Читать книгу Arunis - Alexandra Balzer/ Karin Kehrer - Страница 5

Kapitel 3

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Ich hasse dich. Ich hasse dich. Ich hasse dich.

Schritt für Schritt kämpfte Ambra sich vorwärts. Ihr Umhang hatte sich voll Schnee gesogen, lastete auf ihren Schultern, in die auch noch der Trageriemen des Beutels schnitt. Ihre Füße waren bleischwer und die Wangen brannten wie Feuer, seit sie auf den Hügeln den eisigen Winden ausgesetzt gewesen war. Es kam ihr vor, als stapfe sie schon tagelang durch die immer gleiche, weiße Kälte. Dabei hatte sie Robina erst vor wenigen Stunden verlassen.

Arunis hatte sie geheißen, sich erst in einem Tagesmarsch nach Osten zu wenden, entlang der Hügelkette oberhalb des Danur, dann nach Norden in die Wälder von Fan. Ein mühsamer Weg, denn ab da lagen zwischen ihr und der Grenze von Sumar mindestens sieben Tagesmärsche. Tiefe Schluchten, rauschende Bäche und riesige Felsblöcke würden ihr Vorwärtskommen erschweren, es gab kaum Pfade in dieser Wildnis. Doch auch ihre möglichen Verfolger hätten mit den gleichen Schwierigkeiten zu kämpfen und hatte sie erst einmal die Grenze überschritten, mochte sie für eine Weile in Sicherheit sein. Solange niemand ihr Geheimnis kannte.

Sie wischte mit dem Handschuh die Tränen fort, die unablässig über die Wangen liefen. Beinahe blind stolperte sie weiter. Der Schmerz, Robina verlassen zu müssen und gleichzeitig zu wissen, dass die alte Frau dem Tod geweiht und sie sie nie mehr wiedersehen würde, war nicht zu ertragen. Arunis trieb sie unbarmherzig an. Sein anfängliches sanftes Flüstern hatte sich in ein schneidend kaltes Zischen verwandelt, das in den Ohren und hinter der Stirn schmerzte.

Geh! Weiter! Geh!

Bleib nicht stehen! Sieh dich nicht um!

Folge diesem Wildpfad!

Nein, nicht über den Hügel. Hier fällt deine Spur zu sehr auf! Geh entlang des Baches!

Willst du, dass Robina umsonst stirbt?

Sie opfert sich für dich.

Ambra blieb abrupt stehen. Der bittere Sturm, der in ihrem Herzen tobte, lechzte nach Befreiung.

Für mich? Bestimmt nicht! Wohl eher für dich! Sie gibt ihr Leben für eine dumme, kleine Flasche! Was bist du schon? Ein nutzloser Geist!

Wieder flossen Tränen und diesmal fehlte ihr die Kraft, sie abzuwischen.

Wie soll ich ohne sie leben? Ich bin doch verloren ohne sie!

AMBRA! Arunis’ Stimme gellte in ihrem Kopf, brennender Schmerz raste durch ihre Ohren, für einen Moment glaubte sie, taub zu sein. Sie öffnete den Mund zu einem lautlosen Schrei. Au! Du tust mir weh! Lass mich endlich in Ruhe! Es ist alles deine Schuld! Hör auf, mich zu quälen, sonst werfe ich dich in die nächste Schlucht. Es gibt hier genug davon, niemand wird dich jemals mehr finden! Oder ich begrabe dich in einem Erdloch, viele Klafter tief! Es würde mir Freude bereiten, es mit eigenen Händen zu schaufeln und dich darin zu versenken!

Sie atmete tief durch, erschrocken über ihren eigenen Zorn. Der Schmerz ließ schlagartig nach, nur zu deutlich spürte sie jetzt das Vibrieren der Flasche. Robina hatte darauf bestanden, dass sie sie an einer Kette um den Hals tragen sollte. Ambra war von Anfang an die Vorstellung zuwider gewesen, dieses merkwürdige Wesen zwischen ihren Brüsten auf der Haut zu spüren, aber ihre Ziehmutter hatte so flehentlich darauf bestanden, dass sie ihr nicht widerstehen konnte. Bei der nächsten Gelegenheit würde sie das blöde Ding abnehmen und zuunterst in ihrem Tragebeutel verschwinden lassen.

Hörst du? Ich habe es satt, mich von dir herumkommandieren zu lassen!

Zu ihrer Verwunderung schwieg Arunis still.

Oder sollte ich vielleicht deine Flasche gegen einen Felsen schmettern, dass sie in tausend Stücke springt? Wärst du dann endlich tot? Soll doch dieser Lichtmagier die Scherben aufklauben und sehen, was er damit tun kann!

Ein leises Lachen kitzelte plötzlich ihr Inneres. Tut mir leid, Kleines. Diese Flasche kann nicht zerstört werden. Weder von Magier- noch von Menschenhand und bestimmt nicht von deiner. Und falls du es noch nicht begriffen hast: Ich bin ein Geist und somit unsterblich.

Ambra hielt inne. Ihr Zorn war mit einem Mal verflogen. Unsterblich? Das bedeutet …?

Ja. Wenn ich Pech habe, verbringe ich noch Äonen in diesem Ding.

Sie versuchte sich vorzustellen, wie es sein musste, in einem so engen Behältnis hausen zu müssen. Der Gedanke verursachte ihr Atemnot.

Oh ihr Götter! Wie lange bist du denn schon da drin?

Der Geist seufzte.

Länger als sich ein sterbliches Wesen das vorstellen kann.

Täuschte sie sich oder zitterte Arunis’ Stimme tatsächlich? Bevor sie darüber nachdenken oder etwas erwidern konnte, sagte er schon: Wir dürfen uns nicht aufhalten. Du siehst sicher ein, dass wir so weit wie möglich von Robina entfernt sein müssen, wenn der Lichtmagier kommt.

Ambra versuchte den Kloß in ihrem Hals zu ignorieren und nicht an ihre Ziehmutter zu denken, die sie ganz alleine in ihrer Hütte zurückgelassen hatten. Ja, ich weiß. Aber dieser Lichtmagier wird mich ohnehin finden, oder nicht? Wozu die Mühe, überhaupt zu fliehen? Es ist schwierig, in diesem Schnee unauffällig vorwärts zu kommen, auch wenn ich noch so sehr darauf achte, keine Spuren zu hinterlassen.

Nicht, wenn der Schneesturm sie verweht.

Der Schneesturm? Erschrocken starrte sie zum Himmel. Sie konnte nur ein Fleckchen Hellgrau zwischen den Bäumen ausmachen.

Du kannst es nicht sehen, doch im Norden steigt eine dunkelgraue Wolkenwand auf. Du wirst noch weitergehen können, bis die Dämmerung kommt, dann wirst du einen Unterschlupf suchen müssen.

Eine eiskalte Hand griff nach ihrem Herzen, als ihr bewusst wurde, was das zu bedeuten hatte: Alleine in stockfinsterer Nacht, dem Toben der Elemente ausgesetzt, nur mit diesem – diesem Ding als Begleiter.

Sie starrte auf die riesigen Baumstämme, hatte plötzlich das Gefühl, als wären sie drohend zusammengerückt. Auch schien es ihr viel dunkler als zuvor. Wie klein und ohnmächtig sie doch war! Wie sollte sie diesem Lichtmagier standhalten? Er würde sie finden, ganz gewiss. Das Krächzen eines Raben durchschnitt die Stille und sie fuhr zusammen. Rief Rakati, der Gott des Todes, schon nach ihr?

Ambra!, flüsterte Arunis. Die Flasche vibrierte leicht und schenkte ihr sanfte Wärme, holte sie aus ihrer Starre. Verlier nicht den Mut. Du bist etwas Besonderes, weißt du das nicht? Zusammen werden wir allen Gefahren trotzen. Wir werden beide unsere Bestimmung finden, wie die auch immer sein mag. Vertrau mir!

Ambra lächelte bitter. Du hast leicht reden. Was soll dir schon geschehen? Einem unsterblichen Geist … Gleichzeitig bereute sie den Gedanken sofort. Sie hätte niemals mit Arunis tauschen mögen. Sie straffte ihre Schultern. Also gut. Ich vertraue dir. Naja, ein bisschen wenigstens.

Arunis lachte leise und sie wunderte sich über das warme Gefühl, das sie plötzlich durchströmte. Vielleicht war es doch nicht so übel, einen Flaschengeist zum Begleiter zu haben …

***

Ambra war tapfer gelaufen, selbst, als sie dem Zusammenbruch nah war. Zum Schluss hatte sie kaum noch reagieren können, so kalt und steif waren ihre Gliedmaßen. Arunis war besorgt, dass Ambra hier draußen jämmerlich erfrieren könnte oder vielleicht Zehen und Finger verlor, darum hatte er sie gnadenlos angetrieben. Der Wind heulte wie eine Meute hungriger Wölfe, längst war es dunkel geworden. Zum Schluss hatte Arunis sie geführt, ihr bei jedem Schritt geistig gezeigt, wo sie ihn setzen musste. Nun versagten ihre Kräfte endgültig, Ambra sank in die Knie.

Kann nicht mehr!, dachte sie matt. Schnee peitschte ihren zierlichen Körper, der aufgehört hatte zu zittern. Arunis wusste, was das bedeutete: Ohne Hilfe würde Ambra niemals wieder aufstehen können.

Nimm meine Flasche in die Hand, befahl er. Ambra versuchte es, doch ihre Arme gehorchten nicht. Verzweifelt durchdrang Arunis die Umgebung mit seinen Sinnen. Irgendetwas, irgendjemand musste hier sein, um Ambra zu retten! Er hatte Robina geschworen, auf sie aufzupassen.

Als er ein Bärenweibchen im Winterschlaf entdeckte, frohlockte Arunis vor Erleichterung. Seine Macht war gefesselt, solange er sich in der Flasche befand, aber mit der geistigen Kraft seines Besitzers konnte er die Welt wahrnehmen und in geringem Maße auch beeinflussen. Ambras Kräfte zerfielen, er musste sich sehr beeilen. Zum Glück war das Weibchen durch Schlaf und Hunger zu schwach, um ihm zu widerstehen. Brummend tapste es in den Sturm hinaus, um Arunis’ Ruf zu folgen. Ihre beiden Jungen blieben zurück, sie schrien ängstlich nach ihrer Mutter. Die konnte sie nicht hören, ihre halbschlafenden Sinne waren von Arunis gebannt.

Folgsam schnappte die Bärin nach dem Tragbeutel und zerrte Ambra mit sich.

Halt durch, gleich wird es warm, sprach Arunis unentwegt in Ambras schwindendes Bewusstsein. Es war schwierig, die Bärin trotz des Sturmes in Trance zu halten, doch endlich war es geschafft: Ambra landete in einer warmen, trockenen Erdhöhle. Die Bärin sank augenblicklich zurück in den Schlaf, während Arunis sich noch einmal anstrengen musste, um die Jungtiere abzuhalten, Ambra als Spielzeug zu benutzen. Stattdessen brachte er sie dazu, sich nah bei ihr zusammenzurollen und mit ihren kleinen, pelzigen Körpern die junge Frau zu wärmen.

Schlaf, du bist in Sicherheit, flüsterte Arunis zärtlich. Er würde nun Wache halten müssen, damit die Bärenfamilie auf keinen Fall vor Ambra munter wurde. Zufrieden mit sich und seinem Werk entspannte er sich mit Erinnerungen. Davon hatte er genug, für jede Gelegenheit und Stimmungslage …

***

Evlin befreite sich aus seinem behelfsmäßigen Unterschlupf. Der Sturm war früher über ihn hereingebrochen als erhofft, aber nun ließ Osharkas Zorn endlich nach. Der Gott des Winters lag allzu oft im Streit mit Kanuri, dem Gott der Winde. Wenn Kanuri seinen eisigen Atem aus dem Norden spüren ließ, dauerte es nie lange, bis Osharka seine Schneewolken auftürmte, um sich seinem Rivalen entgegenzustellen. Sie kämpften gemeinsam um die Gunst von Naura, der Frostgöttin, die es liebte, wenn die Sonne auf Raureif und Eiszapfen schien und so die Welt zum Glitzern brachte.

Leise fluchend kämpfte sich Evlin aus dem hohlen Baumstamm frei und zerrte an seinem Köcher, der sich im Geäst verfangen hatte. Evlin hatte damit die Öffnung im Stamm so gut wie möglich abgedichtet.

Ein Blick auf die sonnengefluteten Lande bewies, dass Naura es geschafft hatte, ihre beiden Liebhaber zu besänftigen. Da der Wind nun sacht aus dem Westen blies, würde das Wetter sich gewiss zwei Tage lang so halten. Eigentlich hatte Evlin nur auf gut Glück Ausschau nach jagdbarem Kleinwild gehalten und wollte rasch zurück in sein Dorf. Er war nicht für eine längere Jagd gerüstet. Andererseits war die Gelegenheit zu günstig, um sie verstreichen zu lassen. In den dichten Wäldern westlich seines Dorfes streiften große Damhirsche umher. Einen jungen Bock oder eine Färse könnte er erlegen und mittels eines provisorischen Schlittens nach Hause bringen. Ifra würde ihn für seinen Mut bewundern, und sie brauchten dringend neue Nahrungsvorräte, nachdem ein Teil der Getreideernte durch Fäulnis verloren gegangen war.

So sei es! Entschlossen packte Evlin seinen Bogen, vergewisserte sich, dass er ausreichend Pfeile dabei hatte und die Sehne trocken geblieben war. Dann schnallte er sich die breiten Holzbretter unter die Stiefel, die es ihm ermöglichten, leichter über den Schnee zu laufen und sogar ein wenig zu gleiten, und machte sich auf den Weg.

***

Ambra! Wach auf! Ambra!

Das hartnäckige Flüstern drängte sich in einen Traum, in dem sie mit Robina Hand in Hand über eine sonnenbeschienene Lichtung lief. Ein Jubeln wollte sich aus ihrer Kehle befreien, doch alles, was sie zustande brachte, war ein heiseres Knurren.

Ambra! Hörst du mich? Aufwachen!

Die Lichtung löste sich auf, ebenso Robinas Gesicht.

Sie drehte unwillig den Kopf, öffnete die Augen, erschrak. Tiefe Dunkelheit um sie herum.

Ganz ruhig, hörte sie wieder dieses Flüstern. Das zumindest war kein Traum. Sie wollte sich aufrappeln, aber es ging nicht. Etwas Schweres drückte sie nieder. Sie lag still, mit wild klopfendem Herzen und versuchte, Ordnung in ihre Gedanken zu bringen.

Richtig, sie war geflohen, zusammen mit Arunis.

Robina.

Schmerz stieg in ihr auf, mit aller Macht musste sie die Tränen unterdrücken.

Alles ist gut, der Schneesturm ist vorbei. Es wird Zeit, weiterzuziehen.

Sie schluckte die Tränen hinunter. Bei Ephemi, der Göttin der Trauer, sie hatte genug geweint!

Arunis? Wo bin ich? Die Dunkelheit lag beklemmend auf ihr. Noch dazu nahm sie nun einen strengen Geruch wahr. Nach Tier. Mit den Fingerspitzen tastete sie vorsichtig den Boden ab.

Erde. Und eindeutig etwas Haariges.

Eisiger Schreck fuhr durch ihre Glieder, als sich etwas knapp neben ihr bewegte. Das Etwas schnaufte, schmatzte und knurrte.

Ein Bär?

Beinahe richtig geraten, kicherte Arunis. Genau genommen sind es drei.

Was? Wie?

Sie wagte nicht, sich zu rühren.

Ich wusste nicht, wie ich dich sonst warm halten sollte. Komm jetzt! Bewege dich ganz vorsichtig, ich werde dafür sorgen, dass sie nicht aufwachen.

Ich kann nichts sehen!

Arunis lachte leise. Ich helfe dir. Die Höhle ist nicht groß, aber du wirst den Schnee beseitigen müssen.

Für dich ist das alles wohl ein großer Spaß, meinte sie anklagend.

Naja, ich gebe zu, dass ich schon lange nicht mehr so viel Abwechslung hatte. Nun mach endlich!

Sie rappelte sich vorsichtig auf, tastete noch einmal ihre Umgebung ab. So wie es sich darstellte, hatte der Bär seine Vorderpranke um ihre Mitte gelegt. Sie hob die schwere Tatze langsam hoch und schob sie zur Seite.

Hielt inne, als das Tier ein leises Knurren ausstieß. Doch anscheinend schlief es tief, es rührte sich nicht.

Im Sitzen ließ sie ihre Hände weiter forschen. Ihre Finger stießen auf ein weiteres Fellknäuel, das zu ihren Füßen lag.

Ein Junges. Arunis’ Stimme klang knapp und sie glaubte, leichte Anstrengung in ihr zu hören. Schieb es einfach langsam zur Seite.

Sie tat, wie er ihr geheißen hatte. Das Bärenjunge bewegte sich nicht. Seltsam. Wie machte Arunis das?

Auf allen Vieren kroch sie weiter. Ihre Finger tasteten Schnee und sie begann zu graben. Es war nicht weiter schwierig, er war leicht und pulverig. Sie blinzelte, als sie endlich Tageslicht sah und musste geblendet die Augen schließen.

Dann sah sie sich um. Sie befand sich in einer leichten Senke, die von Fichten umgeben war. Der Himmel über ihr war blitzblau, die Strahlen der Sonne, die durch die dichten Äste fielen, ließen die weiße Pracht glitzern.

Wir müssen weiter, mahnte Arunis.

Erst jetzt merkte sie, dass der Riemen des Tragebeutels ganz zerschlissen war. Zum Glück hatte sie Ersatz mitgenommen. Nicht auszudenken, wenn sie den Beutel verlor! Sie knüpfte einen neuen Riemen und zurrte den Tragebeutel fest. Die Höhle verschloss sie mit Schnee, damit die Bären ungestört weiterschlafen konnten.

Sie streckte ihre steifen Muskeln. Ihr Magen knurrte laut in der Stille.

Also gut. Du solltest vielleicht vorher essen.

Nachdem sie ein Stück Brot und eine Handvoll Trockenfrüchte verspeist und ihren Durst mit Wasser aus dem mitgebrachten Lederschlauch gestillt hatte, stapfte sie weiter. Es war ein beschwerliches Unterfangen. Der Schnee lag zum Teil kniehoch, ein Pfad war nicht zu erkennen und obwohl Ambra daran gewöhnt war, stundenlang durch unwegsames Gelände zu streifen, sank sie immer wieder bis zu den Knien im Schnee ein, stolperte über Äste und Steine, die unter dem Weiß verborgen waren und rutschte auf dem festgefrorenen Schnee. Schon nach kurzer Zeit war sie mit ihren Kräften wieder am Ende.

So geht das nicht, hörte sie Arunis plötzlich sagen, als sie keuchend am Rand eines Abhangs stehen blieb. Ich glaube, ich habe einen Fehler gemacht. Ich hätte dich nicht nach Norden führen sollen.

Ach? Das fällt dir jetzt ein?

Tut mir leid. Ich bin nicht unfehlbar.

Der Geist hörte sich so zerknirscht an, dass Ambra lächeln musste.

Ist schon gut. Lass mich nachdenken. Diesmal werde ich mir etwas überlegen.

Es musste doch eine Möglichkeit geben, um schneller vorwärts zu kommen!

Ihr Blick fiel auf einen abgestorbenen Baum. Eine uralte Fichte, die von einem Blitz getroffen und deren Stamm geknickt worden war. Auf der vom Wind abgewandten Seite hing ein Stück Rinde. Sie versuchte, es vom Stamm zu lösen und tatsächlich hielt sie es wenig später in einem Stück in den Händen. Es war stark genug für ihr Vorhaben. Mit den Fingern glättete sie die Rückseite, kehrte an den Rand des Abhangs zurück, band ihren Tragebeutel fest und setzte sich darauf. Es hatte gerade die richtige Größe für ihr Hinterteil. Sie stemmte die Fersen auf den Boden und stieß sich ab. Es dauerte einen Moment, bevor das Rindenstück zu rutschen begann und sie musste ordentlich nachschieben. Aber dann entwickelte es eine erstaunliche Geschwindigkeit. Sie sauste den Berg hinunter, immer schneller, musste aufpassen, den einzelnen Bäumen auszuweichen, die auf dem Abhang standen. Mit den Füßen bremste sie, wenn es ihr zu schnell wurde und mit den Händen lenkte sie geschickt. So war sie auch früher schon als Kind über die Wiesen gesaust. Ihre Augen begannen zu tränen, ihre Wangen brannten, der Fahrtwind pfiff um ihre Ohren, aber sie genoss die wilde Rutschpartie, hätte am liebsten laut gejauchzt. In voller Fahrt hob sie sich hoch, setzte über einen kleinen Hügel hinweg, es kribbelte in ihrem Bauch, schon landete sie wieder, sauste weiter. Viel zu schnell war sie am Fuß des Abhangs angelangt. Das Rindenstück verfing sich in einer Schneewehe, sie purzelte kopfüber in das pulverige Weiß. Für einen Moment lag sie still.

Ambra? Ist alles in Ordnung?

Ein Lachen begann ihren Körper zu schütteln, sie keuchte und wischte den Schnee aus ihrem Gesicht.

Ambra?

Arunis’ Besorgnis ließ sie innehalten, dann lachte sie erneut los. Das war doch gut, oder nicht? Was für ein Spaß!

Der Geist sagte nichts. Ambras Heiterkeit verflog schlagartig. Was hast du? Sie spürte sein Zögern.

Es – es ist nichts. Das hast du gut gemacht. Ich hätte nicht gedacht …

Was?

Arunis antwortete nicht und so packte sie mit einem Schulterzucken das Rindenstück, befreite es von Schnee und klemmte es unter den Arm. Ein mühseliger Aufstieg stand ihr bevor. Diese Seite des Hügels war mit großen Steinen übersät, die Wurzeln der Bäume bildeten tückische Schlingen und bestimmt hatte der Atem Nauras schlüpfriges Eis entstehen lassen. Aber der Hang war zum größten Teil schneefrei.

Behutsam setzte sie sich in Bewegung. Nach ein paar Schritten blieb sie abrupt stehen.

Du kannst das lassen!, sagte sie zu Arunis.

Was meinst du?

Ich bin kein kleines Kind, ich kann alleine gehen. Du musst nicht ständig meine Schritte leiten.

Oh! Ich …

Während Ambra weiterstapfte, blieb Arunis ungewöhnlich still. Nach einer Weile hielt sie sein Schweigen nicht mehr aus. Habe ich dich gekränkt? Das wollte ich nicht. Es ist nur – ich bin daran gewöhnt, für mich selbst zu sorgen. Das, was du letzte Nacht für mich getan hast, war großartig, obwohl ich immer noch nicht genau weiß, was du gemacht hast.

Sie blieb stehen, um kurz zu verschnaufen. Denkst du, wir werden es jemals bis zur Grenze von Sumar schaffen? Und sind wir dann in Sicherheit? Weißt du, ob Robina noch lebt?

So viele Fragen.

Ich weiß es nicht, sagte Arunis leise.

Arunis

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