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III.
Der Zögling des Ex-Großpensionärs.
ОглавлениеIn der Zeit wo das Geheul der wüthenden, vor dem Buytenhoff versammelten, und zum höchsten Fanatismus angestachelten Menge immer lauter und starker ertönte, hatte sich eine in der Eile zusammengesetzte Bürgerdeputation, von einem großen Volkshaufen begleitet, nach dem Ständehaus begeben, um von den dort anwesenden Deputirten einen schriftlichen Befehl zum Abmarsche der Tilly’schen Reiterschaar zu erhalten.
Zwischen dem Buytenhoff und dem Hoogstreet, ebenfalls einer Art breiten Straße, die von einander nicht weit entfernt sind, sah man seit Beginn dieses Auftrittes einen jungen Mann, der allen Einzelheiten desselben mit einer unverkennbaren Neugierde folgte, und sich auch der nach dem Ständehause eilenden Menge anschloß, gleichsam, als liege es in seiner Absicht, schneller das Endresultat dieser neuen Unternehmung zu erfahren.
Dieser Mann, den wir selbst noch nicht kennen, war sehr jung. Er mochte 20 bis 22 Jahre zählen. Sein blasses, mehr gebleichtes Gesicht, die matten Augen, die zarte Constitution, verriethen wohl das Mitglied irgend einer höhern Familie, beurkundeten aber zugleich ein Wesen, ohne Muth und Energie. Zu dem mußte es in seiner Absicht liegen, wo möglich unerkannt;zu bleiben, denn unaufhörlich bedeckte er das Gesicht mit einem frischen Tuche, gleichsam als wolle er sich die Lippen oder den Schweiß abtrocknen.
Aber das anscheinend matte, tief liegende Auge, gewährte nach näherer Beobachtung die Ueberzeugung, daß es, von irgend einer Idee ergriffen, eben so gut einen durchdringend feurigen Blick, gleich den eines Adlers, erzeugen konnte, so wie auch der auffallend kleine und gespitzte Mund, über den sich eine lange gebogene Nase wölbte, dem Antlitze einen seltenen, im ersten Augenblicke aber, mehr abstoßenden Reiz verlieh. So gestaltet hätte dieser Kopf für die Studien Lavater’s das schönste Exemplar nämlich eines derjenigen geliefert, wo die Natur gleichsam dem menschlichen Wissen zum Hohne, den vollendeten, edelsten Gebilden, die erbärmlichsten Eigenschaften verleiht.
Eine Frage der Alten findet hier ihren geeigneten Platz. Welcher Unterschied besteht zwischen einem Eroberer und einem Seeräuber? Ganz derselbe, den man zwischen einem Geier und Adler beobachten kann.
Beide sind Raubvögel, der eine mit Ernst und Ueberlegung, der andere mit Unruhe und Leidenschaft.
Und so trug auch hier, diese bleifarbene Physiognomie, dieser matte, zitternde Schritt, diese schmächtigen, unter der Last des Oberleibes beinahe zusammenbrechenden Füße, dieser bald matte, bald forschende und feurige Blick, ganz das Gepräge jener Gesellschaft, die es sich im Leben zur Hauptaufgabe gemacht, jede, auch die kleinste Handlung der Nebenmenschen zu erspähen, und ihr vor dem Gesetze sodann die dem eigenen Vortheile zunächst liegende Deutung zugeben. Noch mehr wurde man in dieser Voraussetzung bestärkt, wenn man die beinahe ängstliche Sorgfalt des jungen Mannes bemerkte, mit welcher er sein Gesicht der Umgebung zu verbergen suchte. Uebrigens war er äußerst einfach gekleidet, trug weder eine sichtbare Waffe, noch sonst etwas Auffallendes an sich, und stützte seine zarte, weiße Hand, an der man genau jede Ader beobachten konnte, auf die Schultern eines Officiers, der ihm nicht von der Seite weichend, nun eben so den Weg nach dem Hoogstreet einschlug, sein klares offenes Auge mit einem leicht erkennbaren Interesse, der sich vor Beiden dahinwälzenden Volksmasse zuwendend.
Aus dem Hoogstreet angelangt, beeilte sich der blaße, gebrechliche Mann, ein in einer Ecke gelegenes und offen stehendes Fenster zu erreichen, das dem Hause der Deputirten gerade gegenüber lag, und zugleich durch ein weit herabgehendes Schirmdach eine Art Versteck bildete.
Das Volk hatte unterdessen sein Geschrei mit neuer Kraft und Wuth begonnen. Kurze Zeit nachdem es vor dem Ständehause angelangt war, das Erscheinen eines Deputirten fordernd, öffnete sich auch die Thüre des über dem Hauptportale angebrachten Balkons, und ein alter, durch sein graues Haar so wie den Ernst und Adel seiner Züge ehrwürdig aussehender Mann trat hervor.
»Wer ist der Mann, der dort erscheint?« fragte der junge Mann seinen Begleiter, das mit einem Male aufflammende Auge nach dem Balkon richtend, an dessen Geländer sich der zitternde Greis festzuhalten schien.
»Es ist der Deputirte Bowell,« erwiderte der Officier, ohne den Blick abzuwenden.
»Bowell! und was für ein Mann ist dieser Bowell? Kennt Ihr ihn.«
»Persönlich nicht. Aber so viel ich hörte, ist er ein sehr braver Mann.«
Allein dem jungen Manne schien diese Anpreisung durchaus nicht zu behagen, denn eine Bewegung, die auffallend Mißmuth und Unwillen beurkundete, ließ den Officier erkennen, daß er irgend einen unangenehmen Eindruck hervorgerufen habe, und er beeilte sich daher unverzüglich hinzuzusetzen:
»Ich wiederhole nochmals, daß ich nur vom Hörensagen urtheile, denn persönlich habe ich, wie bereits erwähnt, mit Herrn von Bowell noch nichts verhandelt, und kenne ihn daher auch gar nicht weiter, gnädigster Herr.«
»Braver, sehr braver Mann!« wiederholte der Blasse, der so eben den Titel, gnädigster Herr, erhalten »Wie meint Ihr das, mein Freund, ein Mann, ein brav ist? oder ein Mann von Bravour?«
»Gnädigster Herr, Ihr werdet vergeben, ich wage es nie, einen derartigen Unterschied bei einem Menschen zu machen, den ich, wie ich es nochmals wiederhole, nur dem Reden nach kenne.«
»Es wird sich ja ohne dieß zeigen, murmelte der junge Mann zwischen den Zähnen. »Wir werden es ja sehen, warten wir nur ein wenig.«
Der Officier stimmte durch ein Kopfnicken bejahend bei, und schwieg.
»Wenn dieser Bowell, wie Ihr sagtet,« fuhr der Blasse fort, »ein braver Mann ist, so wird er die an ihm gestellte Forderung des Volkes, wahrscheinlich sehr ernst aufnehmen«
Und eine heftige Bewegung seiner Hand, dann ein mechanisches, gedankenloses Trommeln auf der Schulter seines Gefährten, verrieth deutlich die ungestümen Regungen, eines durch die mehr todte, körperliche Hülle kaum zu ahnenden starken Geistes, dessen nunmehr auf das höchste gesteigerte Erwartung sich instinktmäßig durch die volle Thätigkeit eines Gliedes Luft zu machen suchte.
In diesem Augenblicke, stellte der Führer der Bürgerdeputation an Bowell die Frage, wo die Deputirten wären.
»Meine Herren l« sagte Bowell, indem er sich bemühte seiner Stimme so viel Kraft zu geben, daß sie von der ganzen versammelten Menge gehört werden konnte. »Ich habe Euch bereits ein Mal gesagt, und wiederhole es hier, daß außer mir nur noch Herr von Asperen anwesend ist, und ich für meine Person, in dieser Angelegenheit keine Entscheidung geben kann.«
»Den Befehlt den Befehl! wollen und müssen wir haben,« schrien mehr als 1000 Stimmen.
Herr Bowell bemühte sich nochmals zu sprechen, aber das tobende Geschrei, der immer wachsenden Menge übertönte seine Worte, und selbst seiner unmittelbaren Nähe nicht mehr verständlich, konnte man nur aus seinen Mienen und Geberden die Beibehaltung des ein Mal ausgesprochenen Entschlusses entnehmen. Aber da auch diese Bemühung wenig, ja beinahe gar Nichts zur Verständigung und Beruhigung der erhitzten Gemüther beitrug, trat er endlich an das offene Fenster, und rief Herrn von Asperen heraus.
Dieser erschien auch unverzüglich, und wurde von Seite des Volkes mit einem Beifallssturme empfangen, derjenen, den man Herrn Bowell bei dessen ersten Auftreten ebenfalls gespendet hatte, noch weit übertraf. Auch er übernahm die schwierige Aufgabe, das Volk zu beschwichtigen, ihm die Ungerechtigkeit seines Verlangens, und die Unmöglichkeit dasselbe zu realisiren, darstellend, und zugleich auf die in diesem Falle einzig zu verfolgende Richtschnur, die gesetzliche Basis hinzuweisen.
Dieser ergreifenden, kühnen, einer so nahe liegenden Gefahr gegenüber, auch heroischen Rede, wurde, von Seite derer, an die sie gerichtet war, nicht nur kein Gehör geschenkt, sondern die Masse nahm vielmehr zu einem in solchen Gelegenheiten untrüglichen Mittel, zur Gewalt ihre Zuflucht. In wenigen Minuten war die städtische Wache, eher ein Quodlibet lächerlicher, bemitleidenswerther Carrikaturen, als der Schutz des Ständehauses, entwaffnet, und nunmehr wälzte sich einem reißenden Strome gleich, der ganze Haufe in die geöffneteten Thore, wie ein Ungethüm, das in den Eingeweiden seines gefallenen Opfers zu wühlen sucht.
Auch der Blasse hatte diese Bewegungen mit der gleichen, regen Neugierde verfolgt, und zu derselben Zeit, wo sich die Thore öffneten, stieß er seinen Begleiter am Arme:
»Gehen wir Oberst, allem Anscheine nach, werden die Berathungen nunmehr im Ständehause selbst abgehalten, und es interessirt mich ungemein, denselben beizuwohnen.«
»Eure Hoheit werden sich doch keiner solchen Gefahr aussetzen?«
»Gefahr, wie, und von wem?«
»Unter den Deputirten befinden sich viele, die mit Euer Hoheit im persönlichen Verkehr standen, und ein oder der Andere dürfte Höchst dieselben wahrscheinlich erkennen.«
»Richtig, um den Leuten sodann weiß zu machen, daß ich der Gründer dieser ganzen Bewegung sei.«
Und die bisher so bleichen Wangen des jungen Mannes, überfluthete eine auffallende Röthe, der deutlichste Beweis seiner innern Aufregung und des Unwillens, mit dem er die noch zweifelhafte Entscheidung erwartete. Aber sich augenblicklich wieder sammelnd, setzte er seine unterbrochene Rede fort:
»Ja, Ihr habt recht, Oberst, wir können hier den Ausgang ganz ruhig abwarten, und sodann beurtheilen, ob Bowell ein braver Mann, oder ein Mann von Bravour ist.«
»Aber,« versetzte der Oberst, sein offenes Auge forschend auf denjenigen richtend, den er so eben Hoheit genannt hatte. »Gnädigster Herr, Ihr werdet doch nicht glauben, daß man dem Wunsche des Volkes nachkommen kann.«
»Warum nichts« fragte der Bleiche kalt.
»Weil das eben so viel hieße, als das Todesurtheil für Cornelius und Johann von Witt zu unterzeichnen.«
»Wir werden es ja bald sehen. — Nur eine höhere Macht weiß, was in den Herzen der Menschen vorgeht, sie gebietet denselben im entscheidenden Augenblicke zu handeln.«
Der Oberst erblaßte, sein forschendes Auge ruhte noch immer unverwandt auf dem jungen Manne.
Er stand ruhig und kalt da, auf alles gefaßt. In seinem schönen, männlichen Gesichte, drückte sich Ernst, Ruhe und Hoffnung deutlich aus. Er war ein braver Mann, und zugleich ein Mann von Bravour.
An dem Orte, wo die Beiden standen, konnte man Anfangs deutlich das Gerassel, der über die Stiege, in die oberen Stockwerke dringenden Volksmenge hören.
Kurz darauf drang der Lärm, durch die offen gebliebenen Thüren und Fenstern des Berathungssaales, auf die Straße herab.
»Herr von Bowell und von Asperen, hatten sich in denselben zurückgezogen, wohl einsehend, daß sie auf dem kleinen Raume, der so ungeheuer vordrängenden Menge, keinen Widerstand leisten, und in Gefahr kommen konnten, von den Erbittersten bei längerer Weigerung, über das Geländer herabgestürzt zu werden.
Hierauf sah man eben durch diese Oeffnung bald einzelne Gestalten, bald die bloßen Gliedmaßen derselben. Der Berathungssaal hatte sich in wenigen Minuten ganz gefüllt.
Plötzlich trat eine unbeschreibliche, in solchen Augenblicken der allgemeinen Spannung, tödtende Ruhe ein. Es war in diesem Meere aufgeregter, wüthender Leidenschaften, in diesem Kampfe zwischen Gewalt, Menschenrecht und Gesetz nur ein Moment, eine Pause zwischen Leben oder Tod. Dann erhob sich aber ein Geheul, gleich dem Toben des furchtbarsten Orkanes, gleich den Schmerzensrufen einer verwundeten, wilden Bestie, ein Getöse, das das uralte, ehrwürdige Gebäude in seinen Grundfesten erzittern machte.
Ihm folgte dann derselbe erst kurz verschwundene Strom, der, als habe er gleichsam ein zur Fortsetzung seines Laufes unübersteigbares Hindernis getroffen, sich wieder in der frühem Bahn zurückwälzte.
An der Spitze derselben gewahrte man eine über die Menge hervorragenden, starken Mann, dessen Gesicht von teuflischer Freude verzerrt, grinsend lachte.
Es war Tyckelaer.
»Er gehört uns, er gehört uns,« schrie er mit heiserer Stimme, den Rachen mit Schaum bedeckt, und zugleich ein Papier hoch über dem Kopfe schwingend.
Der Obrist erbleichte, seine Muskeln zitterten, seine Hand suchte nach einer Stütze. Das erlöschende Auge auf den Gefährten richtend, murmelte er kaum hörbar mit gebrochener Stimme: »Sie haben den Befehl?«
»Ganz recht,« erwiderte die Hoheit mit unwandelbarer Ruhe und Kälte. »Seht Ihr nun, daß ich im Rechte bin, ich hatte bereits entschieden: Bowell ist weder ein braver Mann, noch ist er ein Mann von Bravour. Aber laßt uns nicht länger auf diesem Platze verweilen Oberst, kommt schnell nach dem Buytenhoff hin, ich glaube, wir werden dort ein seltenes Schauspiel erleben.« Und zugleich setzte sich der Blasse mit einer Eile in Bewegung, die ihm den Anschein gab, als beabsichtige er, die bereits auf eine große Strecke entfernte Menge noch zu überholen. Der Obrist blieb einer Bildsäule gleich stumm, und folgte mit gesenktem Haupte mechanisch seinem Herrn.
Der Andrang aus dem Buytenhoff wurde nunmehr Ungeheuer. Aber noch immer hielt Tilly mit seinen Reitern, die vorige Position unverändert, mit demselben Glücke und derselben Festigkeit inne.
Der Lärm stieg mit jeder Minute. Aller Augen waren fragend nach dem Hoogstreet gerichtet, von wo bereits einzelne Vorläufer mit einem unendlichen Freudengeschrei herbei eilten.
Bald folgte die ganze unübersehbare Fluth. Ein, buntes Farbenspiel, angenehm für den Beschauer, wenn die ruhige Würde eines Festes dasselbe begleitet, furchtbar, sobald das Blut der Unschuld, die ganze Macht der wildesten Leidenschaften, seinem Pfade folgt.
Tilly, von gleicher Begierde getrieben, vielleicht auch von einer trüben Ahnung erfaßt, hatte sich in dem Steigbügel emporgerichtet, und sein blitzendes Auge in dieselbe Richtung heftend, gewahrte er unter der wachsenden Menge, jenen Mann, der das bereits erwähnte Papier über seinem Haupte schwang.
»Bei allen Teufeln,« rief er dann, indem er seinen Lieutenant auf diese unerwartete Erscheinung ebenfalls aufmerksam machte; »ich glaube gar, die Bestien habenden Befehl.«
»Erbärmliche Schurken,« rief der Angeredete, nunmehr ebenfalls seine Aufmerksamkeit auf jenen Punkt richtend.
Und was der Oberst nicht geahnt, was Tilly für eine Unmöglichkeit gehalten hatte, war wirklich da — der Befehl. —
Die Bürgergarde empfing ihn aus Tyckelaers Händen mit einem unbeschreiblichen Gebrüll. Aber zugleich setzte sich die ganze Masse in Bewegung, und rückte mit gesenkten Waffen gegen die Reiter Tilly’s an.
Der Graf war nicht der Mann, der den Pöbel so leicht über jene Schranken, die ihm unthätig machen konnten, ankommen ließ.
»Halt!« rief er, »halt! daß es keine lebende Seele wagt, einen Schritt weiter vor zu thun. Nur noch die kleinste Bewegung, und ich kommandire zum Angriff.«
»Hier ist der Befehl!« kreischten tausende von Stimmen.
Tilly nahm das ihm dargereichte Papier, warf. einen flüchtigen Blick darauf, und rief dann, während eine lautlose Stille eintrat mit donnernder Stimme:
»Hört mich, Ihr Bürger von Haag, Ihr großartigen und seltenen Staatsbürger! in Euerer Gegenwart, im Angesichte Gottes und der Welt erkläre ich hiermit Diejenigen, die diesen Befehl ausgefertigt und unterschrieben haben, für die eigentlichen Henker und Mörder der Brüder Witt. Ich ließe mir früher eine Hand abnehmen, als daß ich einen einzigen dieser vom Blute triefende Buchstaben niederschreiben würde.«
Dann stieß er mit dem Knopfe seines Degens, den Mann, der das Papier wieder zurücknehmen wollte, so heftig von sich, daß er taumelnd von der Menge, an die er anprallte, aufgefangen wurde.
»Nur einen Augenblick noch, meine werthen Herren, eine solche Schrift ist von der größten Wichtigkeit, sie muß als ein Document der erbärmlichsten und schreiendsten Niederträchtigkeit, sorgfältig für die Nachwelt bewahrt werden.«
Er legte hierauf das Papier bedächtig zusammen, und schob es zwischen die Brust und den Harnisch.
Dann wendete er sein Pferd mit zornentflammten, und vom Blute gerötheten Gesichte gegen seine Leute, und kommandirte laut und hörbar.
»Eskadron! in Reihen Rechts.«
Die Soldaten befolgten mechanisch diesen Befehl, und setzten sich in Bewegung. Noch einmal kehrte Tilly sein edles, schönes Antlitz der Menge zu, noch einmal übersah dieses majestätische, scharfe Auge die unübersehbare, in ihrer frühern Stille verharrende Menge. Dann seinen Zügen, den früheren Ausdruck von Spott und mitleidiger Verachtung gebend, donnerte er nochmals.
Wohl an denn, Ihr edlen kühnen Männer, Ihr Henker aus eigenem Antriebe, auf, und vollführt Euer großes Werk, drücket den Schandfleck der teuflichsten Erbärmlichkeit auf Euere Stirne, daß die Nachwelt scheu vor dem Gezeichneten entfliehe.«
Der Tumult, der dieser beinahe unüberlegten Rede folgte, läßt sich nicht beschreiben, da selbst die Natur in ihren furchtbarsten Kämpfen, demselben nichts Aehnliches entgegensetzen könnte. Wuth und Freude, die beinahe an Wahnsinn grenzte, hatte der Menge in diesem Augenblicke den letzten Rest der Menschlichkeit geraubt, und sie zum Thiere herabgewürdigt.
Tilly’s Abtheilung konnte, durch die Menschenmasse in ihrer freien Bewegung gehemmt, nur langsam vorwärts kommen. Der Graf selbst blieb ganz allein der Letzte. Sein Zorn schien gewichen, mit der ihm eigenen Ironie und Kälte machte er unausgesetzt über den Pöbel und die Bürgergarde seine spöttischen Bemerkungen, zugleich aber die zunächst Vordringenden mit seinem kräftigen Pferde zurückhaltend.
Rosas Ahnungen schienen sich schneller, als man es glauben mochte, zu realisiren —
Auch Johanns Befürchtungen, die er gegen Cornelius geäußert, erhielten eine immer größere Begründung.
Cornelius stieg gerade am Arme seines Bruders über die breite, steinerne Treppe, die in den großen Hof führte, herab.
Unten fanden sie Rosa, die am ganzen Leibe zitterte:
»O, mein Herr,« rief sie, den Ex-Großpensionär bei der Hand fassend, »welches Unglück.«
»Was ist denn geschehen, mein Kind?«
»Ich habe gehört, das Volk sei nach dem Hoogstreet geeilt, um von den Deputirten den Befehl zum Abmarsche der Soldaten des Grafen Tilly zu erzwingen.
»So, — so, — ja, Du hast recht, mein Kind, wenn die Reiterei des Grafen abzieht, dann ist unsere Lage eine sehr traurige.«
»Darf ich vielleicht einen Rath geben, meine Herren.«
»Gib ihn, gutes Kind. Vielleicht spricht die Güte Gottes, die unendliche Gnade der Vorsehung durch Deinen Mund zu uns.«
»Nun denn, so hören Sie. Ich würde nicht durch die Hauptstraße gehen.«
»Nicht durch die Hauptstraße, warum? Ist Tillys Reiterei schon abgezogen?«
»Das gerade nicht. Aber wie lange kann es dauern, daß die wüthenden Leute zurückkommen, ihre Absicht — vollkommen erreicht haben, und für Tilly einen Gegenbefehl bringen.«
»Das ist allem Anscheine nach möglich.«
»Habt Ihr Jemand, der Euch aus der Stadtbringen wird?«
»Nein«
»Nun, da würdet Ihr ja gerade in dem Augenblicke, wo die Reiter Euch verlassen, dem nach eilenden Volke in die Hände fallen.«
»Dann begleitet uns die Bürgerwehr.«
»O! die ist gerade am erbittertsten gegen Euch.«
»Was sollen wir da eigentlich machen.«
»An Euerer Stelle, meine Herren, würde ich mich, statt durch das Hauptthor, durch die Ausfallsthüre entfernen. Diese mündet in eine enge Gasse, die gegenwärtig, wo sich Alles zum Hauptthore drängt, wahrscheinlich leer, und von dein größten Theile ihrer Bewohner verlassen sein dürfte. Von dort aus erreicht Ihr, da Euch Haag bekannt ist, aus Umwegen sehr leicht und ungesehen die Hauptstraße, kurz darauf das Stadtthor, und habt Ihr dieses einmal im Rücken, dann seid Ihr auch geborgen.«
»Aber mein Bruder, der kann nicht gehen.«
»Ich werde es versuchen,« und in Cornelius Antlitze malte sich die ganze Entschlossenheit eines großen, kühnen Mannes.
»Habt Ihr denn keinen Wagen mitgenommen?«
»Wohl nahm ich den meinen mit, aber ich ließ ihm am Teiche, in der Nähe des Hauptthores stehen.«
»O nein,« rief das Mädchen mit unverkennbarer Freude, in die kleinen Hände klatschend. »Auch darauf habe ich gedacht. In der Voraussetzung, daß Euer Diener ein braver Mann sei, befahl ich ihm, mit dem Wagen an der Ausfallsthüre zu warten.«
Der Blick, den die beiden Brüder wechselten, verrieth jene himmlische Empfindung, die in ihrer Seele entstehend, ihnen das ganze, verloren geglaubte Gebiet der Hoffnung wiedergab. Dann wendeten sich beider Augen nach dem reizenden Mädchen, das wie ein rettender Engel, den Unglücklichen den Weg des Heiles zeigen sollte.
»Wird uns Dein Vater aber diese Thüre öffnen?« fragte Johann nach einer kurzen Pause.
»Nein, er wird es auf keinen Fall thun.«
»Was hilft uns dann Dein Rath?«
»Das sollt Ihr gleich erfahren. Ich wußte seine Weigerung schon im voraus, benützte den Augenblick, wo er durch das Fenster mit einem Pistolenschützen vertraulich plauderte, und nahm von seinem Schlüsselbunde ohne Geräusch gerade das, was ich am nothwendigsten brauchte.«
»Du hast also den Schlüssel?«
»Ja, hier ist er!«
»Kind,« sprach Cornelius, unfähig seine Rührung zu verbergen. »Ich bin seit Kurzem arm, ärmer vielleicht als Du es bist, ich besitze Nichts was ich Dir als Dank und Erinnerung für die schöne Handlung, die Du eben vollführst, zurücklassen könnte. Nimm das Einzige, was man mir in der trüben Zeit der Gefangenschaft ließ, meine Bibel, die Du noch in dem kurz verlassenen Kerker finden wirst. Nimm sie hin als den Beweis der tiefsten Empfindung, welche ich mein ganzes Leben hindurch für Dich hegen werde, ihr stelle ich zugleich den Wunsch zur Seite: Sie möge Dir einst Glück und Segen bringen.«
»Ich danke, danke Euch, Cornelius, ich werde dies Denkmal der heiligsten Erinnerung nie aus meinen Händen geben, dann setzte sie seufzend, und so leise, daß die Brüder es nicht hören konnten hinzu. O! Schade, daß ich nicht lesen kann.«
In diesem Augenblicke verdoppelte sich das Getöse auf der Straße.
»Hörst Du es, meine Tochter,« rief Johann, »ich glaube, wir haben keine Minute zu verlieren.«
»Ja, ja, kommt, last uns eilen.«
Leicht wie eine Gazelle, mit ihrem kleinen Füßchen kaum den Boden berührend, schwebte die reizende Gestalt über den Hof nach dem entgegengesetzten Theile des Gefängnisses. Dort wartete sie auf die ihr nur langsam folgenden Brüder, führte diese über zwölf schmale steinerne Stufen in einen kleinen, von zackigen Ringmauern umgebenden Hof, öffnete daselbst eine, schmale eiserne Thür und ließ die Unglücklichen ins Freie treten.
Der Wagen stand richtig an dieser Stelle.
»Schnell, schnell,« rief der Kutscher mit der größten Besorgniß, als er seines Herrn ansichtig wurde.
»Der Lärm wird immer stärker, ich glaube sie kommen schon.«
Cornelius ward in den Wagen gehoben. Johann dann ergriff sodann Rosas Hand.
»Leb wohl, mein gutes Kind,« sprach er mit einer Thräne im Auge, »alles was ich dir sagen oder bieten könnte, wäre zu schwach, Dir meinen Dank darzuthun. Möge der Allmächtige Dir in einer ungetrübten heitern Lebensbahn, in Erfüllung aller Deiner Wünsche, den Lohn für die Rettung zweier Menschen geben.«
Rosa hielt die Hand des edlen Mannes noch einige Minuten fest, dann aber drückte sie ehrerbietig einen Kuß darauf.
»Ein, eilt,« rief sie, »ich glaube, man schlägt schon an das Hauptthor an.«
Johann war eingestiegen. Er schloß vorsichtig das zu beiden Seiten des Wagens herabhängende Leder, und gab dem Kutscher mit dem Rufe: Zum Tol-Hek, zugleich den Befehl zur Abfahrt.
Der Tol-Hek war das Hauptthor von Haag. Durch dieses gelangte man zu dem Hafen von Scheveningen, in welchem ein kleines französisches Schiff, die Flüchtlinge erwartete.,«
Der Wagen setzte sich in Bewegung, und von zwei stamändischen Pferden gezogen, rollte er schnell dahin.
Rosa war an der kleinen Thüre stehen geblieben, bis eine vorspringende Straßenecke ihr das Fuhrwerk weiter unsichtbar machte.
Dann trat sie zurück, schloß die Thüre sorgfältig zu, und warf den Schlüssel in einen nahe stehenden Brunnen.
Das Getöse, das Rosa früher gehört, und das sie so besorgt gemacht hatte, rührte auch wirklich nur von den Anstrengungen des Pöbels her, der, nachdem Tilly und seine Soldaten den Platz geräumt, alle zu Gebote stehenden Mittel anwandte, sich den Eingang in das Gefängniß zu erzwingen.
Zuerst hatte man an Gryphus, die Aufforderung gestellt, den Buytenhoff ohne Widerrede zu öffnen. Allein zu seinem Ruhme sei es gesagt, er weigerte sich beharrlich, Folge zu leisten, wenn nicht ein höherer Befehl ihn hier ermächtige. Nun nahm die Menge wieder zu dem bekannten und so beliebten Mittel seine Zuflucht, sie gebrauchte Gewalt. Aber das Thor war massiv gebaut, und von Innen so gut verwahrt, das es allen Anstrengungen zum Trotze nicht um ein Haarbreit aus seinen Fugen weichen wollte. Dies steigerte die Wuth der Stürmenden nur um so mehr, ihre Anstrengungen verdoppelten sich, und Gryphus, der anfänglich kalt und ruhig hinter dem selben gestanden war, bemerkte mit bangen Zagen, daß selbst dieser eherne Widerstand, ihn früher oder später verlassen, und der Wuth der Eindringenden, Preis geben würde. Schon überlegte er für sich, ob es nicht rathsamer wäre, den Eingang selbst zu öffnen, als er sich sanft am Arme berührt fühlte. Er sah sich um, Rosa stand vor ihm.
»Hörst Du die Wüthenden?« sprach er zitternd.
»Ich höre sie eben so klar und deutlich, wie Ihr.«
»Was würdest Du in meiner Lage machen?«
»Die Thüre einschlagen lassen.«
»Dann ermorden sie mich.«
»Ja, wenn sie Euch sehen würden.«
»Und wie sollen sie mich nicht sehen?«
»Verbergt Euch.«
»Wo?«
»In dem geheimen Gefängniß.«
»Und Du, meine Tochter?«
»Ich werde mit Euch hinabsteigen, die Thüre über mir zuschließen, und wenn die Wüthenden den Buytenhoff verlassen haben, kommen wir wieder unversehrt aus unserm Versteck hervor.«
»Du hast recht, mein gutes Kind. Ich staune, was für eine Klugheit in Deinem kleinen Köpfchen steckt.«
Beide betraten den langen Gang, den die Brüder Witt vor Kurzem verlassen, eilten an das Ende desselben, wo Rosa eine ganz unkenntliche Fallthüre aufhob, und mit ihrem Vater in einen kleinen, dunklen Raum hinabstieg.
In dem Augenblicke, wo das Mädchen die Thüre über ihrem Kopfe wieder schloß, hatte der Pöbel das Hauptthor eingebrochen, und stürzte mit Wuth und Freudengeschrei in den Hof.
»Wir sind gerettet,« sprach Rosa horchend.
»Aber unsere Gefangenen?«
»Lasset Gott über sie wachen, mein Vater, und erlaubt mir nur, daß ich über Euch wache.«
Das Gefängniß, in welches Rosa ihren Vater geführt hatte, bot im Ganzen genommen, für zwei Personen einen hinlänglichen Raum. Es war unter den Namen geheimes Gefängniß, eine jener Lokalitäten, die nur den Behörden bekannt, von ihnen benutzt wurde, um entweder vornehme Angeklagte, die irgend eine, mächtige Partei besaßen, darin verwahrend, jeden Tumult, so wie ihre Befreiung zu verhindern, oder aber Leute, die man auf die möglich geräuschloseste Weise beseitigen wollte, für immer unschädlich zu machen.
»Tod den Verräthern, an den Galgen mit Cornelius von Witt, Tod, Tod —« tönte es über den Köpfen der Eingeschlossenen.