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Gibt es den deutschen Sonderweg?

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Der Gegensatz könnte nicht größer sein. In Potsdam bemüht sich eine Bürgerinitiative, die traditionsreiche Garnisonkirche Friedrich Wilhelms I. wieder zu errichten und begegnet dabei großen Vorbehalten. Zu Beginn wollten weder Stadt noch Kirche das Bauwerk zurück, in dem Hindenburg und Hitler am 21. 3. 1933 den Tag von Potsdam zelebrierten. Als der publizistische und gesellschaftliche Druck von jenseits der Stadtgrenzen wuchs, sollte es wenigstens ein Versöhnungszentrum sein, um Fluch und Schuld von der Kirche zu nehmen, in der sich einst der preußische König Friedrich Wilhelm III. und Zar Alexander I. von Russland eine kurzlebige Treue geschworen hatten und wenig später Napoleon am Grabe Friedrichs des Großen zu seinen Offizieren gesagt haben soll: Wenn der noch lebte, stünden wir nicht hier.

Was also in Deutschland sofort zu ideologischen Verspannungen führt, das Erbe Preußens und seine angebliche Verantwortung für den Aufstieg Hitlers, kommt in der 900-Seiten-Biographie dieses Staates von dem englischen Historiker Christopher Clark nicht einmal in einem Nebensatz vor. Weder der Zusammenhang von Preußentum und Nationalsozialismus noch der lange Weg nach Westen, den wir vorgeblich zurückgelegt haben sollen, ist Clark eine Befassung wert. Daraus folgt, dass andere die deutsche Geschichte nicht auf den größten anzunehmenden Unfall zulaufen sehen und nicht alles, was uns heute aus der Vergangenheit nicht mehr zusagt, deshalb gleich in den Schatten von Auschwitz rücken.

Dennoch gibt es natürlich Unterschiede zur Entwicklung in England und Frankreich. Wie könnte es auch anders sein. Doch das heißt eben nicht, dass das eine der Normalfall und das andere ein Sonderweg ist. Prägender als der Schatten Hitlers ist eine andere Tatsache, die der Historiker Heinrich August Winkler gleich an den Anfang seines Buches Der lange Weg nach Westen stellt: »Im Anfang war das Reich: Was die deutsche Geschichte von der Geschichte der großen westeuropäischen Nationen unterscheidet, hat hier seinen Ursprung.« Die Abspaltungen vom und die Spaltungen im Reich sind das, was die große Geschichtserzählung ausmacht, weshalb Luther und Friedrich der Große eine weit größere Verantwortung für das scheinbare Misslingen der nationalen Erzählung trifft als den unglücklichen Wilhelm II. oder den fatalen Ludendorff.

Die deutsche Geschichte ist 1933 mit der Machtübernahme Hitlers entgleist, nachdem sie zuvor aus dem Gleichgewicht geraten war. Doch dieses Entgleisen ist nicht die Folge der vorangegangenen Gleichgewichtsstörung. Bismarck hatte das historische Spannungsverhältnis zwischen Europa und dem von ihm wieder begründeten Reich in ein prekäres Gleichgewicht gezwungen, das seinen Abschied von der Macht nicht überlebte. Doch das heißt eben nicht, dass eine Figur wie Hitler und seine Taten zwangsläufig waren oder irgendjemandem zugerechnet werden können, auch wenn das Porträt Friedrichs des Großen im Bunker und das Bismarcks in der neuen Reichskanzlei hing. Wie hat das der Historiker Golo Mann so unnachahmlich ausgedrückt: »Die Geschichtsschreiber tun Hitler viel zu viel Ehre an, die uns glauben machen wollen, es habe Deutschland seit hundert Jahren nichts anderes getrieben, als sich auf das unvermeidliche Ende, den Nationalsozialismus vorzubereiten.« Zu dieser Sichtweise möchte diese kleine deutsche Geschichte einen Beitrag leisten. Dass sie so falsch nicht sein kann, bestätigt ausgerechnet die große Preußenerzählung eines englischen Historikers.

Die Deutschen und ihre Geschichte

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