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Verlassene Hirsche auf industriellem Parkplatz

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Sillas verabschiedete sich vom Friedhof der verlassenen Existenzen und betrat bald ein Wäldchen. Er nahm einen langen Fußmarsch auf sich und gewann allmählich wieder das Körpergefühl über seine laufenden Beine. Sillas marschierte vorbei an den Ruinen der Vergangenheit. Geschlossene Fabriken. Verlassene Hotels. Überbleibsel aus der Geschichte einer Nation.

Aus den Ruinen dieser Vergangenheit tauchte Sillas in die Gegenwart des Industriegebiets ein. Lange marschierte er durch das unbekannte Industriegebiet, das sich in der Nähe der verlassenen Ruinen befand.

Während dieses langen Fußmarsches machte Sillas eine seltsame Entdeckung. Zwei Hirsche mitten im Industriegebiet. Ungewöhnlich-zutrauliche Wildtiere, verirrt in der menschlichen Zivilisation. Nicht unweit von der Schnellstraße.

Mit offenem Mund und weit aufgerissenen Augen beobachtete der auferstandene Greis die verirrten Wildtiere entlang der Schnellstraße. Zwei Hirsche, ungestört vom tobenden Verkehrslärm der rasenden Autos. Sich selbst überlassen. Sillas konnte nur staunen. Die verlassenen Hirsche weideten auf dem Parkplatz eines Wäschereiunternehmens, das sich auf der gegenüberliegenden Straßenseite befand. Hin und wieder liefen die Wildtiere auch zwischen den geparkten Fahrzeugen herum.

Sillas fing an, sich Fragen zu stellen: Was hatten diese Wildtiere im Industriegebiet zu suchen? Normalerweise seien Hirsche menschenscheu. Reine Waldtiere. Das wusste der auferstandene Greis instinktiv aus dem früheren Leben. Deshalb lag die Vermutung nah, dass die Hirsche auf der Flucht vor Jägern seien; schließlich hatte Sillas während seines Fußmarsches zahlreiche Jägersitze in den umliegenden Wäldern gesehen.

Aus Angst vor den Jägern hatten sich die beiden Hirsche vermutlich vor ihrem natürlichen Dasein, dem Wald entfernt und waren mitten auf dem Parkplatz eines Industrieunternehmens gestrandet, denn dort mussten sie nicht um ihr Leben bangen.

Auf der Flucht vor den Menschen und schließlich unter den Menschen gestrandet. Ein unauflöslicher Widerspruch, der Mensch sein alleiniger Verursacher.

Zugleich ließen die in der Zivilisation gestrandeten Hirsche eine Vorahnung zu – die Vorahnung, dass der Platz fehlte. Für die Natur. Für das Allein-Sein. Für die Harmonie. Für die Gesundheit. Für die Privatsphäre.

Sillas betrat eine zugebaute Gesellschaft, die stets nur auf Fortschritt bedacht war. Eine modernisierte Gesellschaft, wo sich der Mensch alles nahm, was im Weg stand.

Gedankenverloren marschierte Sillas weiter. Bis ihm ein Streifenwagen entgegenkam. Der Lärm der Polizeisirene pochte in seinen Ohren. Erst dann bemerkte Sillas, dass er mitten auf der Verkehrsstraße lief.

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