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II.
Die zwei Brüder.
ОглавлениеRosa’s Muthmaßungen und Vorgefühle, sollten allem Anscheine nach, eine traurige, eine furchtbare Verwirklichung erhalten. Während Johann von Witt am Ende des Ganges angelangt, langsam die steinerne Treppe hinaufstieg, die zu dem Gefängnisse seines Bruders führte, boten die Bürger von der immer wachsenden Volksmasse auf das thätigste unterstützt, Alles auf, die Soldaten von ihrem Platze zu verdrängen.
Diese Bemühungen einer, wenn auch nicht mit der Führung der Waffen ganz vertrauten, aber doch damit hinreichend ausgerüsteten, und in dem Augenblicke ihrer höchsten Erbitterung durch ihre numerische Uebermacht auch zu fürchtenden Partei, erfreute sich bald der ungetheilten Theilnahme, jener immer größer werdenden Masse, genannt Volk.
»Es leben die Bürgert« schrie das Letztere, den Muth derselben nur noch mehr weckend.
Tilly eben so fest als klug, übersah mit einem einzigen Blicke seine gefährliche Lage. In Verbindung, mit der nun gegen ihm auftretenden Bürgerwehr wäre es ihm ein Leichtes gewesen, die anmaßenden Forderungen des Pöbels, ernst und strenge zurückzuweisen, so aber auf eine verhältnißmäßig, gegen den Andrang nur geringe Macht beschränkt, sah er sich genöthigt, wo möglich, auf dem Wege der Vermittlung, jedem Zusammenstoße der beiden Parteien vorzubeugen, und seine schwierige Aufgabe ehrenvoll zu lösen. Angesichts seiner Escadron, die noch immer mit jenem, dem erprobten Krieger eigenen Phlegma, die geladenen Pistolen in der Hand, gleich einer Anzahl neben einander gereihten Statuen dastand, erklärte er der Bürgercompagnie, das er von den Ständen den Befehl erhalten habe, das Gefängniß, so wie den Platz vor demselben zu bewachen.
»Warum einen solchen Befehl? wozu das Gefängniß bewachen?« riefen die Orangisten einstimmig.
»Ihr verlangt da viel zu wissen,« erwiderte Tilly, dessen Züge ihren heitern, spöttischen Ausdruck behielten. »Ihr verlangt da etwas zu wissen, was ich selbst nicht weiß. Ich erhielt den Befehl, das Gefängniß zu bewachen, und befolge ihn nun auch, ohne mir den Kopf darüber zu zerbrechen, warum es geschieht?«
»Wir wissen aber, daß Ihr diesen Befehl erhieltet, um den Verräthern sicher aus der Stadt zu helfen.«
»Das ist wohl möglich, da ich in Erfahrung brachte, daß die Verräther nur zur Verbannung verurtheilt sind.«
»Aber wer hat Euch diesen Befehl gegeben?«
»Von den Ständen erhielt ich ihn, um Eure Neugierde ganz zu befriedigen.«
»Die Stände sind Verräther!«
»Das kann sein, ich weiß es nicht, das mußt Ihr Ebenfalls besser wissen.«
»Aber Ihr verrathet uns auch!«
»Ich?«
»Ja, Ihr.«
»Die Sache wird immer possirlicher. Meine Herren, verständigen wir uns? Es handelt sich darum, zu beweisen, wen ich eigentlich verrathe? Die Stände! das ist wo unmöglich, denn ich stehe in ihrem Dienste und Solde, und bemühe mich gerade in diesem Augenblicke, dem durch sie erhaltenen Befehle pünktlich nachzukommen.«
Diese Beweisführung, gegen die sich auch nicht die kleinste Einwendung vorbringen ließ, erbitterte die Menge, die nun einsah, auf keine Art den Soldaten los werden zu können, so sehr, daß sie die ganze Wucht ihrer Drohungen und Schimpfnamen gegen den Grafen wälzte, der aber noch immer unverändert, einer aus Erz gegossenen Figur ähnlich, all’ diesen Gemeinheiten, Kälte und Ruhe, mit einer sarkastischen Höflichkeit in Verbindung, entgegensetzte.
»Nun, meine Herren,« begann der Graf nach einer Pause, in welcher die Kehlen der größten Schreier, den an sie gerichteten Forderungen nicht mehr entsprechen wollten, »folgt einem neuen, guten Rath, den ich Euch hier aus väterlicher Vorsorge mittheile. Habt die besondere Gefälligkeit, und entlade Euere Gewehre denn es könnte eines oder das andere, ohne irgend einer bösen Absicht, ganz aus Laune und Zufall, losgehe, und einen meiner Soldaten verwunden. Dann bliebe aber auch mir nichts anderes übrig, als durch einen einzigen Wink, einigen Hunderten von Euch, den Weg zur Ewigkeit abzukürzen, was mir sehr unlieb wäre, umso mehr, da ich voraussetze, daß es nicht in Euerer Absicht liegt, mich zu beleidigen.
»Versucht es nur,« schrien die Bürger, »dann geben wir unverzüglich Feuer.«
»Auch das will ich glauben, und wenn wir noch lange hin- und her reden, werden wir gegenseitig zur Ueberzeugung kommen, daß Ihr im äußersten Falle mich und meine Leute umbringen könnt, dadurch aber keineswegs Euere Todten, deren Zahl nicht so gering sein dürfte, wieder lebendig werden.«
»Entfernt Euch also von dem Platze, überlaßt uns denselben, und beweist dadurch, daß Ihr selbst ein guter, achtbarer Bürger seid!«
»Halt, meine Herrn, da gibt es einige Widersprüche, erstens bin ich kein Bürger, sondern Officier, wie Ihr es bemerken könnt, wenn Ihr Eure Augen ein wenig besser öffnet, und schon das ist an und für sich ein gewaltiger Unterschied, und zweitens bin ich kein Holländer, sondern ein Franzose, was die Differenz noch um ein Bedeutendes erhöht. Ich erkenne demnach hier auch nur die Stände, und gehorche Ihrem Befehle allein. Wollt Ihr also durchaus, daß ich mich entferne, so bringt mir den von ihnen ausgefertigten Befehl, der mir sehr angenehm sein würde, da ich mich schon zu langweilen anfange.«
Ein donnerndes »Ja,«beantwortete diese ironische Anrede, und gleich darauf stürzte die ganze wogende Menge, die bisher so beharrlich nach der Occupation eines ihr streitig gemachten Terrains strebte, mit dem Rufe »Nach dem Ständehaus! Zu den Deputirten!« durch die zunächst gelegenen Straßen fort.
»So, endlich einmal,« lachte Tilly laut auf, indem er der unabsehbaren Menge verächtlich nachblickte:
»Gebt nur, meine wackeren Freunde, bewerbt Euch um eine unerhörte Niederträchtigkeit. Das Ständehaus wird ohnedies schon warten, wenigstens habe ich Luft, und bis Ihr wieder kommt, hoffe ich die Sache in’s Reine gebracht zu haben.«
Der Capitän rechnete mit voller Bestimmtheit auf die Ehrbarkeit der Magistratspersonen, während jene, und dieß mit größerer Gewißheit, dem Muthe und der Ehre eines Officiers die Lösung einer äußerst schwierigen Aufgabe überlassen zu wollen schienen.
»Capitän,« sagte der erste Lieutenant zum Grafen, als dieser so eben geendet, »Ihr verläßt Euch auf die Würde und Ehrenhaftigkeit der Stände, während diese uns gänzlich verlassen, denn sonst hätten sie, von der uns drohenden Gefahr gewiß unterrichtet, auch einige Unterstützungen hierher beordern können.«
Während der kurzen Zeit, als diese Vorfälle sich auf dem Platze ereigneten, war Johann von Witt an der Kerkerthüre seines Bruders angekommen. Gryphus öffnete dieselbe, ließ ihn eintreten, und entfernte sich sodann.
Hierin einem dumpfen, öden, von Moder erfüllten, und nur durch ein kleines, schmutziges Fenster erleuchteten Gemäche, lag Cornelius, der Wohlthäter seiner Mitbürger, der Vater des Volkes, mit zerbrochenen, ausgerenkten Gliedern, mit verbrannten und zerquetschten Fingern.
Er hatte die Qualen der Vorbereitungsfolter kühn und ruhig überstanden, das inzwischen erschienene Verbannungsurtheil verhinderte die Anwendung der außerordentlichen Tortour.«
In diesem düstern, widrig riechenden Raume, blaß dem Tode ähnlich, und doch in dem männlich kühnen Antlitze, dem Spiegel der hohen kräftigen Seele, das freundlich milde Lächeln des Märtyrers, den geistigen Blick auf das offen vor ihm liegende himmlische Jenseits gerichtet, ganz emporgehoben aus dem Schlamme der niedern Welt, seinen kräftigen Körper nicht gebeugt, so ihn zu sehen, seine erbittertsten Feinde hätten gedemüthigt, niedergeschlagen vor diesem Heros, zurückweichen müssen. Die ungeheuere, nur den höchsten menschlichen Bildungen eigene Willenskraft, die auch eine der hervorragenden Eigenschaften des Gefangenen bildete, hatte die ganze frühere Stärke seines Körpers, wieder zurückgeführt, und jetzt, wo er bereits von dem Verbannungsurtheile unterrichtet, abermals eine Zukunft vor sich sah, jetzt wo die düstere Ahnung eines gewissen und nahen Todes, langsam vor seiner Seele schwand, beschäftigte ihn nur der Gedanke an eine baldige Freiheit, an die Mittel und Wege, durch die er den gegen ihn vorherrschenden Verdacht beseitigen, und auch in der Folge ein Freund und Wohlthäter seiner undankbaren Mitbürger werden konnte. Und gerade in diesem seeligen, so majestätischen Augenblicke, wüthete draußen die Menge, welcher der Unschuldige, noch in den Stunden seiner schmerzhaften, körperlichen Leiden, sein ganzes edles Herz gewidmet, tobte gegen seine Beschützer, verlangte Mord und Blut. — Und das wüthende Geschrei stieg gleich einer furchtbaren Woge empor, und drang bis zu dem Gefangenen.
So drohend und gewaltig sich auch dieser Lärm gestaltete, Cornelius ließ ihn unbeachtet vorübergehen. Er nahm sich nicht einmal die Mühe, an das kleine Gitterfenster, das ihm eine, wenn gleich nur beschränkte Aussicht über den vorliegenden Platz gestattete, zu treten. Nur sein Herz und seine Seele waren in Thätigkeit, beide fühlten so hoch und so seelig, beide schienen beinahe der sie umgebenden Materie entrückt, in geistige Anschauung vertieft, einer bessern Welt anzugehören. — Und zwischen diesen himmlischen Träumen durchzuckte ihn mit einem Male ein irdischer Gedanke; es war die Erinnerung an seinen Bruder.
Aber wie mit einem Schlage öffnete sich zugleich die Thüre seines Kerkers, und der, dessen Bild so eben erst in der Seele des Träumenden auftauchte, stand vor ihm. Cornelius staunte, er traute anfänglich seinen Sinnen nicht. Jene harmonische Verbindung, zwischen gleichgesinntem wahlverwandten Wesen, jenen mächtigen Vorahnungen, die in der forschenden Seele ein Bild der nahen Zukunft enthüllen, jene magnetische Kraft, durch welche die Natur so oft die wunderbarsten Erscheinungen hervorruft, war ihm unbekannt; er betrachtetes die Ankunft seines Bruders, als den Willen einer gütigen Vorsehung, und ihn selbst als den rettenden Genius seines Lebens.
Johann war rasch an das Lager des Gefangenen getreten, der ihm seine noch verbundenen Glieder entgegenstreckte. Aber ihn blos auf die Stirne küssend, legte er die wunden Arme wieder sanft auf die Matratze, und sein thränenfeuchter Blick ruhte auf dem Unglücklichen, der ihm sonst gleichgestellt, nur dem Hasse der Holländer den Vorrang abgewonnen hatte.
»Cornelius, mein armer Bruder,« sprach er dann: »Du leidest schwer und viel?«
»Nein mein Bruder, gar nichts mehr, ich habe ja Dich bei mir.«
»Ach mein armer, armer Cornelius, kannst Du die Qualen ermessen, die ich bei Deinem Anblicke erdulde; Dich so finden zu müssen!«
»Auch ich dachte unaufhörlich an Dich. Ich wußte Dich ja denselben Verfolgungen wie mich selbst ausgesetzt, und während ich kalt und ruhig die Qualen der Folter erlitt, entrang sich bei dem Gedanken, Dich eben so leidend zu wissen, ein einziger Seufzer meiner Brust und der war Dir gewidmet. Aber nun bist Du da, nun ist alles vergessen. Du kommst gewiß, um mich abzuholen, nicht wahr?«
»Ja.«
»Nun so helfe mir nur aufstehen, ich bin schon wieder ganz gut, und kräftig, Du sollst Dich wundern, wie ich rüstig ausschreiten kann.«
»Nein Bruder, Du wirst und darfst auch nicht weit gehen, Meine Kutsche steht unten am Teiche hinter Tilly’s Pistolenschützen.«
»Tilly? Tillys Pistolenschützen? warum sind die am Teiche aufgestellt?«
- »Du fragst darnach« erwiderte der Großpensionär mit dem ihm zur Gewohnheit gewordenen trüben Lächeln: »Nun, Haag hat unsere Abreise erfahren, und dessen biedere Einwohner beeilen sich nunmehr, uns das Geleite zu geben, ob dieß aber ganz ruhig ablaufen werde, ob kein Tumult —«
»Tumult!« wiederholte Cornelius, sein forschendes Auge auf den Bruder heftend.
»Tumult?«
»Ja, mein Bruder!«
»Also das war jener tobende Lärm, den ich hörtet und nach einer längeren Pause wendete er sich wieder an Johannes.
»Die Menschenmenge, die den Buytenhoff umgibt, ist wohl groß?«
»Seht groß!«
»Aber wie kamst Du hierher?«
»Nun —«
»Ließ man Dich denn ungehindert durchpassieren?«
»Das nicht. Es ist Dir nicht unbekannt, daß wir vom Volke gehaßt werden,« setzte der Großpensionär, mit unverkennbarer Bitterkeit hinzu, »Ich mußte Seitenwege einschlagen.«
»Du mußtest Dich verbergen, Du Johann?«
»Ich beabsichtigte so schnell als möglich zu Dir zu gelangen, und that daher das, was man in der Politik, so wie auf dem Meere gerne zu befolgen pflegt: Ich lavirte.«
Gerade in diesem Augenblicke ertönte das Geschrei der wüthenden und tobenden Menge mit neuer Heftigkeit.«
»Hörst Du,« versetzte Cornelius, »Hörst Du sie?«
»Es freut mich unendlich, in Dir einen so guten und ausgezeichneten Piloten zu finden, ob Du mich aber aus dem Buytenhoff hinaus, durch die tobende Menschenwoogen und Volksklippen eben so glücklich bugsiren wirst, wie Du die Flotte von Tromp nach Antwerpen mitten durch die Untiefen der Scheide geführt hast, das weiß ich nicht.«
»Mit der Hilfe des Allmächtigen, werden wir es wenigstens versuchen,« erwiderte Johann, »doch früher noch ein Wort«
»Nun!«
Das Geschrei und der Lärm ertönte mit neuer Wuth.
»So, so,« setzte Cornelius fort, »sind den diese Leute in einer solchen Wuth? gilt dieser tobende Lärm uns? gilt er mir?«
»Er gilt uns Beiden, mein armer Bruder. Wie ich es Dir bereits öfter erwähnte, steht unter den plumpen Verleumdungen, die man gegen uns erhebt, die Unterhandlung mit Frankreich oben an.«
»Die Erbärmlichen!«
»Wohl nur erbärmlich, und dennoch ist dies in den Augen des wenig denkenden Volkes der furchtbarste Punkt der Anklage.«
»Und wenn diese Unterhandlungen, wie es anfangs, den Anschein hatte, glückten, dann wären die Niederlagen, vom Rees Orsay, Wesel und Rheinberg nicht erfolgt, der Uebergang über den Rhein wäre unterblieben, und das durch seine Kanäle und Sümpfe unbesiegbare Holland, stände noch immer frei und mächtig da.«
»Du hast unzweifelbar recht, aber was gerade in dem gegenwärtigen Augenblicke, dieses im Volke künstlich genährte Vorurtheil um ein Bedeutendes unterstützen, und zu dem Ausbruche der höchsten Wuth treiben würde, das ist unsere letzte Correspondenz mit dem Marquis de Louvois. Wenn diese vor unserer Entfernung noch entdeckt würde, wäre ich als der kühnste und beste Pilot der alten Welt nicht im Stande, den zerbrechlichen Kahn, der uns und unser Glück in Sicherheit bringen soll, zu retten.«
»Das hatte ich bisher noch nicht überlegt. Ich sehe nur zu deutlich die Wahrheit Deiner Mittheilung ein. Eben jene Correspondenz, die in den Augen rechtlicher Menschen als ein Beweis vorliegen würde, was wir, beseelt von Vaterlandsliebe, dem eigenen Interesse zu opfern bereit waren, böte den Orangisten durch falsche Deutungen genügende Quellen, uns auf das Schaffot zu führen.«
»Aber darum hoffe ich, Cornelius, und dies mit voller Gewißheit, daß jene Briefe von Dir verbrannt worden.«
»Nein, Bruder!« erwiderte Cornelius mit strahlendem Antlitz. »Eben diese Correspondenz mit dem Marquis de Louvois beweist, daß Du der größte, edelste und uneigennützigste Mann der vereinigten Provinzen bist. Ich liebe den Ruhm meines großen, schönen Vaterlandes unendlich, aber nie werde ich seinen undankbaren Bewohnern den Ruhm eines so hohen, edlen Mannes, meines Bruders, opfern; und darum hüthete ich mich wohl, diese Correspondenz zu verbrennen.«
»Dann habe ich für dieses Leben keine Hoffnung mehr,« unterbrach der Ex-Großpensionär seinen Bruder, mit kalter Ruhe gegen das Fenster schreitend. ’
»Nein, Johann, wir sind nicht verloren; wir werden unser Leben retten, und die Gunst des Volkes wieder gewinnen.«
»Was machtest Du also mit den Briefen i«
»Ich vertraute sie Cornelius van Baerle, meinem Taufkinde an. Du kennst ihn, er wohnt zu Dortrecht.«
»Der arme Knabe, der liebe, schuldlose Kleine. Er, der nur an alles Seltene denkt, er, der sein Leben der Erziehung der Blumen widmete, der nur mit ihnen und durch sie mit Gott spricht, er ist durch dieses tödtliche Unterpfand, mit dem Du ihn belastet, verloren. Nichts, nichts rettet ihn mehr!«
»Verloren —«
»Unwiderruflich. Er ist entweder stark oder schwach. Ist er stark, so wird er, sobald ihm das uns betroffene Unglück zu Ohren kommt, sich unser rühmen; ist er schwach, dann wird er, in der Erinnerung an unser vertrautes, näheres Verhältniß, erzittern und beben. Ist er stark, so säumt er gewiß auch nicht, das ihm anvertraute Geheimniß als eine Grundlage seines eigenen dadurch erhobenen Stolzes auszustreuen; ist er schwach, so wird er sich dasselbe durch List und Gewandtheit entreißen lassen. In jedem Falle ist er verloren, und wir mit ihm. Bruder, laß uns eilen, fliehen, so schnell als möglich, bevor es noch zu spät wird.«
Cornelius erhob sich; während dieser Worte langsam von seinem Lager, und die verbundene Hand auf den Arm seines Bruders stützend, der bei dieser Berührung bebte, sprach er:
»Glaubst Du, ich kenne den van Baerle nicht. Meinst Du, es sei mir gleichgültig gewesen, nicht einen tiefen Blick in diese ernste, forschende Seele zu machen? Du fragst ob er stark, ob er schwach sei. — Nein, er ist keines von Beiden. — Aber er besitzt ein Geheimniß, das er selbst nicht kennt, er wird es nie verrathen, er wird weder sich noch uns verderben«
Johann wendete sich überrascht nach der entgegengesetzten Seite.
»O!« fuhr Cornelius in seiner durch diese unerwartete Bewegung unterbrochenen Rede fort. »Meinst: Du, der Ruart de Pulten sei ein so gewöhnlicher Tagespolitiker? Nein, er ist in Deiner Schule gebildet, er wußte recht wohl, daß Baerle weder den Werths mich die eigentliche Beschaffenheit des ihm anvertrauten Gutes kennen dürfe; und hier wiederhole ich es Dir! nochmals, er kennt sie nicht.«
»Dann laß uns rasch und ohne Zeitverlust handeln. Schicke ihm augenblicklich den Befehl zu, den ganzen Pack ohne weiteres Zögern zu verbrennen.«
»Wer wird ihm diesen Auftrag überbringen?«
»Mein Diener Craecke, der mich bis hierher zu»Pferde begleitete, und den ich in der Absicht mitgenommen hatte, Dich bei unserer Flucht über die große steinerne Treppe zu leiten.«
»Ueberlege es wohl, Johann, bevor diese ruhmvolle Urkunde verbrannt ist?««
»Ich überlegte vor Allem, mein armer Bruder, daß wir unser Leben vertheidigen und retten müssen, um es zu unserer Rechtfertigung benützen zu können; Wer würde dies nach dem Tode der Brüder Witt thun? Wer unter dieser Masse hat uns verstanden?«
»Du meinst also fest und sicher, daß diese Schrift unsern Tod herbeiführen würde?«
Johann erwiderte kein Wort. Mit einer eisig kalten Ruhe streckte er bloß den rechten Arm gegen das Fenster des Kerkers, durch welches das immer mächtiger werdende Getöse ertönte.
»Ich höre wohl dies Geschrei,« sprach Cornelius erstaunt, »aber noch immer kann ich ihm die bereits ein Mal erwähnte Deutung nicht geben.«
Johann öffnete blos das Fenster.
»Tod und Verderben den Verrätern!« wüthete der Pöbel.
»Verstehst Du es nun, Cornelius?«
»Wir sind die Verräter?« fragte der Gefangene, seinen Blick stolz emporrichtend, indem er diese Bewegung durch ein gleichgültiges Achselzucken begleitete.
»Ja wir sind es,« antwortete Johann ebenso.
»Wo ist Dein Diener?«
»Ich glaube er steht vor der Thüre.«
»Laß ihn eintreten!«
Johann öffnete, und wirklich saß Craecke auf der Thürschwelle.
»Komm Craecke, und gebe genau Acht, was Dir mein Bruder auftragen wird.«
»Nein, Johann, es genügt nicht, diesen Auftrag mündlich zu ertheilen, ich werde schreiben müssen.«
»Warum schreiben?«
»Weil van Baerle das anvertraute Gut ohne schriftlichen, und zwar von meiner Hand gefertigten Auftrag, weder ausliefern noch verbrennen wird.«
»Du kannst aber nicht schreiben, mein armer Bruder,« bemerkte Johann, dessen Blick auf die verbrannten und zerquetschten Finger des Unglücklichen fiel.«
»Wenn ich nur das nöthige Material hatte, ich wollte dennoch schreiben.«
»Hier, ich habe einen Bleistift.«
»Hast Du auch Papier? mir ließ man keines.«
Ich habe auch keines. Aber hier aus dieser Bibel nimm das erste Blatt heraus.«
»Gut.«
»Deine Schrift dürfte aber unleserlich sein.«
»Ueberzeuge Dich vorerst,« versetzte Cornelius, einen ernsten Blick auf seinen Bruder heftend. »Sieh diese Finger, die dem Zunder des Henkers widerstanden, sie werden Leben und Gelenkigkeit erhalten, sie werden schreiben, lerne zugleich jenen eisernen Willen kennen, der mich gefühllos für alle Leiden machte, und der den, Fingern eben jetzt gebietet.«
Und Cornelius nahm den Bleistift, und schrieb. Aber unter dem weißen Verbande drangen Blutstropfen hervor. Der Druck der Finger auf den Bleistift, hatte die nur leicht vernarbten Wunden wieder aufgerissen. "’
Die Schleifen des Ex-Großpensionärs bedeckten sich mit Schweiß.
Der Ruart schrieb: »
»Mein theurer Pathe! Das Packet, das ich Dir zur Aufbewahrung übergeben habe, verbrenne gleich nach Erhalt dieser Zeilen, ohne es zu sehen, zu öffnen, oder je nach seinem Inhalte zu forschen. Geheimnisse, wie die darin enthaltenen, bringen den Tod. In das Feuer mit ihnen, und Johann und Cornelius sind gerettet. — Ich umarme Dich — Bleibe auch Du mir stets gut.«
Den 20. August 1672.
Cornelius von Witt.
In Johannes Augen perlten reiche Thränen, er trocknete einen Blutstropfen ab, der während des Schreibens auf das Papier gefallen, und übergab sodann das Schreiben, sobald dieses gefaltet war, seinem Diener, mit der Empfehlung der äußersten Sorgfalt. Die ungeheuere Anstrengung, und der damit verbundene Schmerz, hatten Cornelius zu sehr ergriffen, er war einer Ohnmacht nahe.
Johann rührte sich nicht von seiner Seite.
»Wenn der treue Craecke,« sprach er, »an dem andern Ufer des Teiches angelangt, als alter Hochbootsmann seinen Pfiff wird ertönen lassen, dann sind wir gerettet, und wollen auch unsern Weg antreten.
Noch waren fünf Minuten nicht verstrichen, als ein gellender, lang gedehnter Pfiff nach Seemannsweise über den Teich herüber, durch die denselben beschattenden Ulmen, in den Buytenhoff drang. Die Brüder hoben dankend die Arme gegen den Himmel.
»Wir sind gerettet,« sprachen sie, und eine unbeschreiblich himmlische Wonne, eine strahlende Glorie erhellte die edlen, schönen Züge dieser großherzigen in ihrem bittersten Unglücke kühn und aufrecht dastehenden Männer