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Stille Einkehr im Kloster

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Ein Erfahrungsbericht von Daniela Scholl, die eine Auszeit Agentur leitet


© Nepomuk Karbacher Bilder.n3po.com

Ich fahre zum ersten Mal in meinem Leben in ein Kloster. Es ist das Kloster der Dominikanerinnen in Rickenbach bei Luzern. Ich nähere mich in abnehmenden Tempo: ab Frankfurt fährt der schnelle ICE nach Basel, ab dort der deutlich langsamere InterRegio nach Sursee und den Rest des Weges lege ich mit dem Postbus zurück, der mich in Rickenbach am Kirchplatz aus seinem gelben Bauch entlässt.

Das Kloster liegt ländlich am Rande des Ortes Rickenbach. Gleich nebenan ist ein Bauernhof mit Milchwirtschaft, so dass das sanfte Glockengebimmel der Kuhglocken mich durch den Tag und die Nacht begleitet.

Das Gebäude selbst ist ein eher nüchterner Bau aus den 80er Jahren und stimmt rein optisch gar nicht mit den Bildern überein, die ich mir von Klöstern mache. Erstaunlicherweise erleichtert diese architektonische Tatsache das Ankommen ungemein: das Kloster ist ein ruhiger, aber sehr lebendiger Ort. Es gibt nicht vor, etwas Besonderes zu sein, sondern besticht durch seine Lebensnähe und seine Alltagstauglichkeit. Das Ankommen ist daher einfach: Ich bin für einige Tage ein herzlich willkommener Gast in familiärer Atmosphäre.

Das Abendessen nehmen alle Gäste gemeinsam an großen Tischen sein. Es gibt ein kleines kaltes Buffet mit leckeren Salaten. Und ich weiß sofort, was ein anderer Gast meint, der sagt: »Hier würde es auffallen, wenn jemand nicht zum Essen kommt«. Ich bin Teil einer Gemeinschaft. Es ist nicht aufdringlich, ich habe meine Freiheit, aber es tut mir gut, dass es einen Unterschied macht, ob ich da bin oder nicht. Im Kloster Rickenbach gibt es tägliche Angebote für Gäste und zusätzlich ein festes Programmangebot, welche durch zwei Seelsorger liebevoll erstellt und durchgeführt werden. Ich nehme gleich nach dem Frühstück an einer Stunde Körperarbeit teil. Bei der Eutonie geht es um Körperwahrnehmung und Dasein im Hier und Jetzt, und ich erlebe die Dreiviertelstunde des Einfühlens in mich selbst als sehr wohltuend. Ich will gar nicht mehr aufstehen, sondern (gefühlt) tief eingesunken im flauschigen Teppich verweilen. Danach besteht die Möglichkeit, an einer Meditation teilzunehmen. Ich bin kein besonders gläubiger Mensch und verspüre anfangs eine gewisse Abneigung gegen den Impuls aus dem Buch Jesaja: »Ich habe Dich bei Deinem Namen gerufen« und dem Thema dieser Meditation: »Wer bin ich?«. Doch dann passiert etwas mit mir, das ich gar nicht erwartet habe: während der Kopf noch denkt, dass dieses Angebot vielleicht nicht so zu mir passt, hat ein zweiter Gedankengang angefangen, sich zu entwickeln. »Wie nennen mich die Menschen, welchen Namen geben sie mir?« Und ich merke nicht, wie die Zeit verstreicht, bin voll und ganz gefangen von meinem Gedanken und mentalen Aufzählungen der Namen, die ich von anderen bekomme. Wer bin ich? Vielleicht ist es an der Zeit, darüber tiefer nachzudenken, denn ich habe keine passende Antwort parat, nur Bruchstücke.

Das Mittagessen findet wieder mit allen Gästen statt. Es werden dampfende Schüsseln auf den Tisch gestellt, aus welchen sich alle bedienen. Ganz nach Belieben. Schwester Maria wirbelt wie bei jeder Mahlzeit durch den Raum und spricht mit den Gästen. Sie bietet jedem Gast nach dem Mittagessen einen Kaffee an: »Da legen wir Wert drauf«. Es ist einfach schön, hier zu sein.

Nachmittags habe ich Gelegenheit zum Gespräch mit den beiden Seelsorgern. Gespräche spielen eine wichtige Rolle, wenn Menschen sich mit dem eigenen Ich beschäftigen. Seelsorge als Fürsorge für die Seele, für die eigenen Bedürfnisse. Die beiden Seelsorger im Kloster leben im tiefen Glauben, dass alles seinen Platz hat, alles gut ist, wie es ist. Ich empfinde dieses offene »willkommen Sein« als sehr wohltuend und befreiend. »Ich darf sein, wie ich bin. Und das ist gut so«. Erkenntnis des Tages: Toleranz ist oft dort, wo ich sie nicht erwarte. Erschöpft von den neuen Eindrücken schlafe ich abends zum Geläute der Kuhglocken schnell ein.

Am nächsten Morgen wird meditativer Tanz angeboten. Ich bin eher skeptisch, ob ich mich mit dieser ganzheitlichsten Form des Betens identifizieren kann. Aber Versuch macht klug, und so stehe ich nach dem Frühstück im Aufenthaltsraum und bin gespannt, was mich erwartet. Der Tanz startet mit einer indianischen Weise und zieht mich sofort in seinen Bann. Zu den fremden Klängen brauchen wir uns nur wenige ganz natürliche Schritte und Bewegungen zu merken, wir fließen mit im natürlichen Rhythmus der Musik. Oder ist es mein eigener Rhythmus, der sich mir als ganz natürlich darstellt? Die nachfolgenden Lieder sind quer Beet aus der Populärmusik, anderen Religionen und Kulturen entliehen. Der Zugang dazu fällt mir deutlich schwerer. Die Erkenntnis der Stunde: mein eigener Rhythmus ist der indianischen Weise am nächsten. Und wieder die Frage: Wie bin ich?

Passend dazu gehe ich zur nächsten Meditation, diesmal mit dem Impuls »Gott gibt den Erschöpften Kraft und den Kraftlosen Stärke« und dem Thema »ich bin müde«. Wieder verspüre ich einen inneren Widerstand. Doch dann zeigt der Seelsorger ein Bild mit einem Säckchen Kartoffeln. Und die Gedanken beginnen zu wirbeln, zu toben. Jeder Mensch trägt ein Säckchen Kartoffeln mit sich herum. Die einen tragen 2 kg kleiner, runder Kartoffeln, die kaum beim Tragen stören. Andere tragen auch einen Sack mit 2 kg, aber darin sind wenige, dafür größere und sperrige Kartoffeln, die beim Tragen deutlich drücken. Manch einer hat mit einem kleinen Säckchen Kartoffeln angefangen und trägt inzwischen einen Zentner Kartoffeln mit sich herum. Jeden Tag. Und ein Zentner Kartoffeln ist auf Dauer zu schwer, selbst, wenn es kleine, runde Kartoffeln sind. Die Kartoffel als Sinnbild des Lebens …. Ich gehe nach der Meditation eine halbe Stunde spazieren und die Kartoffeln haben meine Gedanken weiterhin fest im Griff: jede Kartoffel ist unterschiedlich. Selbst gleiche Sorten haben bei gleichem Gewicht unterschiedliche Formen und Maserungen. Weiß ich eigentlich, welche und wie viele Kartoffeln ich so trage, Tag für Tag? Wann habe ich zum letzten Mal das Säckchen abgenommen, jede einzelne Kartoffel heraus genommen und mich gefragt, wie schwer jede einzelne ist, und ob mich diese oder jene Kartoffel besonders drückt? »Im letzten Urlaub« kommt mir spontan in den Sinn. »Da habe ich das Säckchen einfach daheim gelassen«. Kein Wunder, dass die Erholung nicht lange anhält, wenn ich nach dem Urlaub den Sack wieder schultere und weiter mache wie vorher. Erkenntnis des Tages: Urlaub heißt, Säckchen daheim lassen. Auszeit heißt, sich mit den Kartoffeln zu beschäftigen. Kartoffeln aussortieren. Anders weitermachen als vorher. Mit weniger Last oder einer besseren Verteilung.

Mittags wartet leider schon der gelbe Postbus auf mich und ich nähere mich wieder meinem Alltag. Erkenntnis der kurzen Kloster-Auszeit: Ich brauche einen gewissen Rahmen und Impulse, um meine Gedanken anzustoßen. Zwei Tage sind zu kurz. Auch Reibung schafft Bewegung. Daher: auf ein Wiedersehen, Kloster Rickenbach!

Daniela Scholl

Chef, wir müssen reden. Der Traum vom Ausstieg auf Zeit

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