnes von Aeneas; doch der Reisende wußte ohne Zweifel nichts von allen diesen Dingen, oder er hielt sie für unwürdig seiner Betrachtungen, denn er ging an dem Grabe von Ascan vorüber, ohne es nur mit einem Blicke zu begrüßen.

Und merkwürdiger Weise hatte er auch mit einer eben so großen Gleichgültigkeit oder einer eben so tiefen Verachtung den Tempel des Jupiter Latialis hinter sich gelassen, in welchem der oberflächliche Reisende allerdings nur eine den andern ähnliche Ruine erblickt, während der heller sehende Historiker den von Tarquinius geschaffenen Mittelpunkt, um die latinische Clivilisation in den Schatten der römischen Civilisation zu stellen, darin erkennt.

Diejenigen, welche derselben Straße folgten, wie der stumme, unermüdliche Reisende, diejenigen, welche Anfangs geglaubt hatten, sie gehen schneller, oder wenigstens gerade so wie er, sich jedoch allmälig von ihm übertroffen sahen, betrachteten ihn auch mit einem großen Erstaunen, beinahe mit Schrecken. Man hätte glauben sollen, dieser Mann gehöre einem andern Geschlechte an, als das war, unter welches er sich durch ein unbesiegbares Verhängniß gewaltsam versetzt fand, und er habe nichts mit demselben zu schaffen. Er zog durch die menschlichen Wogen, wie die Rhone durch den Genfer See zieht, ohne ihr trübes, eiskaltes Wasser mit der lauten, durchsichtigen Welle des Leman zu vermischen.

Als er jedoch auf den Gipfel des Berges von Albano und zu der Stelle gelangt war, wo Rom, die römische Campagna und das tyrrhenische Meer sich nicht nur plötzlich den Augen des Reisenden bieten, sondern ihm sogar entgegenzukommen scheinen, blieb er einen Augenblick nachdenkend stehen, stützte seine beiden Hände auf seinen langen Lorbeerstab und umfaßte mit einem Blick das wunderbare Gemälde, das sich seinen Augen bot.

Auf seinem Gesichte trat indessen eher das Gefühl eines Menschen hervor, der wiedersieht und sich erinnert, als das eines Menschen, welcher zum ersten Male sieht und erstaunt.

Benützen wir diesen Moment, um einen Blick auf ihn zu werfen und durch die äußere Form wenigstens den geheimnißvollen Unbekannten in Verbindung mit unsern Lesern zu setzen.

Es war ein Mann von vierzig bis fünfundvierzig Jahren, von eher hohem, als mittlerem Wuchse; sein magerer, knochiger Körper schien für alle Strapazen geschaffen und für alle Gefahren bereit. Er trug als Gewand, außer einem blauen über seine Schulter geworfenen Mantel, einen grauen Leibrock, der seine starken Arme und seine Beine mit den stählernen Muskeln sehen ließ. Die Sandalen, mit denen seine Füße bekleidet waren, schienen den Staub von vielen Straßen abgeschüttelt und den Staub von vielen Generationen aufgerührt zu haben.

Er ging mit bloßem Kopfe.

Dieser durch die Sonne gebräunte und durch den Wind gepeitschte Kopf war besonders der merkwürdige Theil des unbekannten Reisenden! er bot in seiner ganzen Schönheit, in seiner ganzen Macht, in seinem ganzen Umfange den Typus der semitischen Race. Das Auge war tief, groß, ausdrucksvoll und, je nachdem die dunkle Braue sich senkte und es beschattete, oder sich hob und es erleuchtete, von Schwermuth beschleiert oder in einem düsteren Feuer glänzend; die kräftig an' die Stirne angefügte Nase verlängerte sich gerade und dünn in ihrer ursprünglichen Linie, bog sich aber an ihrem Ende wie der Schnabel der großen Raubvögel; so viel man durch die Haare eines langen, schwarzen Bartes beurtheilen konnte, war der verächtlich oder schmerzlich an den beiden Winkeln ausgezogene Mund schön nach seiner Form und reich an weißen, scharfen Zähnen; das Haupthaar, das seine ganze Länge entwickeln durfte, war schwarz wie der Bart und fiel bis aus die Schultern herab, – ähnlich dem der barbarischen Kaiser, welche Rom beherrschten, oder jener fränkischen Könige, welche Gallien mit ihren Invasionen überzogen, – und umrahmte bewunderungswürdig mit seinem Ebenholzkreise das Gesicht, durch dessen Bräunung die Haut etwas von der Festigkeit und dem Glanze des Rothkupfers behalten hatte; die Stirne war gänzlich von den Haaren bedeckt, und kaum trennte ein schwacher Zwischenraum ihr Ende vom Anfange der Augenbrauen, – ein Zwischenraum indessen, der ausdrücklich vorbehalten zu sein schien, um eine von jenen tiefen Falten erschauen zu lassen, die das Nachdenken in die Stirne derjenigen gräbt, welche lange Zeit und viel gelitten haben.

Dieser Mann hielt, wie gesagt, einen Augenblick oben aus dem Berge an, und da er gerade mitten aus der Straße stand, so trennte sich die Woge der Pilger, die ihm folgten und von ihm abwichen, in zwei Aeste, wie ein Strom, der von einem Berge herabläuft und aus der Höhe des Katarakts, den er bildet, einen unerschütterlichen Felsen findet.

Und zu dieser Stunde des Tages bei der Morgenhelle dieser jungen, heiteren Aprilsonne, war doch der Anblick des so nachdenkend und unbeweglich dastehenden Mannes bloß streng. Nur begriff man, daß bei Nacht unter einem Sturme, wenn seine langen schwarzen Haare und sein großer, blauer Mantel vom Nordostwinde gepeitscht wurden, und er trotz der Nacht, trotz des Sturmes, trotz des Nordosts, beleuchtet durch den Schein der Blitze, mit seinem raschen, regelmäßigen Schritte seine Wanderung durch das Dickicht der Wälder, über die kahlen Heiden oder am abschüssigen Gestade des Meeres hin ähnlich dem Genius der Wälder, oder dem Dämon der Steppen, oder dem Geiste des Oceans fortsetzte, – man begriff, daß dann der Anblick dieses Mannes erschrecklich sein mußte!

Und es war dieser Instinct des Schreckens, der die Bauern von dem finstern Reisenden fern hielt.

So gestellt, wie wir gesagt haben, den Rücken dem Osten, das Gesicht dem Westen zugewendet, hatte er zu seiner Rechten die große Gebirgskette, welche mit dem Soracte endigt und die ganze erste Periode der Eroberung Roms in diesem Bassin, einer Art von Circus, einschließt, wo sich nach und nach die faliskischen, äquischen, volskischen, sabinischen und hernischen Nationalitäten abgekämpft haben und unterlegen sind; zu seiner Linken das ganze turrhenische Meer bestreut mit bläulichen Inseln, Wolken ähnlich, welche aus dem Wege nach der Ewigkeit in den Tiefen des Himmels Anker geworfen hätten; auf drei Meilen vor ihm, am andern Ende der ganz von Thürmen aus dem 11., 12. und 13. Jahrhundert in gerader Linie strotzenden Via Appia, erhob sich Rom, denn die Straßen im Altlerthum ließen keine Abweichungen zu, sie gingen mit einem unbeugsamen Schritte, bauten Brücken über die Flüsse höhlten die Berge aus und füllten die Thäler.

Der Reisende verweilte so ein paar Minuten.

Dann, als er mit den Augen den unermeßlichen Horizont, der durch zweitausend Jahre der Erinnerung noch unermeßlicher geworden, durchlaufen hatte strich er langsam mit der Hand über seine Stirne, erhob zum Himmel einen Blick, in welchem das Flehen und die Drohung kämpften stieß einen tiefen Seufzer aus und zog weiter.

Nur, sobald er zu der Verbindung der zwei Straßen gelangt war, ging er, statt sich nach rechts zu wenden, wie alle Welt, statt diese Adlershorste, diese Geiernester zu vermeiden, die den Schrecken der Gegend bildeten, statt in Rom durch die Porta di San Giovanni in Laterano einzutreten, ohne daß er zu zögern schien, ohne daß er zu befürchten schien, ohne daß er nur zu vermuthen schien, es gebe für ihn irgend eine Gefahr, wenn er thue, was er that, unmittelbar auf die Torre Fiscale zu, auf deren Spitze das Banner der Orsini, dieser kriegerischen Nepoten von Papst Nicolaus III., wehte.

Da geschah es, daß der Soldat, welcher oben auf dem Thurme Schildwache stand, diesen Mann bemerkte, der sich von der Menge absonderte, um einer Straße zu folgen, welcher Niemand folgte, und der mit demselben Gange immer allein, ohne Waffen und dem Anscheine nach eben so gleichgültig gegen diejenigen, welche er hinter sich ließ, als gegen die, welche er vor sich hatte, fortschritt.

In jener Zeit der Kriege, der Plünderungen und der Mordbrennereien, welche aus der Campagna von Rom die düstere und zugleich poetische Einöde gemacht haben, die sie noch heute bietet, war jeder Soldat ein Räuber und jeder Kapitän ein Anführer von Mördern.

Man hätte glauben sollen, seit den entsetzlichen Pesten des elften und des zwölften Jahrhunderts, die der Welt ein Drittel ihrer Bevölkerung entrissen hatten, man hätte glauben sollen, seit den großen europäischen Völkerwanderungen, die, ein Seitenstück zu der arabischen Invasion bildend, zwei Millionen Menschen auf den Ebenen Syriens, am Fuße der Mauern von Konstantinopel, an den Ufern des Nils und um den See von Tunis ausgestreut hatten; man hätte glauben sollen, wiederholen wir, das Menschengeschlecht habe, befürchtend, zu zahlreich zu werden und seinen Platz nicht mehr auf der Oberfläche des Erdballs zu finden, beschlossen, gegenseitig einen unablässigen, grimmigen, tödtlichen Krieg zu führen.

Während des ganzen fünfzehnten Jahrhunderts besonders schien die christliche Welt eine Königin mit der Cypressenkrone, mit blutigem Scepter, mit einem von Thränen besäten Throne, ihren Hof mitten in einem ungeheuren Ossarium haltend und sich die Zerstörung nennend, gewählt zu haben. Italien war ihr Reich, die Welt ihr Campo-Santo; es schien damals und während dieser ganzen Schreckensperiode, das Leben des Menschen habe keinen Werth behalten, es habe aufgehört, von irgend einem Gewichte in der Waage zu sein, die Gott in die rechte Hand des Schicksals gegeben hat.

Die Prüfung, die der geheimnißvolle Reisende, ohne daß er es zu vermuthen schien und während er immer weiter ging, auszuhalten hatte, war ihm, wir müssen es gestehen, nicht günstig. Sein seltsamer Anzug, der keine Aehnlichkeit mit der Tracht jener Zeit hatte, sein durch das Alter zerfranster grauer Leibrock, der Strick, der seine Hüften umgürtete, der bloße Kopf, die nackten Arme, die nackten Beine, der Mangel an Waffen endlich, der noch mehr als das Uebrige den Menschen von geringer Herkunft bezeichnete, Alles dies machte, daß die Soldaten, im Glauben, sie sehen in ihm einen Bettler, einen Landstreicher, einen Aussätzigen vielleicht, dachten, sie dürfen ihn nicht zu nahe kommen lassen, und, sobald er im Bereiche der Stimme war, – nachdem sie an einander die von uns erwähnten Fragen gerichtet, auf die Niemand antwortete, – die Schildwache aufforderten, ihre Pflicht zu thun.

Die Schildwache, die diesen Augenblick mit eben so großer Ungeduld als ihre Kameraden erwartete, ließ sich das nicht zweimal sagen und rief:

»Wer da?«

Aber, mochte er es nun nicht hören, mochte der sorgenschwere Gedanke, der in seinem Innersten arbeitete, jedes andere Gefühl, selbst das der Gefahr, die er lief, beherrschen, der Reisende antwortete nicht.

Die Soldaten schauten sich mit einem wachsenden Erstaunen an, und nach einem Zwischenraume von ein paar Secunden schleuderte abermals die Schildwache durch den Raum den Ruf:

»Wer da?«

Der Reisende antwortete ebenso wenig auf diesen zweiten Ruf, als er aus den ersten geantwortet hatte, und verfolgte seinen Weg nach dem Thurme.

Die Soldaten schauten sich abermals an, während die Schildwache auf eine bedrohliche Weise zu lachen anfing und die Lunte ihrer Büchse anzündete. Das von dem unvorsichtigen Reisenden zum zweiten Male beobachtete Stillschweigen war in der That sein Todesurtheil, und es sollte dem Soldaten erlaubt sein, seine Geschicklichkeit an einer lebendigen Scheibe zu versuchen.

Doch, – wegen der Heiligkeit des Tages wahrscheinlich und um sein Gewissen sicher zu stellen, – schwellte der Soldat seine Lungen mit aller Luft an, die sie fassen konnten, und rief zum dritten Male:

»Wer da?«

Diesmal mußte der Reisende, um nicht zu antworten, taub oder stumm sein.

Die Soldaten hielten sich an die Hypothese, er sei taub, denn nur stumm, hätte er durch ein Zeichen mit dem Kopfe oder mit der Hand antworten können, und es fiel ihm nicht einmal ein, ein solches Zeichen zu machen.

Da es aber durchaus nicht verboten war, auf die Tauben zu schießen, während ausdrücklich das Gebot bestand, auf diejenigen zu schießen, welche nicht antworteten, so legte der Soldat, nachdem er redlich und großmüthig dem Reisenden ein paar Secunden zum Nachdenken und wohl auch dazu gegeben hatte, daß er unter dem Nachdenken näher rücke und ihm ein leichter zu treffendes Ziel biete, legte der Soldat, sagen wir, den Kolben seiner Büchse an seine Schulter, senkte den Lauf des Gewehrs in der Richtung des Reisenden, drückte, unter dem Stillschweigen und der aufmerksamen Neugierde seiner Kameraden, auf die Feder und gab Feuer.

Zum Unglück schlüpfte in dem Augenblick, wo sich die Lunte auf die Pfanne senkte, ein fremder Arm zwischen den Soldaten durch, hob den Lauf des Gewehrs auf, das hierdurch von der Linie abwich, und der Schuß ging in die Luft.

Der Soldat, da er glaubte, er habe es mit einem seiner Kameraden zu thun, drehte sich wüthend um und schickte sich an, an ihm seine verlorene Kugel zu rächen.

Doch kaum hatte er denjenigen erkannt, welcher den von uns erwähnten Act der Gewalt vollführt, als sich der schon auf seinem Gesichte verbreitete Ausdruck des Zorns unmittelbar in einen Ausdruck des Gehorsams und der Demuth verwandelte, während sich der schon begonnene Fluch in dem Ausrufe des Erstaunens: »Der gnädige Herr Napoleone!« vollendete.

Und indeß die Schildwache zwei Schritte zurückwich, traten die andern Condottieri auf die Seite, um einem jungen Manne von fünfundzwanzig bis sechsundzwanzig Jahren Platz zu machen, der auf der Plattform erschienen war und sich, ohne bemerkt zu werden, der Gruppe genähert hatte.

Dieser junge Mann, auf dessen Gesicht sich leicht der italienische Typus in seiner ganzen Feinheit, in seiner ganzen Stärke, in seiner ganzen Beweglichkeit erkennen ließ, war elegant gekleidet in ein Kriegscostume, von dem er jedoch für den Augenblick nur die leichten Stücke trug, die der Kapitän des fünfzehnten Jahrhunderts beinahe nie ablegte: nämlich das stählerne Halsstück und den Waffenrock als Vertheidigungswaffen, das Schwert und den Dolch als Angriffswaffen. Eine Art von Mütze von Sammet mit einer Brocatkrämpe und einem langen Schilde bedeckte und beschützte zugleich seinen Kopf, denn zwischen dem reichen Stoffe und dem nicht minder reichen Futter hatte der Hutmacher, oder vielmehr der Waffenschmied eine eiserne Plattmütze angebracht, die einem ersten Schwertstreiche zu widerstehen vermochte. Lange büffellederne Stiefel, die im Nothfall bis zur Hälfte des Schenkels heraufgezogen werden konnten, im Augenblick aber bis unter das Knie niedergeschlagen waren, vervollständigten dieses Costüme, welches übrigens, mit geringen Abweichungen, das von der Mehrzahl der Cavaliere und der Bandenführer jener Zeit angenommene war.

Eine lange, an seinem Halse hängende, goldene Kette, die ein Medaillon trug, worauf in zwei an einander gefügten Wappenschilden auf Emaille die Wappen des Papstes und des Papstthums glänzten, deutete an, daß dieser junge Mann eine hohe Stelle beim obersten Kirchenfürsten einnahm; es war in der That Napoleone Orsini, Sohn von Carlo Orsini, Graf von Tagliacozzo, den Se. Heiligkeit Papst Paul II., obgleich er das dreißigste Jahr noch nicht erreicht, zum Gonfalionere der Kirche ernannt hatte, und den der Adel ferner Ahnen, die Größe seiner Person und die Herrlichkeit seines Geschmacks und seiner Neigungen mehr als jeden Andern würdig machten, diesen Platz einzunehmen.

Er war damals der Hauptrepräsentant der großen Familie Orsini, die sich vom elften Jahrhundert an im ersten Range der römischen Gesellschaft auszeichnete, einer Familie, welche dergestalt bei Gott in Gnade stand, daß der heilige Dominicus für sie sein erstes Wunder verrichtete. Ein Napoleone Orsini, als er sich im Jahre 1217 nach der Tone Fiscale begab, die er schon zu jener Zeit inne hatte, und in der, wie man sieht, sein Nachkömmling noch befehligte, – wurde vor dem Thore vom Kloster des heiligen Sixtus vom Pferde geworfen und starb auf der Stelle. Zum Glück kam in diesem Augenblick der heilige Dominicus aus dem Kloster heraus; er sah Knappen, Pagen, Diener, welche um den Leib ihres Herrn standen und weinten, erkundigte sich nach dem Namen und dem Range des Verschiedenen und erfuhr, der Mann, den er hier vor sich liegen sah, sei der berühmte Napoleone Orsini, die Glorie Roms, die Stütze der Kirche und damals der würdigste Erbe seines Namens. Der Heilige näherte sich den trostlosen Dienern, bekam Mitleid mit diesem großen Privatunglück, das durch die Stellung desjenigen, welcher ein Opfer desselben war, zu einem öffentlichen Unglück wurde, hob die Hand auf, wandte sich an die Leute des Verstorbenen und sprach:

»Weinet nicht, denn durch die Gnade Gottes ist Euer Herr nicht todt!«

Und da Pagen, Knappen und Diener dem, was der arme Mönch, welchen sie für einen Narren hielten, sagte, keine Aufmerksamkeit schenkten und den Kopf schüttelnd stärker als je weinten, so fügte der Stifter der Inquisition bei:

»Napoleone Orsini, stehe auf, steige wieder zu Pferde und ziehe Deines Wegs . . . Man erwartet Dich in Casa Rotondo.«

Was der Todte sogleich zum großen Erstaunen der Zuschauer und auch zu seinem eigenen großen Erstaunen that, denn er war lange genug des Lebens beraubt geblieben, daß seine Seele bis zum dritten Kreise der unteren Welt niedergesunken, und daß seine Knochen durch den feuchten Wind des Grabes vereist worden waren.

Aus Dankbarkeit für dieses Wunder gebot auch der Napoleone Orsini des 13. Jahrhunderts, es sollen, soweit dies übrigens thunlich wäre. Alle diejenige, welche denselben Namen führen wie er, ihre Soldaten, ihre Diener, kurz die Leute in ihrem Solde sich in Zukunft wohl hüten, irgend einen Mord während der vierundzwanzig Stunden jedes grünen Donnerstages zu begehen, das heißt während der Jahrestage des Tages, an welchem er gestorben, und wo er durch die Gnade Gottes und den Dazwischentritt des heiligen Dominicus wiedererweckt worden war.

Darum hatte Napoleone Orsini des 15. Jahrhunderts, Gonfalionere der Kirche, die Büchse des Soldaten in dem Augenblicke aufgehoben, wo der Schuß losgehen und ihn unschuldiger Weise das Gebot seines Ahnherren übertreten lassen sollte.

Sechzig Jahre nach der Auferstehung von Napoleone Orsini war Giovanni Gaëtano Orsini, sein Sohn, unter dem Namen Nicolaus III. Zum Papste erwählt worden.

Und da sah man nun, daß das Wunder des heiligen Dominicus zu höheren Wohlfahrt der Kirche verrichtet worden war, da dieser, ein Jahr nach der Auferstehung von Napoleone Orsini geborene, würdige Papst durch Rudolf von Habstburg dem Kirchenstaate Impola, Bologna, Faënza zurückgeben ließ und Karl von Anjou zwang, auf die Reichsverweseung von Taskana und auf den Titel eines Patriziers von Rom zu verzichten.

Seit der Erhebung zur päpstlichen Würde von Gaëtano Orsini nahmen übrigens die Glücksumstände dieser edlen Familie immer mehr zu; Remonde Orsini, Graf von Leva erlangte das Fürstentum Tarento; Bertoldo Orsini wurde zum General der Florentiner ernannt; Antonio Giovanni Orsini. Der vor kaum zehn Jahren gestorben, war fünfzig Jahre hindurch eine der mächtigsten Stützen und einer der furchtbarsten Gegner der Könige von Neapel gewesen, denen er zwei- oder dreimal die Krone genommen und wiedergegeben hatte; derjenige endlich welchen wir so eben in Scene gebracht haben, führte nicht minder mächtig, nicht minder ausgezeichnet, als sein Vorgänger, zugleich den Krieg gegen die Colona von Neapel, gegen den Grafen Federigo von Montefeltro, Herzog von Urbino, und gegen den Grafen Averso, der kürzlich erst den Orsini ihr Lehen Anguillara wieder abgenommen hatte, was sie nicht abhielt, in ihrem Wappen den schwarzen Aal zu behalten, wie England in dem seinigen die Lilien von Frankreich behielt, selbst nachdem es Calais verloren.

Es hatte sich nun zufällig ereignet, daß an demselben Morgen Napoleone Orsini in seine Festung Casa Rotondo, von der die Torre Fiscale ein Außenwerk bildete, gekommen war, denn er wollte durch sich selbst in Erfahrung bringen, ob, wie man ihm gemeldet, sein persönlicher Feind, der Connetable von Neapel in der Stadt Rovillä angekommen, welche auf dem Abhange des Berges von Albano kaum drei Viertelmeilen von der Torre Fiscale lag.

Diese Stadt Rovillä war für die Besitzungen der Colonna, die sich durch ein mächtiges Befestigungssystem durch Neapel bis in die Abruzzen erstreckten, gerade das, was die Casa Rotondo für die Besitzungen der Orsini war, welche Rom durchzogen, sich bis in das Herz von Toscana vertieften und am Fuße der alten Städte Etruriens erloschen.

Wir haben gesehen, wie die unerwartete Ankunft des jungen Gonfalionere und sein mächtiger Dazwischentritt wahrscheinlich dem geheimnißvollen Reisenden, der es aus Gleichgültigkeit oder aus Zerstreuung versäumt, auf die drei: Wer da? der Schildwache zu antworten, das Leben retteten.

Der Schuß bewirkte übrigens, was diese drei: Wer da? nicht hatten bewirken können. Der Reisende mit dem grauen Leibrock und dem blauen Mantel erhob das Haupt, und als er an der Tracht von Napoleone Orsini sah, daß er sich einem Kapitän von hohem Range gegenüber fand, sagte er zu diesem in vortrefflichem Toscanisch:,.

»Gnädiger Herr, würde es Euch belieben, Euren Soldaten zu befehlen, daß mir dieses Thor geöffnet werde?«

Napoleone Orsini schaute mit einer Aufmerksamkeit voll Neugierde die Kleidung und die Physiognomie desjenigen an welcher ihn angeredet, und fragte nach einer kurzen Prüfung:

»Bist Du denn mit einer Botschaft an mich beauftragt und wünschest Du allein mit mir zu reden?«

»Ich bin weder mit einer Botschaft an Euch beauftragt, noch habe ich den Hochmuth, mich einer Unterredung unter vier Augen mit einem so edlen Herrn, wie Ihr seid, würdig zu erachten.«

»Was verlangst Du dann?«

»Ich verlange den Eintritt, ein Stück Brod und ein Glas Wasser.«

»Oeffnet diesem Manne,« sagte Napoleone Orsini zu einem seiner Leute, »und so arm er zu sein scheint, führt ihn in den Ehrensaal.«

Und nachdem er ihm, sich über die Brustwehr neigend, mit den Augen gefolgt war, bis er unter dem Gewölbe des Thurmes verschwunden, ging Napoleone Orsini weg, um seinen Gast in dem Gemache zu erwarten, in welches er denselben zu führen befohlen hatte.

Mittlerweile geleitete man den Fremden in das Innere der Feste.

Diese Feste bildete, – in ihrem Ganzen genommen und alle Werke, die damit in Verbindung standen, mitbegriffen, – einen Raum, dessen Haupttheile waren: die Torre Fiscale, ein höchstens aus dem 11. Jahrhundert datirendes Gebäude, ein ungeheures kreisförmiges Grab, dessen Unterbau zum Ende der Republik zurückzugehen schien, und die Ueberreste einer reichen Villa, die, wie an zu jener Zeit versicherte, wo die archäologischen Studien weniger fortgeschritten waren als in unseren Tagen, einem römischen Kaiser gehört hatte.

Welchem von den zweiundsiebzig Kaisern, von den dreißig großen Tyrannen und den zehn bis zwölf kleinen Tyrannen hatte aber diese Villa gehört? Das wußte man nicht. Nur schwebte wie immer ein Gerücht über diesen kaiserlichen Trümmern: ihr gekrönter Eigenthümer sollte Schätze darin vergraben haben.

Wegen des kreisförmigen Grabes hatte die ganze Feste den Namen Casa Rotondo angenommen.

Alle diese Gebäude, alte und neue, mochten einen Raum von zwanzig Morgen bedecken.

Uebrigens, obgleich der edle Herr Napoleone Orsini, Gonfalionere der Kirche, ein wenig gelehrter war, als die Mehrzahl seiner erhabenen Ahnen und seiner berühmten Zeitgenossen, obgleich man von ihm Briefe, nicht nur von seiner Hand unterzeichnet, sondern sogar ganz geschrieben, besitzt, – was einen bei den edlen Condottieri jener Periode ziemlich hohen Grad von Bildung andeutet, – waren doch die Spuren von Barbarei, die der Reisende auf dem kurzen Wege traf, den er zu machen hatte, um sich vom Thore des Thurms nach dem Ehrensaale zu begeben, nicht minder zahlreich.

In der That, die dreifache Umschließung von Wällen, die er durchschreiten mußte, war von den Trümmern der kaiserlichen Villa und von denen der Via Appia gebaut, so daß jeden Augenblick herrliche Marmorquader, zum Theil mit Inschriften bedeckt, an den Mauern glänzten, eingefügt, wie sie waren, in die grauen Steine, welche die Brüche der Umgegend von Rom lieferten.

Die Brustwehren waren ihrerseits besät mit antiken Larven, mit Trauerpalmen, mit Stücken von zerbrochenen Urnen und Fragmenten von Basreliefs; bis an den halben Leib eingegrabene Statuen dienten als Weichsteine, um die Pferde anzubinden, und oft hatte man ihnen zu größerer Bequemlichkeit die Beine abgeschlagen und sie mit dem Kopfe nach unten, in den Boden eingedrückt.

Wohl konnten von Zeit zu Zeit ungeheure Aushöhlungen, archäologischen Nachgrabungen ähnlich, einen oberflächlichen Beobachter glauben machen, der edle Herr Napoleone Orsini sei in der Forschung nach irgend einem Wunder der etruskischen, griechischen oder römischen Kunst begriffen. Da sich aber unter den aus diesen Ausgrabungen gezogenen und halb von der aufgehäuften Erde bedeckten Trümmern Theile von Statuen, Basreliefs oder Kapitälern fanden, welche in unsern Tagen die Freude eines Visconti oder eines Canino gewesen wären, da diese Bruchstücke verlassen dalagen, so durfte man mit Fug und Recht denken, die Aushöhlungen seien in einem etwas minder artistischen Zwecke und in einer etwas mehr habgierigen Hoffnung gemacht worden.

Uebrigens wandte der Reisende den Kopf weder nach rechts, noch nach links; ohne Zweifel, – und es konnte unmöglich anders sein, – ohne Zweifel sah er diese Ausgrabungen und erkannte er diese Verwüstungen; doch sie brachten, wenigstens dem Anscheine nach, keinen Eindruck auf ihn hervor; düster und unempfindlich, schien er sein ganzes Leben im Schooße der Zerstörung, mitten unter Trümmern zugebracht zu haben!

Isaak Laquedem

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