Читать книгу So sprach Achill - Alessandro Baricco - Страница 10
Pandaros
ОглавлениеWir flohen, und fliehend fanden wir den Tod. Das Schlimmste kam, als Diomedes, der Sohn des Tydeus, mitten im Gefecht erschien. Diomedes, ein tapferer Fürst der Achäer: Die Rüstung funkelte auf seinen Schultern und seinem Kopf, er leuchtete, wie das Herbstgestirn leuchtet, wenn es aus dem Meer aufsteigt. Er war vom Wagen gestiegen und wütete in der Ebene wie ein Fluss, der, durch den Regen angeschwollen, über die Ufer tritt. Es war auch nicht klar, ob er unter den Achäern war oder unter uns Troern: Er war ein Fluss, der die Dämme gebrochen hat und dahinrast, alles zerstörend, was um ihn ist. Nichts schien ihn aufhalten zu können; ich sah ihn kämpfen, und es war, als hätte ein Gott beschlossen, an seiner Seite zu kämpfen. Da nahm ich noch einmal meinen Bogen. Ich spannte die Ochsensehne mit allen meinen Kräften und schoss ab. Ich traf ihn an der rechten Schulter auf der Platte der Rüstung. Der Pfeil bohrte sich ins Fleisch und drang bis zur anderen Seite durch. Seine Rüstung färbte sich mit Blut. Ich schrie: »Greift an, Troer, Diomedes ist verwundet, ich habe ihn getroffen!« Aber ich sah, dass er sich nicht krümmte und nicht fiel. Er ließ sich von einem Gefährten den Pfeil aus der Schulter ziehen: Das Blut spritzte auf die Rüstung und ringsum. Und dann sah ich ihn ins Gefecht zurückkehren, um mich zu suchen, wie ein Löwe, der mit einer Wunde nicht stirbt, sondern seine Wut verdreifacht. Er stürzte sich auf die Troer wie auf eine Herde erschreckter Schafe. Ich sah, wie er Astinoos und Hypeiron tötete: Den Ersten traf er auf der Brust mit der Lanze, dem Zweiten hieb er mit dem Schwert einen Arm ab. Er blieb gar nicht stehen, um ihre Waffen zu nehmen, und verfolgte Abas und Polyidos. Das waren die zwei Söhne des Eurydamas, eines Alten, der sich aufs Träumedeuten verstand, aber die Träume seiner Söhne an dem Tag, als sie auszogen, hatte er nicht auszulegen gewusst, und Diomedes tötete sie beide. Ich sah, wie er auf Xantos und Thoon losrannte, die einzigen Söhne des alten Phainops. Diomedes nahm sie ihm und ließ ihn allein mit seinen Tränen und seiner Trauer. Ich sah, wie er Echemmon und Chromios, Söhne des Priamos, niederschlug. Er sprang auf ihren Wagen, wie die Löwen über die Stiere herfallen, um ihnen das Genick zu brechen, und tötete sie.
In dem Moment kam Aeneas zu mir. »Pandaros«, sagte er, »wo ist dein Bogen geblieben und deine geflügelten Pfeile und dein Ruhm? Hast du den Mann gesehen, der im Gewühl wütet und alle unsere Helden tötet? Vielleicht ist es ein Gott, der uns zürnt. Nimm einen Pfeil und triff ihn, wie nur du es verstehst.« »Ich weiß nicht, ob er ein Gott ist«, erwiderte ich; »aber diesen Helm mit der Mähne, den Schild und die Pferde, die kenne ich, sie gehören Diomedes, dem Sohn des Tydeus. Ich habe schon einen Pfeil auf ihn geschossen, aber ich habe ihn an der Schulter getroffen und er kehrte zurück in den Kampf. Ich glaubte, ich hätte ihn umgebracht, aber … Dieser mein verfluchter Bogen lässt das Blut der Achäer fließen, tötet sie aber nicht. Und ich habe weder Pferde noch Wagen, um von da aus zu kämpfen.« Da sagte Aeneas zu mir: »Kämpfen wir zusammen, steig auf meinen Wagen, halte die Zügel und die Peitsche und bring mich in der Nähe von Diomedes: Dann steige ich vom Wagen und kämpfe mit ihm.« »Halte du die Zügel«, antwortete ich ihm, »sollten wir gezwungen sein zu fliehen, dann bringen uns die Pferde schneller weg, und deine Stimme wird sie lenken. Führe du den Wagen und überlass es mir und meiner Lanze, zu kämpfen.« So stiegen wir auf den funkelnden Wagen und ließen wutentbrannt die Pferde gegen Diomedes losrennen. Es waren die besten Pferde, die man je unter der Sonne gesehen hat: Sie kamen aus einem Geschlecht, das Zeus selbst geschaffen hatte, um es dem Tros zum Geschenk zu machen. In der Schlacht verbreiteten sie Schrecken. Aber Diomedes erschrak nicht. Er sah uns kommen und lief nicht davon. Als wir vor ihm waren, schrie ich: »Diomedes, Sohn des Tydeus, mein schneller Pfeil, die bittere Spitze hat dich nicht gebeugt. Dann wird dich meine Lanze beugen.« Und ich warf. Ich sah, wie die Spitze seinen Schild durchbohrte und seinen Panzer traf. Da schrie ich noch einmal: »Ich habe gesiegt, Diomedes, ich habe dich in den Bauch getroffen, durch und durch.« Aber er sagte furchtlos: »Du glaubst, du hättest mich getroffen, aber du hast dein Ziel verfehlt. Jetzt kommst du nicht mehr lebendig von hier weg.« Er erhob seine Lanze und schleuderte sie. Die bronzene Spitze drang neben dem Auge ein, ging durch die weißen Zähne, schnitt ganz hinten die Zunge ab und kam beim Hals wieder heraus. Und ich fiel vom Wagen – ich, der Held –, und meine funkelnden, glänzenden Waffen dröhnten. Das Letzte, an das ich mich erinnere, sind die schnellen, furchtbaren Pferde, die nervös auf die Seite springen. Dann verließen mich die Kräfte und mit ihnen das Leben.