Читать книгу Die Gesichter der Steine - Alexandra Walczyk - Страница 8
ОглавлениеDie Entscheidung
„Mom, warum muss ich da hin?“
James lehnte in der Tür zur Küche und verschränkte die Arme. Seine Mutter lächelte. Sie schnitt die Zwiebel fertig, legte das Messer in die Spüle und drehte sich um. Ihr Lächeln wich einem besorgten Gesichtsausdruck. James sah sie aus seinen schwarzen Augen düster an. Sie seufzte und wischte sich nervös die Hände an der Schürze ab.
„James, das haben wir doch jetzt schon hundertmal besprochen Ich dachte, das Warum wäre endlich geklärt.“
„Für euch vielleicht. Ich will dort einfach nicht hin.“
Er stand mit ausdruckslosem Gesicht in der Tür. Nur wer ihn gut kannte, wusste, dass sich gerade hinter dieser starren Maske eine Menge an Gefühlen verbarg. Catherine kannte ihren Sohn gut. Darum verkniff sie sich jede spontane Bewegung und versuchte es so nüchtern und sachlich wie möglich.
„Schatz, es ist zu deinem Besten.“
Sein Gesicht verzog sich. Er verdrehte genervt die Augen. Also doch lieber eine Umarmung? Catherine machte einen Schritt in seine Richtung und er hob abwehrend die Hand.
„Das ist doch Blödsinn, Mom. Ich bin die letzten zwölf Jahre verdammt gut ohne die klargekommen. Was soll das also?“
Catherine schloss die Augen. Dann zog sie sich einen Stuhl heran und winkte James, sich zu ihr zu setzen. Zögernd kam er näher und lehnte sich an die Theke. Sie legte die Hände auf den Tisch und überlegte.
„James, wir möchten doch nur, dass du deine Leute kennenlernst. Wir wollen nicht, dass du später denkst, wir hätten dir etwas vorenthalten.“ Sie sah ihn an.
Er schwieg.
„Wir wollen dich doch nicht wegschicken. Das denkst du doch nicht, oder? Ist es das, wovor du Angst hast?“
„Ich weiß nicht. Ich weiß gar nichts mehr. Sag mir einfach, warum ich es tun muss, obwohl ich es nicht will.“
„Du musst gar nichts tun.“
„Muss ich nicht?!“
Aufmerksam sah James seiner Mutter ins Gesicht und wartete auf ihre Antwort. Sie grinste ihn an. Das mochte er so an ihr. Immer wenn man sie in die Ecke drängte, lachte sie. Er wünschte, er könnte das auch. Alles so locker nehmen. Aber stattdessen wurde er neuerdings immer gleich furchtbar wütend wegen jeder Kleinigkeit. Seit sie ihm vorgeschlagen hatten, dass er den Sommer über nach South Dakota fahren sollte, um seine Leute besser kennenzulernen, war er ungenießbar. Es wäre doch eine gute Gelegenheit, da sie nach New York umziehen würden, hatten sie versöhnlich gemeint. Von wegen! Das hieß im Klartext, seine Eltern würden die neue Wohnung einrichten, während er in der trostlosen Prärie festsaß und einen auf Familie machte. Da war sie wieder, diese Wut und James ballte die Fäuste.„Sie sind nicht meine Leute.“
„James, warum nennst du sie nie beim Namen? Wir haben doch nie ein Geheimnis daraus gemacht, woher du kommst, oder? Du bist unser Sohn und daran wird nichts und niemand jemals etwas ändern. Aber du musst dich mit deiner Herkunft endlich auseinandersetzen, bevor diese Wut dich noch auffrisst.“
Erstaunt sah er sie an. „Wovon redest du bloß?“
Catherine stand auf und stellte sich direkt vor James, so dass er ihr nicht ausweichen konnte. Dabei bemerkte sie, wie groß er geworden war. Seine Augen waren auf gleicher Höhe mit den ihren. Mit seinen vierzehn Jahren wirkte er zwar noch schlaksig und jungenhaft, aber er war auch sehnig und glich den Männern auf den Fotos, die seine Mutter ihnen zusammen mit ein paar anderen Habseligkeiten in einem Schuhkarton übergeben hatte. Damals waren sie nach Süd Dakota gefahren, weil sie ein Kind adoptieren wollten. Alles war von den zuständigen Behörden in die Wege geleitet worden, aber dann hatte es Schwierigkeiten gegeben. Als sie nach einem wochenlangen Rechtsstreit schließlich frustriert und verzweifelt abreisen wollten, war plötzlich James in ihr Leben getreten. James war damals zwei Jahre alt gewesen und seine Mutter schwere Alkoholikerin. Obwohl es inzwischen üblich war, dass Indianerkinder nach Möglichkeit innerhalb ihres Stammes adoptiert wurden, wollte James Mutter, dass ihr Sohn mit den Powells ging. James Vater war nicht groß gefragt worden. Er saß wegen Einbruchs im Gefängnis. Man war sich schnell einig geworden und eine Woche später war aus James Stands Alone bereits James Powell geworden, der in seinem neuen Zimmer in Chicago Spielsachen an die Wand warf und ständig seine Milch erbrach. Aber das hatte sich gelegt, sobald er seinen Platz in der Welt akzeptiert hatte. Für James war es nicht immer leicht gewesen. Er sagte wenig, aber das musste nichts heißen. Er fand einige Freunde, war intelligent und ein guter Sportler. Trotzdem fehlte etwas. Etwas, das in den letzten Jahren immer offensichtlicher geworden war.
„James, wenn du noch Milch trinken müsstest, würdest du sie wahrscheinlich wieder erbrechen.“
„Was?!“
„Das hast du als kleiner Junge immer gemacht, bis uns der Arzt darauf aufmerksam gemacht hat, dass du keine Laktose verträgst.“
„Was hat das damit zu tun?“
„Das hat mit deiner Herkunft zu tun. Das und ein paar andere Dinge, über die du nie etwas wissen wolltest.“
„Wozu auch? Nur weil ich wie ein Indianer aussehe, heißt das noch lange nicht, dass ich einer sein will. Und ich will keiner sein. Ich will James Powell sein, der in zwei Jahren seinen Highschool-Abschluss macht und dann aufs College geht. Was ist falsch daran?“
„Nichts, James. Außer, dass du damit vermutlich nicht glücklich werden wirst. Nicht auf lange Sicht.“
Lange standen sie da, ohne dass einer von ihnen etwas sagte.
Catherine sah James dabei zu, wie er mit sich kämpfte.
„Also gut. Diesen Sommer.“
„Oh, James.“
Sie schlang ihm die Arme um den Hals, was ihm sichtlich unangenehm war, aber er ließ es geschehen und nach einer Weile erwiderte er die Umarmung und flüsterte in ihr Haar.
„Aber wenn ich es nicht aushalte, breche ich das Experiment ab und schnappe mir den ersten Flieger nach New York.“
„Einverstanden.“
„Was glaubst du, werde ich alles brauchen?“
Sie hob die Schultern und grinste breit.
„Alles. Nimm am besten deine ganze elektronische Ausrüstung mit. Handy, Playstation und so weiter.“
Sie sah ihn an und das Grinsen verschwand.
„Ich weiß es nicht, Schatz. Tu so, als würdest du einen ganz normalen Urlaub planen.“
„Das ist nicht dein Ernst, oder? Wetten, die haben Plumpsklos und keinen Empfang. Ich könnte genauso gut nach Afrika fahren.“ Er schüttelte den Kopf.
Zwei Tage später saß er mit gemischten Gefühlen im Flugzeug. Das Ganze war eine Schnapsidee, doch man konnte ja schlecht wieder aus dem Fugzeug aussteigen. Höchstens mit einem Fallschirm! Im Geist sah er sich schon beim Fallschirmspringen und vergaß ein wenig die Zeit. Es war angenehm und er konnte vergessen, warum er eigentlich im Flugzeug saß.
Die Landung war ein wenig holperig und brachte ihn in die Wirklichkeit zurück. Er folgte den anderen Menschen wie in Trance und stellte sich auf die Begegnung ein. Er hatte eigentlich keine Ahnung, was ihn erwarten würde.
James sah sich um. Er war nervös und er verspürte den Drang, sich hinter den Rücken der anderen Passagiere, die das Flugzeug mit ihm verlassen hatten, zu verstecken. Unsichtbar zu werden. In Chicago vergaß er tatsächlich oft, dass er ein Sioux war, aber bereits jetzt wurde ihm klar, dass das hier in South Dakota unmöglich sein würde. Also brauchte er sich gar nicht erst zu verstecken. Er straffte die Schultern und ging schneller. Trotzdem wanderten seine Augen nervös über die Gesichter der Menschen, die in der Ankunftshalle des Flughafens von Sioux Falls auf ihre Angehörigen warteten. Ihm war schlecht und er hatte keine Ahnung wie er Frank Stands Alone erkennen sollte. Seine Schritte wurden wieder langsamer, als er plötzlich ein Stück Pappe entdeckte, das von einer älteren Frau hochgehalten wurde. Sein Name stand darauf. James Powell. Gott sei Dank. Sein richtiger Name.
James blieb vor der Frau stehen. Ein kleiner Junge war bei ihr.
Als James ihn direkt ansah, senkte er schüchtern die Wimpern und trat hinter die Frau.
„Hallo, ich bin Ellen. Sarahs Mutter.“ Die Frau nickte.
James schluckte. Sarah war die Frau von Frank Stands Alone. Seinem Vater. Und der Junge? Er starrte ihn an. Das Schweigen dehnte sich in die Länge.
„Hallo.“ James gab sich einen Ruck.
„Wo ist Frank?“ Der Indianer auf den Fotos.
„Konnte nicht kommen.“ Ellen hob die Schultern.
„Dann kann ich ja auch wieder gehen.“ Es klang trotzig.
„Hm“, murmelte Ellen. Bei ihr klang es leidenschaftslos, unbewegt, als wäre es ihr wirklich gleichgültig, ob er bliebe oder wieder ginge. Wahrscheinlich war es auch so.
Sie standen in der Halle, um sie herum herrschte Stimmengewirr und hektisches Treiben, aber sie hörten es nicht. Sie starrten einander an und bewegten sich nicht. Zwölf Jahre. Ein anderes Leben. Eine andere Welt.
Sein Vater war also nicht da. Offenbar hielt er es nicht für nötig, sich an eine einfache Abmachung zu halten. Genau so hatte James es sich vorgestellt. Dabei war er noch nicht einmal richtig angekommen. Sein Inneres fühlte sich plötzlich krümelig an. Er fühlte sich schrumpfen. Immer kleiner werden. Seine Arme taten ihm weh. Der Rucksack war schwer. Das Gewicht drückte ihm ins Kreuz. Die Enttäuschung war größer als er je zugegeben hätte.
James sah der Frau in die Augen. Ihr Gesicht war so ganz anders als das seiner Eltern und Freunde. Es war dasselbe Gesicht, das ihm jeden Morgen aus dem Spiegel ansah. Und die Augen stellten jeden Morgen dieselbe Frage. Wer bist du, James?
James wollte eine Antwort auf diese Frage.
„Warum ist er nicht hier?“ Seine Worte verließen den luftleeren Raum um sie herum und erfüllten ihn mit Leben.
„Er konnte nicht kommen.“ Eine Antwort, die keine war.
Und das war es dann. Keine weiteren Erklärungen.
Wenig später saßen sie im Auto und fuhren nach Vermillion, einer kleinen Stadt südlich von Sioux Falls. Die Fahrt dauerte nur eine knappe Stunde und nachdem James sich vergewissert hatte, dass sein Schweigen niemanden zu stören schien, lehnte er sich im Sitz zurück und schaute aus dem Fenster. Die Reklameschilder und Felder flogen an ihm vorbei. Es gab nichts dort draußen, das er sehen wollte, dennoch konnte er den Blick nicht abwenden. Es war, als ob das Land ihn aufsaugen wollte.
Alles war fremd und doch so vertraut und bekannt. James schloss die Augen.
Dann waren sie da. James wurde Sarah vorgestellt. Er lernte die beiden Mädchen Dawn und Christine kennen und erfuhr, dass er Geschwister hatte. Die Mädchen waren noch klein, eins eigentlich noch ein Baby, und er hatte keine Ahnung, wie man kleine Kinder begrüßte. Befangen schüttelte er Kinder- und Frauenhände, blickte kurz in neugierige Gesichter und sah ebenso rasch wieder zur Seite. Er kam sich so unglaublich fremd vor, dass er am liebsten laut geschrien hätte. Gleichzeitig war er jedoch von allem so gefesselt, dass er kaum Luft bekam und nur mühsam atmen konnte, geschweige denn einen vernünftigen Satz herausbrachte. Also schwieg er, weil er wusste, dass niemand sich daran stören würde.
Frank kam immer noch nicht und irgendwann wurde das Schweigen seltsam. James langweilte sich. Er wusste nicht, wo er seine Sachen hinstellen sollte oder was sonst von ihm erwartet wurde. Auch Ellen war verschwunden. Sie war mit dem Jungen gegangen ohne sich zu verabschieden.
James bekam ein winziges Zimmer am Ende des Trailers zugewiesen. Es sah so als, als wäre es zusätzlich angebaut worden und dann irgendwie mit dem Trailer verschmolzen. Er knallte seinen Rucksack auf das Bett und dachte nach. Das Haus war klein und schäbig. Er hoffte, dass hier kein Tornado durchzog, denn diese kleine Streichholzschachtel würde sofort weggeblasen werden. Der Garten bestand nur aus Gras. Keine Blumen. Mutter würde hier bestimmt Rosen anpflanzen, dachte er. Er hatte Heimweh!
Es gab ein einfaches Abendessen aus Toast mit Käse, dann verzogen sich alle in die Betten. Wo war Frank? James war hier, um seinen Vater kennenzulernen und nicht irgendwelche Halbgeschwister!
Der Morgen war genauso trostlos. Es gab wieder Toast mit Käse und James fragte sich, wovon diese Familie sich sonst ernährte. „Habt ihr auch Marmelade?“, fragte er mürrisch. Sarah nickte und zauberte tatsächlich eine Art Gelee auf den Tisch. Sarah gab sich Mühe. „Willst du ein bisschen die Gegend sehen?“, fragte sie.
Nur raus hier, nur raus hier, waren seine Gedanken. Wieder atmen können! Er flüchtete fast in das schäbige Auto, einen rostigen Pickup, in dem auf der Ladefläche der Müll gesammelt wurde. Seine neuen Schwestern saßen neben ihm und schwiegen zum Glück. Schwestern! Das Wort rollte schwerfällig von einer Ecke seines Kopfes in die andere. Die Kleinere saß noch in einem Babysitz und ihr Kopf landete auf seiner Schulter, als sie nach kurzer Zeit einschlief.
Sarah fuhr kreuz und quer durch die Stadt und zeigte James, was es zu sehen gab. Wahrscheinlich nicht viel, wenn man aus Chicago kam. Sie blickte mehrmals in den Rückspiegel, um sein Gesicht zu betrachten. James sah seinem Vater unglaublich ähnlich, dachte sie amüsiert. Hohe Wangenknochen, schwarze Augen und pechschwarze Haare. Bei James waren sie allerdings kurz. Außerdem war der Junge hochgewachsen und schlank. Frank dagegen hatte in den letzten Jahren ziemlich zugelegt. Aber das konnte sie ihm nicht zum Vorwurf machen. Sie selbst war Schuld daran. Kochte zu gut. Glaubte alle Leute füttern zu müssen. Sich eingeschlossen. Sarah lächelte. James fing dieses Lächeln im Spiegel ein und wandte den Blick ab. Mist, zuckte Sarah zusammen. Natürlich dachte er jetzt, sie würde über ihn lachen. Sie seufzte. Das würde nicht leicht werden. Vor allem, weil Frank wieder in Schwierigkeiten steckte. Ausgerechnet jetzt. Als James erneut einen Blick in den Spiegel riskierte, sah er das ernste Gesicht einer Frau, die ihre Lippen fest zusammenpresste. Sie hatte Sorgen!
Sie besuchten Ellen Robidoux an ihrem Arbeitsplatz in der University of South Dakota.
James erfuhr, dass sie für die indianischen Studenten arbeitete, ihnen half sich zurecht zu finden, über Unterstützungsgelder informierte, Job- und Wohnungssuche arrangierte und immer bereit war, den Leuten mit Rat und Tat zur Seite zu stehen.
Nebenbei erfuhr er, dass auch Sarah an der Uni studierte und Frank einen Job als Sanitäter in Aussicht gehabt hatte. Aber keiner wollte auf dieses „gehabt hatte“ näher eingehen. James hob die Schultern und beschloss den Mund zu halten.
Was ihn wirklich verblüffte, war die Tatsache, dass alle ihn zu kennen schienen. Sarah brauchte nur seinen Namen zu nennen und schon flackerte ein Erkennen in den Augen seines Gegenübers auf. Manchmal löste sein bloßes Erscheinen wissendes Nicken und lächelnde Begrüßung aus. Das war beinahe schon unheimlich und James begann sich zu fragen, ob er in eine Sekte geraten war, die neue Mitglieder anwarb, indem sie ihnen vorgaukelte, sie besser zu kennen als sie sich selbst.
Irgendwann löste ein geheimes Signal hektische Betriebsamkeit aus und wenig später saß er wieder zusammen mit seinen Schwestern und deren Mutter im Auto und fuhr hinaus in die Nacht zum nächsten Supermarkt. Kurz wurde an der Müllkippe gehalten und der Unrat abgeladen. „Soll ich helfen?“, fragte James höflich.
„Nein, nein!“
James sah zu, wie Sarah erst tonnenweise Müll ablud und dann an der gleichen Stelle des Pickups tonnenweise neue Lebensmittel verstaute. Er wagte nicht zu fragen, wer das alles essen sollte. Die unausgesprochene Frage wurde beantwortet, als sie vor Ellens Haus anhielten und sämtliche Lebensmittel in deren Küche schafften.
„Mom ist gerade umgezogen,“ informierte ihn Sarah.
„Außer Küche und Bad sind noch keine Möbel da. Such dir doch einfach einen Platz bei den anderen.“ Sie nickte aufmunternd und wandte sich ihren Einkäufen zu.
James ging zögernd in das größte Zimmer der Wohnung und fand einen Haufen Leute, die ihn mit lautem Hallo begrüßten. Ein Mann, offensichtlich der einzige Weiße in der Menge, kam auf ihn zu und stellte sich als Duane vor. Ellens Freund.
James schüttelte benommen einige Hände, während Duane fließend auf Lakota für wahre Lachsalven sorgte und James fortwährend auf die Schulter klopfte. Schließlich drückte er ihn auf einen Stapel Kissen und verschwand in der Küche. James saß stocksteif da und fürchtete sich davor, plötzlich allein im Mittelpunkt stehen zu müssen. Nichts dergleichen geschah. Außer einigen neugierigen Seitenblicken ließen sie ihn in Ruhe.
James atmete auf. Eigentlich wollte er wütend sein, aber er konnte seine Wut einfach nicht finden.
Als Sarah und ihre Mutter schließlich eine Pizza nach der anderen brachten und alle mit Essen beschäftigt waren, stand James auf und suchte Duane. Er fand ihn in der Küche, wo er gerade neuen Kaffee aufsetzte. James wartete.
„Was ist los, Junge? Schmeckt‘s dir nicht?“ Duane wandte ihm den Rücken zu und schaufelte Kaffee in die Maschine.
„Doch.“ James beobachtete den Mann.
„Warum stehst du dann hier und starrst mir ein Loch in den Rücken?“ Jetzt drehte Duane sich um.
„Ich wollte Sie etwas fragen.“ James räusperte sich.
„Schieß los.“ Duane lehnte sich lässig gegen die Spüle.
„Was ist hier eigentlich los?“
„Was meinst du damit?“
„Die ganzen Leute hier. Was soll das? Warum kennt mich jeder von denen? Denken die vielleicht, dass ich deshalb Indianer toll finde, oder was?!“
James hatte seine Wut wieder gefunden und ritt auf ihr gegen das einzige, das ihm vertraut war: der weiße Mann.
Der musterte ihn eine Weile schweigend und meinte dann:
„Die Leute sind nicht wegen dir hier. Sie sind freundlich, weil sie eine gute Kinderstube hatten und ich ihnen gesagt habe, dass du mein Enkel bist.“
Das saß! James riss erstaunt die Augen auf, dann legte er ungläubig den Kopf schief und meinte herausfordernd: „Sie sind nicht mein Großvater. Sie sind weiß.“James war immer noch wütend.
Duane lächelte nur.
„Ist das alles, was du siehst, Junge?“
James zögerte, hob die Schultern und schüttelte den Kopf.
„Wieso sprechen Sie Lakota?“
„Wie kommt‘s, dass du es nicht tust?“
„Das wissen Sie doch! Meine Mutter hat mich weggegeben.“
„Und, ging es dir schlecht? Haben dir deine weißen Eltern verboten, Lakota zu lernen?“
James blinzelte verwirrt. Duane sah ihm ernst in die Augen.
„Ich hab gehört, dass du bist hier, um etwas zu lernen. Du solltest die Chance lieber nutzen, anstatt Leute zu beurteilen, die du nicht kennst.“
„Tut mir leid. Ich wollte Sie nicht beleidigen.“
„Ich rede nicht von mir.“
Mit diesen Worten stieß sich Duane von der Spüle ab und ging an James vorbei ins Wohnzimmer.