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2 Die Tote auf dem Müll

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Ihre Haut schimmert seltsam grauweiß und bildet einen deutlichen Kontrast zu den stinkenden Überresten des Zivilisationsmülls, der eine unüberschaubare Hügellandschaft auf dieser städtischen Deponie bildet. Scharen von hungrigen Möwen kreisen über dem Leichenfundort und warten auf eine Gelegenheit sich ihren Anteil zu sichern.

Mit einem wütenden Fußtritt beseitigt Georges gerade eine der fliegenden Aasjägerinnen. Um die Leiche herum stehen sich eine Handvoll Polizeibeamter die Beine in den Bauch.

Georges wartet ein wenig abseits und kaut auf einer Frühstücksstulle. Er ist nicht größer als ein gedrungener Bullterrier mit Doppelkinn und ausufernder Hüfte. Seine Gegner unterschätzen ihn gerne als „gemütlichen Zwerg ohne Hals“.

„Wir können nicht mit Sicherheit sagen, wie lange sie hier schon liegt. Der Mann für die Frühschicht hat sie gefunden, als er gerade seine erste Ladung abkippen wollte. Der Wachdienst meldet keine besonderen Vorkommnisse. Hätte der Mitarbeiter heute früh keine Meldung gemacht, wäre sie wohl, wie viele andere vor ihr, einfach unter einem Haufen stinkenden Abfall verschwunden. Ich schätze so war der Plan.“

Der Gestank treibt mir die Tränen in die Augen:

„Da ist bestimmt was schiefgelaufen. Deine Kollegen sollten sich mal die Wachmannschaft und die Müllwerker vornehmen. Könnte sein, dass die auf der Gehaltsliste einer Opferentsorgungsfirma stehen.“

Das organisierte Verbrechen hat seine eigenen Methoden der Verschleierung. Eine davon ist die Versenkung einer Leiche in diesem Meer aus Müll. Georges deutet auf die Körpermitte der Toten.

„Sie haben ihr alle Sachen ausgezogen. Die blauen Flecken im Bauch- und Brustbereich lassen vermuten, dass man sie zusammengeschlagen hat. Todesursache: Vermutlich innere Blutungen aufgrund eines Milzrisses oder Ähnlichem.“

Sie ist nicht voll ausgewachsen, zarter Körperbau, Babyspeck und schmale Augen, die jetzt gebrochen in den Himmel starren. An einigen Stellen haben die Vögel sich schon bedient. Ich zücke ein Paar Einweghandschuhe aus der Tasche und mache einige Fotos von Gesicht, Lage, körperlichen Merkmalen.

„Ich schätze, sie ist nicht älter als sechzehn. Nur wenig Schamhaare, kein Piercing auf dieser Seite, keine Einstiche, insgesamt ein eher gesundes Äußeres. Wenn, dann ging sie noch nicht lange auf den Strich.“

Georges kniet neben ihr mit viel zu großen Latexhandschuhen an den fleischigen Fingern.

„Ich denke, du liegst richtig. Mal sehen, was wir auf der anderen Seite finden.“

Er wartet noch, bis der Polizeifotograf seine Bilder gemacht hat und dreht den Korpus auf den Bauch. Auch am Rücken sind jede Menge schwere Hämatome zu erkennen.

„Die Flecken können auch vom Transport der Leiche verursacht worden sein. Ich glaube nicht, dass sie hier erledigt wurde.“ Vielsagend zeigt er auf ein mittelgroßes Tattoo am rechten Schulterblatt: Eine Rosenblüte. Ich schüttele den Kopf.

„Allerweltsmotiv. Trägt selbst die keusche Betschwester aus dem Stadtteilladen.“

Georges sucht gründlich die Umgebung des Fundortes ab. Während er in der chaotischen, stinkenden Masse angestrengt nach Spuren sucht, stellt er seine Überlegungen an.

„Profis oder Laien?“

Die Frage gilt mir.

„Profis. Sie ist zu Hause abgehauen, brauchte dringend Geld und ist in die Fänge eines Gigolos geraten. Der hat sie auf den Truckerstrich geschickt, obwohl sie dafür eigentlich zu gut aussieht. Sie hat in ihrem Elternhaus einen Rest Anstand bewahrt und sich geweigert mitzumachen, vielleicht mit dem Gang zur Polizei gedroht. Der Gigolo hat seine Vorgesetzten informiert und sie wurde werbewirksam vor den anderen zu Brei geschlagen und dann auf den Müll geworfen. In diesem Moloch wird nicht lange gefackelt, wenn man nicht mitspielt.“

Georges rechte Augenbraue zuckt nach oben. Meine These hat ihn nicht beeindruckt.

„Netter Vortrag. Du bist immer schnell bei der Hand mit deinen Geschichten. Hättest auch Schreiberling werden können, wie diese Aasgeier von der Presse.“

Georges ist kein großer Freund der Spekulation. Er ist einer der wenigen in seiner Branche, die den Dienst am Bürger noch ernst nehmen, der nicht käuflich ist und jeden Fall klären will, koste es, was es wolle. Deswegen hat sein Chef ihm als Sonderprojekt die Bekämpfung der Korruption und Misswirtschaft innerhalb der Polizeibehörde aufs Auge gedrückt. Das bringt ihm mehr Feinde bei den Kollegen als in der Unterwelt ein. Hauptamtlich leitet er das Morddezernat der Stadt. Seine penetrante Hartnäckigkeit und sein mangelnder Respekt vor den Institutionen und ihren Vertretern hat bisher ein besseres Gehalt und einen weiteren Aufstieg verhindert. Besonders auf die Pressevertreter ist er nur schlecht zu sprechen, hatten diese doch den Scheidungskrieg mit seiner Frau genüsslich vor der städtischen Öffentlichkeit ausgebreitet. Es war ein unausgesprochenes Gerücht, dass es sich dabei um die Racheaktion eines überführten Vorgesetzten handelte. Halblaut erteilt er seinen gelangweilten Kollegen die weiteren Anweisungen.

„Jo, du kümmerst dich um den Abgleich der Vermisstenanzeigen und bist mir persönlich dafür verantwortlich, dass die Leiche auch beim Doc unters Messer kommt. Keine Schlampereien. Ich erwarte einen Bericht bis morgen früh, klar?“

Jo stapft mit hängenden Schultern davon. Die anderen drei Kollegen sehen nicht wesentlich einsatzfreudiger aus.

„Hank und Tobi, ihr zwei kooperiert mit dem Erkennungsdienst und tretet den Jungs ein bisschen auf die Füße. Ich will Ergebnisse, und zwar schnell. Rudy, du durchleuchtest noch einmal die Aussagen der Wachmannschaft und versuchst ein wenig in ihren Lebensläufen zu graben. Vielleicht findet sich eine Verbindung zum kriminellen Milieu. Beeil dich.“

Als alle ihre Aufträge haben, tritt er an mich heran und raunt mir zu: „Diese verdammten Säcke. Für die ist das alles nur lästig. Arbeit, bei der es keine Aussicht auf einen schönen Nebenverdienst gibt. Die werden gar nichts finden. Bestenfalls kann ich mich auf den Pathologen verlassen. Deswegen brauche ich dich. Batman braucht seinen Robin.“

Ich weiß, dass er von seinen Kollegen keine hohe Meinung hat. Kein Wunder, denn er kennt ihre Tricks, sich ein leichtes Leben zu machen, dem Gesetz nur dann Geltung zu verschaffen, wenn die Kasse klingelt. Aufrichtige Polizeiarbeit ist längst ein Muster mit geringem Wert. Ehrliche Polizisten leben in ständiger Gefahr, denn sie sind eine Bedrohung für den korrupten Rest. Opfer und Täter verschwinden einfach in den Aktenbergen und Datensätzen des Archivs. Eine Statistik über ungelöste Fälle wird schon seit Jahren nicht mehr veröffentlicht. Für die vielen unangenehmen Jobs heuert man gerne private Dienstleister wie mich an. Wenig Geld, aber viel Ärger.

„Ich bin dabei.“ Ich sehe meinem Freund an, dass er diese Tat nicht in den Papierbergen verschwinden sehen möchte.

„Harry, versteh mich richtig. Die Tatsache, dass sie hier auf der Müllhalde entsorgt wurde, sagt mir mehr als ihr vermeintlicher Name: Sie war von keinem besonderen Wert mehr. Selbst als Tote nicht. Solange wir keine Papiere bei ihr finden können, keine Abdrücke von Zähnen oder Fingern als Vergleich haben oder Genmaterial als Referenz, stehen wir blank da. Ahnungslos. Aufgeschmissen. Der Mörder lacht sich ins Fäustchen, er weiß, dass wir nur begrenzte Ressourcen an solche Fälle verschwenden. Das kotzt mich an. Das macht mich rasend.“

Georges nimmt die Mütze ab und fährt sich durchs Haar. Ich nicke ihm zu.

„Wahrscheinlich hast du recht. Wenn in euren Archiven nichts zu finden ist, schaue ich mal bei Cassandra Lenglen vorbei. Sie betreut häufig Fälle von Entführungen und verschwundenen Kindern und Jugendlichen, die nicht unbedingt bei der Polizei gemeldet werden.“

Ich bin fertig mit den Bildern, habe genug gesehen und reiche ihm die Hand. Zum ersten Mal heute Morgen sehe ich Georges breit grinsen.

„Ruf mich morgen an, dann habe ich die Ergebnisse der Ermittlungen unsererseits. Cas ist eine gute Idee. Du stehst doch auf gutem Fuß mit ihr.“

Ein Leichenwagen kämpft sich durch die Halde auf uns zu. Zwei Gehilfen steigen aus und nachdem ihnen der Kommissar mit einer Handbewegung die Erlaubnis erteilt hat, stopfen sie die Tote in einen grauen Plastiksack und laden ihn in den Kofferraum. Ich stapfe davon und Georges brüllt mir noch hinterher:

„Danke, dass du einem alten Spinner hilfst.“

Die unglaublichen Fälle des Harry Hell

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