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III. Deliktische Haftung

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Das Vorliegen eines Behandlungsvertrags ist im Rahmen der deliktischen Haftung unerheblich. Der Haftungsgrund liegt allein in der Verletzung eines individuellen Rechtsguts[50] aufgrund der faktischen Übernahme der Behandlung. Aus der Behandlungsübernahme folgt für den Arzt die Pflicht, die notwendigen diagnostischen und therapeutischen Maßnahmen vorzunehmen, für deren Unterlassen[51] er ebenso wie für sein Tun einzustehen hat.[52]

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Der in der Literatur vertretenen Ansicht, Haftungstatbestand sei arztrechtlich bereits der Behandlungsfehler[53], trat der BGH mit Grund entgegen: ,,Das Deliktsrecht bezweckt den Schutz von Rechtsgütern und sieht die Sanktion des Schadensersatzes nur für den Fall vor, dass ein individuelles Rechtsgut verletzt ist“.[54] Die Voraussetzungen einer deliktischen Haftung nach dem Grundtatbestand des § 823 Abs. 1 BGB sind die Verletzung eines durch das Deliktsrecht geschützten Rechtsguts (insbesondere Leben, Körper, Gesundheit, aber gegebenenfalls auch das Allgemeine Persönlichkeitsrecht) aufgrund einer rechtswidrigen und schuldhaften Verletzungshandlung, sowie der Eintritt eines durch die Verletzungshandlung kausal verursachten Schadens.[55]

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Im Rahmen der deliktischen Haftung ist darüber hinaus auch die Haftung des Geschäftsherrn für vermutetes Verschulden nach § 831 BGB von Bedeutung. Bei § 831 BGB handelt sich um einen selbstständigen Anspruch gegen den Geschäftsherrn wegen eigenen Verschuldens, wobei die zum Schadensersatz verpflichtende Handlung in einem Unterlassen liegt. Voraussetzung der Haftung (etwa eines Krankenhausträgers, leitenden Arztes, aber auch ein zum Notfalldienst verpflichteter Arzt, der sich vertreten lässt[56]) ist, dass der im Interessenkreis des Geschäftsherrn[57] eingesetzte, weisungsgebundene Verrichtungsgehilfe[58] den objektiven Tatbestand eines der §§ 823 f. BGB (Verschulden ist aber nicht erforderlich) erfüllt und den Schaden auch gerade in Ausführung der Verrichtung herbeigeführt hat. Nach § 831 Abs. 1 S. 2 BGB besteht für den Geschäftsherrn die Möglichkeit, sich von seiner Haftung durch den Nachweis zu befreien, dass ihn bei Auswahl, Anleitung und Beaufsichtigung des Verrichtungsgehilfen kein Verschulden trifft.[59] Hierbei handelt es sich um einen gesetzlich geregelten Fall des rechtmäßigen Alternativverhaltens. Dabei stellen die Gerichte an diesen Entlastungsbeweis sehr hohe Anforderungen.[60]

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Nicht als Verrichtungsgehilfe angesehen wird der Chefarzt. Für ihn haftet der Krankenhausträger als Organ nach den §§ 31, ohne Exkulpationsmöglichkeit.[61] Die Norm des § 31 BGB gewährt selbst keinen Schadensersatzanspruch, sondern setzt die zum Schadensersatz verpflichtende Handlung eines verfassungsmäßigen Vertreters voraus. Die Vorschrift rechnet – anders als § 278 BGB – der juristischen Person diese Handlung als eigene zu und zwar – im Unterschied zu § 831 BGB – ohne Exkulpationsmöglichkeit. Nach § 89 BGB findet die Vorschrift des § 31 BGB für den Fiskus sowie auf die Körperschaften, Stiftungen und Anstalten des öffentlichen Rechts entsprechende Anwendung.[62]

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Die Gerichte haben § 31 BGB schon früh weit ausgelegt. Eine juristische Person kann sich nicht dadurch der Haftung entziehen, dass sie keine Organe einsetzt. Weil es der juristischen Person nicht freistehe, selbst darüber zu entscheiden, für wen sie ohne Entlastungsmöglichkeit haften wolle, könne es nicht entscheidend darauf ankommen, ob die Satzung der Körperschaft die Stellung des Vertreters vorsehe. Es komme auch nicht darauf an, ob dem Betreffenden rechtsgeschäftliche Vertretungsmacht eingeräumt worden sei.[63]

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Neben § 831 BGB kann sich gegen den Geschäftsherrn ein Anspruch aus § 823 Abs. 1 BGB wegen eines Organisationsmangels[64] ergeben. Dem Geschädigten kann auch ein Anspruch nach § 823 Abs. 1 BGB gegen den Verrichtungsgehilfen selbst zustehen. Es kommt dann eine gesamtschuldnerische Haftung[65] nach § 840 Abs. 1 BGB in Betracht.[66]

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Im Rahmen der deliktischen Haftung sind weiterhin die Haftungstatbestände der §§ 839 und 839a BGB von Bedeutung. Nach § 839 Abs. 1 BGB, der insoweit als lex specialis den § 823 BGB verdrängt, kommt eine persönliche Haftung des beamteten[67] Arztes bei Amtspflichtverletzung in Betracht, wenn ein Beamter vorsätzlich oder fahrlässig die ihm einen Dritten gegenüber obliegende Amtspflicht verletzt. Eine Überleitung auf den Staat gemäß Art. 34 GG kommt nur in Betracht, wenn es sich um eine hoheitliche Aufgabe handelt, was im Arzthaftungsrecht nur ausnahmsweise der Fall ist[68]. Nach ständiger Spruchpraxis betätigt sich der beamtete Chefarzt einer Klinik nicht hoheitlich, sondern fiskalisch[69].

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Die Vorschrift ist für den Kläger deshalb besonders gefährlich, weil der Arzt regelmäßig nur fahrlässig handelt und sich dann darauf berufen kann, dass der Patient „auf andere Weise Ersatz zu erlangen vermag“ (Verweisungsprivileg), nämlich vom Träger. Ist das der Fall, scheidet diese Anspruchsgrundlage gemäß § 839 Abs. 1 S. 2 BGB aus. Sind daneben auch vertragliche Ansprüche gegeben, so wirkt das Verweisungsprivileg für diese nicht.[70]

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Das betrifft in Arzthaftungsfällen in erster Linie die Haftung eines beamteten Arztes[71]. In diesem Zusammenhang wurde durch die höchstrichterliche Rechtsprechung aber jüngst auch anerkannt, dass dem einen Antrag auf Beihilfe stellenden Beamten aus § 839 BGB ein Anspruch auf Ersatz der ihm durch das Unterliegen im Zivilrechtsstreit entstandenen Kosten zusteht, wenn bei der Festsetzung der Beihilfe die Überschreitung des Schwellenwertes in einer Zahnarztrechnung rechtswidrig und schuldhaft nicht anerkannt wird und er sich daraufhin wegen der bei ihm durch diese Entscheidung hervorgerufenen begründeten Zweifel an der Richtigkeit der Rechnungsstellung auf einen Zivilrechtsstreit mit dem behandelnden Arzt einlässt und hier letztlich unterliegt[72]. Auch bei einem – sehr seltenen Fall – der Haftung einer Ethikkommission der Landesärztekammer ist diese Vorschrift einschlägig.

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Eine Haftung des Arztes nach § 839a BGB kommt in Betracht, wenn er als gerichtlicher Sachverständiger vorsätzlich oder grob fahrlässig ein unrichtiges Gutachten erstattet hat und eine subsidiäre Haftung ausscheidet. Der Arzt ist dann ein gerichtlicher Sachverständiger, wenn er durch ein staatliches Gericht in einem gerichtlichen Verfahren gleich welcher Art wirksam bestellt wurde.[73] Unerheblich ist, ob er beeidigt wurde oder nicht. Weiterhin ist erforderlich, dass er ein unrichtiges Gutachten, vorsätzlich oder grob fahrlässig, schriftlich oder mündlich erstattet hat. Ein solches unrichtiges Gutachten liegt vor, wenn er von einem unzutreffenden Sachverhalt (insbesondere fehlerhafte oder unvollständige Befunderhebung) ausgeht, sofern der Sachverhalt nicht durch das Gericht vorgegeben ist, oder er aus dem Sachverhalt falsche Schlüsse zieht.[74] Der Schaden muss durch eine gerichtliche Entscheidung (wie ein Urteil, einen Beschluss oder auch sonstige Zwischenentscheidungen) verursacht worden sein. Das bedeutet, dass eine Haftung aus § 839a BGB ausscheidet, wenn das Verfahren ohne gerichtliche Entscheidung endet. In dieser Konstellation beruht der Schaden nicht auf der gerichtlichen Entscheidung. Das gilt auch dann, wenn die Parteien das Verfahren gerade unter dem Eindruck eines unrichtigen Gutachtens anderweitig, etwa durch Vergleich, beenden. Die gerichtliche Entscheidung muss ihrerseits auf dem unrichtigen Gutachten beruhen, wobei eine Mitursächlichkeit ausreichend ist. Davon ist auszugehen, wenn die Entscheidung dem Gutachten zumindest teilweise folgt und die Möglichkeit nicht ausgeschlossen werden kann, dass sie ohne das Gutachten bzw. bei einem anderen Inhalt oder Ergebnis weniger ungünstig für den betreffenden Verfahrensbeteiligten ausgefallen wäre. Ob das der Fall ist, ergibt sich aus den Entscheidungsgründen; in aller Regel aus der Beweiswürdigung.[75] Eine Haftung des Arztes als gerichtlicher Sachverständiger entfällt gemäß § 839a Abs. 2 BGB i.V.m. § 839 Abs. 3 BGB, wenn es der Verfahrensbeteiligte vorsätzlich oder fahrlässig unterlassen hat, den Schaden durch Gebrauch eines Rechtsmittels abzuwenden. Rechtsmittel in diesem Sinne sind Rechtsbehelfe, die sich unmittelbar gegen das fehlerhafte Gutachten richten und bestimmt und geeignet sind, dessen Auswirkungen auf die instanzbeendigende Entscheidung zu verhindern. Dazu zählen u.a. die Beantragung eines weiteren Gutachtens oder Einwendungen gegen das Gutachten.[76] Ersatzfähig ist jeder durch das unrichtige Gutachten und die darauf beruhende Entscheidung adäquat verursachte Schaden, soweit er in den Schutzbereich der verletzten Pflicht fällt.[77] Aktivlegitimiert ist ein am Verfahren, in welchem das Gutachten eingeholt wurde, Beteiligter. Die Beweislast für die Voraussetzungen nach Abs. 1 trägt er als der Geschädigte. Die Beweislast für den Ausschlussgrund nach Abs. 2 trägt der passivlegitimierte Sachverständige.[78] Die im Interesse des Patienten anerkannte Herabsetzung der Substantiierungslast im Arzthaftungsprozess kann nicht auf den Regressprozess gegen den medizinischen Sachverständigen nach § 839a BGB übertragen werden. Demzufolge ist der Regresskläger gehalten, schlüssig darzulegen, dass der Beklagte mindestens grob fahrlässig ein unrichtiges gerichtliches Gutachten erstattet hat[79]. Alles in allem sind die Erfolgsaussichten einer auf § 839a BGB gestützten Klage gering.

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