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IV.
Die Flucht.
ОглавлениеAn einer Ecke des Buytenhoffs, gedeckt und verborgen durch ein weit vorspringendes, bleiernes Regendach, stand noch immer an den Arm seines Begleiters gelehnt, einem Gespenste ähnlich, der bleiche junge Mann. Kalter Schweiß stand auf seiner Stirne, noch immer bemühte er sich zeitweise, entweder diesen oder den Mund abzutrocknen, und unterließ es dabei nicht, den Bewegungen des wüthenden Pöbels mit der größten und angestrengtesten Aufmerksamkeit zu folgen.
»Ich glaube, Ihr hattet recht, van Deken,« sprach er nach einer längern Pause, »der Befehl, den die Stände unterschrieben haben, dürfte das Todesurtheil für Cornelius von Witt sein.«
»Hört nur das Volk, gnädigster Herr,« erwiderte der Oberst, »es will durchaus zu dem Herrn von Witt gelangen. In der That, ich hörte noch nie ein so wildes, unmenschliches Geschrei.«
»Ich glaube, sie haben das Gefängniß und den Mann, den sie suchen, gefunden. Jenes Fenster dort, wißt Ihr mir nicht zu sagen, ob es zu Herrn Witts Gefängniß gehört?«
An dem bezeichneten Fenster gewahrte man in demselben Augenblicke eine große, starke Faust, und kurz darauf den Kopf und Oberleib eines wild aussehenden Mannes, der sich so eben emporgeschwungen hatte .
»Hurrah, Hurrah,« schrie dieser mit furchtbarer Stimme, »der Vogel ist ausgeflogen, er ist nicht mehr da.«
Dann die Zähne weit vorstreckend, das Gesicht zu einem grinsenden Lachen verzogen, hätte man dies Wesen, eher für ein wildes, hinter einem Gitter wohlverwahrtes Raubthier, als für einen Menschen gehalten.
»Wie? er ist nicht mehr da?« rief die Menge auf der Straße, der es nicht mehr möglich geworden war, mit in den bereits überfüllten Buytenhoff zu dringen.
»Nein,« er ist nicht mehr da, er ist ausgeflogen, hab ich Euch gesagt.«
»Was ruft dieser Mensch hinab?« fragte die Hoheit noch mehr erblassend.
»Gnädigster Herr, er erzählt der Menge eine Neuigkeit, die man als das glücklichste Ereigniß begrüßen könnte, wenn sie sich wirklich bestätigt.«
»Ja, ohne Zweifel, es wäre sehr glücklich, wenn es wahr wäre, aber beruhigt Euch, es kann nicht sein.«
»Aber es muß dennoch sein, da blickt nur hinauf.«
Und wirklich zeigten sich an mehreren, auf den Platz führenden Fenstern, eben so drohende, wilde Gestalten, wie es die zuerst Erschienene war.
»Er ist fort, entflohen, lauft ihm nach, verfolgt ihn, bevor er das Thor erreicht.«
Die Menge unten wiederholte das wüthende Gebrüll, und zerstreute sich sodann, ohne eigentlichen Zweck, aufs geradewohl in den zunächst liegenden Gassen.
»Es scheint also doch, daß Cornelius von Witt, wirklich enflohen ist,« bemerkte der Oberst.
»Aus dem Gefängniß, wohl möglich. Aber, mein lieber van Deken, ich versichere Euch, aus der Stadt gewiß nicht. Der arme Mann wird glauben, durch eines der Thore zu entkommen, aber wie wird er sich wundern, wenn er alle verschlossen findet.«
»Es wurde also der Befehl gegeben, die Stadttore zu schließen?«
»Das glaube ich gerade nicht, wer würde wohl einen solchen Befehl ertheilen?«
»Und woher vermuthet es Eurer Hoheit sodann?«
»Es gibt oft Verhängnisse,« antwortete der Blasse gleichgültig, »Ihr werdet es selbst schon erfahren haben, Oberst, Verhängnisse, denen selbst der größte und kühnste Mann nicht entgeht.«
Ein kalter Schauer durchrieselte die Glieder des Officiers, er fing nach und nach an, einzusehen, daß der Gefangene verloren sei.
Das Geheul der tobenden Menge erreichte nunmehr seinen Culminationspunkt. Man hatte mit der größten Sorgfalt jede Kammer, ja den kleinste Raum; durchsucht, ohne jedoch die leiseste Spur des Gefangenen, oder der Art und Weise, wie er seine Flucht bewerkstelligte, zu entdecken. Die Ueberzeugung stand fest begründet, er war gerettet.
Cornelius und Johann hatten auch wirklich, während diesen Vorgängen am Buytenhoff, glücklich den Teich passirt, und fuhren nunmehr auf der öden und menschenleeren Hauptstraße gerade auf den Tol-Hek zu.
Johann hatte die Vorsicht, dem Kutscher einzuschärfen, daß er, um jeden Verdacht zu begegnen, nur in einem ganz gewöhnlichen, schwachen Trabe fahren dürfe. Als dieser aber auf der Hauptstraße angelangt, jegliche Gefahr, den Lärm der tobenden Menge, Gefängniß und Tod hinter sich hatte, als ihm die Freiheit so schön entgegen lächelte, da war er nicht mehr Herr seiner Empfindung, und den Pferden die Zügel frei lassend, flog nach einem kräftigen Peitschenhiebe der Wagen pfeilschnell dahin.
Aber plötzlich hielt er an.
»Was giebt es?« fragte Johann, den Kopf aus dem Kutschenschlage vorstreckend.
»O mein Herr,« rief der Kutscher, »es ist —«
Der Schrecken schien seine Stimme zu ersticken.
»Nun, so verständige mich doch.«
»Das Gitter ist geschlossen.«
»Das Gitter? das pflegt sonst nur zur Nachtzeit gesperrt zu werden.«
»Seht es Euch selbst an.«
Johann von Witt neigte sich noch etwas mehr aus den Wagen vor, und sah in der That zu seinem Staunen, das geschlossene Gitter.
»Fahre nur fort,« rief er, »aber sogleich — meine Papiere sind in der Ordnung, der Pförtner wird uns öffnen.«
Der Wagen verfolgte seinen Weg, aber nicht mehr mit derselben Schnelligkeit. Es schien gleichsam, als hätten Kutscher und Pferde gegenseitig ihr früheres Vertrauen verloren.
Johann, über diese unerklärbare Erscheinung nachdenkend und vertieft, konnte sich nicht enthalten, zeitweise aus dem Wagen hervor, nach dem noch immer fest geschlossenen Tol-Hek zu blicken. In einem solchen Augenblicke, entdeckte und erkannte ihn, ein gerade aus seinem Hause tretender Bräuer, der, im Begriffe seinen Weg nach dem Buytenhoff einzuschlagen, bei dieser so unerwarteten Erscheinung, wie eingewurzelt stehen blieb.
Ein Schrei der Ueberraschung, den er nicht mehr zurückzuhalten vermochte, machte andere zwei Männer, die eben so in der größten Eile nach dem Gefängnißplatz liefen, aufmerksam. Sie hielten auf ein Zeichen des Bräuers an, und bald gewahrte man, wie diese Gruppe in einer heftigen Verhandlung begriffen, unverwandt ihre Blicke auf den Wagen, der unterdessen den Tol-Hek erreicht hatte, heftete.
»Aufgemacht!« rief der Kutscher.
Der Thorwächter erschien an seiner Hausthür.
»Aufmachen?« sagte er lakonisch, aufmachen schön, aber sagt mir zuerst womit.«
»Zum Satan auch, mit dem Schlüssel.«
»Schlüssel, schönes Wort das, vorerst muß ich aber Einen haben.«
»Was, Du hast den Schlüssel zum Thore nicht?«
»Nein, den hab ich nicht.«
»Wo, Teufel, hast Du ihn dann hingegeben?«
»Was, Teufel, nichts Teufel, man hat mir ihn genommen.«
»Genommen, Dir den Schlüssel abgenommen, und wer that dies?«
»Du bist sehr neugierig, wahrscheinlich Einer, dem daran gelegen ist, daß Niemand um diese Zeit, die Stadt verläßt.«
Johann der die ganze Unterredung im Wagen vernommen hatte, und bald einsah, daß auf diese Art wohl kein weiterkommen bezweckt werden würde, wagte nunmehr das Aeußerste. Sich über den Sitz des Kutscher vorneigend, rief er den Pförtner an seine Seite. Dieser sprang, als er des Ex-Großpensionärs ansichtig wurde, augenblicklich hinzu, sein Haupt ehrfurchsvoll entblößend.
»Ihr kennt mich, guter Freund, ich bin Johann, von Witt, und so eben im Begriffe, meinen Bruder in die Verbannung zu führen, habt dennoch die Gefälligkeit und öffnet uns das Thor.«
»O, mein guter, theurer Herr,« rief der Alte, die Hände ringend,« es ist mir unmöglich, mir wurde der Schlüssel abgenommen.«
»Wann?«
»Heut Morgen.«
»Von wem?«
»Von einem jungen, blassen und hagern Manne.«
»Und warum ließt Ihr Euch denselben nehmen?«
»Weil mir jener einen gesiegelten und gefertigten Befehl vorwies.«
»Wer war unterschrieben?«
»Die Herren vom Hoogstreet.«
»Dann,« sagte Cornelius, der bisher einen stummen Beobachter abgegeben hatte, »sind wir, aller Wahrscheinlichkeit nach, verloren.«
»Weißt Du nicht, ob diese Vorsicht an allen Thoren getroffen wurde?«
»Das weiß ich wirklich nicht.«
»Wohlan, denn,« sprach Johann, sich zu dem Kutscher wendend, »fahre fort, suche ein anderes Thor; in erreichen, Gott und unsere erhabene Religion gebieten uns, keinen Weg zur Rettung des Lebens unbenützt vorbeigehen zu lassen;« dann sich an dem Pförtner wendend, drückte er diesem herzlich die Hand:
»Ich danke Dir für den guten Willen, mit den Du uns retten wolltest, ich nehme ihn für das Werk selbst und betrachte es von Deiner Seite als gelungen.«
»Armer Herr,« rief der Angeredete, während diesen Worten unverwandt den Blick auf die vor ihm liegende Hauptstraße gerichtet, »da, da seht nur.«
Er wies mit der ausgestreckten Hand aus einen entgegengesetzten Punkt der Gasse hin.
Dieser Punkt bestand aus zehn bis zwölf Menschen, die in eine einzige, die ganze Breite der Straße sperrende Linie aufgelöst, den Bräuer an der Spitze, sich langsam und bedächtig dem Wagen näherten.
»Fahre an dieser Gruppe im Galopp vorbei,« befahl Johann, »und lenke dann links in die breite Straße ein, das ist unsere einzig mögliche Rettung.«
Die so eben beschriebenen Leute, hatten durch die Art ihres Vorrückens, und ihre nur flüchtige Bewaffnung mit Stöcken unbezweifelbar feindliche Absichten. In dem Augenblicke aber, wo sie die Pferde im vollen Galopp herankommen sahen, drängten sie sich mehr in der Mitte zusammen.
»Aufhalten, aufhalten!« schrien Alle zugleich, ihre Stöcke hoch in der Luft schwingend.
Der Kutscher hatte kaltblütig den Zeitpunkt abgewartet, wo er, in der Nähe der Angreifenden angelangt, sich mit der Peitsche vertheidigen konnte. Bald pfiff dieses in geübter Hand wohl zu fürchtende Instrument sausend über den Köpfen, und wenige Minuten nachher ertönten Angst- und Schmerzensrufe der Getroffenen, weithin durch die sonst ganz ruhige Gegend.
Aber trotzdem versuchte es noch immer ein Theil, den Wagen aufzuhalten. Ein einzelner starker Mann griff nach dem Zügel des einen Pferdes.
Die Brüder in den Wagen ganz eingeschlossen, hörten mehr, als sie sehen konnten. Einen Augenblick schien die dahinrollende Maschine zu wanken, dann hielt sie, gleichsam an irgend ein Hinderniß treffend, still, und bewegte sich endlich über einen erhabenen zähen Gegenstand weiter, der eben so gut der Leichnam eines Menschen, wie irgend eine im Wege liegende Pfütze sein konnte. Verwünschungen und Fluche folgten ihm.
»Ich fürchte, daß wir ein Verbrechen begangen haben,« sprach Cornelius.
»Im Galopp i« rief Johann dem Kutscher zu.
Aber trotz dieses erhaltenen Befehles hielt der Wagen mit einem Male still.
»Was gibt es wieder?i« fragte Johann.
»Seht dahin,« antwortete der Kutscher, mit seiner Peitsche gerade vorwärts zeigend.
Johann sah hinaus.
Die ganze unübersehbare Volksmenge vom Buytenhoff erschien an der Einmündung zweier Hauptstraßen, Kopf an Kopf gereiht, mit wuth- und zornentbrannten Mienen.
»Halt an, und, rette Dich,« rief Johann dem Kutscher zu, »es weite nutzlos, weiter zu fahren, wir sind verloren.«
»Da, da, da sind Sie,« schrie der ganze wüthende unmenschliche Chor.
»Ja, ja, das sind Sie, antwortete zu gleicher Zeit die dem Wagen nacheilende, nunmehr durch das Geschrei ihrer Kameraden bedeutend vergrößerte Menschenmenge, auf ihren Armen den blutenden Leichnam eines zerquetschten Mannes tragend.
»Haltet Sie auf, die Verräther, die Mörder.«
Der Leichnam gehörte dem an, der den Pferden in die Zügel gefallen, von ihnen niedergerissen, und durch den Wagen überfahren worden war.
Der Kutscher hielt regungslos still, ohne den ihm zur eigenen Rettung gegebenen Wink seines Herrn zu benützen.
In wenigen Secunden war der Wagen von allen Seiten umringt, von einer unabsehbaren, wogenden und vorwärtsdrängenden Menschenmenge.
Wenn man dies Schauspiel von der ferne betrachtete, so glaubte man, in den aufgeregten Wellen eines breiten Flußes, irgend einen Nachen von unsicherer Hand geführt schaukeln zu sehen.
Die jungen, kräftigen Pferde, durch das ungewohnte Geräusch scheu gemacht, versuchten es, sich mit einem Satze Bahn zu brechen. Aber plötzlich stürzte eines derselben nieder. Der Zentnerschwere eiserne Hammer eines Schmiedes, von starker Hand geschwungen, hatte ihm mit einem einzigen Hiebe den Kopf gespalten.
Das andere Pferd gleichsam vorn Instincte getrieben, blieb ruhig sehen.
Es war dies gleichsam das Vorspiel eines wohle durchdachten und meisterhaft ausgearbeiteten blutigen Dramas.
In der Gasse, und gerade in dem Augenblicke, wo diese Scene vorfiel, öffnete sich in dem ersten Stocke eines dem Auftritte zunächst liegenden Hauses, ein bisher verschlossener Fensterladen, und hinter den zerbrochenen, schmutzigen Glasfenstern gewahrte man das bleifarbene Antlitz des jungen Mannes.
Hinter ihm erschien der Kopf des Obristen eben so blaß, ernst und düster.
Mein Gott, mein Gott, gnädigster Herr, was wird da noch geschehen.«
Wahrscheinlich irgend etwas Unerhörtes, etwas Gräßliches.«
»O, seht nur, seht nur, Hoheit, da ziehen sie eben den edlen Johann aus dem Wagen, sie ziehen, sie schlagen und treten ihn.«
»Wahrlich, diese Leute müssen sich den größten haß des Pöbels zugezogen haben,« erwiderte der Blasse mit demselben gleichgültigen Tone, ohne die geringste Regung eines Mitleids oder Abscheues in seinen Mienen zu zeigen.
»Da seht, seht, seht reißt die wüthende Menge Cornelius aus dem Wagen, den Mann, der durch Folter schon verstümmelt ist, o seht doch, seht nur!«
»Ja, ich sehe, das ist Cornelius.«
Der Oberst stieß einen schwachen Schrei aus, und wendete den Kopf ab.
Er hatte ein furchtbares ein gräßliches Schauspiel gesehen, seine menschliche Natur sträubte sich dagegen, es weiter zu verfolgen.«
Kaum hatte der Ruart de Pulten, noch mit dem einen Fuße den Boden berührt, als ein mit einer schweren eisernen Stange gegen seinen Kopf geführter Schlag, ihm die Hirnschale zerschmetterte.
Er stürzte nieder.
Aber gleichsam, als wolle die ihm inne wohnende unendliche, hohe, geistige Kraft noch ein einziges Mal sich in ihrer ganzen Macht und Größe zeigen, erhob sich der schon beinahe todte Körper, richtete sich stolz empor, sein vom Blute überströmtes Auge blickte kühn die vor diesem schauderhaften Bilde scheu zurückbebende Menge an, dann sank er zusammen, um nie wieder zu erstehen.
Die Menge hatte Blut gesehen, Blut, nach dem:sie so lange dürstete. Noch war das Werk nicht vollbracht, neue Schändlichkeiten sollten es krönen.
Eine Abtheilung ergriff den Leichnam bei den Füssen, und schleifte ihn durch die sich zur Seite drängende Volksmasse, eine andere drängte in einem einzigen dichten Klumpen den ihm vorgezeichneten Blutspuren, mit einem unbeschreiblichen Wuth- und Freudengeheul nach.
Aber dieser Auftritt schien selbst auf den blassen jungen Mann einen unangenehmen Eindruck auszuüben. Sein fahles, leichenähnliches Gesicht wurde, was beinahe eine Unmöglichkeit zu sein schien, noch blässer, seine Augen schlossen sich wie von selbst.
Der Oberst hatte diese augenblickliche Regung eines ihm bisher unbekannten Mitleids bemerkt, und in der Absicht, von dieser Gemüthsbewegung den möglich besten Vortheil zu ziehen, sprach er mit einer, dem Krieger sonst seltenen Wärme.
»Kommt, gnädigster Herr, kommt, laßt uns eilen und retten, was noch zu retten ist, seht, man will Johann auch ermorden.«
Aber die Hoheit hatte die Augen schon wieder geöffnet, das Gesicht hatte sich geschmeidig ganz in seine frühem Formen gelegt, und dieselbe eisige Kälte umdüsterte die in diesem Moment grauenhaften Züge.
»Wahrlich,« sprach er dann, »das Volk ist unversöhnlich es bringt schlechte Früchte, wenn man beabsichtigt, an ihm zum Verräther zu werden.«
»Hoheit, gibt es denn gar keine Mittel, jenen edlen, hochherzigen, jenen großen Mann zu retten, der Euch erzogen hat? Ein Wort von Euch, zeigt mir den Weg der Hilfe an, und ich werde ihm einschlagen, denn ich auch darüber mein Leben verlieren sollte.«
»Wilhelm von Oranien, den der Leser aus den bisher gemachten Mittheilungen auch bereits in dem jungen blassen, so elend aussehenden Manne erkannt haben wird, legte sein Gesicht in mächtige Falten, und einen, auf den Obersten gerichteten, durchbohrenden Blick kurz nach seinem Erscheinen wieder unterdrückend sprach er zu diesem im gebietenden Tone:
»Oberst van Deken, ich befehle Euch hiermit, unverzüglich zu meinen Truppen abzugehen, und sie zu beordern, daß sie für jeden Augenblick gefaßt und schlagfertig dastehen.«
»Und Euch, Hoheit, soll ich hier, von Meuchelmördern umgeben, allein lassen!«
»Beunruhigt Euch meinetwegen nicht mehr und nicht weniger, als es mir selbst beliebt, dies zu thun, und folgt unbedingt den erhaltenen Befehl.«
Der Oberst verneigte sich ehrfurchtsvoll, und dann das Zimmer schnell verlassend, bewies er, sowohl durch seine Eile, so wie durch den über seine ganze Person ausgedrückten tiefen Schmerz, wie erfreulich er die ihm dargebotene Gelegenheit ergriff, einem gewiß noch gräßlicheren Schauspiele, das er weder zurückhalten, noch verhindern konnte, zu entgehen.«
In dem Augenblicke, wo er die Zimmerthüre hinter sich schloß, war es den mehr als übermenschlichen Anstrengungen Johann’s gelungen, die Thorflur, eines dem Versteck des Prinzen gerade gegenüber liegenden Hauses zu erreichen. Mit verzweifelter, von Angst und Schmerz gehobener Stimme, rief er unausgesetzt: »Wo ist mein Bruder, mein Bruder.«
Einer von den Wütherichen schlug ihm mit der geballten Faust den Hut vom Kopfe.
Ein zweiter sprang hinzu und zeigte ihm die noch; von dem rauchenden Blute seines ermordeten Bruders besudelten Hände.
Ein Dritter drängte mit Gewalt durch die blutdürstige Menge, hoch in seinen Händen die Gedärme des gefallenen Opfers haltend, »da.« — Er hielt sie Johann unter die Augen, er donnerte ihm in die, Ohren, daß dies die Eingeweide seines Bruders seien, daß er nur auf den Augenblick warte, an ihm ein Gleiches thun zu können.
Johann war ruhig geworden. Die unablässige Aufeinanderfolge so unerhörter Gräuelthaten, hatte endlich jenen, der menschlichen Natur in ähnlichen Lagen eigenen Stumpfsinn hervorgerufen, der für jeden Eindruck unempfänglich, einem unabweislichen Schicksale mit kalter Ruhe und Todesverachtung entgegen geht.
Aber der Anblick dieses Blutes, eines so edlen, so hohen, ihm selbst nächst verwandten Blutes, er konnte Ihn nicht ertragen. Instinctmäßig verdeckte er mit den Händen seine Augen.
»Ah,« schrie ein Soldat der Bürgerwehre, »Du machst Deine Augen zu, warte nur ein wenig, Freundchen ich werde Dir sie gleich wieder öffnen.«
Nach diesen Worten stieß er ihm über die Köpfe der Andern mit einer langen Pike in das Gesicht, so, daß das Blut herabströmte.
Mein Bruder, mein armer Cornelius, stöhnte Johann, und gleichsam, als erstünde in ihm die Idee der Möglichkeit, diesem theuern Bruder nochmals zu sehen, ließ er die Arme sinken, und seinem vom Blute umschleierten Blick, über die Menge schweifen.
»Hol’ Dir ihn ab,« heulte ein zweiter Bösewicht, den Lauf einer Muske an die Schläfe des Unglücklichen setzend.
Er drückte ab, der Schuß versagte.
Dann zog der Mann sein Gewehr zurück, und dasselbe umwendend, versetzte er gleich darauf dem Ex-Großpensionär einen so heftigen Schlag auf den Kopf, daß dieser betäubt und bewußtlos niederstürzte.
Bald jedoch erhob er sich wieder, »Mein Bruder,« stammelte er nochmals, so kläglich, so jammernd, daß selbst der blasse, hagere, junge Mann, der Prinz Wilhelm von Oranien, der bisher dem ganzen furchtbaren Drama zugesehen hatte, den Fensterladen schloß.
Von diesem Zeitpunkte an, schien das Ende des entsetzlichen Auftrittes zu nahen. Ein neuer, unter der Menge auftauchender Meuchelmörder setzte dem, durch das herabströmende Blut seines Augenlichtes beraubten Opfer des allgemeinen Volkshasses, eine Pistole an den Kopf, und diese versagte nicht.
Johann stürzte wie sein Bruder, ebenfalls mit zerschmettertem Kopfe nieder.
Aber die Menge hatte Mut gesehen, sie hatte ihre Hände darein getaucht, im Bewußtsein der schandbaren That, vom quälenden Gewissen aufgeschreckt, suchte es dieses durch neue Gräuel zu betäuben.
Eine neue, aber weniger tragische, in ihrer Entwicklung mehr eckelerregende Scene, begann nunmehr sich dem Blicke des Zusehers zu entfalten.
Die Masse der Elenden, die entweder durch den zu großen Andrang verhindert, aus Herzensgüte, oder Feigheit, früher ihren Haß nicht deutlich zeigen konnte, brach sich nunmehr Bahn, und feuerte auf die bereits entseelten Körper eine Unzahl von Schüssen ab. Ein anderer Theil, nicht mit dem Gewehre bewaffnet, stach oder hieb mit Messern, Bellen und Stöcken nach ihnen, so daß Beide unter dem sie überströmenden Blute, eher einer rohen Fleischmasse, als menschlichen Wesen glichen.
Dann wurde Johann ebenfalls durch die Gasse geschleift.
Zerrissen, zerquetscht, bloße Fragmente dessen, was sie einst waren, langten diese furchtbaren Opfer einer wohlvorbereiteten, empörenden Volksjustiz auf dem Platze an, wo der Pöbel in aller Eile einen improvisirten Galgen errichtet hatte.
Hier fanden sich bald einige freiwillige Henker, welche die Reste der Unglücklichen bei den Füßen aufhingen.
Das Ende nahte.
»So furchtbar, so entsetzlich dieses auch erscheinen mag, so ist es doch in seiner vollen, ganzen Gestaltung und Darstellung bis auf die kleinsten Einzelheiten wahr. Und wir, die wir in dem eingebildeten, glorreichen Zeitalter des geistigen Fortschrittes Leben, wir, die so gerne den grauenhaften Schilderungen der rohen Vorzeit, Unglauben und Fabelhaftigkeit beilegen, wir berücksichtigen so wenig, daß gerade unter uns täglich, stündlich vielleicht ähnliche, wo nicht noch entsetzlichere Gräuel auftauchen. Zwar ist der materielle Einfluß, die Qual der Folter ganz verschwunden, aber dafür hat unser Geist eine Tortour entdeckt, die das erwählte Opfer langsam, überlegt, vorbereitet, mordet.
Blicke empor in den Palast, blickt in die Hütte der Armuth, seht die wankenden, bleichen Gestalten, fragt sie, wie sie es geworden, und sie werden Euch einen unversiegbaren Born, schuldlos erduldeter Qualen mittheilen, vor denen das fühlende Herz zitternd zurücktreten wird. Ergründet das Geheimniß, den Todten die Sprache wieder zu geben, fragt sie dann, wie sie gestorben? und Euere Haare werden vor Schauer zu Berge stehen.
Wundert Euch daher nicht, den furchtbaren Schluß jenes so eben geschilderten Auftrittes zu hören.
An die Reste der beiden Brüder drängte sich nunmehr eine neue, eben so furchtbare Menge heran. Mit scharfen, spitzen Messern bewaffnet, suchte einer den andern den Vortritt streitig zu machen. Der so glücklich war, an die Leichname zu gelangen, schnitt dann in aller Eile ein Glied, oder auch nur einen Theil der Haut weg. Mit wüthendem Geheul, diesen Beweis seines Heldenmuthes hoch über dem Kopfe schwingend, stürzte er dann fort, um sein geraubtes Gut in den entferntern Gassen, theilweise in Stücken zu verkaufen.
Der junge, blasse Mann hatte, wie wir es bereits sagten, gleich nach dem Falle Johann’s, den Fensterladen, jedoch nur so zugeschlossen, daß noch immer seine offen gebliebene Spalte, die freie Aussicht gewährte. Ob er hinter dieser dem ganzen Vorfalle beiwohnte, ob er sich in alle diese Gräuel mit demselben Gefühl eines befriedigten Wunsches wie vorher vertiefte, können wir nicht mit Gewißheit sagen. Nur als man die Unglücklichen gehängt, und ein großer Theil des Volkes sich bereits verlaufen hatte, schloß er das Fenster ganz, kam auf die Gasse, und schritt durch die von dem vorliegenden Schauspiele noch in Anspruch genommene Menschenmenge unbeachtet, nach dem Tol-Hek.
»Ah, mein Herr,« rief ihm der Pförtner schon von weiten entgegen, »bringt Ihr mir endlich den Schlüssel!«
»Hier hast Du ihn, mein Freund,« und Wilhelm überreichte dem Fragenden den verlangten Gegenstand.
»O, was für ein entsetzliches Unglück habt Ihr bereitet, daß Ihr so spät kommt. Nur eine halbe Stunde früher, und Alles wäre gut gewesen.«
»Warum?«
»Die beiden Herren von Witt, Cornelius auf seiner Fahrt in’s Exil, und sein Bruder Johann, der ihn begleitete, wollten hier durch. Hätte ich aufmachen können, dann wären sie gerettet worden, so mußten sie umkehren, fielen ihren Verfolgern in die Hände, und das Andere werdet Ihr schon wissen.«
»Aufgemacht das Thor, aufgemacht,« rief aus der Ferne eine helle, kräftige Stimme.
Wilhelm von Oranien wandte sich um, und erblickte mit einer Mischung von Staunen und Unwillen den Obersten van Deken.
»Wie, Oberst, Ihr seid noch da! Ich dachte Euch bereits weit weg von Haag. Das nenne ich meine Befehle schlecht vollziehen.«
»Eure Hoheit! es war mir unmöglich. Dies ist nun das dritte Thor, an dem ich vergebens einen Ausgang suche. Sie sind alle verschlossen, und jeder Pförtner erklärte, man habe ihm den Schlüssel genommen.«
»Wohl möglich. Aber dieser biedere Mann hier wird uns ohne Anstand öffnen.« Hierauf wandte er sich an den Alten, der zitternd, die Mütze in der Hand, dastand. Das einzige Wort, Hoheit, hatte ihm so eingeschüchtert, daß er es unerklärbar fand, wie sich ein so unendlich hoher Stern, in dem frühern vertrauten Tone, habe mit ihm unterhalten können.
»Mach auf, guter Freund!«
Mit der größten Eile, um wahrscheinlich seine tiefe Ergebenheit zu zeigen, schloß der Pförtner auf, und bald öffnete sich das Thor, in seinen Angeln knarrend.
Befehlt Ihr mein Pferd, gnädigster Herr,« fragte van Deken den Prinzen.
»Nein, Oberst, danke Euch, ich habe ein Pferd: hierin der Nähe, ich werde nur dieses reiten.«
Hierauf zog er ein goldenes Pfeifchen hervor, und bald ertönte ein lang gedehnter, gellender Pfiff. Wenige Augenblicke darnach, sprengte von einem Seitenwege einbiegend, ein Stallmeister, ein zweites Pferd an der Hand, dem Harrenden entgegen.
Mit einer Leichtigkeit und Gewandtheit, die man dem blassen, schwächlichen, jungen Manne gar nie zugetraut hätte, schwang sich dieser ohne Steigbügel in den Sattel, und dem Pferde die Sporn in die Weichen drückend, flog er der Straße nach Leyden zu.
Als er an dem Punkte angelangt war, wo diese in die Hauptstraße mündete, sah er nach rückwärts.
Der Oberst war, dasselbe Tempo annehmend, um Pferdeslänge hinter ihm geblieben.
Durch ein mit der Hand gegebenes Zeichen bedeutete er ihm, an seine Seite zu kommen.
»Ihr werdet es wohl schon wissen,« sprach er, als Letzterer herangeritten war; »daß die Wütheriche den Johann von Witt auf eine eben so schauderhafte Weise, wie seinen Bruder ermordet haben.«
»Gnädigster Herr!« erwiderte der Obrist kalt, aber mit niedergeschlagenem, gesenktem Haupte, »es wäre mir in jeder Beziehung lieber und wünschenswerther, wenn Euer Hoheit diese beiden, sich der Statthalterschaft allein entgegenstellenden Hindernisse, noch zu überwältigen hätten.«
»Ich glaube selbst, es wäre besser, wenn sich jener furchtbare Vorfall nicht ereignet haben würde, aber was geschehen, und zwar, ohne unserm Wissen, oder einer Mitwirkung geschehen ist, können wir leider nicht mehr ungeschehen machen. Aber beeilen wir uns, Oberst, noch früher nach Alphen zu kommen, bevor dort die Ordre der Stände anlangt, die mich sicher in das Feld schicken würden.«
Van Deken verneigte sich, und lies dem Prinzen wieder einen kleinen Vorsprung, seinen früher innegehabten Platz einnehmend.
Wilhelm warf noch einmal einen scheuen Blick um sich, und dann gleichsam, als wolle der auf seinem Antlitze ausgeprägte Grimm sich durch Worte Luft machen, murmelte er zwischen den Zähnen: .
»Nur einen Wunsch habe ich jetzt noch, den, Ludwig XIV. zu sehen, das Antlitz dieser Sonne, wie es sich in Falten legen und wüthen wird, wenn er das Schicksal seiner Freunde erfährt. O, Sonne! O du glänzender Sterns deine Strahlen erleuchten einen großen Raum, aber jetzt erwacht Wilhelm von Oranien, gebe acht, daß dein Glanz nicht verdunkelt wird.«
Seine Augen hatten sich zusammengezogen, ein:furchtbarer Blick blitzte zwischen den halbgeschlossenen Wimpern hervor, die Lippen fest aneinander gepreßt, gab er dem Pferde die Sporne mit aller Gewalt, daß dieses nunmehr dem Winde gleich, dahinsauste.
Und dieser junge Prinz, dieser erbittertste Feind Ludwig XIV. vor einer Stunde noch das unmündige Kind, fühlte sich nun, wo ihm die Leichen der Brüder von Witt, den Weg zur Macht und Hoheit gebahnt hatten, so stolz und übermüthig, daß er die ganze Welt, kühn in die Schranken gefordert hätte.
Auch er hatte Blut gesehen.