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Joe, der eigentlich Jakob hieß und gar nicht wie der klassische Biker und Kuttenträger aussah, wurde in der ambulanten Chirurgie immer noch zusammen geflickt. Er hatte keine Tattoos, keine langen Haare und auch sonst keine auffälligen äußerlichen Anzeichen. Sein kurzer Bürstenhaarschnitt und seine Brille, die er gelegentlich trug ließen ihn eher wie einen Versicherungsvertreter aussehen.

Mike war mittlerweile zu Tom ins Krankenhaus gekommen und wartete ungeduldig mit seinem Bruder auf die Entlassung des Prospects. Der große Biker warf einen Blick aufs Handydisplay 14:25 Uhr. „Wie lange ist er da schon drin?“ Mike setzte sich neben seinen Bruder und steckte das Handy wieder in die Tasche.

„Gut eine Stunde.“ Tom antwortete seinem Bruder erst nachdem er überlaut gähnte.

„Die Typen von vorhin waren die das erste mal da?“ wollte Mike wissen.

„Ja. Ich schwör dir, ich kenn den MC nicht!“ Tom redete für Mikes Geschmack etwas zu laut und eine ältere Frau neben den Beiden sah verschämt auf den Boden. So als ob sie innerlich sagen wollte, ich habe nichts gehört.

„Ja, ja ist gut.“ Mike nickte und signalisierte seinem Bruder leiser zu reden. „Ich glaub dir Tom. Wir müssen rausfinden wie viele das sind.“

Just in diesem Augenblick ging die Tür des Arztzimmers auf und Joe trat in denn Wartebereich. Mike musterte seinen Prospect. Er sah übel aus. Die Wange musste mit zwei Stichen genäht werden und über dem rechten Auge klebte ein Verband.

„Was ist mit deinem Auge?“ Mike legte bei der Frage die Hand auf die Schulter des Prospects.

„Nichts weiter. Es wurde gespült und ein kleiner Rosthof, so nannte der Arzt die kleinen Partikel, entfernt. Ich muss eine Woche lange Augentropfen nehmen und dann nochmal kommen. Der Doktor meinte ich hatte Glück, beinahe hätte ich das Auge verloren.“ Joe erwies sich als durchaus harter Kerl.

„Hast du was gesagt?“ Mike drückte die Schulter des Prospect unmerklich stärker als vor wenigen Augenblicken. „Wo denkst du hin, kein Wort Mike. Die Sache mit der Spraydose haben sie geglaubt.“ Joe grinste und sah mit dem einen Auge wie ein Lausbub aus der mit einem Streich gerade noch davon gekommen ist.

„Sehr schön.“ Mike umarmte ihn. „Du fährst mit Tom mit. Ich muss ein bisschen telefonieren.“ Mike löste sich von Joe und schob ihn Richtung seines Bruders. Er wartete einige Minuten und nach dem er sicher war dass die Beiden unterwegs waren, machte auch er sich auf den Weg zu seinem Bike. Unten angekommen setzte er sich locker auf den breiten Sitz und zog sein Telefon aus der Tasche. Er konnte die Nummer auswendig, eine Tatsache die in mittlerweile selbst überraschte. Am Anfang seiner Outlaw Laufbahn tat er sich schwer die ganzen Nummern zu merken, doch es musste sein. Alle wichtigen Telefonnummern im Handy zu speichern wäre zu riskant, ja noch nicht mal aufschreiben konnte er sie sich. Für den Fall dass die Bullen den Zettel finden würden.

Es klingelte und auch noch dreißig Sekunden später. Mike rechnete schon mit der Mailbox als der Anruf doch noch angenommen wurde. „Hallo! Ist wer dran? Robert bist du es? Ich bin´s Mike!“

„Welcher Mike?“ mehr war von der Person am anderen Telefon nicht zu hören für mehr als zehn Sekunden herrschte Stille.

„Der Lange!“ Mike musste selbst grinsen. Nur Robert nannte ihn so. Die Zwei lernten sich auf der Party zum National Runs des MC Gladius vor fast zwei Jahren kennen. Robert war Member im Chapter in Künzelsau.

„He! Lange nichts mehr gehört von dir. Wie geht´s dir?“ Obwohl sie mehrere hundert Kilometer entfernt von einander waren schien Mike bei Robert ebenfalls ein Grinsen zu spüren.

Jetzt lachte Mike leicht. „Gut, danke der Nachfrage. Ich bräuchte ein paar Infos von dir?“

„Mike bevor du weiter redest solltest du wissen dass nicht mehr beim Gladius MC bin. Nach der Scheiße vor einem Jahr haben viele Chapter entweder dicht gemacht oder mit einer Patch over Party die Farben gewechselt.“ Das Lachen war aus der Stimme des ehemaligen Bruders verschwunden.

„Bei welchem Club bist du?“ Mike ärgerte sich kurz weil er den Eindruck hatte dass er misstrauischer klang als er es vorhatte.

„Bei den Gray Wolves!“ Robert grinste wieder.

„Alt Herren MC, soso.“ Mike grinste und war merklich erleichtert.

„Sagt dir Sons of Midgard MC was?“ Nun war die Lockerheit aus seiner Stimme ganz verschwunden.

„Nicht viel, ist ein MC, der nach dem Vereinsverbot der White Ghost´s entstanden ist. Vermutlich haben sich ehemalige Member neugruppiert. Die Sons übernahm Clubhäuser, Immobilien, Geschäfte und Member der White Ghost´s. Der Name soll sie wohl auf die weiße Herrenrasse beziehen. Allerdings geht’s ihnen nicht mehr ausschließlich um Rassenhass, sie sind viel mehr an unternehmerischen Dingen interessiert.“

Es entstand eine längere Pause. Dann hakte Mike nochmal nach: „Ist das alles?“

„Wo bist du, Mike?“ wollte Robert wissen.

„Im Chapter in Passau?“ Mike versuchte sich kurz zu halten. Er vertraute Robert. Der Biker mit den langen grauen Haaren und dem Kinnbart erwies sich in der gemeinsamen Zeit als loyal und clubtreu, doch wollte er ihm nicht mehr Infos als nötig geben.

„Sie haben eine Wohnung in der Neuburger Straße und einen Selfstorage Raum in der Prachatitzer Straße. Wo genau weiß ich nicht. Aber sie haben definitiv noch kein offizielles Clubhaus in Passau. Mike ich muss jetzt Schluss machen. Mach´s gut!“ Robert drückte sich deutlich aus und lies auch keinen Zweifel daran dass das Gespräch jetzt beendet war.

„Ja mach´s gut!“ Mike drückte ihn weg. Bald musste er sich wieder ein neues Handy zu legen, neue Nummer und neuer Anbieter, wieder was zu merken. Doch zuerst musste er Tom und die Beiden Prospects an den Tisch holen.

Er schmiss seine Harley an und steuerte sie in Richtung Clubhaus, dort angekommen stellte er sein Bike zwischen zwei geparkten Autos ab sodass sie nicht gleich zu sehen war. Vor der Tür stand Joe und rauchte genüsslich eine Zigarette.

„He Prospect!“ Mike wählte einen aggressiven Grundton dass Joe kurz zusammen zuckte. „Schon gut, schon gut.“ beruhigte in Mike und kam schnell näher.

„Du hast mir einen Schrecken eingejagt.“ Joe schmiss die Kippe weg und trat sie mit dem Fuß aus.

„Ganz ruhig. Wo steht dein Bike?“ wollte Mike wissen.

„Draußen auf der Straße.“ Joe war sichtlich nervös.

„Beruhig dich.“ Mike klopfte dem Prospect auf den Rücken. „Fahr es in den Hof oder hinters Haus, es soll nicht gleich gesehen werden.“ Mike machte eine kleine Pause, griff dann in die Innentasche seiner Kutte und holte ein Päckchen Kaugummi raus. Er nahm sich einen Streifen und hielt Joe einen anderen hin. Einige Sekunden kauten die Beiden Biker wortlos vor der Tür des Clubhauses. Mike ergriff das Wort: „Wie lange bist du jetzt schon Prospect bei uns?“

„Zwölf Monate und einen Tag, Pres!“ Joe´s Brust schwoll an und er schien gerader zu stehen. Mike zuckte innerlich kurz bei dem Wort Pres zusammen. Doch dann musste er schmunzeln sodass es für Joe sicherlich nicht zu übersehen war.

„Guter Mann.“ er klopfte seinem Prospect auf die Schulter und öffnete die Tür zum Clubhaus. Nachdem er den kurzen Gang hinter sich gelassen hatte betrat er den Raum mit der kleinen Bar, in der sie letzte Nacht feierten.

An der Bar selbst hatte Tom Platz genommen und Lars schenkte sich selbst gerade ein, während Tom sein Getränk im gleichen Augenblick leerte. Mike signalisierte Tom dass er ihn am Tisch sprechen wolle. Der große Biker schritt an der Bar vorbei und öffnete auch die Tür zum Clubraum, Tom folgte nur wenige Sekunden später. Mike zog seine schwere Lederjacke samt Kutte aus und hing sie über den Stuhl am Kopfende des Tisches. Außer dem Tisch selbst, welcher mit sieben Stühlen bestückt war, war der Raum leer. Nur ein kleines Fenster, mit abgedunkelter Folie beklebt, war in die Wand links vom Tisch eingelassen. Der Tisch selbst war einfach und aus einem Möbelhaus. Keine Anfertigung vom Schreiner wie im alten Clubhaus, allerdings besorgte sich Mike aus dem Internet einen Holzhammer. Ein Filmrequisit, aber Mike fand´s geil. Tom setzte sich auf den Stuhl rechts von ihm.

„Ich hab mich ein bisschen umgehört. Dieser Club, Sons of Midgard, er sammelt die Reste der White Ghost´s ein. Die sind immer noch rassistisch, allerdings setzten sie sich auch andere Ziele.“ Mike machte ungewollt eine kleine Pause.

„Und eins davon ist die Vorherrschaft im Rotlichtmilieu in Passau?“ ergänzte Tom.

„Möglich, definitiv sind sie auf Geld und Macht aus, und du weißt genau so gut wie ich in Passau ist mit Nutten ordentlich Kohle zu machen.“ Mike ballte die Faust auf dem Tisch und spannte sich merklich an. Tom wirkte wie ein kleiner Junge im Vergleich zu Mike.

„Ja ich weiß. Im ganzen Bäderdreieck gibt es keine Puffs und bis Regensburg im Norden auch nichts. Nur in Österreich gleich hinter der Grenze und in der Tschechei. Aber ich weiß auch, nur wir zwei haben gegen die keine Chance. Verdammt Mike wir sind nicht mal ein richtiges Chapter, uns fehlen mindestens drei Fullmember. Wenn die Sons of Midgard hier mit zwanzig, dreißig Mann ankommen und ein Clubhaus eröffnen können wir wenig bis gar nichts dagegen unternehmen.“ Tom war angefressen, ihm schmerzte die Scheiße vor ihrer Haustür mindesten so wie Mike.

„Darüber wollte ich auch mit dir reden.“ Mike wurde schlagartig ruhiger und entspannter.

„Über was genau?“ Tom streckte seine Finger aus und drehte den Kopf zuerst nach links dann nach rechts. Beide mal war ein deutliches knacken zu hören.

„Jakob ist seit einem Jahr bei uns und macht sich gut. Sein Auge kommt wieder in Ordnung und heute Vormittag hat er nicht rum gejammert. Lass ihn uns auf das Selfstorage Lager der Sons ansetzten wenn er was rausfinden mit nur einem Auge bekommt er seinen Top Rocker.“ Mike nickte und versuchte Tom so zu beeinflussen. Was aber gar nicht nötig war. Tom sagte ja.

Mike klopfte ihm auf die Schulter und Tom beugte sich über den Tisch. „Jetzt wird aufgerüstet Mike, lass uns die Penner fertig machen!“ Tom schlug seinem Bruder sanft auf die Wange und griff dann mit der Hand in sein Genick.

„Joe komm rein hier!“ rief Tom den Prospect.

Die Tür wurde geöffnet und der Prospect mit dem Verband auf dem Auge betrat den Raum. „Was gibt´s?“

„Dieser MC von heute Morgen hat einen Lagerraum in der Prachatitzer Straße, finde mal raus wo genau, verstanden?“ Mike legte wieder seinen aggressiven Ton auf um deutlich zu machen wie ernst er es meinte.

„Verstanden Pres.“ Joe nickte eifrig und verschwand sofort wieder aus dem Clubraum.



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