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Siebentes bis Zehntes Bändchen
XXIV.
Reise

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Es war dies das fünfzigste Mal vielleicht, seit dem Tag, wo wir unsere Geschichte eröffnet, daß dieser Mann mit dem ehernen Herzen und den stählernen Muskeln Haus und Freunde, kurz Alles verließ, um das Glück und den Tod zu suchen. Das Eine, nämlich der Tod, war beständig vor ihm zurückgewichen, als ob er vor ihm bange gehabt hätte, das Ändere, nämlich das Glück, hatte erst seit einem Monat wirklich ein Bündniß mit ihm geschlossen.

Obgleich er kein großer Philosoph, noch Epikur oder Sokrates, war, so war er doch ein mächtiger Geist, der die Erfahrung des Lebens und die Uebung des Gedankens für sich hatte. Man ist nicht tapfer, man ist nicht abenteuerlich, man ist nicht gewandt, wie es d’Artagnan war, ohne zugleich ein wenig träumerisch zu sein.

Er hatte da und dort einige Brocken von Herrn von la Rochefoucault aufgefangen, und im Vorübergehen in der Gesellschaft von Athos und Aramis viele Stücke von Cicero und Seneca, übersetzt von ihnen und auf den Gebrauch des gemeinen Lebens angewendet, gesammelt.

Die Verachtung des Reichthums, welche unser Gascogner während der fünf und dreißig ersten Jahre seines Lebens als einen Glaubensartikel beobachtet hatte, war lange von ihm als der erste Artikel des Codex der Tapferkeit betrachtet worden.

Art. 1. sagte er:

»Man ist tapfer, weil man nichts hat.

»Man hat nichts, weil man den Reichthum verachtet.«

Mit diesen Grundsätzen, welche, wie gesagt, die fünf und dreißig ersten Jahre seines Lebens geleitet hatten, war d’Artagnan auch nicht sobald reich, als er sich fragen mußte, ob er, trotz seines Reichthums, Immer noch tapfer sei.

Hierauf konnte für jeden Andern, als d’Artagnan, das Ereigniß auf der Grève als Antwort dienen. Viele Gewissen hätten sich damit begnügt, aber d’Artagnan war tapfer genug, um sich aufrichtig zu fragen, ob er tapfer wäre.

Auf die Worte:

»Mir scheint, ich habe auf der Grève rasch genug vom Leder gezogen und artig genug eingehauen, um meines Muthes sicher zu sein, « erwiederte d’Artagnan, sich selbst:

»Alles schön, Kapitän; das ist keine Antwort. Ich war an diesem Tag tapfer, weil man mir mein Haus verbrannte, und es sind hundert und sogar tausend gegen eins zu wetten, daß, wenn die Herren nicht diesen unglücklichen Gedanken gehabt hätten, ihr Angriffsplan gelungen, oder daß wenigstens von mir kein Widerstand entgegengestellt worden wäre.

»Was wird man nun gegen mich versuchen? Ich habe in der Bretagne kein Haus zum Verbrennen; ich habe keinen Schatz, den man mir rauben könnte.

»Nein, aber ich habe meine Haut, diese kostbare Haut von Herrn d’Artagnan, welche so viel werth ist, als alle Häuser und Schätze der Welt; diese Haut, an der mir überaus viel gelegen ist, weil sie im Ganzen den Einband eines Körpers bildet, der ein sehr warmes Herz enthält, das sehr zufrieden ist, daß es schlägt und folglich lebt.

»Ich wünsche also zu leben und lebe wahrhaftig viel besser, viel vollständiger, seitdem ich reich bin. Wer Teufels sagte, das Geld verderbe das Leben? Es ist dem bei meiner Seele nicht so; mir scheint im Gegentheil, daß ich nun ein doppeltes Quantum Lust und Sonne aufzehre. Mordioux! wie wird es sein, wenn ich dieses Vermögen verdopple und, statt der Gerte, die ich in der Hand halte, je den Marschallsstab trage.

»Ich weiß nicht, ob es dann von diesem Augenblick an genug Sonne und Lust für mich geben wird.

»Das ist in der That kein Traum; wer Teufels soll sich dem widersetzen, daß mich der König zum Herzog und Marschall macht, wie sein Vater, der König Ludwig XIII. Albert von Luynes zum Herzog und Connetable gemacht hat? Bin ich nicht ebenso tapfer und noch viel verständiger, als dieser Schwachkopf Vitry?

»Ah! das wird sich gerade meinem Avancement widersetzen, ich habe zu viel Geist.

»Zum Glück, wenn es eine Gerechtigkeit auf dieser Welt gibt, steht Fortuna auf meiner Seite. Sie ist mir sicherlich eine Belohnung für das, was ich für Anna von Oesterreich gethan habe, und eine Entschädigung für Alles, was diese nicht für mich gethan hat, schuldig.

»Zu dieser Stunde bin ich gut mit einem König, und zwar mit einem König, der ganz das Aussehen hat, als wollte er regieren.

»Gott erhalte ihn auf diesem erhabenen Weg! Denn wenn er regieren will, bedarf er meiner, und wenn er meiner bedarf, muß er mir wohl geben, was er mir versprochen hat . . . Wärme und Licht – ich gehe also vergleichungsweise, wie ich einst ging – von Nichts zu Allem.

»Nur ist das Nichts von heute das Alles von einst; es findet sich bloß diese einzige Veränderung in meinem Leben.

»Und nun wollen wir den Theil des Herzens machen, da ich so eben von diesem gesprochen habe.

»Doch in der That, ich sprach nur der Erinnerung wegen davon!«

Und der Gascogner legte die Hand auf seine Brust, als wollte er wirklich den Platz des Herzens suchen.

»Ah! Unglücklicher!« murmelte er, bitter lächelnd. »Ah! armes Geschöpf, Du hofftest einen Augenblick kein Herz zu haben, und nun hast Du eines, verfehlter Höfling, der Du bist, und zwar ein höchst meuterisches.

»Thörichtes Herz, daß du zu Gunsten von Herrn Fouquet sprichst.

»Wer ist dieser Herr Fouquet, wenn es sich um den König handelt? Ein Verschwörer, ein wahrer Verschwörer, der sich nicht einmal die Mühe gab, zu verbergen, daß er conspirirt; welche Waffe besäßest Du auch nicht gegen ihn, wenn nicht seine Freundlichkeit und sein Geist eine Scheide für diese Waffe gemacht hätten!

»Empörung mit gewaffneter Hand! . . . Denn Herr Fouquet hat im Ganzen Empörung mit gewaffneter Hand getrieben.

»Wenn der König Herrn Fouquet unbestimmt im Verdacht dumpfer Meuterei hat, so weiß ich, kann ich beweisen, daß Herr Fouquet das Blut der Unterthanen des Königs hat fließen lassen.

»Nun, während wir dies Alles wissen und es verschweige, sehen wir einmal, was will dieses Herz mehr, das so weich und empfänglich ist für ein gutes Benehmen von Herrn Fouquet, für einen Vorschuß von fünfzehntausend Livres, für einen Diamant von tausend Pistolen, für ein Lächeln, worin wenigstens ebenso viel Bitterkeit, als Wohlwollen lag? Ich rette ihm das Leben.

»Ich hoffe nun,« fuhr der Musketier fort, »dieses alberne Herz wird schweigen, und dann ist es völlig quitt mit Herrn Fouquet.

»Der König ist nun meine Sonne, und da also mein Herz mit Herrn Fouquet quitt ist, so nehme sich Jeder in Acht, dem es einfallen sollte, sich vor meine Sonne zu stellen. Vorwärts für Seine Majestät Ludwig XIV., vorwärts!«

Diese Betrachtungen waren die einzigen Hindernisse, welche den Gang von d’Artagnan verzögern konnten, denn sobald er damit zu Ende war, beschleunigte er den Marsch seines Rosses.

Aber so vollkommen auch das Pferd Zephyr sein mochte, so konnte es doch nicht immer gehen.

Am andern Tage nach der Abreise von Paris wurde es in Chartres bei einem alten Freund zurückgelassen, den sich d’Artagnan aus einem Gastwirth der Stadt gemacht hatte.

Von diesem Augenblick ritt der Musketier Postpferde.

In Folge dieser Art von Fortbewegung durchzog er rasch den Raum, welcher Chartres von Chateaubriand trennt.

In letzterer Stadt, welche noch weit genug von der Küste entfernt liegt, daß Niemand errieth, d’Artagnan begebe sich nach der See, weit genug von Paris, daß Niemand ahnete, er komme von hierher, verließ der Bote von Seiner Majestät Ludwig XIV., den d’Artagnan seine Sonne genannt hatte, ohne zu vermuthen, daß derjenige, welcher noch ein ziemlich armseliger Stern am Himmel des Königthums war, eines Tags aus diesem Gestirne sein Emblem machen würde, verließ der Bote von König Ludwig XlV., sagen wir, die Post und kaufte einen Klepper vom kläglichsten Aussehen, eines von den Thieren, das ein Reiterofficier aus Furcht, entehrt zu sein, zu wählen nie sich erlauben würde.

Abgesehen von der Haarfarbe, erinnerte d’Artagnan diese neue Erwerbung ungemein an das berüchtigte orangenfarbige Roß, mit welchem er, oder auf welchem er vielmehr in die Welt eingetreten war.

Es ist übrigens nicht zu vergessen, daß es von dem Augenblick, wo er dieses neue Roß bestieg, nicht mehr d’Artagnan war, welcher reiste, sondern ein guter Bursche, der einen eisengrauen Rock und kastanienfarbige Beinkleider trug, und die Mitte zwischen dem Priester und dem Lackei hielt; was ihn besonders dem Geistlichen näherte, war der Umstand, daß er auf seinen Schädel eine Plattmüße von abgetragenem Sammet und auf die Plattmütze einen großen schwarzen Hut gesetzt hatte; kein Degen mehr, nur ein mittelst einer Schnur an seinem Vorderarm hängender Stock, dem er als unerwarteten Beistand bei Gelegenheit einen guten, zehn Zoll langen, unter seinem Mantel verborgenen Dolch beizufügen gedachte.

Der in Chateaubriand erkaufte Klepper vervollständigte den Unterschied. Er hieß, oder d’Artagnan nannte ihn vielmehr Furet.

»Wenn ich aus Zephyr Furet gemacht habe, so muß ich aus meinem Namen irgend ein Diminutivum machen.« sagte d’Artagnan.

»Statt d’Artagnan werde ich ganz kurz Agnan sein; das ist eine Einräumung, die ich natürlich meinem grauen Kleide, meinem runden Hut und meiner abgetragenen Plattmütze zu verdanken habe.

Herr Agnan reiste ohne übertriebene Erschütterung auf Furet, der einen Paßgang hatte und mit diesem Paßgang doch ganz munter seine zwölf Meilen täglich machte, unterstützt von vier spindeldürren Beinen, deren Festigkeit und Sicherheit d’Artagnan, wohl geübt in der Kunst, unter dem dicken Pelz, der sie verbarg, erkannt und zu würdigen gewußt hatte.

Unterwegs machte sich der Reisende Bemerkungen, studirte er das ernste, kalte Land, durch das er zog, während er zugleich den glaubwürdigsten Vorwand dafür suchte, daß er nach Belle-Isle-en-Mer ging, um Alles zu sehen, ohne Verdacht zu erregen.

Auf diese Art konnte er sich überzeugen, wie die Sache immer wichtiger wurde, je mehr er sich dem Ziele seiner Reise näherte.

In diesem abgelegenen Lande, in dem alten Herzogthum Bretagne, das damals nicht französisch war, und es noch heute kaum ist, kannten die Völker den König von Frankreich nicht.

Sie kannten ihn nicht nur nicht, sondern sie wollten ihn nicht kennen.

Eine Thatsache, eine einzige, schwamm sichtbar für sie auf dem Strome der Politik oben an. Ihre ehemaligen Herzoge regierten nicht mehr, aber das war eine Leere. Nichts mehr. An der Stelle des souverainen Herzogs regierten unumschränkt die Grundherren der Gemeinden.

Und über diesen Grundherren Gott, der in der Bretagne nie vergessen worden ist.

Unter diesen Lehensherren von Schlössern und Kirchtürmen war der mächtigste, der reichste, und besonders der populärste Fouquet, der Grundherr von Belle-Isle.

Selbst im Lande, selbst im Angesicht dieser geheimntßvollen Insel, bestätigten die Legenden und Ueberlieferungen ihre Wunder.

Nicht Jeder kam dahin; die Insel, welche eine Ausdehnung von sechs Meilen in der Länge und sechs in der Breite hatte, war ein herrschaftliches Eigenthum, welches, da es von dem im Lande so sehr gefürchteten Namen Retz beschützt wurde, das Volk lange respectirt hatte.

Kurz, nachdem diese Herrschaft durch Karl IX. zu einem Marquisat erhoben worden, war Belle-Isle an Herrn Fouquet übergegangen.

Die Berühmtheit der Insel schrieb sich nicht von gestern her; ihr Name, oder vielmehr ihre Bezeichnung ging in das höchste Alter zurück; die Alten nannten sie Kallonese, zusammengesetzt aus zwei Worten, welche schöne Insel bedeuten.

Achtzehnhundert Jahre früher hatte sie also in einem andern Idiom denselben Namen geführt, den sie noch führt.

Es war daher an und für sich schon etwas, dieses Eigenthum des Herrn Oberintendanten, außer seiner Lage zehn Meilen von der Küste von Frankreich, welche dasselbe souverain in seiner Meereseinsamkeit machte, wie ein majestätisches Schiff, das die Rheden verachten und stolz seine Anker mitten im Ocean werfen würde.

D’Artagnan erfuhr dies Alles, ohne daß er im Geringsten den Anschein hatte, als erkundigte er sich: er erfuhr auch, das beste Mittel, Kundschaft einzuziehen, wäre, wenn er nach la Roche-Bernard, einer ziemlich wichtigen Stadt an der Mündung der Vilaine, ginge.

Vielleicht könnte er sich dort einschiffen. Wenn nicht, so würde er durch die Salzsümpfe reiten und sich nach Guérande oder Croisic begeben, um eine Gelegenheit zur Ueberfahrt nach Belle-Isle abzuwarten. Er hatte übrigens seit seinem Abgang von Chateaubriand bemerkt, nichts wäre Furet unter dem Antrieb von Herrn Agnan unmöglich, nichts Herrn Agnan unter der Initiative von Furet.

Er schickte sich also an, eine Kriechente und einen Fladen in einem Wirthshause von la Roche-Bernard zu Nacht zu speisen, und ließ aus dem Keller, um diese zwei bretagnischen Gerüchte zu befeuchten, einen Aepfelmost holen, den er einzig und allein beim Berühren mit dem Ende der Lippen als noch unendlich mehr bretagnisch erkannte.

Der Graf von Bragelonne

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