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Meine Lehrer, meine Heiler

Jedes Pferd ist einzigartig und besitzt ganz spezielle Charakterzüge, die uns helfen, in uns etwas zu erkennen. Vielleicht erkennst du dich in der einen oder anderen Schilderung. Ich will dich ermuntern, eventuell unbequeme Charakterzüge deines Pferdes unter dem Gesichtspunkt des Lernens zu betrachten, statt zu versuchen, das Pferd verändern zu wollen. Dies kann dir ganz neue Wege und Einsichten bescheren und dein Pferd kann sich in seiner wahren Wesenheit offenbaren und über sich selbst hinauswachsen.

Mein erster wirklich großer Lehrer war und ist Racky, ein Wallach hannoveranischer Abstammung. Racky ist ein sehr dominantes und energetisch präsentes Pferd. Mit ihm habe ich viele Tiefschläge, Rückschläge, Krisen und teilweise auch gefährliche Situationen erlebt. Gefährlich deshalb, weil ich in den ersten Jahren noch sehr unbewusst und unbedarft an das Reiten und die Pferdewelt im Allgemeinen herangegangen bin. Diese Unbewusstheit und Unbedarftheit kann ich bei vielen Menschen beobachten. Unbewusstheit auf der Basis eines starken Egos kann im Umgang mit Pferden gefährlich sein. Eine Mischung, die sich im Umgang mit Pferden nicht verträgt.

Pferde können die Verantwortung für Menschen übernehmen.

Unbewusstheit auf der Basis der Unschuld beziehungsweise Demut ist dagegen kein großes Problem. Als Beispiel können wir hier die Beziehung von geistig behinderten Menschen zu Pferden anführen. Diese Menschen sind meist sehr unbewusst, doch ohne Ego und dessen Allüren. In diesen Fällen können wir etwas Herzerweichendes beobachten: Pferde übernehmen in solchen Fällen meist die Verantwortung für diese Menschen.

Nun zurück zu meinem Racky: Ich war in den ersten Jahren meines Zusammenseins mit Racky sehr unbewusst und hatte diese Egoallüren. Aufgrund dieser energetischen Voraussetzung war ich für mein Pferd in den Anfängen kein ernst zu nehmender Partner. Allenfalls ein Wesen, das ständig etwas wollte und dabei Anforderungen stellte, die jeglicher Achtung und Höflichkeit ihm gegenüber entbehrten. Mein Pferd hatte unendliche Geduld mit mir. Tatsächlich ist dies seine große Spezialität: Er lehrt die Geduld. Bevor ich jedoch in dem Fach Geduld unterrichtet werden konnte, musste er mir erst Akzeptanz beibringen.

Ins Reine kommen

Als ich – durch meine Tochter – den Wiedereinstieg in die Pferdewelt fand, dachte ich zunächst, ich müsste dort anknüpfen, wo ich damals aufgehört hatte: Dressurreiten. Dies tat ich auch und kaufte mir ein nach meinen Vorstellungen passendes Pferd – Racky. In Wahrheit war es Racky, mein Pferd, das sich mich ausgesucht hatte. Dessen war ich mir natürlich nicht bewusst.

Die ersten Monate unseres Zusammenseins waren für mich so, wie ich es von früher kannte: Ich kam in den Stall, putzte mein Pferd, sattelte es und ritt meine Übungen. Ein- bis zweimal die Woche erhielt ich englischen Reitunterricht.

Ich war einigermaßen zufrieden. Tief in mir fühlte ich: Da war noch etwas, da musste es noch etwas geben. Zu diesem Zeitpunkt kannte ich nichts anderes und konnte mir auch nicht vorstellen, dass ich – außer reiten – mit meinem Pferd noch etwas anderes machen konnte. So verliefen die ersten Monate meines wiedergefundenen Reiterlebens ruhig, bis ein Vorfall meine ganze bisherige Welt über den Haufen werfen sollte. Mein Pferd machte Probleme und ich kam mit ihm nicht mehr zurecht. In meinen Augen war es mein Pferd, das nicht mehr funktionierte. In Wirklichkeit war jedoch ich, besser gesagt mein Ego, das Problem.

Wir sollten zurück zu den Wurzeln und alles loslassen.

Zum damaligen Zeitpunkt suchte ich die Lösung für das Problem in verschiedenen Ansätzen: neue Ausrüstungen, neue Vorgehensweisen, neue Techniken. Alles führte – wenn überhaupt – nur zu kurzzeitigen Verbesserungen, bis es dann wieder schlimmer wurde und ich irgendwann gar nicht mehr mit meinem Pferd zurechtkam. Am Höhepunkt dieser Negativentwicklung konnte ich Racky nicht mehr führen. Ich hatte Angst, zu ihm in die Box zu gehen. Ich konnte ihn nur noch aus einer sicheren Entfernung beobachten. Zum Beispiel wenn er auf der Koppel graste, stellte ich mich an den Zaun. Ich brauchte immer die Sicherheit, jederzeit fliehen zu können. In dieser Phase spielte ich kurzzeitig mit dem Gedanken, mein Pferd zu verkaufen und der Pferdewelt endgültig den Rücken zu kehren. Doch die Liebe zu diesem Pferd war – zu meinem Glück – so groß, dass dieser Schritt keine wirkliche Option für mich war. Ich musste Wege finden, um mit meinem Pferd wieder „ins Reine“ zu kommen. Dies bedeutete in Wahrheit, mit mir selbst ins Reine zu kommen, Dinge zu erkennen, die ich im Alltag ohne mein Pferd nicht erkannt hätte, mit einem Wort, ich musste bewusster werden. Nur wie?

Alle Horsemanship-Kurse konnten mir nicht weiterhelfen. Absolvierte ich mit meinem Pferd so einen Kurs, funktionierte alles wunderbar – solange der Trainer dabei war. War ich dann zu Hause wieder auf mich allein gestellt, wurde alles noch schlimmer. Heute weiß ich warum. Ich setzte nur Techniken um, ohne die entsprechend notwendigen Energien in mir entwickelt zu haben, die entscheidend sind, damit die Techniken funktionieren. Ein Dilemma, das ich nicht einmal als solches erkannte. In meiner großen Verzweiflung blieb mir nur eines: Ich musste direkt von meinem Pferd lernen, wenn ich irgendwie weiterkommen wollte.

Loslassen und beobachten

Es bedeutete, dass ich alles, was ich in den vergangenen Monaten an Wissen auf Kursen und durch Eigenstudium erworben hatte, vergessen musste. Es bedeutete, zurück zu den Wurzeln und alles vollkommen loslassen. Es lag ein langer und mit Rückschlägen gepflasterter Weg vor mir, doch das wusste ich zum Glück nicht.

Ich war an einem Punkt angelangt, an dem gar nichts mehr ging. Ich konnte nur beobachten, und dies nur aus sicherer Entfernung. Das war mein erster Lernschritt, den ich von meinem Pferd empfangen habe: in Akzeptanz beobachten.

Ich verbrachte Tage, Wochen, ja sogar Monate damit, nur zu beobachten. Mein Pferd befand sich damals in einer sehr schönen Unterkunft mit großen Koppeln und der Möglichkeit, im Herdenverband tagsüber zu grasen. Dies war für mich eine der intensivsten und lehrreichsten Zeiten. Ich beobachtete mein Pferd, die Herde, die wunderbare Natur um mich herum, und je weiter ich mich auf den Prozess des Beobachtens einließ, desto tiefer tauchte ich in eine für mich „neue Dimension“ des Hier und Jetzt ein. Alles um mich herum begann mit mir zu kommunizieren. Es war eine „stille“ Kommunikation, die ich nur in meinem Herzen wahrnehmen konnte. Nicht nur mein Pferd erreichte mich, auch die anderen Pferde, die Bäume, das Gras, die Blumen, alles. Eine Kommunikation, die mein Herz erfüllte und mich reich fühlen ließ.

Wie Pferde heilen

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