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III. Über einen bestimmten Staat hinausreichendes Erkenntnisinteresse

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Reicht das interdisziplinäre Erkenntnisinteresse einer „Staatslehre“ über das Wesen und die Struktur eines einzelnen Staates hinaus, handelt es sich drittens um eine Allgemeine Staatslehre; soll hingegen das Wesen eines bestimmten Staates oder einer sehr kleinen Staatengruppe beleuchtet werden, handelt es sich um eine „Besondere Staatslehre“.[72] Beide Ansätze haben ihre Berechtigung, verfolgen jedoch unterschiedliche Zwecke. Eine Allgemeine Staatslehre zielt ihrer Idee nach darauf ab, Wesen und Charakter aller bestehenden Staaten zu ergründen. Sie wird sich daher der induktiven Methode bedienen und versuchen, vom Besonderen der individuellen Staaten auf das Allgemeine aller Staaten zu schließen. Der empirische „Staatenvergleich“ bildet ein zentrales Element einer jeden Allgemeinen Staatslehre. Das schließt eine deduktive Vorgehensweise nicht von vornherein aus. So ließen sich eventuell aus dem allgemeinen Wesen des Menschen abstrakte Hypothesen über das Zusammenleben im Staat entwickeln, die dann jeder staatlichen Gemeinschaft gemein sind oder sein müssten. Auch dieser Weg – den nicht zuletzt Karl Popper mit seiner Stückwerk-Sozialtechnik gewiss eingeschlagen oder bevorzugt hätte[73] – käme aber ohne den umfassenden Staatenvergleich zur |12|anschließenden Verifizierung (beziehungsweise Falsifizierung) der Hypothesen nicht aus. Im Übrigen ist es bisher allenfalls rudimentär gelungen, aus dem Wesen des Menschen sinnvolle Annahmen zu formulieren, die sich als Grundlage einer umfassenden und halbwegs realitätsnahen (nicht-utopischen) Allgemeinen Staatslehre eignen würden.[74] Auch hier wird daher die induktive Methode als „Grundsatzmethode“ vorgeschlagen, die, das sei noch einmal betont, nicht ausschließt (sondern sogar verlangt), den empirisch ermittelten Befund einer normativen Kritik zu unterziehen.

Der theoretisch-universelle Anspruch der Allgemeinen Staatslehre bedarf in mehrfacher Hinsicht einer Einschränkung und Modifikation. Angesichts der Vielzahl an Staaten – die Vereinten Nationen haben gegenwärtig 193 ordentliche Mitglieder – ist es zunächst unmöglich, eine umfassende Allgemeine Staatslehre zu verfassen, die sämtliche bestehenden modernen Staaten mit der gleichen wissenschaftlichen Tiefe durchdringen und analysieren könnte. Schon die Sprachbarriere ist hier nicht zu überwinden. Entsprechende Versuche hat es zwar durchaus gegeben, auch Georg Jellinek ist seine Maßstäbe setzende Allgemeine Staatslehre mit diesem Anspruch angegangen.[75] Er hat diesen aber schon wenige Seiten später wieder zurückgenommen, jedenfalls aber eingeschränkt.[76] Trotz ihres beeindruckenden Umfangs und ihrer analytischen Kraft handelt es sich in ihrem Kern „doch lediglich (um) eine Theorie des europäischen Staatstypus“,[77] die nicht zuletzt asiatischen, aber auch afrikanischen Erscheinungsformen von Staatlichkeit praktisch keinen Raum bietet. In der Regel beschränken sich die Verfasser einer Allgemeinen Staatslehre auch ausdrücklich auf die Beschreibung einer bestimmten Staatengruppe, die aus ihrer Sicht einen besonderen Erkenntnisgewinn verspricht. Herbert Krüger konzentriert sich in seinem monumentalen Werk auf den „modernen Staat“, Roman Herzog grenzt ein wenig weiter ein und behandelt den „modernen Staat demokratischer Prägung“[78], während sich Hermann Heller ausdrücklich auf den „Staat, wie er sich seit der Renaissance im abendländischen Kulturkreis ausgebildet hat“, fokussiert (womit letztlich wie bei Herbert Krüger der moderne Staat gemeint sein dürfte).[79] Einer solchermaßen auf eine Gruppe von Staaten begrenzten |13|Staatslehre ihre Allgemeinheit absprechen zu wollen, überzeugt nicht.[80] Man wird aber verlangen müssen, dass die Gruppe der ausgewählten Staaten eine signifikante Zahl an Staaten umfasst, da sich ansonsten kaum verallgemeinerbare Aussagen treffen ließen. Notwendig erscheint zudem eine Erläuterung, worin diese (subjektive) Auswahl gründet, was also das Erkenntnisinteresse an gerade dieser Staatengruppe rechtfertigt.

Nach hier vertretener Ansicht erscheint – ähnlich wie bei Martin Kriele[81]– eine Fokussierung auf den demokratischen Verfassungsstaat sinnvoll.[82] Betrachtet werden sollten vornehmlich solche modernen Staaten, die sich ihrer Verfassungsordnung nach diesem Staatstypus zuordnen lassen. Der Rückgriff auf die Verfassungsordnung allein erscheint allerdings noch als zu weitgehend, da der in der Verfassung verankerte Anspruch, Demokratie zu sein, seit dem Zweiten Weltkrieg (und noch einmal verschärft seit Ende des Kalten Krieges) von einer großen Zahl an Staaten zwar behauptet, in der staatlichen Wirklichkeit aber viel seltener eingelöst wird. Die „Demokratische Volksrepublik Korea“ (Nordkorea) ist trotz ihrer Bezeichnung ebenso wenig eine materielle Demokratie, wie die Demokratische Republik Kongo oder wie es die „Deutsche Demokratische Republik“ (DDR)[83] jemals war. Eine sinnvolle Abgrenzung und Reduzierung der zu behandelnden Staaten ergibt sich damit nur, wenn man außer dem normativ-formalen noch ein faktisches Kriterium berücksichtigt und verlangt, dass der normative „Demokratieanspruch“ zwar nicht umfassend, aber doch größtenteils verwirklicht wird. Diese Auswahl setzt damit eine normative Vorstellung von den Anforderungen voraus, die ein moderner Staat erfüllen muss, um als (materiell) demokratisch in diesem Sinne angesehen werden zu können. Streng genommen kann diese erste Auswahl daher nur als vorläufig angesehen werden – ob sie sich bestätigt, zeigt sich erst nach Entwicklung des umfassenden demokratischen Referenzmodells. Welche modernen Staaten man neben den wenigen zweifelsfrei demokratischen Verfassungsstaaten[84] noch in die nähere Betrachtung einbezieht, ist dadurch zu einem gewissen Teil eine (willkürliche) Wertungsfrage – ein Umstand, der angesichts der grundlegenden Übereinstimmung in der Frage der relevanten Kriterien aber nicht sonderlich dramatisch |14|erscheint:[85] Die Allgemeine Staatslehre fängt im 21. Jahrhundert nicht bei null an. Ohnehin besteht die Möglichkeit, die eigene Auswahl zu einem späteren Zeitpunkt zu modifizieren.

Neben dem Großteil der europäischen Staaten – eine Ausnahme bilden die Türkei, Russland, Weißrussland und einige weitere ehemalige Sowjetrepubliken[86] – gehören unter anderem die USA, Kanada, aber auch zahlreiche südamerikanische Staaten wie Argentinien, Chile, Peru, Kolumbien, Uruguay oder (noch) Brasilien zu dieser Staatengruppe. Auf dem afrikanischen Kontinent sind es Südafrika, Botswana, Namibia, Ghana, partiell auch Kenia und nun vielleicht auch Äthiopien sowie (noch) Tunesien. In Somaliland funktionieren die staatlichen (demokratischen) Institutionen, allerdings genießt dieser Staat keine internationale Anerkennung.[87] In Asien wird man Indien, Südkorea, Japan und Taiwan sowie Israel nennen können,[88] zentralasiatische Staaten (Kasachstan, Usbekistan, Kirgistan, Tadschikistan und Turkmenistan), über die in der westlichen Welt generell wenig bekannt ist,[89] wird man sämtlich nicht dazuzählen können (wenngleich sich zumindest in Kirgistan im Vergleich deutlich „demokratischere Züge“ aufzeigen lassen). Hinzu kommen aber natürlich Australien und Neuseeland.

Diese Entscheidung für eine Fokussierung auf den demokratischen Verfassungsstaat beruht auf folgenden fünf Erwägungen: Erstens findet sich mit den demokratischen Verfassungsstaaten eine prinzipiell anerkannte Gruppe moderner Staaten, an die eine Begrenzung anknüpfen kann. Die zu analysierende Staatengruppe muss also nicht (zumindest nicht in Gänze) theoretisch konstruiert werden, sondern findet sich in der „faktischen Staatenwelt“. Das entlastet aus wissenschaftlicher Sicht erheblich und wird zudem dem Anspruch der Allgemeinen Staatslehre gerecht, auch Seinswissenschaft zu sein. Zweitens erscheint diese Staatengruppe einerseits ausreichend homogen, um eine ausführliche Analyse mit den begrenzten Kapazitäten zu ermöglichen, während die modernen Staaten dieser Gruppe andererseits doch solche Unterschiede aufweisen, die auf fruchtbare Ergebnisse der Systematisierung und des (wertenden) Vergleichs hoffen lassen. R. M. MacIver hat das treffend formuliert: „Practically all modern States are, in terms of the definition already given, to be classed as democracies, but not all are quite alike in |15|character.“[90] Schon die unterschiedlichen Regierungssysteme – vom Präsidialsystem über das parlamentarische und das semi-parlamentarische Regierungssystem bis zum Direktorialsystem bieten reichlich Analyse-, Vergleichs- und normatives Bewertungspotenzial. Drittens scheint dieser Staatentyp mittlerweile derjenige zu sein, dem der Großteil der bestehenden Staaten nach Außen und Innen entsprechen will: „Es gibt nach wie vor eine internationale und auch innenpolitische Prämie auf den Status, als Demokratie zu gelten: International bringt es Prestige wie auch handfeste wirtschaftliche Vorteile; im Inneren kann man den unterlegenen politischen Gegnern immer vorhalten, sie seien eben schlicht nicht populär und müssten sich dem erklärten Mehrheitswillen beugen.“[91] Dann aber scheint es nicht nur zweckmäßig, sondern notwendig, herauszuarbeiten, was diesen attraktiven Staatentyp im Einzelnen prägt.[92] Nur dann kann fundiert dargelegt werden, dass und warum einige Staaten ihrem selbst gesteckten Anspruch nicht genügen. Erst die Entwicklung dieses normativen Referenzmodells macht es etwa möglich zu begründen, dass die türkische Verfassung nach der von Recep Tayyip Erdogan eingeleiteten Reform und entgegen den eigenen Behauptungen den Anforderungen an ein demokratisches Präsidialsystem im US-amerikanischen Sinne nicht genügt.[93] Gleiches gilt für die neue russische Verfassung, mit der Wladimir Putin seinen Machtanspruch für die nächsten Jahre gesichert hat. Für die Europäische Union kommt hinzu: Beitreten können dieser nur demokratische (europäische) Staaten, so dass man wissen muss, was solche Staaten ausmacht. Viertens erscheint es sinnvoll eine Staatengruppe zu wählen, zu der auch die Bundesrepublik Deutschland, Österreich und die Schweiz gehören. Das ist deshalb ratsam, weil es sich bei der Allgemeinen Staatslehre um eine vornehmlich deutschsprachige Disziplin handelt – bereits eine englische Übersetzung des Begriffs „Staatslehre“ bereitet Schwierigkeiten,[94] ist vielleicht gar unmöglich. Eine Allgemeine Staatslehre, die nicht auch diese deutschsprachigen Staaten in den Blick nähme, wäre zwar möglich, aber doch ungewöhnlich. Hinzu kommt die – ein subjektives Argument – Sozialisation des Autors dieser Zeilen und die damit einhergehenden Kenntnisse der deutschen Demokratie und des Grundgesetzes. Schließlich und fünftens weist der demokratische Verfassungsstaat in den letzten Jahren gewisse Krisensymptome auf,[95] die sich im Erstarken |16|rechtspopulistischer[96] beziehungsweise autoritärer Strömungen (Donald Trump, Jair Bolsonaro, Boris Johnson, AfD, FPÖ, Tea Party Bewegung etc.),[97] in einer problematischen Streitkultur sowie in einer tendenziell sinkenden Wahlbeteiligung[98] widerspiegeln.[99] „Die liberale Demokratie des Westens ist in der Defensive“, stellte Heinrich August Winkler in seiner umfassenden Analyse aus dem Jahre 2017 fest.[100] Achim Schäfer und Michael Zürn konstatieren: „Der gegenwärtige Rückzug der Demokratie scheint mehr als nur eine vorübergehende Delle“,[101] Alexander Bogner führt aus, dass der globale Drang nach Demokratie mittlerweile in eine veritable Rezession übergegangen sei[102] und Jan-Werner Müller hält lapidar fest: „Es ist ein Gemeinplatz geworden: Die Demokratie steckt in der Krise.“[103] Cristina Lafont spricht von „schwierigen Zeiten für die Demokratie.“[104] Die Wahl Donald Trumps zum 45. Präsidenten der Vereinigten Staaten markierte demnach lediglich den vorläufigen Höhepunkt dieser (trotz dessen Abwahl nach seiner ersten Amtszeit andauernden) weltweiten Krise,[105] die mittlerweile von zahlreichen AutorInnen aus ganz unterschiedlichen Perspektiven beschrieben worden |17|ist.[106] Sie hat, in den Worten Manfred G. Schmidts, dazu geführt, dass die europäischen Demokratien – man denke an Ungarn, Polen, aber auch Tschechien und Rumänien – zwar „nicht todkrank, aber auch nicht kerngesund, sondern angeschlagen“ sind.[107] Als besonders erschreckend erweist sich die Tatsache, dass von dieser Entwicklung zunehmend auch etablierte Demokratien wie die USA, Großbritannien oder Indien betroffen sind. Entgegen optimistischen Modernisierungstheorien der Nachkriegszeit war und ist die Demokratisierung insofern kein unaufhaltsamer und unumkehrbarer Prozess,[108] der demokratische Status quo nicht gesichert. Die vergleichende Analyse demokratischer Verfassungsstaaten verspricht Antworten auf die Frage, inwieweit diese Krisensymptome auf ähnliche oder sogar identische Ursachen zurückzuführen sind (Axel Schäfer und Michael Zürn sprechen von einer prinzipiell vergleichbaren doppelten Entfremdung),[109] wo Unterschiede bestehen – Philip Manow hat unlängst auf die Bedeutung der jeweiligen politischen Ökonomie hingewiesen[110] – und wie mögliche Lösungsansätze allgemeiner und besonderer Art aussehen könnten. Die Fokussierung auf demokratische Verfassungsstaaten bedeutet ohnehin nicht, dass nicht auch andere Staaten in die Betrachtung einbezogen werden müssten. Eine solche Einbeziehung erfolgt dann allerdings zur Veranschaulichung der Unterschiede und damit punktuell und unsystematisch, mithin zur deutlicheren Herausarbeitung des spezifischen Charakters des demokratischen Verfassungsstaates.[111] Sie kann aber gerade dort, wo eine materielle Demokratisierung aktuell mehr oder weniger gescheitert ist (Russland, Türkei, Ukraine, Afghanistan, Libyen, Venezuela, Syrien) auch helfen, die gegenwärtig zu beobachtenden Krisensymptome zu verstehen und besser einzuordnen.

Darüber hinaus muss sich eine Allgemeine Staatslehre auf eine Untersuchung des bestehenden Staatensystems beschränken. Die Allgemeinheit auch in historischer Perspektive einlösen zu wollen und damit zugleich eine umfassende Evolutionsgeschichte des modernen Staates zu verfassen, ist |18|angesichts der Vielfalt der historischen Staaten und staatsähnlichen Herrschaftsstrukturen nicht möglich, muss daher anderen überlassen bleiben.[112] Durch die Erkenntnisse der politischen Anthropologie ist die Zahl politischer Systeme, die in einer solchen Geschichte zu behandeln wären, noch einmal erheblich angestiegen. Diese hat seit der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts dargelegt, dass Formen von Politik und damit auch Formen von Staatlichkeit und Herrschaft keineswegs erst mit den Hochkulturen, sondern bereits in den frühen segmentären und tribalistischen Gesellschaften im Anschluss an die neolithische Revolution zu finden sind.[113] Diese Gesellschaften waren stets auch von politischem und sozialem Wandel geprägt[114] und haben eine politische Geschichte, die zu erzählen ebenso wichtig erscheint, wie sie von einer Allgemeinen Staatslehre nicht geleistet werden kann. Martin Kriele hat also Recht, wenn er festhält, dass jede Generation ihre eigene Allgemeine Staatslehre entwickeln muss.[115] Das ist demnach nicht nur aufgrund sich verändernder politischer Herausforderungen und erkenntnistheoretischer Modelle der Fall, sondern auch weil jede Generation eine veränderte Staatenwelt vorfindet, die einer eigenständigen Beschreibung und normativ-kritischen Einordnung bedarf. Dass nach dem Zweiten Weltkrieg verfasste Lehrbücher nicht selten ihren Schwerpunkt beim demokratischen Verfassungsstaat setzen, hängt insofern auch damit zusammen, dass sich dieser (erst) seitdem weltweit verbreitet hat. Damit steht zugleich fest: Keine Allgemeine Staatslehre kann zeitlose Geltung beanspruchen. Dazu hängen ihre Ergebnisse zu sehr an den sich verändernden empirischen Begebenheiten. Hier liegt der Grund, warum Hermann Heller auf den Zusatz „Allgemeine“ von vornherein verzichtete: „Dass also eine zeiträumlich ‚allgemeine‘ Staatslehre nicht erstrebt, weil gar nicht für möglich gehalten wird, soll schon im Titel dieser Arbeit zum Ausdruck gelangen.“[116] Entscheidend ist, dass man sich dieser eingeschränkten Bedeutung des Begriffs „Allgemeine“ bewusst ist, dass es also um eine Allgemeinheit im Jetzt und nicht um eine Allgemeinheit in der Zeit geht. Dann spricht nichts gegen dessen Verwendung (zumal sich diese Begrifflichkeit auch durchgesetzt zu haben scheint). Das bedeutet im Übrigen nicht, dass eine Allgemeine Staatslehre auf historische Betrachtungen jedweder Art verzichten müsste oder sollte. Sie werden allerdings nur dort erfolgen, wo es darum geht, typische Entwicklungen (etwa die Entstehung |19|und Ausbreitung des modernen Staates, den „normalen“ Ablauf von Revolutionen oder den Untergang von Staaten) durch historisch belegte Prozesse zu verdeutlichen, kurz: wo es „zum Verständnis der Gegenwart nötig ist.“[117]

Mit dieser zweiten Einschränkung hängt die letzte zusammen. Der universelle Anspruch der Allgemeinen Staatslehre sollte nicht überinterpretiert werden. Wer mit dem Ziel antritt, das Wesen des Staates zu ermitteln oder eine Theorie des Staates an sich[118] zu entwickeln, wird in einem gewissen Übereifer möglicherweise dazu neigen, bestehende Differenzen und Unterschiede zum Wohle der eigenen allgemeinen Theorie zu überspielen. Er oder sie zwängt die reale Staatenwelt dadurch in ein Prokrustesbett und verfehlt das Ziel einer empirisch zutreffenden Beschreibung des Status quo, die den Ausgangspunkt der Allgemeinen Staatslehre bilden muss. Ähnlich hält Christoph Möllers fest: „Die Rede vom ‚Staat‘ als solchem hat von vornherein Unterschiede im Namen eines vermeintlichen Idealtyps unterschlagen.“[119] Es gilt sich eine gewisse Offenheit für die Mannigfaltigkeit der heutigen Staatenwelt zu bewahren, die sich über Jahrhunderte nicht systematisch, sondern immer auch aufgrund historischer, kultureller und sozialer Zufälligkeiten und Pfadabhängigkeiten entwickelt hat. Voreilige Schlussfolgerungen können so vermieden werden. Auch die hier im Fokus stehenden demokratischen Verfassungsstaaten weisen eine Vielzahl an Gemeinsamkeiten, aber eben auch an Unterschieden auf,[120] die nicht zu Gunsten einer möglichst einheitlichen Staatsidee allzu grobschlächtig übergangen werden dürfen. Demokratie ist nicht gleich Demokratie. Erneut sei R. M. MacIver zitiert: „Practically all modern states are, in terms of the definition already given, democracies, but no two are quite alike in character.“[121]

Allgemeine Staatslehre

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