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Mittelalterliche Kaiserherrlichkeit als römisches Erbe – Ottonen und Staufer
ОглавлениеNicht in den germanischen Urwäldern hat die deutsche Geschichte ihren Ursprung, sondern in Rom – so beginnt Hagen Schulze seine Kleine deutsche Geschichte. Für die Geschichte mag das zutreffen, für die Deutschen nicht. Noch 1920, als die Wälder längst gelichtet waren, empfindet der englische Schriftsteller Logan Pearsall Smith das Anderssein der Deutschen: »Die bekannte Welt nannte ich die Landkarte, die ich zu meinem Spaß für das Kinderschulzimmer skizzierte. Sie umfasste Frankreich, England, Italien, Griechenland und alle Küsten des Mittelmeers; aber den Rest nannte ich unbekannt und ich zeichnete im Osten die zweifelhaften Reiche von Ninos und Semiramis hinein und versetzte Deutschland in den Herkynischen Wald zurück; und ich malte Bilder von den mutmaßlichen Bewohnern dieser unerforschten Regionen.«
Es waren noch nicht die Deutschen, es waren die Germanen, die in den Wäldern östlich des Rheins hausten. Sie waren unsere Vorfahren und doch auch wieder nicht. Mit dem Begriff deutsch oder Deutschland hätten sie nichts anzufangen gewusst. Es waren Sueben, Markomannen, Langobarden, Cherusker. Sie lebten in Familien- und Stammesverbänden, einen Staat kannten sie nicht. Rom war das andere, das sie nicht waren, und von dort haben wir auch unser Bild. Es stammt von dem römischen Historiker Tacitus, der eine kleine Schrift über Germanien veröffentlichte, die aber wohl mehr innenpolitischen Zwecken als der historischen Wahrheit diente. Zwar rügt Tacitus die Leidenschaft der Germanen für den Krieg, ihre Streithändel beim Trunk, ihre Neigung zu Spiel und Gelagen, aber er lässt auch ihren Tugenden Gerechtigkeit widerfahren, der strengen Ehrbarkeit und Heiligkeit des Hauses, der Keuschheit, ihrer Gastfreundschaft, der Strenge, mit der sie unnatürliche Laster, Feigheit und Verrat ahnden. Tacitus vergleicht die Germanen zu ihrem Vorteil mit den römischen Zuständen: kein Geld, keine Testamente, keine lüsternen Schauspiele und keine Korruption.
Dass solche Menschen im Jahre 9 n. Chr. die römische Expansion nach Osten im Teutoburger Wald stoppten, haben nur wenige Römer bedauert. Zu groß war das Reich schon und zu fremd die germanische Welt zwischen Rhein und Elbe. Als das Römische Reich – oder besser gesagt das Weströmische Reich – 400 Jahre später zusammenbrach, übernahmen germanische Stämme die Last der Regierung und der Reichsverteidigung. Es waren die West- und Ostgoten, die sich für das alte Reich und das neue Christentum opferten und zusammen mit den Römern die Vandalen und Hunnen, die großen Zerstörer aus der Völkerwanderung, abwehren. Rom bleibt der Dreh- und Angelpunkt aller germanischen Staatsbildungsversuche auf italienischem Boden, womit schließlich nach dem Zwischenspiel Theoderichs des Großen und einigen chaotischen Jahrhunderten die Franken Erfolg hatten.
Es war Karl der Große, der mit seiner Herrschaft das römische mit einem germanischen Reich zusammenbrachte. Es war noch nicht deutsch, obwohl das erste deutsche Wort in einer fränkischen Urkunde aus Karls Streit mit dem Bayernherzog Tassilo stammt. Diesem wird »harisliz« vorgeworfen, neuhochdeutsch Fahnenflucht. Und etwa zur gleichen Zeit finden sich im Hildebrandslied, einer Heldensage aus der Zeit des Gotenkönigs Theoderich des Großen, die Anfangsworte der deutschen Literatur: »Ik gihorta dat seggen« – ich hörte das sagen. In das offizielle Vulgärlatein drangen umgangssprachliche althochdeutsche Brocken ein. Deutsch kommt von »thiutisk« oder lateinisch »theodiscus«, ein Begriff, der einfach volkssprachlich bedeutet.
Die Söhne Karls konnten das Reich nicht bewahren und so wurde sein Erbe im Vertrag von Verdun 843 dreigeteilt: in das Westfrankenreich unter Karl dem Kahlen, Lotharingien, das Zwischenreich unter Lothar mit dem späteren Burgund und Italien, und das Ostfrankenreich unter Ludwig, den national denkende Historiker im 19. Jahrhundert in Ludwig den Deutschen umbenannten, eine Geschichtsfälschung, da er nur rex germaniae war. Immerhin lassen die Reichsteilungen im Osten die Umrisse eines viel späteren Deutschland erkennen, das noch bis 1806 als Heiliges Römisches Reich Deutscher Nation Europas Mitte erst beherrschen, dann immerhin bewahren sollte.
Der Schlüsselbegriff des Mittelalters ist das Kaisertum. Und da das spätere Deutschland außer unter den letzten Staufern der zentrale Baustein dieses Kaisertums ist, bleibt das Schicksal des Landes bis in das 20. Jahrhundert hinein mit dieser Idee verbunden. Wann unter den Herrschergestalten von Heinrich dem Vogler bis zu Friedrich II. ein deutsches Nationalgefühl zuerst spürbar war, ist schwer zu sagen. Immerhin spricht ein Salzburger Mönch in den Salzburger Klosterannalen zum ersten Mal 920 von einem Reich der Deutschen. Gewiss aber ist ein solches Nationalgefühl um 1200, als Walther von der Vogelweide ein Preislied schrieb, in dem er von den Eigenschaften deutscher Männer und Frauen schwärmt »von der Elbe bis an den Rhein und wieder hinunter bis ans Ungarland«. Wohl nicht zufällig klingt das im Lied der Deutschen von Hoffmann von Fallersleben ganz ähnlich.
Doch anders als in den sich parallel entwickelnden späteren Nationalstaaten Frankreich, England und Spanien zielt das Kaisertum in die Weite, verkörpert einen übernationalen Anspruch als Fortsetzung der römischen Antike und des karolingischen Erbes als Schutz und Schild der Christenheit, ja, als Herr der Welt. Früh haben sich daraus Konflikte ergeben. Denn neben den Fragen, wo im Westen wie Osten die Grenze des Reiches verläuft, wie viel »Frankreich « zum »Reich«, also zu Deutschland gehört, und ob Elbslawen, Liutizen und Pruzzen dem Reich angehören sollen, ist es immer auch die Frage der Christianisierung, die sich mit den Grenzfragen in der Ostmission des Reiches mischt. Und natürlich gehörten zum antiken Erbe Rom, Reichsitalien und das Verhältnis zur zweiten übernationalen Gewalt, dem Papsttum. Mittelalterliche Kaiser sind öfter in Rom als in Deutschland gewesen. Das kann man vom nationalen Standpunkt aus beklagen, doch es gehört zum deutschen Erbe wie das Kaisertum selbst.
Das deutsche Mittelalter beginnt mit einer Reihe großer Persönlichkeiten, die lange in der Erinnerung des Volkes lebendig geblieben sind. Herzog Heinrich von Sachsen soll am Vogelherd gesessen haben, als ihm Reichsinsignien und Thronschatz von dem Frankenherzog Konrad, dem ersten deutschen König, überbracht wurden. Er war der volkstümlichste, einte das Reich, erwarb Lotharingien, schob die Ostgrenze über die Elbe vor und besiegte ein erstes Mal – sozusagen zum militärischen Luftholen – die Ungarn. Der große Historiker Leopold von Ranke hat seine Wahl »den grundlegenden Akt der deutschen Geschichte« genannt, und das 19. Jahrhundert hat ihn neben Bismarck zum »Reichsgründer« stilisiert, eine rückwärts gewandte Historisierung, die der Sachsenherzog nicht verstanden hätte.
Sein gewählter Nachfolger wird Otto I., den die Deutschen bald den Großen nennen. Unter ihm greift das Reich ins Weite. Die Ungarn werden ein für alle Mal 955 auf dem Lechfeld bei Augsburg besiegt, und der König wird frei für die Neuordnung Italiens. Nachdem er die Witwe des letzten italienischen Königs, Adelheid, aus der Burg Garda befreit und geheiratet hat, erwirbt er durch sie ein Anrecht auf die eiserne Langobardenkrone Italiens. 963 krönt ihn der Papst zum Kaiser und bindet damit das Erbe der Cäsaren an das germanisch-deutsche Heerkönigtum. Diese Wiedergeburt des Kaisertums löst auch die Päpste aus ihrer tiefen Verstrickung in die stadtrömischen Adelsfehden und macht sie frei für den geistigen und politischen Aufstieg des Papsttums, einen glücklichen historischen Moment lang im Zusammenwirken mit den deutschen Kaisern. Was diese neue geistige Weite für die provinzielle Welt der Stammesherzogtümer bedeutete, lassen noch heute die Dome von Magdeburg, Quedlinburg, Naumburg und Bamberg, die Stiftskirche von Gernrode, die Ruinen von Memleben und die Stifterfiguren am Meissner Dom erahnen. Mit der Krönung Ottos wurde Deutschland für drei Jahrhunderte unter den großen Dynastien, den Ottonen, Saliern und Staufern, nicht allein zur politischen, sondern auch zur intellektuellen Vormacht Europas.
Otto der Große hatte das römisch-deutsche Imperium begründet, aber nicht vollendet. Es blieb angefochten im Westen wie im Osten und in Reichsitalien. Die Stärke des Kaisertums beruhte auf der Reichskirche, den kaisertreuen Bischöfen, die die Zentralgewalt stützten. Was lag näher, als dass ein romantischer Jüngling auf dieser Einheit von Thron und Altar, dieser renovatio imperii, der Wiederherstellung des Römerreiches, ein neues Reich gründen wollte. Während im Westen und Osten die ersten Blüten nationaler Eigenständigkeit aufbrachen, wollte Otto III. dem Abendland wieder einen Mittelpunkt geben und ständig in Rom Quartier nehmen. Es war einer der noch oft wiederholten Versuche, die nationale Eigenstaatlichkeit in einer christlich-universalen Reichskonzeption aufzufangen. In Aachen ließ der junge Kaiser deshalb das Grab Karls des Großen öffnen und in Polen besuchte er im Jahr 1000 das Grab Adalberts von Prag, eines Märtyrers der Christianisierung Polens. Polen sollte in das Imperium Romanum eingefügt werden, doch nicht mittels Gewalt, sondern indem seinen Fürsten ein angemessener Platz in der hierarchischen Rangordnung des Imperiums zugewiesen wurde. Eine Verwirklichung dieser christlich-universalen Reichskonzeption hätte der Geschichte Europas eine andere Wendung gegeben und die zerstörerischen Kräfte des europäischen Nationalismus bannen können. Es war ein Traum des Kaisers und seiner Berater. Widerhall fand er damit weder in Frankreich noch in Deutschland oder gar in dem von mittelalterlichen Fehden zerrissenen Rom. Am ehesten noch konnten die Völker am Rande des Abendlandes, die Polen und die Ungarn, diese Gedanken nachvollziehen. Doch der frühe Tod des Kaisers im Jahre 1002 machte diesen Träumen ein Ende.
Mit Heinrich II., dem frommen Bayernherzog, beginnt eine Rückbesinnung auf die Wurzeln der deutschen Kaiser. Den Wahlspruch Ottos III. »Wiederherstellung des Römerreiches« ersetzt er auf seinem Königssiegel durch die Devise »Wiederherstellung des Frankenreiches«. Das bedeutete zwar keinen Verzicht, aber doch eine machtpolitische Beschränkung auf das realistisch Mögliche. Das Herz des Imperiums sollte künftig nicht in Rom, sondern nördlich der Alpen schlagen. Zwar zog auch Heinrich mehrmals in den Süden und wurde vom Papst zum Kaiser gekrönt, doch seine Machtbasis lag in seinem Stammland, in Bayern, Sachsen und Thüringen. Deren Fürsten musste er in den Merseburger Wahlkapitulationen von 1002 die Erhaltung ihres alten Stammesrechtes zusichern. Der Historiker Leopold von Ranke hat diese Wahlkapitulationen mit der englischen Magna Charta von 1215 verglichen und sie die erste Verfassung der Deutschen genannt. »Das deutsche Königtum kam dadurch in einen verfassungsmäßigen Zustand; die höchste Gewalt, die in der Idee eine unbeschränkte gewesen war, wurde bestimmten Beschränkungen unterworfen«.
Heinrich stärkte die Reichskirche gegen Herzöge und Grafen. Merseburg, Hildesheim und Bamberg sind durch ihn privilegiert, von ihm beschenkt und gefördert worden. Besonders Bamberg, seine Gründung, wo er und seine Frau – die heilige Kunigunde – ihre letzte Ruhe fanden, verdankt ihm viel. Der Papst, der ihn 1146 kanonisierte, begründete die Heiligsprechung damit, »dass er, der doch die Krone und das Zepter des Kaiserreiches getragen, nicht kaiserlich, sondern geistlich gelebt habe«. Noch immer ist der Kaiser der kirchliche Reformmotor, doch die Zeit, in der sich die Kirche kaiserlichem Wollen unterordnet, geht zu Ende. Heinrich II. war der letzte seines Geschlechtes, und die Legende sprach schon damals von einer »Josephsehe« zwischen ihm und der jungfräulichen Kaiserin. Nach seinem Tod wählen die Fürsten seinen Vetter Konrad.
Der Weg des aus Franken stammenden salischen Herrscherhauses beginnt vielversprechend. Am 2. Februar 1033 wird der erste Herrscher aus diesem Haus, Konrad II., in Payerne zum König von Burgund gekrönt. Das Imperium Romanum umschloss nun die drei Königreiche Deutschland, Italien und Burgund, womit das alte Lotharingien wieder vollständig zum Reich gehörte. Das mittelalterliche Kaisertum näherte sich seinem Zenit. Nie wieder sollte es auf die Höhen zurückkehren, die es unter Heinrich III. erreichte. Reichsitalien war fest in kaiserlicher Hand, und in Rom setzte der neue Kaiser gleich drei unwürdige Nachfolger des Apostels Petrus ab. Der neue Papst war ein Mitglied der Reichskirche, also ein deutscher Papst, aus dessen Händen der deutsche König die Kaiserwürde empfing. Noch einmal demonstrierten beide Gewalten, die kaiserlich-weltliche und die päpstlich-geistige, ihre Eintracht.
Mit den Reformsynoden von Pavia, Sutri und Rom begann die Erneuerung der Kirche an Haupt und Gliedern unter kaiserlicher Führung. Noch richtete sich der Kampf gegen die Simonie, also den Ämterkauf, und es ging um die Durchsetzung des allgemeinen Priesterzölibats gegen die Einvernahme des Papsttums durch die stadtrömische Aristokratie, nicht aber gegen den Bestand der Reichskirche als Grundlage des Kaisertums und wichtigste Stütze des Thrones. Doch eben darin lag die Schwäche dieses Einvernehmens. Es war an das vernünftige Zusammenwirken zweier Gewalten gebunden, die jede für sich nach dem Höchsten strebten und damit das prekäre Gleichgewicht zerstörten, auf dem das sakrale Kaisertum wie die geistliche Macht des Papstes ruhten. Vernünftig aber waren die beiden Protagonisten nicht, die jetzt aufeinander trafen, Kaiser Heinrich IV. und Papst Gregor VII., der heilige Teufel, wie er von den Zeitgenossen genannt wurde.
Canossa ist in der deutschen Geschichte doppelt symbolbehaftet. Für die einen ist es der Ort tiefster Erniedrigung mittelalterlicher Kaiserherrlichkeit, die Bismarck noch 1873 während seiner Auseinandersetzung mit dem deutschen Katholizismus im Reichstag zu dem Ausruf veranlasste »nach Canossa gehen wir nicht«; für die anderen ist der Ort das Symbol kluger Realpolitik. Aber vor allem markiert Canossa das Ende des Kaisermythos, das Ende der Einheit von Kirche und Reich. »Mit diesem bedeutungsvollen Umschwung wandte sich die Zeit von der Vollkommenheit zum Niedergang«, schrieb Jahrzehnte später ein kluger Beobachter, Otto von Freising. Der Kaiser war zwar auch danach noch mächtig, doch sein Mythos war zerbrochen; seine Macht beruhte nur noch auf den Temporalien, dem Kron- oder Hausgut, nicht mehr auf den Spiritualien, also der Herrschaft über die Seelen.
Was wir später die Trennung von Staat und Kirche nennen werden, nimmt hier seinen Ausgang und das Reich seinen langen Abschied von der Macht, der erst im Jahre 1806 enden sollte. Als der Kaiser noch minderjährig war, hatte die Kirche die Papstwahl in die Hände der Kardinäle gelegt und damit nach dem städtischen Adel auch den römischen Kaiser aus dem Wahlverfahren verdrängt. Dies entsprach den Reformgedanken, nach denen kein Laie über ein kirchliches Amt entscheiden sollte. Als Heinrich wie in alten Zeiten in Reichsitalien Bischöfe einsetzte, bedrohte ihn der Papst mit dem Bann. Als eine Mehrheit der deutschen Bischöfe daraufhin den Papst abzusetzen versuchte, bannte er den Kaiser, ein revolutionärer Akt, der die eine Hälfte des mittelalterlichen Staatsbaus, die weltliche, zum Einsturz brachte. Ein Teil der Fürsten nutzte die Gunst der Stunde, um den Kaiser mit Hilfe des Papstes abzusetzen. Denn seine Politik, rund um den Harz mit Goslar im Zentrum Krongut, also dem Reich zugehöriges Eigentum, mittels neuer von Beamten bemannter Burgen in Hausgut, also dem herrschenden Geschlecht eigenes Gut, umzuwandeln, hatte den Kaiser seinen Rückhalt im Reich gekostet. Drei Tage und drei Nächte musste der gebannte Kaiser vor der Burg von Canossa im Schnee ausharren, bevor ihn der Papst wieder in die Gemeinschaft der Gläubigen aufnahm.
Canossa machte den Kaiser zwar wieder handlungsfähig, zerstörte aber den kaiserlichen Nimbus und die sakrale Monarchie. Noch zwanzig Jahre dauerten die Kämpfe mit Aufständischen und Gegenkönigen. Am Ende starben der Papst in der Verbannung in Salerno und der Kaiser auf der Flucht vor seinem aufständischen Sohn. Beide hatten ihre sakrale Würde eingebüßt, beide hatten verloren, auch das Papsttum vermochte die neu gewonnene Macht nicht zu bewahren, schon die weiteren Bannflüche erwiesen sich als wirkungslos. Schließlich beruhte die päpstliche Autorität nicht auf den »Divisionen des Papstes«, sondern auf der Macht des Glaubens. Als diese zu schwinden begann, entschwand auch die Macht zu bannen und zu lösen.
Mit dem Wormser Konkordat von 1122 endete die Auseinandersetzung. Der Kaiser verzichtete auf das Recht der Investitur mit Ring und Stab, also den geistlichen Symbolen. Dafür wurde ihm zugestanden, dass die Bischöfe in seiner Gegenwart durch das Domkapitel, allerdings ohne Simonie, also ohne Korruption, und ohne Gewalt gewählt wurden. Die Entscheidung bei einer zwiespältigen Wahl wurde dem König überlassen, der den erwählten Bischöfen und Äbten durch die Überreichung eines Zepters die vom Reich herrührenden weltlichen Herrschaftsrechte übertrug. Staat und Kirche waren damit ein ganzes Stück auseinandergerückt. Den künftigen Kaisern war es nicht mehr möglich, das Reich mit Hilfe der Kirche zu regieren und die geistlichen Herren den weltlichen gegenüberzustellen. Mit dem Tod Heinrichs V. erlosch das salische Kaiserhaus.
Das neue Geschlecht der Staufer bedurfte schon einer gesicherten territorialen Herrschaft, um noch einmal – fast – die Höhen Ottos I. oder Heinrichs III. zu erklimmen. Es war wie eine romantische Spätblüte des mittelalterlichen Kaisertums. Sie beginnt mit einer deutschen Sagengestalt, Friedrich Barbarossa, Kaiser Rotbart, der gemäß deutschen Sagen- und Liedguts in den Höhlen des Kyffhäuser seiner Wiederkehr in ein einiges Deutschland harrt. Der Kaiser, ritterlich, eloquent und machtbewusst, hatte während seiner langen Regierungszeit von 1152 bis 1190 mit den beiden Kräften zu kämpfen, die das Reich zu schwächen begannen und es am Ende überwältigten – die deutschen Landesherren und die italienischen Städte. In Deutschland bot das mächtige Welfengeschlecht in der Person Heinrichs des Löwen dem Kaiser Paroli und verweigerte 1176 sogar die Heerfolge zum fünften Italienzug; in Italien begannen die lombardischen Städte sich von Kaiser und Papst zu emanzipieren und einen feindlichen Riegel zwischen den deutschen und den italienischen Teil des Reiches zu schieben.
Den Welfen konnte der Staufer besiegen und ihm die Reichslehen Sachsen und Bayern abnehmen. Nur das Patrimonium, sein Erbgut Braunschweig und Lüneburg, blieben welfisch bis zum Jahre 1866, als ein künftiger deutscher Kaiser nach einer neuen Niederlage das Erbe Heinrichs seinem Hausgut Preußen zuschlug. Auch die italienischen Städte konnte der Kaiser demütigen und das starke Mailand bis auf die Grundmauern zerstören. Doch wie der Untergang der Welfen den Aufstieg der Landesherrlichkeit nicht aufhalten konnte, so verhinderten sechs Italienzüge nicht das allmähliche Auseinanderdriften beider Länder. Und als 1176 bei Legnano ein städtisches Bürgerheer die Blüte der deutschen Ritterschaft vernichtete, wurden die Kräfte sichtbar, denen die Zukunft gehörte – Landesherren und Stadtbürger.
Bezeichnenderweise zog Friedrich die Reichslehen nicht zu seinen Gunsten ein, wie das zur gleichen Zeit in Frankreich und England üblich wurde, sondern vergab sie an andere Reichsfürsten, auf deren Treue er so wenig zählen konnte wie auf die des Welfen. Anders in Reichsitalien, wo mit den Roncalischen Dekreten alle Regalien, herzogliche, markgräfliche, gräfliche Rechte, Zölle und Einkünfte, dem Kaiser zurückgestellt und von ihm nach Billigkeit neu vergeben oder auch einbehalten wurden. Damit war es nur noch ein kleiner Schritt hin zur Hausmacht seines Enkels in Apulien und seiner späteren Nachfolger, der Luxemburger und Habsburger, im Südosten Europas.
Das hochmittelalterliche Kaiserreich blieb auch unter den Staufern ein personaler Herrschaftsverband, dessen Oberhaupt eher symbolische als tatsächliche Macht ausübte, dessen Rechtsstellung undeutlich blieb und immer von neuem austariert werden musste, während ihm gegenüber die Reichsstände, die geistlichen und weltlichen Reichsfürsten, ihre Stellung befestigten. Nur im Hausgut herrschte der Kaiser unbeschränkt. Als Barbarossa auf dem dritten Kreuzzug 1190 im Kalykadnus in Kleinasien, der heutigen Türkei, ertrank, war das Reich so ungefestigt, dass zwei Gegenkönige, Philip von Schwaben und Otto IV. aus dem welfischen Haus, das Reich in einen Bürgerkrieg stürzen konnten. Nur die Ankunft eines Genies, des letzten Stauferkaisers, des »Staunens der Welt«, führte das mittelalterliche Kaisertum noch einmal in ungeahnte Höhen. Doch es waren keine institutionell abgesicherten Höhen, es war die Genialität eines Einzelnen und konnte deshalb nicht dauern. Mit dem Tod Friedrichs II. von Hohenstaufen verschwindet ein Zauber aus der deutschen Geschichte. Sein Reich zerfiel, seine Persönlichkeit aber leuchtete bis in die dunkelsten Tage des 20. Jahrhunderts.
Als die nationalsozialistischen Schergen am Morgen des 9. April auf Hitlers persönlichen Befehl Admiral Canaris, General Oster und Pfarrer Bonhoeffer in Flossenburg erhängten, fanden sie in der Zelle von Canaris seine letzte Lektüre – Ernst Kantorowicz: Kaiser Friedrich II., das die Widmung trägt »Seinen Kaisern und Helden das Geheime Deutschland«. In der Figur dieses Stauferkaisers haben sich so gegensätzliche Charaktere wie Hitler und Stauffenberg gespiegelt, und der Streit darüber, wer dabei Recht hatte, hält bis heute an.
Mit Friedrich II. drängt Deutschland noch einmal ins Weite, Große, ins Abendländisch-Christlich-Römische, ist es Subjekt der Weltgeschichte. Danach fällt es zurück ins Enge, Provinzielle, wird Objekt fremder Begierden, und seine Herrscher sind nur noch ein matter Abglanz der Stauferherrlichkeit. Oder um es mit den Worten seines Biographen zu sagen: »Zum einzigen Mal in der Geschichte war damit für das ganze große, vielspältige Deutschland die Lösung des so nie wieder gelösten deutschen Problems geglückt – zum einzigen Mal wurde die adlige Jugend, die ja auch Stifte und Klöster füllte, auf eine Form hin erzogen, die nicht nur in den Grenzen der engsten Heimat, sondern überall in der Welt Geltung hatte – das einzige Mal auch, dass die Deutschen wirklich etwas im besten Sinne Weltmännisches hatten. Da war denn der Boden bereitet für eine große deutsche Plastik, die freilich in dem Augenblick jäh abbrach, als mit dem Sturz des Reiches das Rittertum, von der Welt abgeschnitten, in bürgerlicher Enge verdumpfte oder aber Deutschland verlassend in fremdem Sold kämpfte«.
Nach dem Tode Friedrich Barbarossas führt sein Sohn Heinrich VI. die staufische Weltmonarchie auf ihren Machtgipfel. Durch seine Heirat mit Constanze, der Erbin des Normannenreiches in Apulien und Sizilien, gewinnt er dem staufischen Weltmachtanspruch eine neue Basis. Doch sein früher Tod verhindert ihren Ausbau. Sein Sohn und Erbe Friedrich beginnt seine Laufbahn als verwahrloste Waise, als Spielball deutscher, päpstlicher und lokaler sizilianischer Interessen in der Königsburg von Palermo. Dass der dem Hungertod nahe und von der Barmherzigkeit einiger Bürger lebende Staufersproß neben dem Volgare, der italienischen Volkssprache, Latein, Griechisch, Hebräisch, Arabisch, Französisch und Provenzalisch lernt, ist das erste Wunder, das zweite sein berühmter Zug nach Deutschland, wo er, anfangs nur von wenigen Rittern begleitet, das deutsche Königtum von dem Welfen Otto IV. zurückgewinnt. Unterstützt von seinem päpstlichen Vormund Innozenz III. siegt er – wie später Napoleon auf seinem Adlerflug von Elba nach Paris – nicht durch Macht, sondern durch Charisma, Glück, Charme und Klugheit. Es erfüllt sich der alte Mythos: Immer – so heißt es – müssten die Waiblinger (Staufer) auch die Kaiser sein, die Welfen aber stets deren Vasallen, wenn auch als die ersten und machtvollsten Herzöge. Doch der Preis ist hoch. In Deutschland verzichtet der Staufer auf viele Kronrechte, auf Gerichtshoheit und Münzrechte zugunsten der Fürsten, die zum ersten Mal »Landesherren« genannt werden, und zum ersten Mal wird auch ein Gesetz, der Mainzer Landfriede, in deutscher Sprache verkündet. Fortan ruht »der kaiserliche Thron, dem wir verbunden sind, gleich wie die Glieder dem Haupt, wie dieses auf unseren Schultern und wird gefestigt durch unseren Bau, so dass in erhabener Majestät das Kaisertum aufglänzt und unser Fürstentum jenen Glanz widerspiegelt«.
Der Kaiser war insgesamt nur dreimal in Deutschland. Die Regierung überlässt er dort den mit wenig Geschick agierenden Söhnen, zuerst Heinrich und nach dessen Rebellion Konrad. Das staufische Problem bleibt Italien, wo Friedrich in seinem apulisch-sizilianischen Königreich den ersten modernen Beamtenstaat jenseits der mittelalterlichen Lehnswelt schafft. Mit den Konstitutionen von Melfi weist diese Schöpfung auf die Renaissance und das Modell eines voraussetzungslosen, methodisch aufgebauten Gewaltstaates voraus. Sizilien bleibt die staufische Hausmacht, die der Kaiser dem Papst wie dem Adel entzieht. Doch diese Konstellation birgt Gefahren, in denen die Staufer schließlich umkommen: Das päpstliche Territorium ist von kaiserlichem Land eingeschlossen, und in Norditalien blockieren die aufrührerischen, lombardischen Städte immer aufs Neue die Verbindungswege des Reiches, machtlogisch unterstützt von machtbewussten Päpsten. Es ist ein nur durch kurze Waffenstillstände unterbrochener Kampf zwischen Kaiser, Papsttum und den von diesem unterstützten Städten, der die Kräfte des Papsttums wie des Kaisers übersteigt.
Wenn Europa am Ende in Territorialherrschaften zersplittert und die Renaissance die geistige Macht der Kirche bricht, dann ist das die Folge dieses gnadenlosen ununterbrochenen Kampfes. Bei Cortenuova siegt Friedrich über die Lombarden 1237 in der bedeutendsten mittelalterlichen Schlacht, zehn Jahre später erleidet er vor Parma die schwerste Niederlage seines Lebens und büßt den Nimbus der Unbesiegbarkeit ein. Und je länger der Kampf dauert, desto regelloser, böser wird die Auseinandersetzung. Erst in dieser Phase des Kampfes, in der der Papst Innozenz IV. die Ermordung des Kaisers plant und selbst seine engsten Vertrauten zu Verrätern werden, greift der Kaiser zum Mittel des Terrors und rechtfertigt so die Vorwürfe von Zeitgenossen und Nachgeborenen, die im Kaiser den Antichristen und in seiner literarischen Verherrlichung durch den Juden Ernst Kantorowicz einen Kniefall vor dem ästhetischen Faschismus sehen wollen.
Doch es ist etwas anderes, ob ich die Welt mit Feuer und Schwert überziehe, um sie meiner Macht, meinem Willen und meinen Vernichtungsphantasien zu unterwerfen oder ob ich in höchster Not zur Verteidigung meiner legitimen, nach der mittelalterlichen Vorstellungswelt von Gott herrührenden Rechte auch zu grausamen Mitteln greife. Der Kaiser war zwar, wie Jacob Burckhardt beobachtet hat, der erste moderne Mensch auf dem Thron, aber eben auch überzeugt von seiner Göttlichkeit als Kaiser. Und während er in Sizilien seine Untertanen zu Hörigen herabdrückte, sah er sich selbst christusgleich und seinen zufälligen Geburtsort Jesi in den Marken als ein neues Bethlehem: »Denn aus ihr ist der Herzog hervorgegangen, des Römischen Reiches Fürst, der über dem Volk herrsche und es schütze und nicht gestatte, dass es fürder fremden Händen untertan sei.«
Am besten illustriert wohl eine Anekdote des Kaisers Weltsicht. »Der Kaiser Friedrich ging einmal auf die Falkenjagd, und er hatte einen ganz ausgezeichneten Falken, den er mehr als eine Stadt schätzte. Er ließ ihn auf einen Kranich los; der aber stieg hoch. Der Falke flog noch viel höher als er. Er sah unter sich einen jungen Adler. Er stieß auf ihn, dass er zu Boden stürzte, und hielt ihn so lange, bis er tot war. Der Kaiser lief hin in der Meinung, es sei ein Kranich; er fand wie es war. Da rief er zornig seinen Scharfrichter herbei und befahl ihm, dem Falken den Kopf abzuhauen, weil er seinen Herren getötet habe.«
Was in den grausamen Kämpfen mit Papsttum und Städten matt zu werden begann, der Glanz der kaiserlichen Persönlichkeit, bewährte sich noch einmal auf dem Kreuzzug, den er als Gebannter unternahm. Durch einen zehnjährigen Vertrag erhielt das Abendland Jerusalem zurück, mit Ausnahme des heiligen Bereiches von Omar-Moschee, Felsendom und Tempel Salomos. Ohne einen Schwertstreich, allein aufgrund seiner Persönlichkeit, gewann der Kaiser, was noch keiner vor ihm erreicht hatte. Dass der Papst dem Sultan eine Möglichkeit eröffnete, den Kaiser zu fangen und zu töten, belegt den abgrundtiefen Hass der Kirche auf den Erfolg des Staufers. Dass der Sultan diese Chance verschmähte und den Kaiser davon in Kenntnis setzte, zeigt eine andere Welt des Islam, an die wir uns gelegentlich erinnern sollten. Kein Wunder, dass der Kaiser nach dieser Erfahrung an die Könige und Fürsten Europas schrieb: »Lange genug war ich Amboss, jetzt will ich Hammer sein.«
Das Schicksal ist grausam zu den aus lichten Höhen herabstürzenden Staufern. Der Kaiser muss noch erleben, wie sein Lieblingssohn Enzio gefangen genommen wird. 23 Jahre wird er hinter Kerkermauern verbringen und dort den grauenhaften Untergang des staufischen Hauses durchleben: Der Kaiser stirbt 1250, König Manfred verliert die Krone Siziliens und 1266 in der Schlacht bei Benevent das Leben; zwei Jahre später wird der letzte Staufer, Konradin, auf dem Marktplatz von Neapel enthauptet. Nichts bleibt als der Spruch, mit dem das Volk von Palermo einst dem Dreijährigen bei der ersten Krönung zugejubelt hatte: »Christ ist Sieger, Christ ist König, Christ ist Kaiser« und der geometrische Traum von Castel del Monte, seinem persönlichen Sanssouci, halb Morgenland, halb Abendland. In Deutschland beginnt die kaiserlose, die schreckliche Zeit. In Italien dämmert die Morgenröte der Renaissance herauf.
650 Jahre später erscheint in Deutschland ein Roman, in dem der jüdische Schriftsteller Leo Perutz beschreibt, wie ein alter Baron mit Hilfe eines Rauschmittels einen durch die Jahrhunderte verborgen gebliebenen Nachfahren des Kaisers auf den Thron führen will. Doch die Bauern rufen nicht »Hosianna«, sondern »Kreuziget ihn« und zünden das Gutshaus an. Wenige Tage später wird Adolf Hitler Reichskanzler und das Buch verbrannt. Wer von den Bewunderern des Kaisers auf eine echte Erneuerung eines tausendjährigen Reiches gehofft hatte wie der Dichter Stefan George, erlebt den Triumph des Verbrechens. Zehn Jahre später wird Stauffenberg den vergeblichen Versuch machen, das Ideal des Bamberger Reiters durch die Tötung des Tyrannen zu erneuern. Noch einmal, ein letztes Mal, erhellt hier der staufische Zauber die deutsche Geschichte.