Читать книгу Handbuch Arzthaftungsrecht - Alexander Raleigh Walter - Страница 19
2. Das dualistische Anspruchssystem
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Jeder arzthaftungsrechtliche Anspruch kann sich sowohl aus Vertrag als auch aus Delikt ergeben. Die Verletzung einer vertraglichen Pflicht aus dem Behandlungsvertrag wird in der Regel zugleich zu einer Verletzung des Körpers, der Gesundheit, des Lebens, oder auch des allgemeinen Persönlichkeitsrechts des Patienten nach § 823 Abs. 1 BGB führen. Es kommt mithin bei einem Fehlverhalten eines Arztes sowohl eine vertragliche als auch eine deliktische Haftpflicht in Betracht. Haftungsansprüche des Patienten gegen den Behandelnden können auf die eine wie die andere Anspruchsgrundlage gestützt werden; sie bestehen nebeneinander (Anspruchskonkurrenz).[8] Die Schadensersatzsumme verdoppelt sich dadurch freilich nicht.
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Vertrags- und deliktsrechtliche Bezüge überlagern sich: „Für die Reichweite der deliktischen Garantenstellung kann neben dem Fachgebiet und der organisatorischen Rollenverteilung auch die vertraglich übernommene Behandlungsaufgabe von Einfluss sein, wie andererseits faktische Kontrollzuständigkeiten die vertragliche Behandlungsaufgabe mit ausgrenzen.”[9]
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In der Literatur wird gelegentlich behauptet, dass die vertragliche und die deliktische Haftung völlig identisch seien, gleich laufen und demzufolge auf die deliktische Haftung verzichtet werden könne.[10] Dieser Ansicht ist deutlich zu widersprechen; zwischen beiden Haftungsformen bestehen gewichtige Unterschiede.
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Jeder Schadensersatz setzt – was gelegentlich auch von Gerichten übersehen wird – einen Schaden voraus. Das gerät zunehmend aus dem Blick, weil in zu starkem Maße auf den Behandlungsfehler abgestellt wird. Ein noch so übler Behandlungsfehler oder eine grobe Aufklärungspflichtverletzung führen nicht zur Haftung, wenn kein Schaden entstanden ist. Liegt kein Schaden vor, fehlt es also auch an jeder Grundlage für einen Vergleich, zu dem Gerichte aber dennoch aus naheliegenden Gründen durchaus drängen.[11]
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Eine wesentliche Gemeinsamkeit des dualistischen Systems von vertraglicher und deliktischer Haftung besteht in der Geltung des Verschuldensprinzips. Nach geltendem Recht muss stets deutlich bleiben, dass es um das Einstehen für Unrecht, nicht für Unglück geht:[12] „Die reine Arzttätigkeit einer Haftung für besondere Gefahr zu unterwerfen, erscheint absurd. Die medizinische Tätigkeit ist dem Patienten zugewendet. Der Arzt wirkt nicht auf einen gleichmäßigen, sondern auf einen bestenfalls fluktuierenden, regelmäßig sogar reduzierten oder gefährdeten Gesundheitszustand ein. Auch die weitere Verschlechterung liegt zunächst im Risikobereich des Patienten. Dabei hat der Arzt professionelle Standards einzuhalten, mehr nicht.”[13]
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Die rechtsethische Überlegenheit des gleichermaßen das Vertrags- wie das Deliktsrecht beherrschenden Verschuldensprinzips[14] verbürgt berufliche Freiheit. Auch die Rechtsgemeinschaft gewinnt durch die Beibehaltung des Verschuldensprinzips. Nach berechtigter Kritik zog die EU-Kommission den Richtlinien-Entwurf zur Dienstleistungshaftung mit dem Kernpunkt einer Beweislastumkehr für das Verschulden zugunsten des Dienstleistungsempfängers zurück.[15]
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Kritisch anzumerken ist, dass sich das Haftpflichtrecht nicht nur in Deutschland erosionsartig ausweitet,[16] wobei sich die Grenzen zwischen Unrecht und Unglück, zwischen Schadenszurechnung und Schadensverteilung verwischen und verschärfte Verkehrspflichten sowie modifizierte Beweisregeln das freiheitsverbürgende Verschuldensprinzip abschwächen und versteckten Gefährdungstatbeständen den Weg bereiten.[17] Hinzukommt die geradezu periodisch aufflammende[18] Diskussion über Alternativen zum herkömmlichen Arzthaftungsrecht[19].