Читать книгу Scarlet Cheeks: Unschuldige Verlockung - Alexis Kay - Страница 6

Kapitel 2

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Klapperndes Geschirr lässt mich aus dem Schlaf hochschrecken. Es hört sich ganz danach an, als ob Corinne die Frühstückstheke deckt, und es riecht auch so. Der Geruch von frisch aufgebrühtem Kaffee und gebackenen Brötchen lockt mich in die Küche. Schlaftrunken biege ich um die Ecke und erstarre in meiner, von einem herzhaften Gähnen begleiteten, morgendlichen Streckübung, sowie ich vor einem beinahe nackten Kerl stehe, sein bestes Stück unter einer Karo-Boxershorts verborgen.

Vor Schreck rutscht mir das Herz in die Hose. Hose? Schlagartig wird mir bewusst, ich trage einen Pyjametti; eine kurze Panty mit Hemdchen. Der Kimono, den ich darüber gezogen habe, ist noch nicht einmal geschlossen. Sofort bin ich hellwach und richte hastig den knappen Morgenmantel, binde die Schleife zu, damit ich dem unerwarteten Gast keine allzu tiefen Einblicke mehr gewähre.

Nur mit Mühe gelingt es ihm, seinen Blick von meinen Brüsten loszureißen, obwohl diese jetzt vollkommen von dem seidenen Stoff bedeckt sind. Ein spitzbübisches Grinsen breitet sich auf seinem Gesicht aus, bei seinem Hipsterbart wäre es mir fast entgangen. Ebenso widersprüchlich jungenhaft kratzt er sich am Hinterkopf, spannt dabei seinen Bizeps an.

Ach herrje, ich weiß gar nicht mehr, wo ich hinsehen soll …

Wen habe ich da eigentlich vor mir? Corinnes Liebhaber? Da sie ihren nächtlichen Besucher nicht weiter erwähnt hat, habe ich angenommen, es wäre nichts Ernstes, doch er bleibt bis zum Morgen, macht sogar Frühstück, deckt den Tisch für drei … Ihr Freund? Warum dann diese Geheimniskrämerei?

Ich verschränke die Arme vor der Brust. Mein Herz befindet sich nun wieder an Ort und Stelle.

„Hallo Irina. Ich bin Marc, Corinnes Freund.“

Diese Stimme kommt mir bekannt vor, auch die Gestik und die Mimik, jedoch nicht in Verbindung mit diesem, ich schlucke trocken, barbarisch behaarten Gesicht und diesen graublauen Augen.

„Corinne hat mir schon viel von dir erzählt.“ Er streckt mir seine Hand entgegen, die ich zaghaft ergreife.

„Das kann ich von dir leider nicht behaupten. Ich habe erst gestern Nacht von deiner Existenz erfahren.“ Mein Lächeln ist genauso schüchtern wie mein Händedruck.

„Wie ich sehe, habt ihr bereits Bekanntschaft gemacht.“ Corinne gesellt sich zu Marc, legt ihre Hände an sein Gesicht, ihre manikürten Fingernägel durchforsten seine Hipsterbehaarung, während sie ihn zärtlich küsst.

Wahrscheinlich dauert der Guten-Morgen-Kuss noch ein klein wenig länger und so verziehe ich mich in mein Zimmer, um mir etwas überzuziehen.

Corinne und Marc, der sich in der Zwischenzeit ebenfalls angezogen hat, sitzen an der Küchenbar und frühstücken. Ich hocke mich den beiden gegenüber an den gedeckten freien Platz. Eigentlich wäre jetzt genau der richtige Zeitpunkt für ein Verhör. Ich brenne darauf zu erfahren, wie sie sich kennengelernt haben, wie lange sie schon zusammen sind und möchte nebenher auch der Tatsache auf den Grund gehen, warum mir Marc so verdammt bekannt vorkommt, doch Corinne lenkt gekonnt von sich ab.

„Cousinchen. Wann hast du dir das Piercing stechen lassen?“ Sie zeigt auf das eisblaue Steinchen zwischen meinen Brüsten.

Wieder wird Marcs Aufmerksamkeit auf meinen Busen gelenkt. Das herrlich duftende Brötchen, in das ich gerade so genüsslich gebissen habe, rutscht nur schwerfällig meine Kehle runter.

„An meinem 18. Geburtstag“, kläre ich sie krächzend auf.

Sie quittiert es mit einem Daumen-hoch, während Marcs Blick von meinem Piercing zum Kettchen, dessen Anhänger genauso glitzert, fasziniert zu meinen ebenso eisblauen Augen wandert. „Mit deinen Augen könntest du Alains Husky Konkurrenz machen“, sagt er nichts ahnend und tritt ins Fettnäpfchen.

„Bitte?“ Irritiert lege ich mein Brötchen zurück auf den Teller. „Du vergleichst mich mit einem Hund?“ Ich bin empört.

„Nicht, Marc! Wunder Punkt!“, zischt Corinne.

Die bedrückende Stille, die eingetreten ist, dauert schon viel zu lange an. Marc wurde der Mund verboten, der wird bestimmt kein neues Thema mehr aufgreifen, und Corinne, der sehe ich an, dass sie sich innerlich grün und blau ärgert. So bekomme ich endlich die Chance zu fragen, was mir schon so lange auf der Zunge brennt: „Erzählt mal. Wie habt ihr euch kennengelernt?“ Mein Blick schweift von einem zum anderen.

Marc ist es, der das Wort ergreift: „Corinne und ich sind eigentlich schon seit dem Kindergarten befreundet.“

„Befreundet? Du hast mich gequält wie, wo und wann du nur konntest. Du Schuft!“ Sie verpasst ihm einen Rüffel. „Er hat mich im Sandkasten mit Sand beworfen. In der Grundschule an den Haaren gezogen und mich als Hamsterbacke beschimpft.“ Um es zu veranschaulichen, plustert sie die Wangen auf. „Später hat er mir bei jeder Gelegenheit unter den Rock geschaut, dieser Lüstling!“, äußert sie sich melodramatisch.

„Musst du immer noch darauf rumhacken, Chérie?“ Marc spielt den Gekränkten. „Ich habe mich doch schon tausendfach bei dir entschuldigt.“

Während sich Corinne und Marc ein heißes Wortgefecht liefern, ihre Funken nur so versprühen, rührt sich in meinem Innern ein Hauch von Neid …

„Entschuldigt? Du hast erst damit aufgehört, als ich dir eine ordentliche Abreibung verpasst habe“, stellt sie richtig. „Erst danach kamst du angekrochen und batest mich um Verzeihung.“

„Besser spät als nie“, bemerkt er feixend und knufft Corinne in die Seite, sodass sie vom Stuhl hochschreckt.

Schmunzelnd betrachte ich das Schauspiel und kann mir nur mit Mühe das dümmliche Grinsen verkneifen, das mein Gesicht einzunehmen droht. Was sich liebt, das neckt sich, denke ich mir. Die beiden turteln wie ein frisch verliebtes Paar und so rührt sich in mir die Frage: „Und wie lange seid ihr schon zusammen?“

„Seit drei Jahren“, antwortet sie und blickt Marc verliebt in die Augen.

„Und du erwähnst ihn erst jetzt?“, frage ich verblüfft.

„Ich wollte eben nicht, dass der Hauptmann Wind davon kriegt.“

Seufzend verdrehe ich die Augen. Paps mal wieder … Auch Corinne blieb von seinem Beschützerdrang kaum verschont, als Onkel Peter, ihr Dad, das Weite gesucht hatte.

„Du, Marcs Vater ist der Inhaber mehrerer Hotels, Restaurants und Bars in der Gegend. Auch der Heliport gehört zu seinen bescheidenen Bauten. Außerdem hat er großen Einfluss auf die Bergbahnen. Wenn du einen Job suchst, bist du bei meinem Schatz an der richtigen Adresse.“ Sie klopft Marc dabei auf die Schulter.

Dieser mustert mich. „Nach Kellnerinnen und Barmaids halten wir immer Ausschau …“

„Marc!“ Ein tadelnder Unterton liegt in ihrer Stimme.

„Als Restaurantleiterin sehe ich sie nicht, tut mir leid, dafür ist sie eindeutig zu jung …“, seufzt er und möchte gerade in sein mit Schinken belegtes Brötchen beißen, doch Corinne lässt einfach nicht locker.

„Schatz. Die Gastronomie scheint mir eh nicht das Richtige zu sein. Ich dachte da eher …“

„… an den Verwaltungstrakt?“, führt Marc Corinnes Satz zu Ende. „Du weißt, das ist nicht mein Metier.“

„Aber ich dachte, du könntest beim Senior oder bei deinem Bruder ein gutes Wort für sie einlegen.“

Er runzelt die Stirn. „Chérie. Ich bin froh, wenn sich die beiden nicht in meinen Bereich einmischen, also halte ich mich auch aus ihren Angelegenheiten heraus. Du weißt, wie ich es hasse, überhaupt einen Fuß in den beschissenen Bürotrakt setzen zu müssen …“ Marc ist der Appetit vergangen und schiebt seinen Teller von sich.

„Bitte, Marc“, beharrt sie.

„Ach Corinne. Lass ihn. Streitet euch nicht meinetwegen. Ich werde mich selbst um eine Arbeitsstelle kümmern“, versuche ich sie zu beschwichtigen, doch meine Cousine verzieht sich beleidigt ins Bad. „Du hast kein sonderlich gutes Verhältnis zu deinem Vater und … deinem Bruder?“, frage ich vorsichtig nach.

„Mein Vater ist ein altes Scheusal … deprimiert und herrisch. Mein Bruder ist auf dem besten Weg, es ihm gleichzutun“, lästert er über seine Familie.

„Oh!“

Warum weiß ich nicht, wann es besser ist, ein Thema ad acta zu legen? Weil die Tatsache, dass er einen Bruder hat, dich nicht mehr loslässt!

„Bevor du mich nach meiner Mutter fragst … Nein, die hat ihn nicht verlassen, sie ist gestorben. Ich durfte sie nie kennenlernen …“ Marc verstummt.

„Das tut mir leid, Marc.“ Mitfühlend lege ich die Hand auf meine Brust. Ich kann seinen Verlust nachempfinden.

„Irina. Wenn es dir nichts ausmacht … Ich hoffe, du hast nichts dagegen, wenn ich des Öfteren hier übernachte?“, fragt er etwas zögerlich.

„Ich kann mir vorstellen, dass ein reiner Männerhaushalt ziemlich anstrengend sein kann. Ich habe nichts dagegen.“

„Oh nein. Ich wohne nicht mit den beiden zusammen. Jeder von uns dreien hat eine eigene Wohnung, dennoch befinden sie sich alle im selben Haus. Man läuft sich andauernd über den Weg.“

„Ich verstehe dich … Es macht mir wirklich nichts aus.“

Er stößt einen Seufzer der Erleichterung aus.

„Siehst du, Schatz. Das war doch gar kein Problem, sie danach zu fragen.“ Corinne gesellt sich wieder zu uns. Ihr Gemüt hat sich beruhigt.

„Ich beiße nicht, obwohl du mich mit einem Hund verglichen hast“, scherze ich.

„Irina. So habe ich das doch nicht gemeint. Deine Augenfarbe. Sie sieht der eines Huskys …“

„Marc. Ich nehme dich auf den Arm und fasse es als Kompliment auf, außer du denkst dabei an ein wirklich bösartiges Exemplar …“ Ich hebe fragend eine Augenbraue.

Entgeistert sieht er mich an.

„Sie hat dich ertappt!“ Corinne bricht in lautes Gelächter aus.

„Du musst zugeben, dass Alains Husky mich nicht leiden kann.“

„Ach komm schon, Marc. Bourbon kann auch anders …“

Bourbon.

Das Puzzlestück ist mir einfach so in den Schoß gefallen, ebenso meine mit Butter beschmierte Brötchenhälfte. „Sch…“ Mein Fluch verstummt abrupt, als ich feststelle, dass ich Glück hatte und der Aufstrich nicht auf meiner Hose gelandet ist.

„Ach Irina. Macht doch nichts. Du musst dich eh noch für die Piste umziehen.“

„Ist nichts passiert. Ich habe ausnahmsweise einmal die richtige Seite bestrichen“, scherze ich, während ich das Brötchen zurück auf den Teller lege. Der Appetit ist mir aber definitiv vergangen, denn statt Hunger schwirren jetzt bestimmt tausend Schmetterlinge in meinem Bauch umher. „Bourbon? Wie Bourbon Whiskey?“

Wie war noch mal sein Vorname? Etwas mit A. Leider habe ich nicht aufgepasst. Wiederhole noch mal seinen Namen! A… Erwartungsvoll sehe ich zu Marc, den Mund bestimmt weit geöffnet. Aaaa…

„Ja, das auch. Aber ich meine Bourbon, den Husky meines Bruders Alain.“

Alain.

Der Fremde, der mir zur Hilfe geeilt ist. Hugo Boss. Die Gestik, die Stimme, die Mimik … der Husky. Es kann sich nur um ihn handeln. „Foster“, huscht mir sein aufgeschnappter Familienname über die Lippen. Mein Herz schlägt beim Gedanken an ihn einen Tick schneller.

Corinne und Marc gucken zuerst sich und dann mich mit großen Augen an. „Woher …“

Marc wird von Corinne unterbrochen: „Du hast Alain kennengelernt?“ Sie macht sich nicht die Mühe, ihr Entsetzen darüber zu verbergen.

„Er ist mir zu Hilfe geeilt, als sich der Absatz meines Schuhs zwischen den Pflastersteinen verkantet hat“, gerate ich schon fast ins Schwärmen. Die Gleichgültigkeit, die ich in den Satz legen wollte, verfliegt, und ich rufe mir Marcs Worte in Erinnerung, um die Euphorie, die mich zu erfassen droht, zu vertreiben. „Ein etwas unangenehmer Zeitgenosse. Er hat den Anruf, der uns unterbrochen hat, mit einem Fluch entgegengenommen und die Person am anderen Ende der Leitung ziemlich zur Schnecke gemacht.“ Und so himmle ich ihn lieber still vor mich hin an.

Innerlich seufze ich verliebt, als meine Gedanken zum Traum wegdriften, in dem er und ich die Hauptrollen spielten … Durch meinen Körper rast ein Prickeln und kleine, feine Erhebungen bilden sich überall auf meiner Haut. Vor meinem inneren Auge flimmert die Szene, als er sich quälend langsam zu mir hocharbeitet, meinen Oberkörper mit seinem Mund verwöhnt. Ich spüre die Hitze, die in meine Wangen steigt, und dieses Kribbeln, als sich diese treulosen Nippel unter meinem Top aufrichten. Mein Traumprinz beugt sich über mich … Gleich, gleich werden er und Alain eins sein … Jedoch, ehe ich sein Bild zu fassen bekomme, zerreißt Corinne es mit ihren Worten in der Luft.

„Alain ist ein Blender, Irina!“

Ihre Warnung holt mich ins Hier und Jetzt zurück. Hastig verschränke ich die Arme vor meiner verräterischen Brust. Hoffentlich hat mich diese allzu offensichtliche Kaschierung nicht verraten …

„Auf den ersten Blick, rein äußerlich, der Traumprinz schlechthin: gut aussehend, geschniegelt und gestriegelt … reich – Prinz Charming, denn er kann wahrlich auch charmant sein, seine Beute umgarnen, um an sein Ziel zu gelangen. Doch innerlich ist er der reinste Widerspruch, und so kann er diese Fassade, diesen Schein, nur für eine kurze Zeit aufrechterhalten … Das Resultat am Morgen danach, also sozusagen auf den zweiten Blick: Der Traum ist zerplatzt und der Prinz hat sich wortwörtlich in Luft aufgelöst … Mehr als ein One-Night-Stand würdest du für ihn nicht sein …“

„Ich habe ja gar nichts gesagt“, rechtfertige ich mich rasch, hebe dabei entwaffnet die Hände. Corinne hat mir einen Dämpfer verpasst und mir mit ihrer ausführlichen Schilderung über meinen vermeintlichen Traumprinzen die natürliche Blässe zurück auf die Wangen gezaubert – eventuell auch eine Nuance heller.

„Ich sah’s an deinem Blick, Irina, und dein entzückter Seufzer war auch nicht zu überhören.“

Seufzer? Also doch nicht die Nippel … Arrgh …

Allerdings beschleicht mich nun ein ungutes Gefühl. „Corinne, deine Moralpredigt klingt, als hättest du selbst diese Erfahrung gemacht …“

„Gottlob nein! Von einheimischen Frauen lässt er prinzipiell die Finger. Er kann sich ja unmöglich durchs ganze Dorf vögeln … Hat er dir irgendwelche Avancen gemacht?“ Corinne hat sich vom Hocker erhoben, macht ihrem Ärger Luft und fordert von mir in ihrer überlegenen Haltung eine Antwort.

„Wir haben kaum zwei Sätze mitein…“

„Chérie. Beruhige dich …“, redet Marc sanft auf seine aufgebrachte Freundin ein und lenkt dabei ihren Fokus auf sich.

„Nimm dir deinen Bruder zur Brust!“ Sie tippt mit dem Zeigefinger gegen die besagte Körperstelle.

„Sollte Irina Alains Aufmerksamkeit erregt haben, so wird er nichts dem Zufall überlassen und früher oder später herausfinden, dass sie sozusagen tabu ist … Er wird sich an ihr nicht die Finger verbrennen. Außerdem ist deine Cousine erwachsen und nimmt sich deine Worte bestimmt zu Herzen, nicht wahr, Irina?“ Marc wirft mir einen verschwörerischen Blick zu. Es scheint ihm wichtig zu sein, dass sich Corinne nicht allzu sehr aufregt. Sein Nicken ist ansteckend.

Ich tue es ihm gleich und nicke wie ein Wackeldackel. Ein stummes Versprechen, das zum Scheitern verurteilt ist.

„Trag deinen Teil dazu bei, damit er es eher früher statt später herausfindet!“, beharrt sie und plustert die Wangen auf, lässt ihren Atem wiederum laut entweichen. „Ich geh mich umziehen. Unser Spaziergang kommt mir gelegen, denn ich muss dringend an die frische Luft.“

Ich habe dasselbe vor und mache mich schneetauglich. Eine Abkühlung wird mir ebenfalls guttun.

„So willst du doch nicht wirklich auf die Piste, Irina. Der Skianzug … Die Farbe ist einfach grässlich“, schilt Corinne mich, als ich in einem lilafarbenen Einteiler vor sie trete. Scheinbar ist sie wieder sie selbst. Guten Morgen, Modepolizei! „Gott sei Dank bin ich so vorausschauend und habe dir zu den Skiern noch den passenden Dress besorgt …“

Und so stehe ich nun, eingekleidet in einen klassischen, schwarzen, zweiteiligen Skianzug – mit roten Zipperschlaufen als Alibi-Farbtupfer –, in der stickigen Kabine der Bergbahn und kämpfe, schlotternd an allen Gliedern, gegen die aufkeimende Höhenangst an.

Tief durchatmen, Irina! Du hast es gleich geschafft. Nur noch ein paar Meter.

Die Seilbahn legt mit heftigem Geruckel an der Bergstation an. Meine Beine zittern immer noch und die Knie sind butterweich, als ich mit den Skiern in der Hand die Kabine verlasse. Mit der anderen Hand wische ich mir den Schweiß von der Stirn.

Da kriegen mich keine zehn Pferde mehr rein!, schwöre ich mir.

„Irina. Das ist Kevin. Er wird deine Skikenntnisse ein wenig auf Vordermann bringen.“ Corinne zieht den sportlichen und sehr attraktiven Typen, der sich gerade noch lässig gegen das Geländer gelehnt hat, näher an mich heran.

„Hi.“ Kevin bugsiert die Sonnenbrille auf seinen Kopf. Er strahlt mich mit seinen haselnussbraunen Augen an, jedoch formen sich seine vollen Lippen zu einem O und in seinem von der Sonne gebräunten kantigen Gesicht spiegelt sich ganz plötzlich Verwunderung.

Oh ja, seinem Teint nach zu urteilen, verbringt er wohl die meiste Zeit an der frischen Luft.

„Hallo Kevin. Freut mich, dich kennenzulernen.“ Lächelnd halte ich ihm die Hand hin. Nach einem flüchtigen Blickwechsel mit Corinne, die ihm verschwörerisch zuzwinkert, ergreift er zögernd meine Hand, und ich kann in seinen Zügen noch immer schieres Erstaunen lesen.

„Irina. Die Freude ist ganz meinerseits.“ Endlich entlocke ich ihm ein Lächeln. Kevin hält meine Hand weiterhin in seiner gefangen und blickt mich lange an, verlässt gedanklich diese Sphäre. Zuerst war er unschlüssig, ob er mir überhaupt die Hand reichen soll, und nun lässt er sie nicht mehr los.

„Kumpel.“ Marc umfasst seine Schulter und drückt sie. „Reiß dich von ihr los, Mann!“

„Ihre Augen …“ Kevin scheint nach wie vor zu schweben. Doch dann besinnt er sich und gibt mich frei. „Sorry. Als Corinne mich als Skilehrer für ihre kleine Cousine, ihr Cousinchen, angeheuert hat, dachte ich, dass sie ein kleines Mädchen meint. Aber du bist … du bist …“

„Ein großes Mädchen?“, führe ich seinen Satz zu Ende.

„Eine wunderhübsche junge Frau. Deine Augen schimmern wie das tiefe Blau eines unergründlichen … ähm … Verdammt! Ich hab den Faden verloren …“ Verlegen kratzt er sich am Hinterkopf, bringt sein dunkelbraunes wirres Haar nur noch mehr durcheinander.

„Ozeans?“, frage ich und schenke ihm ein hinreißendes Lächeln.

„Genau“, stimmt er mir zu.

„Danke.“ Etwas irritiert blicke ich zu Corinne, denn eine bedrückende Stille kündigt sich an.

„Jedenfalls besser, als sie mit den Augen eines Huskys zu vergleichen. So. Habt ein paar schöne Stunden zusammen. Um 14 Uhr treffen wir uns zum Mittagessen neben der Station. Okay?“

Kevin und ich nicken synchron.

„Und Kev. Bring sie heil zurück!“, fügt Corinne ernst hinzu und spaziert Händchen haltend mit Marc davon.

Ich schaue den beiden kopfschüttelnd hinterher und sehe, wie sie frech grinsend zurückblickt.

Ein Verkupplungsversuch! Unmissverständlich!

„Na, dann wollen wir mal.“ Kevin schnallt sich die Skier an. „Bitte zieh die Brille an. Mit Schneeblindheit ist nicht zu spaßen.“

Während ich die Sonnenbrille aufsetze und die Skischuhe in die Skier einklinke, löchert er mich mit Fragen: „Wann warst du das letzte Mal auf der Piste?“

„Ich schätze mal, als ich zwölf oder dreizehn Jahre alt war“, antworte ich wahrheitsgetreu und blicke ihn sorgenvoll an.

„Mach dir nicht allzu viele Gedanken. Skifahren verlernt man nicht so schnell. Ich werde dir die Grundlagen wieder zeigen und spätestens …“

Es überkommt mich einfach. Ich setze mich in Bewegung und fahre, als hätte ich nie damit aufgehört, neben ihm vorbei. Unten am Sessellift bremse ich so scharfkantig ab, dass der hinterste Mann der Schlange komplett mit Schneestaub eingedeckt wird. Dieser stöhnt auf, als einzelne Eiskristalle mit seinem Nacken in Berührung kommen.

„Es tut mir so leid“, flüstere ich und lächle zerknirscht.

Er schnaubt mich verächtlich an, während er sich von Kopf bis Fuß durchschüttelt, um sich vom dünnen Schneefilm zu befreien.

„Bitte glauben Sie mir. Das war keine Absicht.“

Sein Gesichtsausdruck erhellt sich etwas, denn seine Mundwinkel zucken unter der großen, orangegelb spiegelnden Skibrille, die mir mein etwas verzerrtes Ich vor Augen führt. Kevins Spiegelbild taucht neben meinem auf, und er kommt sanft neben mir zum Stehen.

„Das war ja schon ganz gut. Nur mit dem Bremsen scheint’s noch ein wenig zu hapern.“

Der Fremde presst die Lippen zu einer schmalen Linie zusammen, dreht den Kopf und starrt wieder nach vorn, schließt zu den anderen auf.

Bei dem bin ich ganz klar unten durch!

Wir rücken immer näher an den Lift. Unbehaglichkeit macht sich in mir breit. Nervös stochere ich mit den Skistöcken im Schnee herum. Ein Sessel nach dem anderen kommt leer zur Station zurück. Das Gehänge mit den Sitzen passiert scheppernd die Umlenkrolle, lässt mich jedes Mal aufs Neue zusammenzucken, und wird beladen wieder den Hügel hochbefördert. Die Schlange vor uns wird immer kleiner und dann sind wir an der Reihe.

„Kev. Das Auf- und Absteigen bereitet mir Sorgen.“ Unsicher begebe ich mich aufs Förderband, und ich höre schon, wie der Zweiersessel naht.

„Keine Angst. Ich werde dich halten“, flirtet Kevin.

Mit seiner Hilfe und dem wachsamen Auge des Liftangestellten, der das Tempo des Gefährts drosselt, schaffe ich es unfallfrei auf den Sessel.

„Siehst du, das lief ja schon ganz gut. Jetzt genießen wir die Aussicht.“

Die Aussicht genießen? Besser nicht. Dieses schaukelnde Ding bereitet mir Unbehagen, und so verwickle ich Kevin in ein Gespräch, um mich abzulenken.

„Kev. Kanntest du den Typen vor uns?“, frage ich und unterbreche die bedrückende Stille.

„Das war Alain Fosters Clique. Derjenige, der die Schneefontäne abbekommen hat, war Ryan.“

Okay. Diesmal weiß ich, dass es an der Zeit ist, das Thema zu wechseln. Es ist nicht zu übersehen und zu überhören, dass er nicht gut auf die Kerle zu sprechen ist.

„Bist du hier geboren?“, starte ich einen neuen Versuch, Konversation zu führen.

„Nein“, winkt er ab. „Ich bin als Zwölfjähriger hergezogen. Meine Eltern empfanden den Ort als ideal. Ich kann das ganze Jahr hindurch für meinen Sport trainieren.“

„Du wohnst noch bei deinen Eltern?“, frage ich unsicher nach.

„Um Himmels willen! Nein! Meine Eltern sind wieder in die Stadt gezogen. Seit ich zwanzig bin, lebe ich allein. Und du, Irina?“

Wieder ruckelt der Sessel, während er einen Mast passiert. Ich kralle mich einerseits an Kevin, andererseits an der Armlehne fest und wage es kaum zu atmen.

„Ich wohne mit Corinne zusammen. Seit gestern“, antworte ich heiser und außer Puste, als ich mich gefangen habe.

Seine Mundwinkel verziehen sich zu einem Lächeln, während er meine behandschuhte Hand umfasst und sachte auf mich einredet: „So ist es gut. Schön weiterreden, unterhalte dich mit mir und sieh am besten mich dabei an … Als Corinne von ihrer kleinen Cousine gesprochen hat, dachte ich wirklich an ein zwölfjähriges Mädchen. Wie alt bist du eigentlich?“

Das Ablenkungsmanöver scheint zu wirken.

„Ich werde am 7. Dezember zwanzig.“ Das Gespräch kommt in die Gänge.

„Was hast du gelernt? Oder hast du studiert?“, fragt er mich neugierig.

„Ich habe eine Lehre als Kauffrau mit berufsbegleitender Matura absolviert.“

„Nicht schlecht“, sagt er anerkennend, richtet seinen Blick kurz nach vorn. „Wir haben’s gleich hinter uns.“

Der Sessellift ruckelt. Wir nähern uns dem Abstiegsort. Ich sehe ihn panisch an.

„Keine Angst. Ich halte dich. Du wirst nicht fallen.“ Kevin öffnet den Bügel und hakt sich bei mir unter. Er hält mich fest, während wir den nicht sehr steilen Abstiegshügel hinuntergleiten.

Huch. Geschafft.

Nach drei Abfahrten bin ich endgültig reif für eine Pause, obwohl sich eine erste Erschöpfung schon nach der nervenaufreibenden Seilbahnfahrt auf den Berg bemerkbar gemacht hat. Kevin fährt mit mir zu einer Schnee-Bar am Rande der Piste. Après-Ski-Gaudi in rustikaler Atmosphäre, in einer Bar, die als Berghütte getarnt ist.

„Irina. Du warst großartig. Ich habe dir doch prophezeit, dass du beim dritten Mal ganz allein vom Lift fahren kannst“, lobt er mich.

„Danke“, murmle ich und setze mich geschafft auf einen der knarrenden Hocker neben ihn an die Bar. Die Handschuhe und die Sonnenbrille lege ich auf die Holztheke.

„Du siehst müde aus.“ Kevin mustert mich besonnen, indes lässt er seinen Zeigefinger über meinen Handrücken gleiten.

Die zärtliche Liebkosung überrumpelt mich und ich entziehe ihm jäh meine Hand. Ich bin nicht darauf gefasst gewesen, dennoch fühlte es sich lediglich nach der Berührung eines Freundes an.

Nicht so die von Foster …

Kevin murmelt ein verlegenes „Sorry“ und reicht mir ein Glas Sekt, welches ich nach dem Anstoßen hastig an die Lippen setze.

„Mineralwasser hätte sich wohl besser geeignet. Trink nicht zu schnell. In der Höhenluft verstärkt sich die Wirkung des Alkohols. Wir müssen die Fahrt noch zu Ende bringen“, klärt er mich fürsorglich auf.

Die Tatsache, dass ich mein Glas bereits geleert habe und seine Warnung etwas zu spät kommt, entlockt mir ein mädchenhaftes Kichern.

Kevin gibt der Bardame ein Zeichen.

„Kev. Du versuchst doch nicht etwa, das Fräulein abzufüllen?“

Diese Stimme. Liegt es am Alkohol oder warum kribbelt plötzlich mein ganzer Körper?

„Foster!“, grummelt Kevin. „Ist das nicht eher deine Masche und die deiner Meute?“

„Diese Tour habe ich nicht nötig …“

Wenn man vom Teufel spricht … Na ja, bei Alain Foster reicht wohl der bloße Gedanke … Und wie ihn Corinne beschrieben hat, wird ihm diese Bezeichnung vollkommen gerecht.

Mit pochendem Herzen drehe ich mich zum blauäugigen Verführer um und werde mir seiner Künste bewusst, als ich meinen Blick nicht mehr von ihm losreißen kann. Mein Traumprinz steht in Fleisch und Blut vor mir, allerdings bringe ich außer einem einfachen heiseren „Hi“ nichts zustande, denn mein Innerstes ist in Aufruhr. Es fühlt sich an, als wäre in meinem Bauch ein Glas voller Schmetterlinge geöffnet worden, die jetzt wirr umherschwirren und dort ihr Unwesen treiben.

Von seinem Blick gebannt, wie unter Hypnose, sehe ich, dass er seine Hand nach meinem Gesicht ausstreckt und sie zärtlich an meine erhitzte Wange schmiegt. In Alains gletscherblauen Augen flackert kurz etwas auf, kaum wahrnehmbar. Hätte ich geblinzelt, wäre es mir wohl entgangen.

War es Wiedersehensfreude … oder gar dieses pure Verlangen, das auch mich erfasst, wenn wir aufeinandertreffen … seine Haut mit meiner in Berührung kommt?

„Die Kleine hat schon ganz rosige Wangen. Sophie, serviere ihr eine Apfelschorle gegen den Durst und besser keinen Alkohol mehr, sodass sie mir ja heil unten ankommt“, wendet er sich an die Barmaid, ohne die Augen von mir zu lassen.

„Ja, Chef“, dringt es an mein Ohr.

„Oder bin ich gar der Auslöser? Hmmm?“, schmunzelt er anzüglich und seine Augen funkeln belustigt.

Ich möchte aufbegehren, doch ich kann mich nicht rühren. Seine Berührung lähmt mich, und ich vergesse für einen Moment die Beschimpfung, die ich ihm an den Kopf werfen wollte. In meinem Kopf schwirrt nur noch ein Gedanke: Wie gerne würde ich diese Lippen auf meinen spüren.

Unmittelbar neben uns scheppert ein Barhocker unheilvoll über den Holzboden – einem Schreckschuss gleich.

Kevin!

Foster setzt sich die Sonnenbrille auf die Nase, kappt unsere Verbindungen; den Blick- und den Hautkontakt, versteht die unmissverständliche Warnung und tritt den Rückzug an. „Sophie. Einen beruhigenden Whisky für Kevin und verbuche alle Getränke unter Spesen …“, ordert er im Gehen.

Sprachlos sehe ich zu, wie Alain aus meinem Blickfeld verschwindet, und reibe über die noch von seiner Liebkosung kribbelnde Wange.

„Sophie. Lass gut sein. Wir müssen los.“ Kevin schlüpft in die Skijacke.

„Kev. Diesen edlen Tropfen würde ich mir nicht entgehen lassen …“ Die Barmaid sieht lächelnd zu ihm auf, die geöffnete Flasche Whisky in der einen Hand, das Glas in der anderen.

„Danke. Ich verzichte.“ Kevin fischt einen Zehner aus seinem Portemonnaie und legt ihn auf den Tresen. „Komm, Irina. Corinne und Marc warten bereits“, stößt er ärgerlich hervor.

„Tschüss.“ Ich rutsche vom Hocker.

Sophie mustert mich schmunzelnd, holt tief Luft, öffnet den Mund, als wolle sie mir noch eine Warnung mit auf den Weg geben, doch sie belässt es bei einem leisen, kurzen „Bye“.

Völlig ausgelaugt setze ich mich zu Corinne und Marc an den Tisch auf der Sonnenterrasse, umzingelt von einem atemberaubenden Bergpanorama. Schon bald schmore ich in meiner schwarzen Skijacke. So ziehe ich sie aus, hänge sie über die Stuhllehne und lehne mich dagegen. Ich werfe meinen Kopf in den Nacken und lasse mich von der prallen Sonne bräunen.

„Und? Wie war’s?“ Corinne hat mir eine kurze Verschnaufpause gegönnt, doch jetzt will sie alles wissen.

Kevin, der neben mir Platz genommen hat, lässt mich aber überhaupt nicht zu Wort kommen. „Irina hat sich echt wacker geschlagen. Ich weiß eigentlich gar nicht, warum ihr mich gefragt habt, ob ich ihr Stunden gebe. Sie ist ein Naturtalent und es hat mir echt Spaß gemacht, Zeit mit ihr zu verbringen.“

Ich lächle, aber innerlich bin ich nach wie vor etwas aufgewühlt. Die Begegnung mit Foster steckt mir noch tief in den Knochen. Und dass ich mit Komplimenten überhäuft werde, bin ich gar nicht gewohnt. „Danke“, flüstere ich verlegen.

Corinne und Marc werfen sich verschwörerische Blicke zu.

„Kevin. Wie wär’s mit einem Bierchen an der Bar?“, schlägt Marc vor.

„Da sag ich nicht Nein.“

„So. Erzähl. Kev ist ja hin und weg von dir und dich lässt es kalt“, fällt Corinne mit der Tür ins Haus, als wir unter uns sind.

„Er ist nett“, antworte ich kurz und knapp, lasse sie nicht allzu weit vordringen.

„Nett? Irina. Er sieht verdammt gut aus.“

„Wenn er dir so gut gefällt, dann nimm du ihn doch. Ach ja. Ich vergaß, du hast dich für Marc entschieden. Da ist es doch nur fair, wenn ich meine Entscheidungen ebenfalls selber treffen kann“, erkläre ich forsch.

Sie guckt mich mit großen Augen an. „Welche Laus ist dir denn über die Leber gelaufen?“

Wenn sie wüsste! Eine große namens Alain.

„Entschuldige mich für einen Moment. Wo ist die Toilette?“

„Neben der Bar die Treppe runter“, antwortet sie gekränkt.

Als ich das Restaurant betrete, ziehe ich meine Sonnenbrille aus und klemme sie an mein Top. Ich erblicke Kevin und Marc, die, mir den Rücken zugewandt, an der Bar stehen. Die Treppe zu den Toiletten befindet sich direkt daneben. Ich schreite darauf zu und erst jetzt bemerke ich die Truppe am Tisch daneben, die lautstark diskutiert. Es ist dieselbe Meute wie unten am Sessellift. Alains Clique. Er selbst scheint nicht anwesend. Ich versuche, so wenig Aufmerksamkeit wie möglich zu erregen, allerdings ist das mit Skischuhen eine wahre Kunst. Sie klappern auf dem Holzboden wie der Hammer, der anstelle des Nagels auf die Vertäfelung trifft. Das Gespräch verstummt, als ich unmittelbar neben dem Tisch stehe, und im Augenwinkel registriere ich mit Unbehagen: Sie beobachten mich wie ein Rudel hungriger Wölfe ihre Beute. Ich beschleunige meinen Gang und atme erleichtert auf, sobald ich die Treppe erreicht habe. Mit einem Blick über die Schulter vergewissere ich mich, dass mir niemand folgt. Doch der Alphawolf, der unten an der Treppe lauert, raubt mir den Atem und lässt mich in der Bewegung innehalten wie ein Reh, das ins Scheinwerferlicht eines Pkws gerät.

„Verfolgen Sie mich etwa?“ Alain Foster sieht zu mir auf. Aus seiner Stimme filtere ich Belustigung, doch sein Gesicht zeigt sie nicht.

„Ich … ich.“

Herrgott noch mal, Irina! Reiß dich zusammen! Nimm die Antwort, die du dir während der Abfahrt bereitgelegt hast, als du die Szene in der Schneebar noch einmal durchgespielt hast, und denk nicht wieder an seine Lippen!

Zu spät! Aber immerhin habe ich die passende Bemerkung noch nicht vergessen. „Bilden Sie sich bloß nichts darauf ein“, zische ich, ergreife den Handlauf und stolziere die Treppe hinunter, soweit das mit Skischuhen überhaupt möglich ist. Er schreitet nach oben, direkt auf mich zu. Große Möglichkeit, ihm zu entrinnen, bietet diese schmale Treppe nicht. Er treibt mich in die Enge, Rückwärtsgehen stellt keine Option dar. „Machen Sie das mit Absicht?“, frage ich ihn patzig, als wir einander auf Augenhöhe gegenübertreten.

Dieser Teufel weiß genau, welche Wirkung er auf Frauen hat, und nutzt dies schamlos aus. Sein Gehabe macht mich rasend. Nicht im Geringsten bin ich ihm gewachsen und so verfluche ich gedanklich meine Unerfahrenheit gegenüber Männern. Nachhilfe und Übung hätte ich dringend nötig.

„Was?“, fragt Foster, der eine Stufe unter mir breitbeinig stehen bleibt. Seine Augen funkeln provokativ.

Um mich gegen ihn zu wappnen, schalte ich in den Zicken-Modus und schnalze missbilligend mit der Zunge. „Sie hätten sich wohl eine Sekunde gedulden können, bis ich unten angekommen bin“, gifte ich und halte seinem Blick stand.

„So viel Zeit habe ich nicht. Gehen gehört, soweit ich mich entsinne, nicht zu Ihren Stärken.“

Ich will mich schon gegen ihn auflehnen, atme tief ein, doch da bemerke ich die leicht zuckenden Mundwinkel und ich schlucke meine Beleidigungen runter. Stattdessen entgegne ich erhobenen Hauptes: „Als das Ego verteilt wurde, hast du wohl doppelt zugeschlagen?“ Ich habe mich nicht ins Schneckenhaus zurückgezogen und triumphiere innerlich, weil mir direkt was Passendes eingefallen ist. In Gedanken klopfe ich mir anerkennend auf die Schulter.

„Der Konter war nicht schlecht, Kleine.“ Jetzt grinst Foster bis über beide Ohren.

Da fällt mir zum ersten Mal das Grübchen, die kleine Furche in seiner linken Wange auf. Wahrscheinlich liegt es daran, dass er sich heute Morgen frisch rasiert hat. Ich bin hin und weg, fühle mich magisch davon angezogen. Meine Hand hebt sich ganz von selbst. Es ist wie ein Zwang: Ich muss Alain berühren! Meine Fingerkuppen prickeln bereits vor Vorfreude. Ich schließe einen Atemzug lang die Augen, befeuchte meine trockenen Lippen und flüstere: „Trotz deines harten Auftretens scheinst du viel zu lachen …“ Sexy! Meine Hand schmiegt sich an seine Wange und ich lasse sanft meinen Daumen über das Grübchen gleiten. Die Luft um uns lädt sich statisch auf. Das Kribbeln in meinem Finger, der seine Haut liebkost, in meiner Handfläche, in die Alain seine Wange bettet, breitet sich auf meinen ganzen Körper aus. Foster erschaudert unter meiner Berührung und ich bemerke die so plötzlich auftretenden feinen Erhebungen seiner Haut.

Gänsehaut! Ich habe ihm eine Gänsehaut beschert.

„Das ist eine Narbe. Aber bekanntlich kommen Narben bei Frauen ziemlich gut an.“

Habe ich sexy etwa laut ausgesprochen?

Seine Lippen verziehen sich zu einem wohlgefälligen Grinsen und die kleine Delle gewinnt noch etwas an Tiefe. Doch dann glättet sich die Haut wieder und er wirkt nachdenklich. „Nichtsdestotrotz. Nicht alle Narben haben diesen Effekt. Ein vernarbtes Herz wirkt eher abschreckend …“

„Dennoch. Die Narbe auf deiner Wange lässt dich doppelt strahlen, wenn du dein Lächeln zeigst. Sie sieht aus wie ein Grübchen …“

Plötzlich ist er mir so nah, er raubt mir wortwörtlich die Luft zum Atmen. Sein Mundwinkel streift meinen, seine Wange schmiegt sich an meine. Ich spüre jede Unebenheit, jeden Makel seiner Haut, jedes nachwachsende Barthaar und Alains Wärme. Das herbe Aftershave weht unweigerlich in meine Nase und betört mich. Ich suche Halt an seinen Schultern.

Sein Atem kitzelt an meinem Ohr. „Oh Irina, sag, in welchem Hotel bist du untergekommen … jedenfalls in keinem von meinen.“

Nach Oh Irina konnte ich seinen Worten nicht mehr folgen. Meinen Namen aus seinem Mund zu hören, diese Sinnlichkeit in seiner Stimme, fühle ich mit jeder Faser meines Körpers. Jedes einzelne Härchen steht mir zu Berge.

Aber woher?! „Woher weißt du, wie ich heiße? Hat Marc dir …“

„Marc?“, krächzt Alain. „Woher zum Teufel kennst du meinen Bruder?“ Schockiert weiten sich seine Augen.

„Er ist der Freund mei…“

Alain lässt mich nicht ausreden. „Du bist keine Touristin … Du bist Corinnes Cousine“, unterbricht er mich und bringt wieder eine gesunde Distanz zwischen uns. „Fuck!“, flucht er, dabei fährt er sich nervös mit beiden Händen durchs Haar. Am Hinterkopf, einzelne Strähnen lugen zwischen seinen langen Fingern hervor, ballt er seine Hände zu Fäusten und rauft sich mit einem tiefen Knurren wortwörtlich die Haare. „Verdammte Scheiße!“

Ich zucke zusammen, als er mich bei den Schultern packt und sich hektisch an mir vorbeizwängt. Foster ergreift die Flucht.

Toll! Ist mir mein Ruf etwa vorausgeeilt?

Eine Fluchtirade vor mich hin murmelnd verlasse ich die Toilette. Meine Gedanken kreisen nach wie vor um das Zusammentreffen von gerade eben, und ich schelte mich als Idiot.

„Ich habe mir deine Beschuldigung wirklich verdient … Irina. Stimmt’s?“

Entgeistert blicke ich in ein grünes Augenpaar, das mich unter blonden buschigen Augenbrauen interessiert mustert. „Sorry. Sie waren nicht damit gemeint.“ Wer ist das? „Es tut mir leid. Ich kann Sie nicht einordnen. Kennen wir uns?“

„Ich bin der Schneemann …“

Schneemann?

„Der Typ, der heute Morgen die Schneefontäne abbekommen und darauf nicht sonderlich freundlich reagiert hat. Darum möchte ich mich entschuldigen.“ Schuldbewusst sieht er mich an.

„Herrje! Noch mal. Es tut mir wirklich leid. Ryan, nicht wahr?“

Er nickt, pustet sich die blonde Strähne aus dem Auge, die sich hinter seinem Ohr gelöst hat, und reicht mir die Hand. „Oha. Gut informiert.“ In seiner Stimme schwingt Bewunderung mit.

„Kevin hat den Namen nach deiner unfreiwilligen Dusche erwähnt. Woher …“

„Äh … Ich habe deinen Namen ebenfalls von Kev aufgeschnappt, Irina. Darf ich dich als Entschuldigung heute Abend zu einem Drink einladen?“, fragt er freundlich. Allerdings flackert da etwas in seinen Augen auf, was ich nicht zu deuten vermag und ein unerklärliches Kribbeln in meinem Nacken verursacht.

Skeptisch mustere ich ihn, kaue dabei immer wieder auf meiner Wange herum.

Du hast etwas Übung dringend nötig … eine Flirtprobe … ganz unverbindlich … und es kann bestimmt nicht schaden, ein paar Leute mehr zu kennen … Los. Gib dir einen Ruck und sag ja!

„Okay.“

Ein Lächeln huscht über seine Lippen, als ich zustimme. „Um 21 Uhr im Gallery?“

„Den Laden kenne ich zwar nicht, aber bestimmt ist er in einem Dorf nicht schwer zu finden.“ Auch ich schenke ihm ein Lächeln.

„Laden?“ Ryan grinst. „Das Gallery ist wohl der größte Gebäudekomplex hier in der Umgebung. Den kannst du nicht verfehlen.“

„Ein Club?“

„Hotel, Spa, Restaurant, Bar, Kunstgalerie und Büro, alles unter einem Dach. Am besten treffen wir uns im Club an der Bar. Meine Schicht ist dann auch bald zu Ende.“

„Barkeeper?“, rate ich.

„Unter anderem. Ich manage den Club.“ Ryan bauscht sich vor mir auf und prahlt. „Also Süße. Dann bis heute Abend?“

„Unter einer Bedingung“, lenke ich ein.

Er sieht mich verdattert an. Damit hat er wohl nicht gerechnet.

„Du mixt mir den Cocktail höchstpersönlich.“ Ich tippe ihm mit dem Zeigefinger auf die Brust.

„Versprochen.“ Ryan drückt mir zum Abschied einen Kuss auf die Wange und sucht die Herrentoilette auf.

Scarlet Cheeks:  Unschuldige Verlockung

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