Читать книгу Scarlet Cheeks: Unschuldige Verlockung - Alexis Kay - Страница 8
Kapitel 4
ОглавлениеSchweißgebadet schrecke ich aus dem Schlaf hoch und sitze kerzengerade im Bett. Ein Albtraum. Mein Herz klopft heftig. Mein Atem geht schnell. Strähnen haften auf meiner schweißnassen Stirn und lassen sich nur mühsam mit den Fingern hinters Ohr kämmen. Ein fremdes Hemd klebt an meinem verschwitzten Körper.
Wessen Hemd ist das?
Ich packe es beim Kragen und rieche daran. Es duftet herrlich und vertraut. Nach Alain, nach seinem Aftershave …
Wo ist er?
Was ist passiert?
Was mache ich hier?
Wo zum Teufel ist hier?
Es ist noch dunkel. Nur eine Nachttischlampe erhellt den Raum. Ich lasse meinen Blick durch das luxuriöse und modern eingerichtete, jedoch unpersönliche Zimmer schweifen. Ein Hotelzimmer? Gar eine Suite? Meine Fingerspitzen gleiten über die Stickerei auf dem Kissen. Tatsächlich! Mit goldenem Faden sind kunstvoll fünf Sterne und in Zierschrift der Name des Hotels eingestickt worden: Gallery. Fosters Hotel.
Leises Schnarchen dringt aus einer finsteren Ecke zu mir herüber. Langes, blondes Haar wellt sich über der Decke. Corinne. Sie schläft auf einem Ledersessel und ist bis zum Kopf in eine Decke gekuschelt.
Jetzt dämmert es mir. Es war kein Traum. Das alles ist wirklich geschehen. Bruchstückweise kommt die Erinnerung zurück. Doch ehe ich ins Grübeln gerate, zieht ein Gespräch aus dem Nebenzimmer meine gesamte Aufmerksamkeit auf sich. Ich vernehme klar und deutlich die Stimmen zweier Männer, die sogar Corinnes Schnarchen übertönen. Der schwache Lichtstrahl, der ins Zimmer dringt, zeigt mir, dass die Tür zum Vorzimmer nur angelehnt wurde. So verhalte ich mich ruhig und belausche die angeregte Unterhaltung.
„Corinne ist außer sich vor Sorge.“
„Hast du gewusst, dass sich dieses naive Ding mit Ryan trifft? Ich habe dich doch über meinen Verdacht in Kenntnis gesetzt, dass einer aus unseren Reihen etwas mit den Vergewaltigungen zu tun haben könnte. Du hättest es verhindern müssen!“
„Sie hat nicht einmal Corinne davon erzählt. Wahrscheinlich nimmt sie ihr den Verkupplungsversuch mit Kevin ziemlich übel.“
„Ein getarntes Date mit dem Goldjungen, als hätte sie das nötig.“
„Ähm, Alain. Redest du vom Date oder vom Unterricht?“
„Ich hab sie Skifahren sehen, Marc. Kevin hatte ja gar nichts zu tun. Ich hoffe, sie muss für die vermeintliche Lektion nicht auch noch bezahlen, oder ist Kev zur Escort-Branche gewechselt und arbeitet jetzt nebenher als Callboy?“ Alains Stimme trieft vor Spott.
„Das klingt … es klingt, als wärst du … Alain!“ Empörtes Schnauben, wahrscheinlich stammt es sowohl von Marc als auch von Alain. „Du bist über meine Zukunftspläne mit Corinne im Bilde. Wehe dir, solltest du sie mir in nächster Zeit verärgern!“
„Bruderherz! Du mutierst zu einem Pantoffelhelden!“
„Wart’s ab, Alain. Wart’s nur ab …“
„Ich bin immun dagegen, Brüderchen. Nichtsdestotrotz bin ich froh, dass wenigstens einer von uns beiden an den Fortbestand unseres Familiennamens denkt und den Stammbaum weiterführen will. Mein Ding ist das nicht. Ich glaub nicht an …“ Ein Handyklingeln verschluckt Alains restliche Worte. „Paul. Wie ist der Zwischenstand? … Fuck! … Lasst keinen Stein auf dem anderen und findet diesen Hurensohn!“
„Alain. Beruhige dich …“
„Ryan ist uns wohl entwischt. In seiner Wohnung war er nicht.“
„Merde!“
„Er kann nur zu Fuß geflohen sein. Die Überwachungskameras am Terminal hätten ihn gefilmt. Paul hat die Bänder mehrfach überprüft.“ Alain bringt den Satz gähnend zu Ende.
„Du solltest ins Bett. Du warst die ganze Zeit über auf und bist ihr nicht von der Seite gewichen.“
„Zuerst werde ich mich noch um ihre Schulter kümmern. Wenn Irina nicht von allein erwacht, muss ich sie wecken. Sonst wird’s mit dem Nähen noch schmerzhafter, denn dann müssen die Wundränder nachbearbeitet werden.“
„Nicht, Alain. Ich übergeb mich gleich …“
„Und du wunderst dich, dass man dich bei der Armee für dienstuntauglich erklärt hat …“
Während die beiden übers Militär diskutieren – ich hab schon allein von Paps’ Gesprächen so die Ohren voll und kann’s partout nicht mehr hören –, untersuche ich meine Schulter. Als ich sie berühre und das Hemd zur Seite schieben will, durchfährt mich ein Schmerz, den ich wegzuatmen versuche. Zudem stelle ich mit Entsetzen fest: Das weiße Pflaster ist mit Blut durchtränkt. Da ich den Schmerz noch nicht verarbeitet habe und das viele Blut mich schockiert, entringt sich meiner Kehle ein unterdrückter, gepeinigter Aufschrei.
Alain und Marc platzen beide gleichzeitig zur Tür herein. Corinne schlägt abrupt die Augen auf und stürzt auf mich zu. „Irina. Wie geht es dir?“
„Den Umständen entsprechend“, antworte ich schwach. Ich lege die Hand auf die Stirn und blinzle gegen das grelle Licht an. Als ich mich daran gewöhnt habe, wandert mein Blick zu Alain. Ich mustere ihn argwöhnisch. Tiefe Sorgenfalten treten auf seine Stirn, die Augen sind umrahmt von dunklen Ringen. „Marc hat recht. Du brauchst dringend eine Mütze voll Schlaf.“
Ein müdes Lächeln huscht über Alains Lippen, aber dann wird ihm klar, dass ich gelauscht habe. „Wie viel hast du mitbekommen?“
Ertappt sehe ich auf meine ineinander gefalteten Hände. „Ich weiß, dass Ryan geflohen ist und … ach Corinne.“ Wiederum kühn nehme ich Blickkontakt zu ihr auf. Sie leidet sichtbar, und so will ich sie erlösen. „Ich nehme dir die Sache mit Kev sicherlich nicht übel.“
Sie seufzt erleichtert auf.
„Okay. Das beantwortet meine Frage … die ganze Unterhaltung“, stellt Foster nüchtern fest.
„Meine Schulter. Wie tief ist der Schnitt?“, frage ich, während ich den Kopf etwas zur Seite neige, in mein Haar fasse und es über die rechte Schulter kämme.
„Irina. Die Wunde muss genäht werden und ich möchte es nicht länger aufschieben.“ Die Art und Weise, wie er sich meinen Namen auf der Zunge zergehen lässt, entzückt mich, und ich realisiere erst im Nachhinein, als er die Hand nach mir ausstreckt, wohl um das Pflaster zu lösen, den Sinn seiner Worte.
„Du? Du willst die Wunde nähen?“ Entsetzt weiche ich zurück. „Ich dachte, du nimmst Marc auf den Arm!“ Schon allein beim Gedanken von Nadel und Faden wird mir schlecht.
Doch Corinne weiß mich zu besänftigen. Wenn sie schon Partei für Alain Foster ergreift, wird schon was dran sein an der Sache und es beweist mir sein Können. „Irina. Schwer vorstellbar, dass das jetzt aus meinem Mund kommt, aber du kannst Alain vertrauen … in dieser Angelegenheit jedenfalls.“ Corinne streichelt über meinen nackten Schenkel, der unter der Decke hervorlugt.
Alain greift zu einem dunkelgrünen Koffer neben dem Nachttisch, der zweifelsohne an die Armee erinnert, und setzt sich dann zu mir aufs Bett. Während er alles vorbereitet, bemerke ich, wie sich Corinne langsam rückwärts Richtung Tür schleicht.
„Es tut mir leid, Irina. Aber ich kann dir da nicht beistehen. Mein Magen.“ Sie verschränkt die Arme vor dem Bauch und bläht die Backen auf.
„Ich verstehe. Du kannst kein Blut sehen.“
Sie nickt. „Ich warte draußen.“ Auch Marc will sich verziehen. „Du bleibst!“, weist Corinne ihn forsch zurecht.
Er sieht mich flehend an, rupft sich mit der Hand am Kinn beinahe die Barthaare aus.
„Marc. Geh ruhig. Ich vertraue ihm“, sage ich und tätschle unbewusst Alains Oberschenkel. Als mir klar wird, wo sich meine Hand gerade befindet, ziehe ich sie rasch wieder weg.
Leise schließt Marc die Tür hinter sich.
„Du bist kein Arzt, also, woher kannst du das?“ Die Patzigkeit in meiner Stimme war keineswegs beabsichtigt.
Doch Alain steht mir geduldig Rede und Antwort: „Meinem Vater gehört der Heliport mit den Rettungsmaschinen. Voraussetzung, um nach seinem Ableben, in weit entfernter Zukunft, sein Erbe überhaupt antreten zu können, ist, dass seine Söhne, also Marc und ich, sich mit den diversen Sparten seines Vermächtnisses auseinandersetzen. Ich habe mich nach meinem Master of Business Administration noch zusätzlich zum Rettungssanitäter ausbilden lassen.“ Mein tiefes Einatmen und der daraus resultierende Ansatz eines Einspruches entgehen ihm nicht und er hebt rasch den Zeigefinger, um mir anzudeuten, dass er noch nicht zu Ende gesprochen hat. „Bevor du mich jetzt darauf hinweisen willst, dass ein Rettungssanitäter keine Befugnis zum Nähen hat, und du offenbar nach wie vor annimmst, dass ich meine Nähkünste der aufgezwungenen Handarbeit in der Grundschule zu verdanken habe, will ich auch noch deine letzten Zweifel aus der Welt schaffen. Ich werde im Militär als Feldsanitäter eingesetzt. Während meiner Ausbildung und den Wiederholungskursen der Armee habe ich auch die Leidenschaft fürs Fliegen entdeckt, und so absolvierte ich nebenbei noch das Helikopterprevet.“
Prahlhans!, denke ich im ersten Moment, doch dann bedauere ich den Gedanken und die Tatsache, ihm unrecht getan zu haben. „Bist du Superman?“, frage ich anerkennend.
„Nein, nur extrem ehrgeizig.“ Alain grinst breit. „Aber danke fürs Kompliment.“ Er scheint ehrlich berührt.
Er leistet Militärdienst, hat eine ansehnliche Ausbildung, ja sogar zwei, steht, kurz gesagt, mit beiden Beinen fest im Leben. Diesen Typen muss mir der Himmel geschickt haben. Hatte gar Mama ihre Hände mit im Spiel und versucht, zwischen Paps und mir zu agieren? Bestimmt war unser Zusammentreffen kein Zufall. Aber vielleicht reine Berechnung seinerseits, und ich lasse mich nun von ihm blenden!, interpretiere ich Corinnes Warnung. Nichtsdestotrotz, bis auf die winzig kleine Tatsache – die du nicht außer Acht lassen solltest!, mahnt mich mein Unterbewusstsein –, dass Alain ein Weiberheld ist, wäre er der perfekte Schwiegersohn und bei Weitem in der Lage, Paps die Stirn zu bieten.
„Sag mir, Alain, wie lässt sich das alles unter einen Hut bringen?“
„Leider bleibt mir Letzteres nur während der Wintermonate vorbehalten und auch nur, wenn am Heliport Not am Mann herrscht. Für gewöhnlich verbringe ich Frühling, Sommer und Herbst in meinem stickigen Büro“, seufzt er schwermütig.
„Und was machst du, um all dem zu entfliehen? Was hast du für Hobbys? Nicht, dass du mit dreißig einen Herzinfarkt erleidest …“, frage ich eher belustigt als besorgt.
„Oh Irina. Dann hätte ich ja nur noch vierzehn Monate zu leben“, schmunzelt er. „Aber das Fliegen ist mein Hobby, Kleine. Und Snowboarden, Freeriden. Beim Heli-Boarding kann ich beides kombinieren, auch wenn ich nicht selbst am Knüppel sitze.“
„Hört sich aber ziemlich aufwendig an. Und um nur mal kurz abzuschalten?“, quetsche ich ihn aus.
„Willst du das wirklich wissen?“
Es klingt beinahe so, als würde er mich vor seiner ehrlichen Antwort schützen wollen, was mich umso neugieriger macht und mich nicken lässt wie Einsteins Trinkente.
„Sex. Unverbindlichen, unkomplizierten, tabulosen Sex. No strings attached …“, antwortet er mit einer rauen, verführerischen Stimme, die tief unter meine Haut dringt und mir eine wohlige Gänsehaut beschert. Alains blaue Augen funkeln herausfordernd. Mein Herz setzt kurz aus und schlägt daraufhin doppelt so schnell weiter, nur um den verpassten Schlag zu kompensieren.
„Oh.“ Ich kann seinem Blick nicht standhalten, wende die Augen ab und merke, wie sich meine Wangen erhitzen. Verlegen senke ich die Lider.
„Hey“, flüstert er und hebt mit dem Zeigefinger sachte mein Kinn an. „Vertrau mir, Irina. Ich hab mich unter Kontrolle.“
Ich blicke ihn scheu, doch mit großen Augen an. In meine Gedanken schleicht sich ein Schade. Was mich zutiefst schockiert, denn so darf ich nicht denken, nicht nach alledem, was mir gerade widerfahren ist …
Beinahe widerfahren ist! Beinahe! Alain hat rechtzeitig eingegriffen …
„Irina? Darf ich?“ Alain holt mich ins Hier und Jetzt zurück. „Ich muss dich, Rechtens wegen, um deine Einwilligung zum Nähen bitten …“
„Mach dir keine Sorgen, ich werde dich schon nicht verklagen. Kannst ruhig loslegen … Ich bin froh, wenn ich die Sache hinter mich gebracht habe.“
„Tapfere Kleine!“
Behutsam schiebt er das Hemd von meiner linken Schulter. Unter anderen Umständen würde mir das sogar gefallen, aber nicht, wenn ich daran denke, was mir noch bevorsteht. Spritze, Nadel und Faden. Der Gedanke ist ernüchternd.
Alain streift sich ein Paar Einweghandschuhe über und beginnt mit allergrößter Vorsicht, die Gaze zu lösen. Ein Zischen entfährt mir trotzdem. Ich reiße mich zusammen, verspanne meinen Kiefer, als er mit einem Wattepad, vollgesaugt mit Jod, die Wunde säubert und desinfiziert. Er nimmt ein Fläschchen und eine steril verpackte Spritze aus dem Koffer.
Ich kann nicht hinsehen …
Und doch werde ich Opfer meiner Neugierde und verfolge gespannt jeden seiner Handgriffe. Alain versenkt die Nadel im Fläschchen und die Spritze füllt sich sukzessiv mit der klaren Flüssigkeit. Fragend sehe ich ihn an und er fühlt sich verpflichtet, mir alles haarklein zu erklären.
„Das ist eine Lokalanästhesie. Sie dient der Schmerzausschaltung durch Unterbrechung der Schmerzleitungsfunktion der Nerven. Jetzt musst du ein letztes Mal ganz stark sein. Danach legen wir eine kurze Pause ein, damit die Spritze wirken kann.“
Ich halte die Luft an, als Alain mir die Flüssigkeit in die Schulter injiziert. Autsch! Meine Atmung kommt wieder in die Gänge.
„Das smaragdgrüne Hemd, das du trägst, hast du das eigens für den Eingriff angezogen?“, ziehe ich ihn liebevoll auf, um meine Nervosität zu vertreiben, die sich während des Wartens zugespitzt hat, und beiße mir auf die bebende Unterlippe.
„Du meinst, um dem Nachbild-Effekt vorzubeugen und die Patientin zu beruhigen? Nein, Irina. Das ist das Ersatzhemd aus meinem Büro im Trakt nebenan, da ich das blaue einer Jungfrau in Nöten geopfert habe, und ich muss sagen, es steht ihr ausgezeichnet und lässt ihre Augen ganz besonders erstrahlen“, schmeichelt er mir.
„Da…da…danke“, stottere ich heiser, noch immer am Bibbern.
„Hmmm.“ Alains intensives Mustern steigert meine innere Unruhe. „Wenn ich mir dich so ansehe, scheint das Grün, die Farbe der Hoffnung, der man auch eine beruhigende Eigenschaft nachsagt, nicht zu wirken. Du bist unsagbar nervös … So will ich dich nicht länger warten lassen …“
Nachdem er sich mehrmals versichert hat, dass ich nichts mehr spüre, nimmt er die Nadel, in welcher der Faden schon direkt integriert ist, und näht sorgfältig, Stich für Stich, die sechs Zentimeter lange, aufklaffende Wunde. Ganz behutsam und vorsichtig.
„Irina, vergiss das Atmen nicht!“, ermahnt er mich. „Gesicht nach rechts. Ich kann nicht riskieren, dass du mir hier ohnmächtig wirst. Du bist schon ganz blass.“
„Der Anblick meines eigenen Blutes macht mir nichts aus, fremdes jedoch schürt meinen Unwillen.“ Trotzdem gehorche ich ihm und drehe den Kopf zur Seite. Durch die Verlagerung rutscht das weite Hemd tiefer und legt meine linke Brust frei. Der Reflex lässt mich im Stich. Ich bin in meiner Beweglichkeit eingeschränkt und kann den ungewollten Striptease nicht abwenden. Was aber immerhin noch einwandfrei funktioniert, ist mein Schamgefühl, das mir diesen gewissen unerwünschten Nebeneffekt auf die Wangen zaubert.
Alain hält in seiner Bewegung inne und atmet tief durch. Dann greift er mit seiner linken Hand nach dem Stoff und streift dabei meine Brustwarze. Die Berührung jagt trotz seines Handschuhs eine Art Lustimpuls durch meinen Körper. Augenblicklich richtet sich die kleine Knospe auf. Ein wohliger Seufzer huscht über meine Lippen. Meine Wangen glühen und strahlen mit dem rosigen Nippel um die Wette. Mit größter Mühe und etwas zittrig zieht er den Stoff wieder hoch. Seine Lippen zucken, als würde er einen innerlichen Kampf austragen. Knurrend bringt er seine Hände wieder in Position, atmet tief durch, steht kurz davor, die nächste Naht zu setzen, bricht dann aber wieder ab und schüttelt fluchend seine zitternden Hände mehrmals durch.
„Lenk mich ab! Bring mich auf andere Gedanken, damit ich nicht gleich über dich herfalle“, gesteht er, und es ist ihm verdammt ernst.
Ich ziehe scharf den Atem ein. Mein Herz hämmert gegen meine Brust. Angst jedoch empfinde ich keine, obwohl sich eine Gänsehaut über meinem gesamten Körper ausbreitet. Ich fühle mich buchstäblich betäubt und seine Worte lassen mich keineswegs kalt.
„Herrgott! Ich wäre keinen Deut besser als dieser Dreckskerl.“ Alain verabscheut sich selbst dafür. „Ich prahle mit meiner Beherrschung und dann treibt mich eine nackte, wohlgeformte Brust an den Rand des Wahnsinns …“
„Es wäre nicht dasselbe, wenn ich es auch möchte und …“ … seit meinem Traum wünsche ich mir nichts sehnlicher, füge ich in Gedanken an, denn den Mut, ihm meinen Traum zu gestehen, kann ich nicht aufbringen, und so schenke ich ihm stattdessen ein verlegenes Lächeln.
„Irina. Du stehst immer noch unter dem Einfluss der Droge, die Ryan dir verabreicht hat. Bist du dir bewusst …“
„Alain. Du willst mir das jetzt bloß einreden. Ich bin ganz klar im Kopf!“, versichere ich ihm. In Bezug auf die Droge stimmt es vielleicht, aber dafür scheint er mir meine Sinne zu vernebeln.
„Wenn du wirklich klar bei Verstand wärst, würdest du mich rauswerfen.“
„Dich rauswerfen? Aus deinem eigenen Hotel?“ Ich lache laut auf. „Das wäre ja ein Skandal.“
Seine Mundwinkel zucken, doch ein Lächeln kann ich ihm nicht entringen.
„Ist sie wieder so gut wie neu?“ Corinne streckt den Kopf durch den Türspalt, wagt es aber kaum, einen Blick zu riskieren.
„Wir sind erst bei der Hälfte angelangt.“ Alain klingt mürrisch.
Ohne ein weiteres Wort, von Alains abweisendem Tonfall getroffen, zieht sie sich zurück.
„Ein Kontrollbesuch!“, murrt er. „Sie sorgt sich um dich, weil sie mir nicht über den Weg traut, und das zu Recht.“
Plötzlich herrscht eine bedrückende Stille zwischen uns, da ich nicht weiß, was ich auf seine Bemerkung erwidern kann. Innerlich verfluche ich meine Unerfahrenheit.
Alain macht sich wieder an die Arbeit und näht die letzten Stiche. Ich kann meine Augen nicht von ihm lassen. Er scheint in sich gekehrt, konzentriert sich auf Nadel, Faden und die Verletzung. Verbissen darauf, mich keines Blickes zu würdigen. Gekränkt wische ich mir die Träne von der Wange, die sich unbewusst beim Blinzeln gelöst haben muss.
Nachdem Alain den Faden verknotet und gekürzt hat, atmet er auf, massiert sich den Nacken und streckt sich herzhaft gähnend, ehe er die Naht mit einer Art Paste behutsam betupft. Während des Einwirkens entledigt er sich der Handschuhe, nimmt einen mit Wasser getränkten Wattebausch und entfernt damit das Jod und Blut, das noch an meiner Haut klebt. Anschließend trocknet er sachte meine Schulter und überdeckt die Wunde vorsichtig mit einer selbstklebenden Gaze.
Alain beäugt mich. Unter seinem intensiven Blick kribbelt es auf meiner Haut und darunter beginnt mein Blut regelrecht zu brodeln, als würde er ein My von X-Men Cyclops Fähigkeiten besitzen.
„Du hast da noch was“, sagt er kehlig, legt den Zeigefinger unter mein Kinn und dirigiert es hoch.
Gehorsam lege ich den Kopf in den Nacken, schließe genüsslich die Augen. Mit einem nassen, kaum ausgewrungenen Wattepad säubert er meinen Hals. Das Wasser hätte eigentlich zischend verdampfen müssen, so erhitzt fühle ich mich. Ich spüre, wie sich einige Tropfen lösen, über Hals und Dekolleté perlen, sich am Piercing zwischen den Brüsten sammeln und ihren Weg gemeinsam, zu einem einzigen großen Rinnsal formiert, fortsetzen, mir dabei ein Kichern entlocken, weil es mich so furchtbar kitzelt.
Neugierig blinzle ich unter den langen Wimpern hervor, als sich plötzlich unsere Blicke treffen. Blanke Begierde lodert in seinen Augen und entflammt die Luft um uns. Sie flimmert wie von der prallen Sommersonne erhitzter Asphalt und wird ganz und gar unbrauchbar, scheint meine Lungen nicht mehr zu nähren, denn ich schnaufe abgehackt, schnell, benötige mehr davon, oder liegt es auch daran, dass er mir den lebensnotwendigen Sauerstoff wortwörtlich vor der Nase wegstiehlt? Alains Gesicht ist meinem so nah. Seine laue, gebrauchte Atemluft kitzelt an meiner Nasenspitze, quält und lockt mich zugleich.
Oh! Bitte küss mich!
Als hätte er mein stummes Flehen erhört, lässt er das Pad fallen und umfasst mit seinen warmen, starken Händen mein Gesicht. Freudige Erwartung durchflutet meinen Körper. Meine Augen flattern zu, die Lippen sind ohnehin schon leicht offen. Ich schmecke bereits die Minze seines Atems auf der Zunge. Doch auf einen Kuss warte ich vergebens.
Ich raffe all meinen Mut zusammen und wispere: „Alain. Küss mich.“ Kurz blinzle ich und sehe, wie er gebannt auf meine Lippen starrt. Meinem Ziel ganz nah hauche ich ein einladendes „Bitte“. Ich lege die Handflächen auf seine Oberschenkel, die er daraufhin anspannt und mich spüren lässt, wie durchtrainiert er ist.
Oder kann es sein, dass er sich gar meinetwegen verspannt?
Alain neigt meinen Kopf etwas nach vorn, berührt mit dem Mund sachte meine Stirn und erklärt mir leise: „Irina.“ Ich genieße das Prickeln auf meiner Haut, welches sein Atem und seine Daumen, die zärtlich meine Wangen liebkosen, verursachen. „Dein reizendes Angebot ehrt mich …“ Er sagt es in diesem gewissen Ton, als würde gleich ein Aber folgen, so stelle ich mich mental auf eine Zurückweisung ein. „Aber es wäre nicht richtig, deinen hilflosen … willenlosen Zustand auszunutzen.“ Beim Reden streicheln seine Lippen tröstend meine Haut, und mit der Gewissheit, dass Alain in dieser Position meine Tränen nicht sehen kann, lasse ich ihnen freien Lauf. „Nach allem, was du in den letzten Stunden durchgemacht hast, halte ich einen Kuss, hier und jetzt, nicht für angebracht.“
Die Tränen versiegen. Hoffnung keimt in mir auf, er könnte es an einem anderen Ort, zu einem anderen Zeitpunkt in Erwägung ziehen …
„Corinne mag mich vielleicht als Arsch bezeichnen …“ Seine Lippen beben auf meiner Stirn und ich ahne, dass er ein Lachen unterdrückt. „Doch ein so großer bin ich somit auch wieder nicht.“
Ich bedecke seine Hände, sehe fragend zu ihm auf und hoffe auf eine ehrliche Antwort. „Dann ist es also nicht wahr, dass du tonnenweise Touristinnen abschleppst, sie durchvögelst und anschließend sich selbst überlässt?“
Ach herrje! So vorwurfsvoll hätte das eigentlich nicht klingen sollen … eher hoffnungsvoll, dass er mir widerspricht und nicht der Schürzenjäger ist, zu dem er von meiner Cousine erklärt wurde. Halt! Das vermeintliche Gerücht kam von zwei Seiten. Ryan hat ihn ebenfalls, jedoch im Gegensatz zu ihr anerkennend, als Ladykiller bezeichnet … So wirst du von Alain bestenfalls eine Beschönigung der Tatsachen zu hören bekommen!
„So … so ist das nicht.“ Auf eine gewisse Art schockiert löst er sich von mir und steht auf. „Ich spiele immer mit offenen Karten, Irina. Die Ladys wissen, worauf sie sich einlassen, und manch einer kommt ein Urlaubsflirt“, das aufwertende Wort unterstreicht er mit Gänsefüßchen in der Luft, „gerade gelegen.“
Wie vermutet, redet er’s sich schön, und ich muss einsehen: „Mehr als eine Nacht mit dir hätte ich also nicht bekommen …“
„Mein Interesse an dir wäre rein körperlich. Unverbindlicher Sex. Mehr nicht. Ich bin keineswegs an einer Beziehung interessiert …“
„Nur Sex? Ich … ich weiß nicht …“, stottere ich, kralle mir unbewusst die Bettdecke und ziehe sie mir über die Beine.
„Was du davon halten sollst?“, führt er meinen Satz korrekt zu Ende.
Ich nicke kaum merklich.
Einen Augenblick lang starrt Alain mich an. Augen und Mund weit aufgerissen. Er schüttelt ungläubig den Kopf. „Irina! Das sollte keine Aufforderung dazu sein! Nach den neusten Erkenntnissen, der Tatsache, dass du Corinnes Cousine bist, hier im Dorf wohnst und wir uns jetzt wohl oder übel öfters über den Weg laufen werden, rät mir mein Verstand, einen gesunden Abstand einzuhalten … Ich werde für dich einen Termin beim Dorfarzt vereinbaren, damit er dir in zehn bis vierzehn Tagen die Fäden ziehen kann. Uns beiden zuliebe werde ich dich nicht mehr anrühren …“
Ich gebe mir keine Mühe mehr, meine Enttäuschung zu verbergen, und blicke auf meine angespannten Finger, die die Decke noch immer umklammern. Im Augenwinkel erkenne ich, dass er eilig seinen Koffer zusammenpackt.
Die metallenen Schnallen rasten ein. Alain umfasst den Griff, bereit zu gehen, doch er wirft einen letzten Blick auf mich, hält inne und flüstert: „Kopf hoch! Es wäre eine Schande, deine Jungfräulichkeit an mich zu verschwenden!“
Geplättet sehe ich zu, wie er zur Tür schreitet. „Woher … Corinne!“, stöhne ich entnervt. „Alain. Warte.“ Ich stehe auf, mache ein paar Schritte auf ihn zu, ehe mir bewusst wird, dass ich außer dem Hemd nichts trage. Hastig zupfe ich es zurecht.
„Irina. Du solltest dich etwas ausruhen, versuche, ein wenig zu schlafen, solange die Betäubung wirkt. Bis Sonnenaufgang sind es noch vier Stunden. Ich werde Corinne wieder hereinbitten.“
„Danke. Danke, dass du mich rechtzeitig gefunden hast … und es tut mir leid“, nicht wirklich, „dass ich dir das Date mit dieser hübschen Brünetten vermasselt habe.“
Entgeistert starrt er mich an. „Du hast mich mit Zo… ihr gesehen? Das Treffen war rein geschäftlicher Natur“, rechtfertigt er sich. „Warum bist du denn nicht direkt zu mir gekommen, als du die ersten Anzeichen gespürt hast?“ Alain stellt den Koffer neben der Tür ab und führt mich zurück zum Bett. Seine Hand berührt kaum merklich meinen bedeckten Rücken. Er gibt sich alle Mühe, nicht mehr mit mir in Berührung zu kommen, dennoch fühlt es sich wie eine Hot-Stone-Massage an, die tief unter meine Haut dringt, jedenfalls bilde ich mir das ein, und ich fördere den Druck seiner Hand, indem ich den Weg zum Bett etwas hinauszögere.
„Wie hätte ich denn ahnen können, dass ich es mit einem potenziellen Vergewaltiger zu tun habe?“
Im Nachhinein wird mir klar, ich hätte Ryan beim Cocktailmixen auf die Hände sehen sollen. Wie oft hat Paps mir diese Regeln eingetrichtert: Getränke niemals unbeaufsichtigt stehen lassen. Keine offenen Getränke von Unbekannten annehmen. Bei Übelkeit sich nicht an Unbekannte wenden … Und ich habe sie alle außer Acht gelassen!
Alain hebt die Decke, bittet mich mit einer Handbewegung aufs Bett und deckt mich fürsorglich zu. „Irina. Wie bist du eigentlich an Ryan geraten?“, fragt er schonend nach und setzt sich, eine gesunde Distanz einhaltend, auf die Bettkante.
„Alain. Ich habe mich Ryan nicht an den Hals geworfen, falls du das von mir denkst. Er hat mich angesprochen, mich zu einem Drink eingeladen …“ Ich erzähle ihm, was vorgefallen ist, und erst jetzt, da ich mir die Begegnungen mit Ryan noch einmal vor Augen führe, fügen sich die Puzzleteile zusammen. „Und das alles … deinetwegen.“
„Meinetwegen?“ Alains Augen weiten sich vor Entsetzen.
„Als er mit diesem bösartigen Grinsen auf mir saß, in der einen Hand das Messer, die andere fest auf meinen Mund gepresst …“ Unwillkürlich fange ich an zu zittern. Um es zu unterdrücken, reibe ich mit der rechten Hand meinen linken Arm entlang. „… ist dein Name gefallen.“
Einen Fluch gen Himmel sendend erhebt er sich vom Bett und schreitet wie ein gestresster, übellauniger Löwe, der in einem viel zu kleinen Zirkuskäfig gefangen gehalten wird, im Hotelzimmer auf und ab. „Kannst du dich an den Zusammenhang erinnern?“ Es kostet ihn redlich Mühe, seine Stimme im Zaum zu halten.
„Nur vage … Ryan hat behauptet, er hätte es satt, immer an zweiter Stelle zu stehen …“ Ich schlucke schwer und befeuchte meine Lippen, über welche Ryans vulgärer Wortlaut einfach nicht gelangen will. „… und es hat ihn nur noch mehr angestachelt, dass er dir ausgerechnet bei mir zuvorkommen kann … Hmmm. Inhaltlich könnte es so hinkommen … Alain?“
Starr steht er vor dem großen Fenster des Hotelzimmers und blickt in die Finsternis. Das Glas spiegelt seinen angespannten Gesichtsausdruck wider. Die Kiefer mahlen, die Augen sind zu Schlitzen zusammengekniffen, die Arme hält er vor dem Körper verschränkt. Als sich die Tür leise öffnet, dringt ein bedrohliches Knurren aus den Tiefen seiner Kehle.
„Irina? Ist alles in Ordnung? Seid ihr beiden aneinandergeraten?“ Corinne betritt das Zimmer zusammen mit Marc, der auf direktem Weg zu Alain eilt und ihn der Stinkwut wegen anspricht. Zögernd und etwas irritiert setzt sich meine Cousine zu mir aufs Bett, reicht mir eine kleine Flasche Wasser, die sie mir zuvorkommend geöffnet hat. Ich trinke sie bis zur Hälfte leer, während die Diskussion der beiden Brüder zu uns herüberdringt.
„Marc. Du bleibst hier, wirst auf die beiden aufpassen und am Morgen bringst du sie sicher nach Hause.“
„Du wirst nicht allein losziehen, Alain! Wenn das wirklich stimmt …“
Alain legt seinem Bruder beruhigend die Hand auf die Schulter. „Keine Sorge, werde ich nicht. Paul und sein Team werden mich begleiten. Wir müssen diesen Bastard lediglich ausfindig machen, dann werden wir die Polizei verständigen.“
„Ich kenn dich! Selbstjustiz ist keine Lösung!“
„Ich melde mich bei dir, wenn ich mehr weiß.“ Mit energischen Schritten, die Hände zu Fäusten geballt, durchquert Alain den Raum in Richtung Tür. Er ist in Rage, schäumt vor Wut.
Angst regt sich in mir, ihm könnte etwas zustoßen. „Alain … Alain. Bitte warte.“ Als ich Anstalten mache, mich zu erheben, eilt er zu mir.
Der Zorn im Nu verflogen, umfasst er wohl unbewusst meine Hand. „Ruh dich aus. Ich werde am Nachmittag bei dir zu Hause vorbeischauen und dir eine Wundheilsalbe und ein Schmerzmittel mitbringen.“ Sachte streichelt sein Daumen über meinen Handrücken.
„Alain … Bitte pass auf dich auf, ja?“ Ich übe sanften Druck auf seine Finger aus. Seinem Gesichtsausdruck und seiner Reaktion nach zu urteilen, scheint ihm in diesem Moment bewusst zu werden, dass wir uns berühren. Wie bei einer elektrostatischen Entladung entzieht er mir abrupt seine Hand.
Trotzdem verziehen sich seine Mundwinkel zu einem Lächeln, es beschränkt sich jedoch auf die Mundpartie, die Augen erreicht es nicht. „Ich versuche mein Bestes.“
Wehmütig blicke ich Alain hinterher. Marc verlässt mit ihm zusammen den Raum, macht es sich im Vorzimmer bequem und mimt den Wachhund, wie es der große Bruder aufgetragen hat.
Der Liebestaumel, der Rausch lässt nach, sobald die Tür ins Schloss fällt. Bezüglich der Droge lag Alain wohl gar nicht so falsch. Er ist meine Droge, und diese birgt ein verdammt hohes Suchtrisiko.
Corinne steht die Fassungslosigkeit ins Gesicht geschrieben. „Bitte sag mir, dass ich mich irre, was dich und Foster anbelangt.“
Beschämt schüttle ich den Kopf.
„Irina!“ Sie schlägt einen tadelnden, vorwurfsvollen Tonfall an, der in mir schiere Auflehnung wachruft.
„Bitte keine Moralpredigt à la Hauptmann Meyer! Ich weiß, dass du dir Sorgen machst, Corinne, und ich habe deine warnenden Worte gestern beim Frühstück zur Kenntnis genommen, dennoch bitte ich dich, lass mich meine eigenen Erfahrungen machen.“
Die Tatsache, dass ich sie mit Paps verglichen habe, gibt ihr zu denken. „Ich werde mich bestimmt nicht wie Onkel René verhalten“, sie verschränkt schmollend die Arme vor der Brust, „aber muss es denn ausgerechnet Alain Foster sein, Cantor, Gott der Kälte, höchstpersönlich? Irina, lass zu deinem Wohle die Finger von ihm!“
„Diesen Gefallen tut dir Alain schon …“
„Wie … was …?“ Corinne macht einen irritierten Eindruck.
„Ich habe ihn gebeten, mich zu küssen“, gestehe ich ihr, und noch ehe sie ihr Entsetzen zum Ausdruck bringen kann, fahre ich fort: „Und er hat mich verschmäht …“
Wider Erwarten jubelt Corinne nicht auf, sie macht auch keine Luftsprünge, nicht einmal ein triumphierendes Lächeln schleicht sich auf ihre Lippen, sondern sie wirkt nachdenklich. „Das passt ja gar nicht. Normalerweise lässt er nichts anbrennen.“
„Bitte, liebe Cousine, hilf mir!“, bettle ich, überdecke die Hand auf ihrem Knie mit meiner, um meinem Flehen Nachdruck zu verleihen. „Bitte gib mir einen Tipp, wie ich Alain aus der Reserve locken kann.“ Man kann beinahe sehen, wie die Rädchen in ihrem Kopf auf Hochtouren laufen, während sie grübelt. „Tu’s dem Hausfrieden zuliebe, du weißt, Beharrlichkeit liegt in den Meyer-Genen …“
„Und davon habe ich ebenfalls nicht zu wenig. Darum beantworte mir noch eine Frage: Willst du es wirklich versuchen, auch auf das Risiko hin, dass du nur, so derb es auch klingen mag, ein Fick für ihn bist?“
Etwas tief in mir wehrt sich gegen Corinnes Worte. Die Hoffnung, dass es nicht so ist. „Ja. Auch auf das Risiko hin, nur eine Nacht mit ihm zu haben.“
Und dann willigt sie endlich ein: „Okay Süße. Lass deine zwei Begegnungen mit Foster Revue passieren …“
„Hmmm. Corinne, eigentlich waren es vier.“
„Vier?“, fragt sie verblüfft nach.
Ich nicke und berichte ihr davon, erwähne jedes noch so kleine Detail. Corinnes Gesichtsausdruck verändert sich allmählich. Saß sie zu Beginn die Lippen fest aufeinandergepresst und die Augen voller Skepsis da, sitzt sie schlussendlich mit großen Augen und weit aufklaffendem Mund staunend vor mir. Sie braucht einen Moment, um sich zu fangen.
„Vier Begegnungen in zwei Tagen. Das überschreitet mein Monatspensum … und am Nachmittag seht ihr euch schon wieder. Der ideale Zeitpunkt, um zuzuschlagen! Knüpfe an die Tatsache an, dass er allem Anschein nach eifersüchtig auf Kevin reagiert … Aber übertreib es nicht, denn so ein Spielchen kann ganz leicht ausarten. Zudem läufst du Gefahr, die Gefühle des Statisten zu verletzen“, ermahnt sie mich.
„Ich will nicht mit Kevins Gefühlen spielen.“
„Das ist auch gar nicht nötig. Kevin gegenüber bleibst du ehrlich und stellst von Anfang an klar, dass du für ihn nicht mehr als Freundschaft empfindest. Lass den Dingen einfach ihren Lauf.“
Mein Blick fragt nach dem Wie.
Corinne deutet ihn richtig und fährt mit ihrem teuflischen Plan fort: „Lass mich das für dich einfädeln. Kevin hat angedeutet, dass er dich gerne zum Essen einladen würde, und ich werde dafür sorgen, dass er sein Vorhaben während Alains Besuch umsetzt.“ Sie reibt hinterlistig grinsend die Handflächen aneinander. „Alain! Deine Zeit als eingefleischter Junggeselle und notorischer Herzensbrecher ist vorbei!“