Читать книгу Wahre Verbrechen: Morde am Fließband - Die bekanntesten Kriminalgeschichten aller Länder - Alexis Willibald - Страница 3

Gescha Margaretha Gottfried

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1831

Inhaltsverzeichnis

Ein junger Radmachermeister zu Bremen mit Namen Rumpf hatte ein dort in der Pelzerstraße gelegenes Wohnhaus im Jahre 1825 gekauft. An Warnungen von seiten seiner Freunde, daß er den Kauf unterlassen möge, hatte es nicht gefehlt. Man sagte, das Haus wäre ein Unglückshaus, in dem die Männer stürben. Vor allem aber solle er sich vor der bisherigen Besitzerin in acht nehmen und sie nicht im Hause wohnen lassen. Denn wenn auch keiner der Madame Gottfried etwas Böses nachzusagen wußte, so herrschte doch bei vielen, die sie näher kannten, eine gewisse Furcht vor ihr, die allerdings einigen Grund hatte.

In dem Hause, welches die verwitwete Madame Gottfried bis jetzt besessen hatte, waren in den letzten Jahren nicht wenige Todesfälle vorgekommen. Sie hatte ihren ersten Mann, dann ihre Mutter, ihren Vater, ihre Kinder, ihren Bruder, den zweiten Mann, alle nach einem kurzen Krankenlager, plötzlich verloren. Ja, wenn man es zusammenzählte, so hatte die unglückliche Witwe im Verlauf von vierzehn Jahren nicht weniger als dreizehn Särge bei dem Tischler Bolte, der ihr gegenüber wohnte, bestellen müssen, alle für liebe, teure Angehörige; und so auffällig war das ungewöhnliche Unglück dieser Frau geworden, daß ein hochberühmter Kanzelredner in Bremen, Dräseke, selbst auf der Kanzel für die »christlich starke Dulderin« öffentliche Fürbitten hielt.

Gegen die anständige, allgemein geliebte und wohltätige Frau selbst konnte kein Verdacht obwalten, ihr Ruf war, wenn nicht ganz unbescholten, doch durch einen untadeligen Wandel gegen alle Verdächtigung wirklicher Verbrechen gekräftigt. Wenn einige meinten, daß sie schon bei Lebzeiten des ersten Mannes mit dem zweiten in vertrauterm Umgänge gelebt habe, als erlaubt ist, so wußten diese zugleich, daß jener durch sein wüstes Leben ihr dazu Anlaß gegeben, ja wahrscheinlich diesen Umgang gewissermaßen als Ersatz für seine eigenen Untugenden zugelassen und nicht ungern gesehen hatte; vielleicht daß er sogar auf dem Totenbette gewünscht hatte, daß der Hausfreund seine Witwe heirate und gut mache, was er schlimm gemacht hatte. Und wenn sie da gefehlt hatte, so hatte sie durch ihre unerhörten Leiden gebüßt. Durch ihre religiöse Gesinnung, durch ihre christliche Wohltätigkeit, mit der sie die Lager der Kranken besuchte, liebevoll pflegte und Spenden über ihre Kräfte austeilte, sowie durch ihr bescheidenes Benehmen gegen Höhere und durch ihre Leutseligkeit gegen Untergebene war sie überall beliebt und gern gesehen. Viele wußten überdem von ihrer früheren Schönheit und Lieblichkeit zu erzählen, und auch jetzt, im angehenden Matronenalter, hatte sie eine Anmut sich zu bewahren gewußt, die überall für sie einnahm.

Madame Gottfried, von Geburt mehr dem mittleren Bürgerstand angehörend, zählte durch ihre Heiraten, ihre anscheinende Bildung und ihren Umgang schon zu den höheren Ständen. Im Hannöverschen Nachbarlande verkehrte sie freundschaftlich mit angesehenen Familien und wurde ihres Charakters wegen nicht allein gern gesehen, sondern man fand sich durch den Besuch der liebenswürdigen Frau geschmeichelt, und sie konnte nicht genug den wiederholten Einladungen nachkommen. Ihre Wohnung in dem ansehnlichen Hause, welches sie bis da besessen hatte, war elegant und mit Geschmack ausgestattet. Fußteppiche, Blumen, Kupferstiche und alle die Kleinigkeiten, welche den Aufenthalt behaglich machen und seine weibliche Sorgfalt verraten, schmückten ihr Zimmer. Auch eine kleine Bibliothek neuerer Schriftsteller fand sich darin, mit Geschmack gewählt, schönwissenschaftlichen und religiösen Inhaltes; alle im elegantesten Einbande, nur oft den Goldschnitt von Staub geschwärzt. Ihre Toilette war die einer Dame der höheren Stände, und man bemerkte die Sorgfalt, womit sie das, was das modernste war, zugleich am passendsten und am mindesten auffällig sich anzueignen wußte.

Höhere suchten ihren Umgang, Gleichstehende fühlten sich darin behaglich, Niedere waren durch ihn geschmeichelt. Ihre Dienstboten hingen ihr mit rührender Liebe und Treue an; Bewerber um ihre Hand näherten sich, wie dem jungen Mädchen und der Jungfrau, so noch der Matrone und Witwe, die jetzt um die Vierzig zählte, weniger leidenschaftlich, die meisten schüchtern, durch anständige Freiwerber. Familienväter hätten es für ein Glück geachtet, wenn eine so herzliche, teilnehmende, gefühlvolle Frau von feinen Sitten und einem hübschen Vermögen in ihre Kreise gekommen wäre. Sie pflegte indessen die Anträge in freundschaftlicher Art abzulehnen: sie habe es ihrem seligen Gottfried auf dem Totenbette versprochen, sich nicht wieder zu verheiraten. Dennoch stand ihr furchtbares Schicksal als nicht wegzuleugnende Tatsache da: die in ihrer Nähe sich immer wiederholenden Todesfälle. Einige hielten sie für schwere, unergründliche göttliche Prüfungen; andere flüsterten sich zu von einem pestartig giftigen Atem, welcher der eigentümlichen Frau als ein krankhaftes Übel anhafte.

Rumpf aber war ein entschlossener Mann, ein entschiedener Feind alles Aberglaubens, wofür er jene Meinungen und Warnungen hielt. Er kaufte nicht allein das Haus, sondern behielt auch Madame Gottfried als Mieterin in ihren bisher bewohnten Zimmern. Außerdem ließ er ihr den vertraglich ausbedungenen Mietertrag zweier Nebenhäuser.

Zu Anfang schien er allen Grund zu haben, mit seinem Entschlusse zufrieden zu sein. Man konnte sich kein angenehmeres Verhältnis denken, als welches zwischen der jungen Familie des Käufers und der früheren Besitzerin eintrat. Die freundliche Witwe, welche für nichts in der Welt zu sorgen hatte, lebte nur für die Rumpfsche Familie. Aber kaum acht Wochen, nachdem diese eingezogen war, starb die Gattin im Wochenbette. Sie hatte die Entbindung glücklich überstanden, als ein heftiges Erbrechen und Durchfall sich einstellten, welche den Tod zur Folge hatten.

Niemand konnte sich trostloser und liebevoller zeigen als Madame Gottfried. Sie war nicht vom Krankenlager der Leidenden gewichen. Die Sterbende sah in der Todesnähe nur darin einen Trost, daß sie eine solche Pflegerin für ihr verwaistes Kind und für ihren armen Mann zurückließ. Sie übergab ihr das teure Vermächtnis, für beide zu sorgen, und die Gottfried erfüllte den Willen der Gestorbenen. Sie pflegte das Kind, sie besorgte die Wirtschaft, die Küche; sie heiterte durch Unterhaltung und religiöse Zusprüche den tiefbetrübten Mann auf. »Tante Gottfried« hieß sie in der Familie.

Aber das Unglück, das die Freunde prophezeit hatten, war doch im Anmarsche. Bald darauf erkrankte, ebenfalls an Durchfall und Erbrechen, die für den Säugling in Dienst genommene Amme, und ebenso die Hausmagd. Die Amme erklärte, in dem Hause könne sie nicht gesund werden, und ging in ihre Heimat zurück.

Nun erbrachen sich Gesellen und Lehrlinge. Einer der letzteren lief auch fort. Rumpf selbst fing wenige Monate nach dem Tode seiner Frau an demselben Übel zu leiden an. Ein strenger und tätiger Mann, tat er das Seine, es nicht aufkommen zu lassen, und glaubte zuerst, die Burschen wollten sich nur über ihn lustig machen und äfften ihm deshalb nach. Er fuhr mit strenger Züchtigung unter sie, aber ohne Erfolg.

Das eigene Unbehagen des Meisters ward immer größer. Was für Speisen er auch zu sich nahm, sie erregten ihm das fürchterlichste Erbrechen. Seine früher blühende Gesundheit sank von Tag zu Tag mehr dahin. Zuerst wollte er sich selbst kurieren, er hielt seine Krankheit für die Folge einer Magenerkältung. Aber weder die eigenen noch die Mittel des Arztes schlugen an.

Eine niederdrückende Schwäche hatte sich seines Körpers bemeistert. Der kräftige, rüstige Mann war mutlos und träge geworden. Er scheute die geringste körperliche und geistige Anstrengung. Zehen und Fingerspitzen hatten das Gefühl verloren, und die entsetzliche Angst, daß er wahnsinnig werden könnte, quälte ihn. Er glaubte weder an eine Vergiftung noch an unerklärliche Einflüsse; er wollte einen natürlichen Grund auffinden, und in diesem unermüdlichen Bestreben gewann seine schon geisterhafte Erscheinung noch mehr Gespensterhaftes.

Gleich als suche er einen verborgenen Schatz, von dessen Dasein er dunkle Kunde hatte, durchstreifte er sein Haus vom Keller bis zum höchsten Boden. Er wollte in der Örtlichkeit den geheimen Grund entdecken, warum er krank sei und so viele vor ihm krank geworden seien. Er dachte an eine verderbliche Zugluft und schloß und öffnete alle Türen und stopfte alle Ritzen. Vielleicht dunstete der Fußboden, irgendein vermodernder Stoff brütete dort Gift. Er roch, atmete und lüftete die Dielen: alles vergebens.

Fast erlag er schon dieser doppelten Pein und kämpfte einen neuen Kampf, ob es wirklich geheimnisvolle Mächte gäbe, welche die Sinne der Menschen verrückten und ihren Körper heimlich verwüsteten. Da erschien die Tante Gottfried als einziger Trost des armen Leidenden. Sie pflegte ihn mit mehr als mütterlicher Sorgfalt. Jeden Morgen war sie die Erste, sich zu erkundigen, wie er geruht habe, und wenn sie hörte, daß er wieder eine qualvolle Nacht durchwacht habe, wünschte sie ihm nur etwas von dem sanften Schlafe, womit Gott sie erquicke.

Dieses Leiden dauerte jahrelang, ohne daß in Rumpfs Seele der geringste Verdacht aufstieg. Später entsann er sich wohl, daß die Magd ihm – etwa zwischen Ostern und Pfingsten 1827 – einmal Salat gebracht hatte, auf dessen Blättern er etwas Weißes, Zuckerähnliches bemerkt hatte. Da er süßen Salat nicht liebte, schalt er und ließ ihn wegwerfen. Später hatte er auch in einer Tasse Bouillon einen dicken weißen Bodensatz bemerkt; nach der Bouillon hatte er an heftiger Übelkeit gelitten. Erst im März 1828 sollte die Entdeckung erfolgen.

Er hatte sich für seine Haushaltung ein Schwein schlachten lassen. Von einem ausgesuchten Stücke, welches ihm der Schlächter brachte, genoß er einen Teil und verschloß das übrige in einen Schrank. Das Fleisch war ihm wider Gewohnheit sehr wohl bekommen; also wollte er am folgenden Tage den Rest verzehren. Bei der Öffnung des Schrankes bemerkt er, daß der Speck nicht mehr die gestrige Lage hatte. Er hatte ihn mit der Schwarte nach unten gelegt: jetzt findet er die Schwarte oben. Als er den Speck umkehrt, entdeckte er zu seinem Erstaunen darauf wieder solche weißliche Körner wie früher auf dem Salat und in der Bouillon. Tante Gottfried, die herbeigerufen wird, erklärt es für Fett. Aber jetzt steigt eine Ahnung in dem Unglücklichen auf, er schweigt und ruft in der Stille seinen Hausarzt. Die weiße Substanz wird abgestreift, durch einen geschickten Chemiker untersucht, und es findet sich darin eine nicht unbedeutende Beimischung Arsenik.

Dies geschah am 5. März; schon am 6. März wurde dem Kriminalgericht Anzeige gemacht, und nachdem dasselbe eine summarische Vernehmung der Zeugen veranlaßt hatte, begab sich eine Kommission in das Rumpfsche Haus. Die Gottfried wurde, angeblich krank, im Bette gefunden. Nach einem Verhör, das sie noch verdächtiger machte, wurde sie indessen beim Eintritt des Abenddunkels zur vorläufigen Verhaftnahme ins Stadthaus abgeführt.

Noch am gleichen Abend verbreitete sich das Gerücht davon. Eine in allgemeiner Achtung stehende Frau hatte ihre Hand in Gift getaucht, um das Leben eines Familienvaters zu verderben, mit dem sie in freundschaftlichsten Beziehungen stand. Staunen und Erschrecken bemächtigte sich aller Bewohner einer friedlichen, wegen ihres Religionseifers berühmten Stadt, in deren Mauern so selten ein Kapitalverbrechen vorfällt. Aus dem Schrecken aber wurde Entsetzen, als man mit dem einen ausgesprochenen Falle die bisherigen dunklen Todesfälle in dem Unglückshause in Verbindung brachte, Ahnungen stiegen auf, die man auszusprechen zauderte, und doch sollte die Wirklichkeit noch diese Ahnungen an Gräßlichkeit übertreffen und ein Ungeheuer ans Licht gezogen werden, das an Scheinheiligkeit, Mordlust und Furchtbarkeit alle bisher bekannten Verbrecherinnen weit hinter sich ließ.

Der Name Gottfried schwebte auf allen Zungen, bei jedem Gespräch, in jeder Gesellschaft war sie das Losungswort, und weit über das Weichbild der Stadt Bremen hinaus, ja man kann wohl sagen, in aller Welt wurden ihre Taten mit Entsetzen erzählt, wurde ihr Name mit Abscheu genannt. Aber ehe noch das volle Maß der ersteren ermittelt war, hatte sich schon die Sage derselben bemeistert, und das Gerücht vervollständigte das Gräßliche in der Art, wie es der Fassungskraft der großen Menge zugänglicher ist.

Der Heißhunger nach dem Entsetzlichen liegt in der menschlichen Natur, unzertrennbar von dem Hange nach dem Wunderbaren. Hier aber war es sehr erklärlich, daß die ungeläuterte Wißbegierde des Volkes zu dem Unerhörten auch einen wunderbaren Schlüssel suchte; der psychologische wurde erst nach unsäglicher Mühe und nach Jahren von wissenschaftlichen Männern gefunden. Was davon erfuhr das Volk? Eines ausführlichen Werkes bedurfte es, um nur die gebildete Welt über die Motive und den inneren Organismus dieser Verbrecherin ohne Beispiel aufzuklären; was aber konnte man davon dem Volke geben, dem man doch die schreienden Tatsachen nicht verbergen konnte? Es lag also in der Natur der Dinge, daß das Volk sich selbst einen Schlüssel zu all dem Entsetzlichen suchte, das zutage gekommen war.

Im Stadthause versuchte die Gottfried anfänglich zu leugnen; aber ihr ganzes zusammengeknicktes Wesen verriet die Verbrecherin, deren Kraft und Mut dahin war mit dem Scheine, den sie durch so lange Jahre aufrechterhalten hatte. Mit Erstaunen und Entsetzen zogen die Wärterfrauen der wohlgebildeten Madame Gottfried, als sie ihr der Vorschrift zufolge die Kleider wechseln mußten, dreizehn Korsetts, eines über dem andern, aus. Ihre lieblichen roten Wangen waren Schminke, und nachdem alle Toilettenkünste entfernt waren, stand an der Stelle der blühenden, wohlbeleibten Dame vor den erschreckten Weibern ein blasses, angstvoll verzerrtes Gerippe. Aber mit dem äußeren Scheinbild sank zu gleicher Zeit das moralische Trugbild zusammen, das sie seit zwanzig Jahren und mehr vor den Menschen zur Schau getragen hatte. Die Kraft zur Lüge, welche ihr Wesen zusammenhielt, zerbrach. Dazu erwachten und sprachen in ihr plötzlich die allerfurchtbarsten Traumbilder. Sie bekannte, aber nicht gestachelt von Gewissensunruhe, nicht gerührt durch den Zorn Gottes, sondern weil sie nicht mehr Kraft hatte, die Lügen aufrechtzuerhalten. Das Bekenntnis erfolgte nicht mit einem Male, es war ein fortgesetztes zweijähriges Bekennen, und auch dies Bekennen war ein fortgesetztes neues Lügengewebe: nicht mehr jene großartige Lüge, keine, die sie vom Untergang hätte retten können, sondern ein kleinliches Ableugnen, durch das sie, nachdem das Gräßlichste heraus war, noch hier und dort einen Anhalt, eine kleine Entschuldigung zu gewinnen hoffte; noch letzte Versuche, mit sich schön zu tun und das Mitleid und Interesse für sich anzuregen.

Das ungeheure Leichentuch, unter dem eine noch jetzt vielleicht nicht ganz bestimmt ermittelte Zahl von Opfern ruhte, konnte weder sie selbst mit einem Male aufdecken, noch wagten es ihre Richter, die so Unerhörtes gern selbst dämonischen Einflüssen beigemessen hätten. Die Gottfried hatte nach den ersten Verhören schon genug bekannt, um das Leben zehnfach verwirkt zu haben; die Untersuchung wurde deshalb nicht mit der Eile geführt, die bei anderen Verbrechen nötig ist, um Spuren, die verloren gehen könnten, zu verfolgen. Man durfte vielmehr, da der rächenden Gerechtigkeit auf jeden Fall ihr Recht ungeschmälert blieb, den wissenschaftlichen und humanioren Rücksichten nachgeben, um das furchtbare Rätsel eines so entarteten menschlichen Wesens gründlich zu studieren. Rechtsgelehrte, Theologen, Mediziner experimentierten an dieser Rarität, und eben um dieser Absichten willen hegte man das moralische Scheusal und pflegte es mit einer rücksichtsvollen Menschlichkeit, welche über die Begriffe von dem Verhältnis zwischen dem Richter und dem Verbrecher, wie sie in früheren Jahrhunderten geherrscht hatten, gegangen wäre.

Nie war wohl ein Strafurteil begründeter als das, welches auf Grund der Verhandlungen die Gottfried zum Tode verdammte. Die Aktenberge schienen das Tatsächliche erschöpft zu haben; und doch liefern sie nur einen Beleg für die Mangelhaftigkeit aller menschlichen Einrichtungen. Der äußere Mensch, die Gottfried, wie sie straffällig vor dem Gesetz erscheint, ist darin vielleicht splitternackt dargestellt. Aber durch kein artikuliertes Verhör und durch keine Protokolle, die ein Richter führt, kann eine Erscheinung wie die ihre psychologisch ergründet werden. Um die feineren Fäden zu verfolgen, wie aus der menschlichen Natur ein solches entmenschtes Wesen werden konnte, sind die Federn der Gerichtsstube und das Aktenpapier zu grob. Es ginge auch vielleicht über die richterliche Aufgabe hinaus. Die Akten, so klares Licht sie über die Tatsachen verbreiten, blieben doch im Rückstande über die Motive; ja, bei dem fortgesetzten Lügengespinste der eitlen Frau soll sich dort manches eingeschlichen haben und nicht wieder fortzuwischen gewesen sein, was nicht in der Wahrheit, sondern in der erfinderischen Nachhilfe, sich, wenn nicht besser, doch interessanter darzustellen, seinen Grund hat.

Ihrem erwählten Defensor, dem Dr. Voget, blieb es vorbehalten, diesem rätselhaften Wesen weiter nachzufolgen in seine scheinbar verborgensten Schlupfwinkel, um der Mit-und Nachwelt darzutun, daß hier weder dämonische Einflüsse gewaltet haben, noch daß die Gottfried eine Ausgeburt der Hölle war, sondern ein menschliches Wesen gleich uns, das nur, in Eitelkeit gesäugt, von der Sünde genährt und gesättigt, von Stufe zu Stufe immer tiefer sank. So wenig es ihm gelang und gelingen konnte, sie vor dem weltlichen Richtstuhle zu verteidigen, um so erfolgreicher war er, durch eine unermüdliche Behandlung in ihr innerstes Sein einzudringen: eine Aufgabe, die durch bloßen Pflichteifer nicht zu lösen war. Es gehörte mehr dazu, ein ganz besonderes Interesse, bei ihm durch religiöse Motive warm und frisch erhalten, um nicht durch die beständigen Rückfälle der Heuchlerin ermüdet und gereizt zu werden. Er mußte bei ihren proteischen Windungen jeden Silberblick der Wahrheit, der aus ihrer erschöpften, hohlen Seele kam, erhaschen und schnell festzuhalten versuchen; er mußte jede Gemütsbewegung benutzen, um ihrer schnell vorübergehenden Zerknirschung ein Geständnis abzupressen, welches sie aus Eitelkeit und Furcht vor strenger Bestrafung jeden Augenblick bereit war wieder zurückzunehmen oder durch eine neue Lüge zu trüben. So gelang es ihm endlich nach einer Arbeit, wie sie selten ein Geistlicher, noch seltener ein gerichtlicher Verteidiger übernimmt, ein vollständiges Bild dieses Wesens, das eigentlich nur noch ein Schemen war, zusammengehalten von der Eitelkeit, zu entwerfen, welches er in einem ausführlichen Werke »Lebensgeschichte der Giftmörderin Gescha Margaretha Gottfried, geborenen Timm. Nach erfolgtem Straferkenntnisse höchster Instanz herausgegeben von dem Defensor derselben, Dr. F. L. Voget« (Bremen 1831) niedergelegt hat. Diesem ließ er in demselben Jahre ein zweites Werk folgen: »Die Giftmörderin Gescha Margaretha Gottfried in der Gefangenschaft bis zur Hinrichtung. Nach Vollzug des Todesurteils herausgegeben von dem Defensor usw.«, dessen Inhalt sein Titel besagt. Zu Hilfe kam ihm hierbei eine Autobiographie, welche die Gottfried, wohl vorzüglich aus dem Motiv der Eitelkeit, in ihrem Gefängnisse zu schreiben bewogen wurde. Sie selbst wünschte, daß ihre Geschichte geschrieben und dem Publikum bekannt gemacht würde, sie selbst trug dies ihrem Defensor auf. Wenn ihr nichts auf Erden bliebe als ihr gräßlicher Ruf, so wünschte sie doch dies letzte Besitztum sich zu erhalten, und wenn sie in religiöser Demut zu hoffen vorgab, daß ihr Beispiel warnend auf andere einwirken werde, so gab sie daneben doch auch der schmeichelnden Hoffnung Raum, daß man sie etwas besser und interessanter darstellen werde, als wofür sie die Menge hielt.

Bei diesem Kriminalfall kommt es nicht auf eine Geschichte des Prozesses an. Dieser ist einfach genug. Die Lügenwindungen, in denen die Gottfried sich erging, um nicht mit einem Male die ganze Last aller ihrer Giftmorde auf sich gewälzt zu sehen, und die widerwärtigen Versuche, ein freundlicheres Licht auf ihre Untaten zu werfen, kommen nicht auf gegen die interessanten Zwischenfälle, die den Prozeß der Brinvillier lebendig machen. Die Verbrechen an sich sind hier die Hauptsache, vor der die gerichtlichen Verhandlungen als Nebensache verschwinden. Wir glauben unserem Zwecke genugzutun, wenn wir die Lebensgeschichte der Gottfried, das ist die Geschichte ihrer Untaten, aus dem umfangreichen Werke in eine kürzere Erzählung zusammenfassen und später daran reihen, was aus der Untersuchungsgeschichte zur Ergänzung ihrer Charakteristik von Wichtigkeit erscheint.

In der Pelzerstraße in Bremen lebte die Familie eines ehrbaren Frauenschneiders namens Johann Timm, die sich den Ruf der Arbeitsamkeit und treuen Rechtschaffenheit in der ganzen Nachbarschaft erworben hatte. Vater Timm war so fleißig in seinem Berufe, daß sie von ihm sagten, er halte beim Nähen den Atem an, um mehr Nadelstiche in einer Minute zu machen. Zu eigentlichem Wohlstände brachte er es seiner großen Tätigkeit und Sparsamkeit ungeachtet nie; aber er konnte es doch auf seinen guten Ruf hin wagen, das Haus, in welchem er später starb, anzukaufen, und so viel blieb und mußte bei seinem Verdienst übrig bleiben, daß die Armen jede Woche ihr Teil erhielten. Das war in der Bibel geboten, und Timm und sein Eheweib wollten hinter keinem biblischen Gesetze zurückbleiben. Er sang jeden Tag sein Morgenlied, besuchte regelmäßig die Kirche und galt als fromm und gottesfürchtig, was indes nicht hinderte, daß der Defensor seiner Tochter meint, seine Religiosität habe mehr in einer äußeren Werkgerechtigkeit bestanden als in wahrhafter Gottesfurcht und Liebe. Aus dieser Schule entsprang die Religiosität, ja die ganze Geistesrichtung seiner Tochter, deren Tun und Streben in wohlgefälligen Handlungen von früh auf nur dahin ging, daß es den Leuten gefalle und sie es lobten.

Am 6. März 1785 gebar Timms junge Frau Zwillinge, einen Sohn und eine Tochter. Bei diesen Kindern verblieb es. Der Sohn Johann Christoph machte später den Eltern wenig Freude. Auf der Wanderschaft geriet er in liederliche Gesellschaft, wurde verführt, krank, kostete den Eltern viel Geld, ließ sich endlich als Husar unter Napoleon anwerben, bis er nach langen Jahren als ein Krüppel wieder in seiner Vaterstadt erscheint.

Das Mädchen, Gescha Margaretha, indessen war bald die Freude und der Augapfel beider Eltern. Schwächlich, war sie doch nicht kränklich. Von der zartesten Gestalt und der feinsten Bildung, fast nur Knochen und Haut, schwebte von früh an etwas Ätherisches über ihrem ganzen Wesen, das sie für besser erscheinen ließ, als sie war. Anmutig und leicht in ihrer Bewegung, lieblich in ihrem Benehmen, mit einem freundlichen, hübschen, offenen Gesicht, war das Kind überall gern gesehen und wurde von den Erwachsenen geliebkost und anderen als Muster gezeigt.

Schon im frühen Alter von drei Jahren mußte die kleine Gescha die Schule besuchen, damit sie an ein äußeres gesetzmäßiges Wesen gewöhnt werde. Ihre Schulgespielinnen hatten Taschengeld von den Eltern und benutzten es zu Näschereien. Gescha hatte stets leere Taschen. Ohne die größte Not gaben ihre kargen Eltern keinen Groten (etwas mehr als ein Kreuzer Rhein.) aus. Da half sie sich selbst. Wenn sie von der Mutter ausgeschickt ward, um Weißbrot zu holen, brachte sie unter den größeren einige kleinere und erübrigte dadurch manchen Groten zu jenem Zwecke. Das war der erste Schritt zur Sünde, Gescha war damals sieben Jahre alt.

Der Betrug wurde nicht entdeckt. Das war eine Aufmunterung zur Wiederholung. Glücklich darüber, daß es nie herauskam, ging sie zu eigentlichen Diebereien über. Sie nahm aus der unbewahrten Tasche der Mutter einen, zwei, bis zwölf Groten. Der Verlust blieb zwar nicht unbemerkt; welche Mutter sollte aber einen Verdacht auf ihr liebliches, offenes Kind werfen, auf den »Engel von Tochter«, wie beide Eltern ihre Gescha nannten. Das verschlossene, menschenscheue Wesen ihres Bruders lenkte ihn weit eher auf sich, und Gescha – schwieg zur Verdächtigung ihres Bruders.

Fünf Jahre setzte Gescha diese Diebereien fort, ohne daß ein Verdacht auf sie fiel; fünf Jahre heuchelte sie bei diesen kleinen Sünden ein unschuldiges Wesen und ward nach wie vor belobt, gestreichelt und belohnt. Welche Schule, in der Sünde fortzufahren! Sie vergriff sich, elf Jahre alt, an fremdem Eigentum und entwendete einer alten Mamsell, die bei Timms zur Miete wohnte, eine bedeutendere Summe als jemals vorher, etwa im Betrag von einem Taler. Der Diebstahl wurde entdeckt, die Täterin nicht. Das Haus geriet in Aufruhr. Alles ward vergebens durchsucht; der Vater schloß nun auf seinen Sohn. Da rief die Mutter: »Warte nur, Vater, ich weiß schon ein Mittel und will gleich hinter die Wahrheit kommen.« Nach einer halben Stunde kam sie zurück und sprach mit zuversichtlicher Miene: »Ich hab’ den Dieb gesehen. Einer klugen Frau in der Neustadt habe ich’s gesagt. Die holte einen Spiegel, und wie ich hineinsehe, steht der Dieb da und guckt über meine Schulter.« Die Mutter hatte ihre Tochter dabei scharf ins Auge gefaßt, und wie ein Schwert drangen ihr die Worte ins Herz. Das ist dein Gesicht gewesen, dachte sie, und von nun an wagte sie im elterlichen Hause nie mehr etwas zu entwenden. Mit einer kleinen Erschütterung ging so die Krisis vorüber; aber es war nicht herausgekommen, sie stand, in der Verstellungskunst früh geübt, vor der Welt so rein da als vorher und war nach wie vor der Engel ihrer Eltern.

In ihrem zwölften Jahre hatte Gescha nach Ansicht ihrer Eltern genug gelernt. Sie ward aus der Schule genommen und mußte im Hause an Stelle der abgeschafften Dienstmagd alle nötigen Arbeiten verrichten, zugleich aber auch für den Vater nähen und an Wochentagen außer Hause arbeiten; das Erworbene ward ihr in der Sparbüchse aufgehoben. Der nächste Antrieb nach fremden Gute war also fortgefallen. Dagegen erhob sie ihr Fleiß bei der Arbeit in den Augen des Vaters zu einem Ideal von Vortrefflichkeit, und ihre Fortschritte im Rechnen machten sie dem Vater bei seinen Kassenabschlüssen fast unentbehrlich.

Die Tochter schien vollkommen in die Begriffe ihrer Eltern von Ordnungsliebe und Ehrbarkeit einzugehen. Sie zeigte sich genügsam und erfreut über das Kleinste, war über das Kuchenbrot, das ihr als Geburtstagsgeschenk gereicht wurde, entzückt und betete alle Gebete, welche die Mutter sie für alle Verrichtungen des Lebens gelehrt hatte, mit buchstäblicher Treue. Sie trug die Almosen für Vater und Mutter aus, und schon früh war es ihr eingeprägt, daß solche Taten der Wohltätigkeit hohen Wert hätten und die Danksagung der Armen zu Verheißung göttlicher Vergeltung würden; ein Wahn, der später von furchtbarem Einfluß auf ihr Leben wurde. Aber sie gehörte auch zu den weichen, reizbaren Seelen, die, jedem Gefühl und aufregenden Einfluß offen, leicht zu Tränen gerührt werden. Des Vaters frommes Morgenlied, die stille Ordnung des Hauswesens erfüllten oft das Herz des Mädchens mit lebhafter Rührung; auch religiösen Eindrucken blieb sie nicht verschlossen, obschon der amtliche Religionsunterricht ohne Wirkung auf sie geblieben zu sein scheint. Aber es war eine leichte Erregbarkeit, die mehr den Nerven angehörte und die Seele nicht berührte. So weinte sie auch später und konnte aufs tiefste gerührt scheinen, war es auch vielleicht für den Augenblick, wenn ihr Opfer unter den entsetzlichsten Qualen verschied. Aber die Summa dessen, was sie im elterlichen Hause erlernte, war der Schein eines Wertes, den sie nicht besaß. Denn die Zuneigung der Eltern wurde bald eine blinde, grenzenlose, die dem Mädchen von hellem Kopfe nicht unbekannt blieb und ihr ein Bewußtsein einimpfte, welches sie aus der Sphäre ihres wirklichen Seins in einen leeren Zustand besseren Scheins erhob.

Geiz und eigentliche Habsucht blieben ihr, auch als sie auf der Laufbahn des Verbrechens raschen Schrittes forteilte, immer fremd; selbst die Genußsucht war kein Motiv, das sie bei ihren Handlungen beherrschte; sie hatte kein heißes Blut, keine starken Leidenschaften. Nur als die Sünde auf anderen Wegen ihrer Meisterin geworden war, ließ sie das Weib, das nun ihre Sklavin war, alle Laster auskosten, indem mit der einen alle Schranken der Tugend gebrochen und gefallen waren. Aber es war der Ehrgeiz, in jener vornehmeren, ausgezeichneteren Sphäre, in die sie der Zufall und die Gunst der Menschen versetzt hatten, sich zu erhalten, es war die Eitelkeit, welche ihr besseres Selbst mehr und mehr aufzehrte und damit einer furchtbaren Selbstsucht Nahrung gab, welche sie endlich kaltblütig zu den gräßlichsten Mordtaten schreiten ließen, sobald ein oft nur scheinbarer Vorteil in Aussicht stand.

Sie lernte in einem Nachbarhause – die Eltern konnten ihrem Engel schon nichts mehr abschlagen – tanzen. Sie spielten Sonntags Komödie. Bald war das ganze Leben des dreizehnjährigen Mädchens eine Komödie, in der sie die große Rolle durchführte, allen Leuten zu gefallen, eine Rolle, mit solcher Kunst durchgeführt, daß man ihr erst im dreiundvierzigsten Jahre ihres Lebens die Larve vom Gesicht riß! – Gescha spielte unter ihren Gespielinnen am besten, sie bekam die besten Rollen; sie war die Schönste, man schmückte sie am schönsten mit Bändern und Schleifen heraus. Sie war die Königin des Spiels, und die armselige Alltagswoche konnte nur in Erwartung des berauschenden Sonntagsvergnügens ruhig verlebt werden. Aber doch spielte sie auch die übrigen sechs Tage zu Hause Komödie: sie ließ nichts von ihrer Lust dazu merken! Am Montag freilich fiel sie aus der Rolle; sie wischte die Schminke von gestern noch nicht ab, die ihr so wohl stand, und die Mutter begnügte sich damit, darüber zu lächeln.

Sie war zur Jungfrau aufgeblüht. Ihr äußerlicher Liebreiz war gewachsen. Die charakteristische Weichheit ihres Herzens schien nur noch mehr ausgesprochen. Von den Müttern wurde sie ihren Töchtern als Muster vorgestellt, von diesen selbst aber nicht etwa beneidet, sondern innig geliebt.

Gern hätte Gescha, in ihrem Studium dessen, was vor den Menschen gilt, weit vorgeschritten, musikalischen Unterricht gehabt und Klavierspielen gelernt, das war aber von den Eltern zu viel gefordert, die nur für Notwendiges und Nützliches Geld ausgaben. Auch schien es doch unpassend für ein Bürgermädchen, das als Magd im Hause arbeitete. Ein-oder zweimal in der Woche kehrte sie auch wohl, den Besen in der Hand, vor dem Hause. Und dennoch entschlossen sich die Eltern, ihr – französischen Unterricht geben zu lassen, weil sie meinten, ein so außerordentliches Kind müsse bei seinen seltenen Geistesgaben doch wenigstens eine besondere Kenntnis vor allen Töchtern gleichen Standes voraushaben. Aber schon hier betrog sie. Der wissenschaftliche Unterricht war viel zu ernsthaft für ihr leichtfertiges Gemüt. Die aufgegebenen Arbeiten langweilten sie, und sie ließ sie sich von einem befreundeten Tischlergesellen, der vollkommen französisch sprach, aufschreiben, arbeitete aber sorgsam einige Fehler hinein, um den Betrug nicht zu auffällig zu machen. Sie erntete für ihre vortrefflichen französischen Aufsätze das größte Lob ein, das sie in Bescheidenheit hinnahm. Aber mit dem wenigen, was sie aufgefaßt hatte, putzte sie später ihre oberflächliche Bildung aus, und es diente ihr zu dem Lug und Trug, den sie in höheren Kreisen so geschickt wie in den niedrigeren fortspielte.

Bei einer sogenannten Korporalsmahlzeit – einem jährlichen Schmause der nach altertümlicher Weise in eine Miliz eingeteilten Bürger – trat Gescha, damals sechzehn Jahre alt, zum ersten Male in die Welt. Jubel, Tanz und Spiel begleiteten mehrere Tage lang diese Feier. Sie zog aller Augen auf sich. Aber die Sinnlichkeit war in der Jungfrau noch nicht erwacht. Sie war mannigfachen Nachstellungen ausgesetzt, hat aber in dieser Beziehung den unbescholtensten Ruf mit in die Ehe genommen. Heiratsanträge kamen schon in diesem sechzehnten Jahre. Drei wurden ohne weiteres von Vater und Tochter zugleich abgelehnt; ein vierter und, da der Freiwerber ein junger wohlhabender Meister des Gewerbes war, ziemlich verlockender nur auf Überredung des Vaters. Gegen Person und Vermögen des Werbers hatte der alte Timm nichts einzuwenden, wohl aber gegen den Handwerkszweig, weil es sein eigener war. Da Geschas Bruder dereinst in Bremen Meister werden sollte, fürchtete der fern in die Zukunft rechnende Alte einen Brotneid zwischen den Geschwistern. Gescha hatte den Werber zwar nicht gerade geliebt, aber es durchzuckte sie doch mit Eiskälte, als sie den abgewiesenen Werber an der Hand einer anderen jungen Braut dahinschreiten sah.

Gescha – vielmehr Gesina, wie sie sich jetzt nennen ließ, da ihr jener Name zu gemein klang – wuchs, wie an Schönheit und Jahren, so an Liebe im Herzen ihrer Eltern; sie, die ausgezeichnete Tochter, die über ihrer Art stand und doch Vater und Mutter auch nicht den geringsten Kummer verursachte, während der Bruder, ein ausschweifendes Leben in Hamburg und Paris führend, Schulden machte, sein Erbteil verzehrte und schon anfing, als verlorener Sohn betrachtet zu werden. Auch der Ruf ihrer Sittsamkeit und Tugend wuchs unter ihren Gespielinnen, denn ihre wunderbare Erscheinung lockte Vornehmere heran, aber Gesina unterdrückte alle Wünsche des Herzens, sobald sie wahrnahm, daß der Bewerber keine ehrbaren Absichten haben könnte.

Eines Abends war sie im Theater in Begleitung ihrer vertrauten Freundin Marie Heckendorf, die in ihrem Leben eine nicht unbedeutende Rolle spielte. Es war das erstemal, daß sie das Theater besuchte, und dieser Besuch sollte für ihr Leben von großem Einfluß werden; aber die Gottfried erinnerte sich später trotz ihres vortrefflichen Gedächtnisses weder des Namens noch des Inhaltes des Stückes und wußte nichts davon, als daß eine sehr schöne Person, Elise Bürger, darin mitgespielt habe. In der Loge des zweiten Ranges, wo sie saß, drängte sich ein dicker vornehmer Herr an Gesina heran, der sie mit Artigkeiten überschüttete und nachher, wiewohl umsonst, dem schönen Mädchen nachstellte. In der Person eines Nachbars, des jungen Miltenberg, erschien aber zugleich ein Beschützer, welcher sich während der Aufführung zwischen den galanten Herrn und das hübsche Mädchen drängte und dann aus nachbarlicher Pflicht Gesina aus dem Theater bis in ihr Haus begleitete.

Vom Augenblick dieses ritterlichen Dienstes an entspann sich zwischen beiden kein Liebesverhältnis, aber eine stumme Beobachtung und Aufmerksamkeit; Miltenberg ging immer vor des alten Timm Hause vorüber, wenn Gesina mit dem Besen davor kehrte, und unterließ nie zu sagen: »So fleißig?« Gesina dagegen fand, daß das Wasser im Miltenbergschen Brunnen das beste in der Straße sei, und holte es daher für die Wirtschaft von dort, was nicht auffällig war, da Miltenbergs Haus dem ihrer Eltern schräg gegenüber lag. Auch kaufte sie im Gürtlerladen, wenn der junge Miltenberg verkaufte, gern ein paar Kleinigkeiten, und Miltenberg begleitete sie dann hinaus. Liebe war auf ihrer Seite nicht im Spiel, aber Eitelkeit und für ihre Lage eine glänzende Aussicht.

Der junge Miltenberg war eigentlich nichts weniger als berufen, ein Beschirmer der Unschuld und Sittsamkeit zu sein. Als verzärtelter einziger Sohn eines wohlhabenden Vaters hatte er schon vor seiner ersten Verheiratung ein wüstes Leben geführt. Eine ältere Buhlerin hatte ihn dann in ihre Netze zu locken gewußt; aber nachdem sie Madame Miltenberg geworden war, hattte sie keinen Grund abgesehen, noch länger die Larve des Anstandes vor dem Gesicht zu behalten. Wollüstig, dem Trunk ergeben, jähzornig, widerwärtig in jeder Beziehung, hatte sie dem jüngeren und schwächlicheren Gatten das Leben unerträglich gemacht und seine Kräfte ausgesogen. Von einem gewaltigen Körperbau, hatte sie ihn nicht selten im trunkenen Zustande untergekriegt und mißhandelt, ja diese Familienszenen nicht in der Verschwiegenheit der vier Wände abgetan, sondern manchen Skandal vor Zeugen, ja auf der Straße wiederholt.

Der Tod des frechen Weibes hatte nun zwar den armen Menschen aus den lästigen Eheketten erlöst, aber mit seiner Gesundheit schien auch seine Ehre und sein ganzes moralisches Wesen bis auf den Grund zerstört. Er schleppte sich hin in Faulheit und Liederlichkeit und suchte in Weinstuben und bei gemeinen Dirnen Trost oder Vergessenheit für sein zerfallenes Leben. Sein Vater, ein wohlhabender Mann, galt, obwohl er nur Sattlermeistei war, für einen vornehmen Herrn. Er besaß das größte Haus in der Straße, welches mit sieben kleinen Nebengebäuden, die ihm zugehörten, einen eigenen Hof, »Miltenbergs Hof«, bildete. Die Zimmer waren schön möbliert, und eine Sammlung Ölgemälde, die man für wertvoll hielt, brachte ihn mit angesehenen Leuten und sogar mit Senatoren in nahe, freundschaftliche Verbindung. Der Vater konnte das Lasterleben des Sohnes nicht länger mit ansehen. Mit dem Menschen gingen auch die Wirtschaft und das Geschäft zugrunde. Vater und Sohn gerieten oft in heftigen Streit, und endlich soll der Alte dem Jungen erklärt haben, das einzige, was ihn wieder mit ihm aussöhnen könne, sei eine anständige Heirat, und die einzige anständige Heirat, die ihm gefalle, mit Timms wohlgeratener Tochter.

Der Sohn hatte seinerseits nichts dagegen einzuwenden, nur fürchtete er sich bei seinem bekannten ausschweifenden Leben vor dem Antrage. Dazu ward als Mittelsperson ein Magister ausersehen, welcher mit seiner lateinischen Gelehrsamkeit und seiner stilistischen Kunst schon oft zu Rat und Hilfe in beiden Familien zugezogen worden war und auch noch später als Vermittler in manchen schwierigen Fällen auftrat. »Fein schwarz gekleidet, damals jung und von sehr ehrbarem Aussehen«, wie sich die Gottfried bei ihrem lebhaften Gedächtnis für alles Äußerliche noch im Gefängnis entsann, erschien der Brautwerber beim alten Timm und brachte in zierlichsteifen Worten seinen Antrag vor. Der künftige Reichtum des einzigen Erben, das große Miltenbergsche Haus, für das schon einmal zwanzigtausend Taler geboten worden wären und auf dem nur tausend Taler hypothekarisch lasteten, das köstliche Mobiliar, die Gemäldesammlung, in der sich Stücke von dreihundert Taler Wert befänden, das alles glänzte dergestalt in der Rede, daß Vater und Mutter Timm vor Freude zitterten und auch nicht an die Möglichkeit einer abschlägigen Antwort dachten. Die Tochter ward hereingerufen, um ihr Glück zu erfahren, und die Tränen, die sie vergoß, galten als eine Einwilligung, an der überdies bei dem Verhältnis zwischen Eltern und Tochter die ersteren nicht im entferntesten zweifeln konnten.

Das glücklichste Ereignis ihres Lebens, wofür die drei es hielten, ward nicht von jedermann so angesehen. Timms Freunde schüttelten bedenklich den Kopf und hielten es für eine große Torheit, daß er das tugendhafte, schöne Mädchen um Geldes willen mit dem wüsten, entnervten und leichtsinnigen Menschen zusammenkuppelte. Die Mutter erwiderte, wenn die jungen Leute nur Brot hätten, würde alles übrige schon von selbst kommen.

Der verwüstete Haushalt bei Miltenbergs verlangte eine schnelle Änderung. Die Heirat wurde am 6. März 1806 feierlich begangen, und obgleich die Gottfried sich der kleinsten äußeren Umstände entsann, z. B. der ersten seidenen Strümpfe, die ihr der Bruder aus Hamburg schickte, und der Ermahnungen der Freunde, daß ihr Mann nicht weinen solle, so erinnerte sie sich weder der Trauungsrede noch des Predigers, der sie verband. Die Trauung fand in Miltenbergs Hause, und zwar in der großen Hinterstube mit den Ölgemälden, statt. Über dem Kopfe der Braut hing die Mutter Jesu mit dem Kinde, rechts ein Abendmahl, links ein Petruskopf. Es war dieselbe Stelle, wo sie später ihre Mutter vergiftete.

Diese Ehe konnte nur das Selbstgefühl der jungen Frau nähren. Durch Sitte, Bildung, Achtung vor der Welt, Verstand und Lieblichkeit weit über ihrem Gatten stehend, war sie wie von selbst die Herrin im Hause, Sie war die Wiederherstellerin der Ordnung und des Friedens zwischen Vater und Sohn. Beide erkannten es, und sich in Dank erschöpfend, opferten sie täglich am Altare ihrer Eitelkeit. Miltenberg, so oft durch die Schande seiner ersten Frau von den Leuten aufs tiefste beschämt, setzte seinen Stolz darein, die junge schöne zweite Frau zu einer vornehmen Dame zu machen. Er fühlte sich um so mehr verpflichtet, sie äußerlich, so hoch zu stellen, da er ihrer Jugendfrische nur einen entnervten Körper und einen abgestumpften Geist entgegensetzen konnte, ja nicht einmal so viel Macht über sich selbst besaß, mit dem Besitz des schönen Weibes zufrieden zu sein und seiner früheren Lebensart, dem Umhertreiben in den Schenken und Klubs, und seinen gewohnten Ausschweifungen zu entsagen.

Die liebebedürftige Jungfrau konnte nichts für diesen Mann empfinden, sie mußte im Stolz auf ihre äußerliche glückliche Lage, in ihrer befriedigten Eitelkeit den Ersatz suchen. Er verreiste und kam schlaff und gleichgültig wieder.

Statt der Liebe brachte er ihr eine Verehrung entgegen, die ihr Herz nicht wärmte. Prächtige Kleider, Damenhüte, alle möglichen rauschenden Vergnügungen mußten die Leere ihres Herzens füllen, und sie verdrängten die stillen und frommen Gefühle, welche im elterlichen Hause gepflegt worden waren.

Auch ihre Eltern erkannten zu spät, was ihrer Tochter zum Glück fehlte. Auch sie bemühten sich, es sie vergessen zu machen, indem sie ihre Miltenbergin (wie sie von der Mutter genannt wurde, die den gemein klingenden Namen Gescha umgehen wollte) selbst zu lärmenden Lustbarkeiten geleiteten. So besuchten sie namentlich zu diesem Zwecke wieder die schon erwähnten Korporalsmahlzeiten.

Der junge Miltenberg hatte von ungefähr beim Glase Wein mit einem lebensfrohen jungen Weinreisenden namens Gottfried Freundschaft geschlossen. Gottfried war bei einer Korporalsmahlzeit der gefällige, liebenswürdige Nachbar der Madame Miltenberg; nachher beim Tanze wurde er ihr Tänzer, und zwar ihr alleiniger Tänzer während des ganzen Balles. Die Mutter flüsterte ihr warnend zu: »Ich glaube, dein Mann ist unzufrieden über dich«. Der Vater kam am anderen Morgen zur Tochter und machte ihr die heftigsten Vorwürfe über ihr Betragen auf dem Tanzboden: »Du hast deinen Mann ganz vernachlässigt. Solange ich lebe, gehst du nicht wieder in eine solche Gesellschaft. Eine Frau muß nicht ihren Mann zurücksetzen, wie du es gestern getan hast.« Aber der Mann selbst war gestern abend ganz zufrieden gewesen; in brüderlicher Herzlichkeit, Arm in Arm mit dem Freunde und der Frau, war er nach Hause gegangen. Was konnte nun der Vater dagegen einwenden? Deshalb gingen sie schon an diesem Tage wieder auf denselben Tanzboden, dieselbe Gesellschaft fand sich zusammen; Miltenberg, der selbst nicht tanzte, führte seiner Frau den Freund als Partner zu, und das Spiel von gestern ward fortgesetzt, nur daß Madame Miltenberg nach ihrem Bekenntnis »sich vor den Leuten genierte« und ihrem Tänzer zu verstehen gab, daß auch er sich vorsehen möge.

Von diesem Tage an richtete sich ihr Sehnen und Wünschen auf Gottfried. Ihre Sucht, vornehmer, gebildeter, besser zu erscheinen, ihr Hang zu Putz und prächtigen Kleidern bekam neue mächtige Triebfedern. Stundenlang stand sie vor dem Spiegel, um zu wissen, wie Gottfried sie am schönsten finden möchte. Sie erschrak über ihre Blässe, erinnerte sich der Schauspielerkünste ihrer Jugend, und von jetzt ab waren ihre Wangen nicht mehr blaß. Das war ein wesentliches Moment für die Folge ihrer Verbrecherlaufbahn: die Schminke wurde »die rettende Maske vor dem verräterischen Erröten und Erblassen des Gewissens«.

Miltenberg sah die nähere Bekanntschaft Gottfrieds mit seiner Frau offenbar gern und beförderte sie. Eifersucht war ihm von Natur fremd, er fühlte vielleicht, daß er ihr einen Ersatz schuldig war; noch mehr freute er sich, ungestört seinen Vergnügungen nachgehen zu können, während Gottfried seiner Frau die Zeit vertrieb. Endlich war Miltenberg ein Freund des Weines und liebte frei zu trinken; Gottfried aber setzte so manche Flasche auf den Tisch oder brachte sie sogar unter dem Mantel mit ins Haus.

Dies geschah jedoch erst später. Anfangs schien Gottfried selbst sein Glück nicht verfolgen zu wollen; sei es, daß er zu gewissenhaft war oder, was wahrscheinlicher ist, es überhaupt nicht in seiner Art lag, nach der letzten Gunst bei Frauen zu ringen. Gerade diese Zurückhaltung entzündete aber immer mehr die Glut im Herzen der jungen Frau. Das heftige Verlangen ging in stillen Schmerz über, in einen Unmut, der ihr ganzes Wesen durchdrang. Ihren Angehörigen, die es merkten, log sie vor, es sei die Furcht, kinderlos zu bleiben. Auch diese Lüge, wie alle ihre bisherigen, fand nicht allein Glauben, sondern wurde auch belobt. Sie war und blieb das Schoßkind der Eltern, mit denen das frühere kindliche Verhältnis merkwürdigerweise fortdauerte, und auch der Schwiegervater sah ihr ihre Wünsche ab. Um ihren angeblichen Kummer nicht zu mehren, ließ er ein Bild über ihrem Bette fortnehmen, welches er früher schalkhafterweise dahin gehängt hatte. Es war das Bild eines jungen englischen Mädchens, das recht oft anzusehen er ihr empfohlen hatte.

Im Winter 1807 zeigte sich die junge Frau zur unsäglichen Freude der Familie guter Hoffnung. Man trug sie auf den Händen. Mutter Timm, abergläubischer Natur durch und durch, ließ eine Kartenlegerin holen, um das künftige Schicksal der Tochter zu erfahren. Das dunkelgelbe Weib machte auf die Schwangere einen grauenhaften Eindruck. Sie wußte aber später nur, daß die Mutter von der Kartenlegerin viel Betrübendes erfahren habe. Vor ihrer Niederkunft nahm sie, seit sieben Jahren zum ersten Male, auch wohl nur aus abergläubischer Furcht, mit ihrer Familie das Abendmahl. Aller ihrer religiösen Floskeln ungeachtet war es zugleich das letztemal in ihrem Leben.

Die Mutter hatte in den Rock der Schwangeren eine wundertätige Wurzel genäht, auch ins Kopfkissen ihres Bettes Knoten geschlungen, eine Vorsicht, die sie später bei jedem Wochenbette in Anwendung brachte. So genas die Miltenberg denn im September 1807 leicht und in Gesundheit einer ersten Tochter, die den Namen Adelheid erhielt. Das arme Kind trug an seinem Leibe als Erbteil der ausschweifenden Lebensweise des Vaters die Spuren einer Krankheit, deren Ursache man zu verbergen suchte, indem man die Amme entfernte.

Die reine, natürliche Mutterliebe hat die Verbrecherin nie empfunden; es freute sie, Mutter zu sein, um der Zeichen von Teilnahme willen, welche sie in ihrem Wochenbett empfing. Jene Entdeckung vermehrte nicht ihr eheliches Glück, und die Aussicht, vor Ablauf von Jahresfrist aufs neue Mutter zu werden, stimmte sie sogar zum heftigsten Mißmut.

Doch hatte sich inzwischen statt des noch zaudernden Gottfried ein anderer Tröster eingefunden, abermals ein Weinhändler, abermals ein Freund von Miltenberg und jemand, den das böse Geschick in der Nähe des Miltenbergschen Hauses verkehren ließ. In der Biographie der Gottfried wird er in Berücksichtigung seiner noch lebenden Familie mit dem Pseudonamen Kassow aufgeführt. Kassow war verheiratet, Vater, nicht schön und mit einem starken Bauche ausgestattet. Aber er besaß Verführungskünste. Kaum daß es deren bedurft hätte, wenn ihm ein Blick in die Seele des erstrebten Gegenstandes gestattet gewesen wäre. Das Begehren war bei ihr da, eine heftige Neigung zu Gottfried: und Gottfried zauderte. Aufgeregt, erzürnt, ohne allen moralischen und religiösen Halt, hätte sich die getäuschte und verlangende Frau vielleicht einem jeden in die Arme geworfen, der sie ihr in stiller Heimlichkeit entgegengebreitet hätte, wohlverstanden aber einem jeden, dessen Neigung ihrer Eitelkeit schmeichelte, dessen Stand und Wohlstand sie über ihre Sphäre erhob. Die Miltenbergs, wenn auch wohlhabend, gehörten dem Handwerksstande an, Kassow war wie Gottfried ein Kaufmann; er liebte Lust und Aufwand und war ein jovialer Lebemann. Aber noch schützte das geistig schutzlose Weib wider ihren Willen die selbstgefertigte Maske von Tugend und Anstand. Alles kam Kassow zu Hilfe, und doch hielt er in seinen Angriffen zurück. Miltenberg war auch sein Busenfreund geworden, denn auch Kassow spendete aus dem Weinlager gegenüber, dessen Aufseher er war, an den durstenden Ehemann Flasche um Flasche. Miltenberg lud ihn täglich ins Haus; er mußte Beefsteaks und Hasenbraten bei ihm verzehren und brachte dafür Wein in der Tasche mit. Er konnte es wagen, der feinen Madame Miltenberg Geschenke mit Weinflaschen zu machen, die in der Regel ihr Mann leerte, welcher die Frau dann bat, sie möge Kassow nicht anders wissen lassen, als daß sie selbst den Wein ausgetrunken hätte. Kassow arrangierte Partien über Land, wobei die ländlichen Freiheiten benutzt wurden. Sie kam solcher Aufmerksamkeit mit allen ihr zu Gebote stehenden Mitteln entgegen. Geschenke und Briefe wurden später ein täglich angewandtes Mittel ihrerseits, sich die Freundschaft und Liebe ihrer alten und neuen Bekannten zu sichern. Sie schenkte Kassow eine Tuchnadel mit einer Haarlocke, wollte aber gern das Geschenk mit einigen bedeutungsvollen Worten begleiten. Nun war sie in der Kunst des Briefschreibens nicht geübt – auch später bediente sie sich der Hilfe von dem und jenem, denn sie hatte immer unsichtbare Vertraute hinter jeder Kulisse stehen –, Miltenberg aber war sehr geschickt darin, und sie übte den ersten ehebrecherischen Betrug, indem sie ihn ersuchte, für eine Freundin einen sinnvollen Brief aufzusetzen, die ihrem Freunde eine Tuchnadel schenken wolle. Der »sinnvolle« Brief lautet: »Nicht die Locke sei Ursache, daß Sie sich meiner erinnern; nein, das Gefühl für Freundschaft und Tugend mehre sich täglich in Ihnen, wie ich nie aufhören werde, mich zu nennen usw.«

Und doch, wunderbarerweise, gelangte Kassow noch immer nicht zu dem erstrebten Genuß. Eine zweite, zwar glückliche Niederkunft, aber mit einem toten Kinde, kam störend dazwischen. Die Miltenberg blickte mit Schaudern ihre Magerkeit an und fürchtete, daß ihr Ansehen bei den Leuten dadurch Einbuße erleiden möchte. Die Auspolsterung eines einfachen Kleidungsstückes könne, fürchtete sie, sich leicht verschieben und sie auf diese Weise entdeckt werden. Deswegen verfiel sie auf den Gedanken, sich Korsetts über Korsetts anzuziehen, was sicherer war und zugleich den Vorteil bot, daß, indem sie eins über das andere tat, der Schein einer natürlich anwachsenden Fülle ihres Körpers gewonnen wurde. Sie kam bis zur Zahl dreizehn! So glücklich fiel diese wie alle ihre betrügerischen Handlungen aus, daß es erst zwanzig Jahre später bei ihrer Gefangensetzung entdeckt wurde. Das Volk in Bremen schrieb damals diesen Korsetts eine magische Kraft bei. Die Gottfried habe sich mit ihrer Hilfe unsichtbar machen, ja fliegen können. Dennoch wurden bei der öffentlichen Versteigerung ihrer Effekten die siebzehn wohlerhaltenen Korsetts für ein paar Groschen verkauft; gewiß eine Merkwürdigkeit, da Englands reiche Kuriositätensammlungen der Stadt Bremen so nahe sind. Durch die naturwidrige ununterbrochene Einschnürung des oberen Körpers schadete sie nicht wenig ihrer Gesundheit.

Im Herbste desselben Jahres, nach ihrer zweiten Niederkunft, blühte das zarte Verhältnis zwischen ihr und dem Kassow wie vorher. Kassow hatte eine vorteilhafte Geschäftsreise nach Berlin vor; in der Stunde der Trennung, bei Punsch und Küssen, reifte die von beiden Seiten genährte Sünde zur Tat. Madame Miltenberg mußte sich um des Auslandes willen untröstlich stellen; aber Kassow beschwichtigte ihre Tränen durch das Versprechen eines schönen und großen Geschenkes, das er ihr aus Berlin mitbringen wolle, und niemand wußte um das Vorgefallene; also war alles gut.

Um diese Zeit erschien Gottfried wieder. Eine jährliche Geschäftsreise hatte ihn aus Bremen entfernt. Dieser Michael Christian Gottfried wird uns so geschildert: eine kerngesunde, kräftige Natur, leichten Blutes bei vollen Säften; zwar nicht schön, aber von keiner unangenehmen Gesichtsbildung, gewandt in seinem Benehmen, ein guter Tänzer, Reiter, Guitarrenspieler und Sänger, mit männlich kräftiger, klangreicher Stimme. Dagegen bezeichnen ihn seine nächsten Bekannten als einen gutmütigen, aber charakterlosen Menschen von verliebter Natur und ohne religiöse oder tiefere sittliche Haltung, obwohl als Eigenheit an ihm bemerkt wird, daß er seine Eroberungen beim weiblichen Geschlecht selten bis zum letzten Angriff ausdehnte, sich vielmehr vor dem Siege abwandte. Ihm war es mehr um ein eitles Spiel, um eine sentimentale Unterhaltung zu tun, was, wie man meinte, in einer phlegmatischen Organisation seines Körpers den Grund hatte. Den Mangel wahrer geistiger Vorzüge verdeckte seine Jovialität, ein gewisser Grad äußerer, doch nur im geselligen Verkehr glänzender Bildung, welche er seinen Reisen und seiner Belesenheit verdankte. Er besaß eine elegante Bibliothek der damaligen Klassiker von Kotzebue und Lafontaine bis zu Klopstock hinauf, auch geistliche Morgen-und Abendopfer darunter; nur vermissen wir in dem uns mitgeteilten Verzeichnisse, merkwürdig genug, Goethes Werke, wogegen eine Menge Gedichte und Liedersammlungen vorkommen, durch seine große Liebhaberei für Gesang und gesellige Freuden erklärt. Gottfried war in dieser Beziehung selbst Schriftsteller und hat zwei Sammlungen Lieder mit Gesängen herausgegeben. Seine »Blumenkränze geselliger Freude« (Bremen 1808) haben sogar vier Auflagen erlebt. Seine »Blumenlese« (Bremen 1816) ist vergriffen.

Der alte Miltenberg hatte sein Haus dem Sohne übertragen. Es wurden die Zimmer darin an einzelne Herren vermietet; ein Umstand, der nicht wenig zum verbrecherischen Entwicklungsgange der gefallenen Frau beitrug. Der Zufall wollte, daß Gottfried bald ausziehen mußte, und Miltenberg nahm ihn in sein Haus auf, ja er gab ihm die Vorderstube, welche bis da seine Frau bewohnt hatte, natürlich mit deren voller Einwilligung. Gottfried ging ein, aber – in keiner verbrecherischen Absicht. Er hatte von Kassows Verkehr mit der Miltenberg gehört und strebte jetzt noch weniger nach dem verbotenen Gute. Ihm war nur die Aufmerksamkeit der schönen jungen Frau schmeichelhaft; zudem liebte auch er auf fremde Kosten zu zehren und zugleich ein gemütliches häusliches Leben, ohne dafür viel auszugeben. Beides fand er bei Miltenberg; er war in den Schoß der Familie aufgenommen, verbrachte dort die Abende, aß an ihrem Tische und gab die Klubs und Wirtshäuser auf. Durch seine Aufmerksamkeiten gegen die schöne Frau, indem er ihr Serenaden brachte, ihr Blumenbrett schmückte, den kleinen Garten bestellte, suchte er es zu vergelten. Er verführte nicht, er ward verführt.

Die junge Frau hielt es für dienlich, in Schwermut zu verfallen, sie klagte über ihren rohen Mann, der sie stets verlasse, und daß er, wie ihr Gemüt, auch ihre Kasse leer lasse. Gottfried war leicht zu rühren; er schenkte ihr nicht allein Mitleid, sondern gab ihr auch dann und wann ein Darlehn zur Bestreitung ihrer angeblich nötigsten Bedürfnisse für die Haushaltung. Es bestand also schon ein Geheimnis zwischen Frau und Freund. Die Musik wurde zur Zwischenträgerin ihrer Gedanken. Er sang abends vor ihrem Fenster »Beglückt, beglückt, wer die Geliebte findet«, »Wen ich liebe, weiß nur ich«, »Süßer Traum, wie bald bist du entschwunden«, »Weine nicht, es ist vergebens« und »Das Grab ist tief und stille«, und Madame Miltenberg netzte, wenn sie sich niederlegte, ihr Lager mit Tränen. Einsame Spaziergänge folgten, ein erster Kuß an einem alten steinernen Kreuze, und das gemeinschaftliche Besitztum schien vollkommen angedeutet, wenn Miltenberg beim Nachhausekommen mit seinem Busenfreunde Gottlieb diesen fragte: »Was mag wohl nun unsere kleine Frau machen?«

Da kam Kassow aus Berlin zurück, brachte der Geliebten ein Geschenk von zehn Louisdor und forderte seine alten Rechte, welche sie ihm aus fortgeschrittener Lasterhaftigkeit oder aus Furcht nicht versagte. Diese letztere wuchs in ihr mit der Zahl und Größe ihrer Verbrechen. Ihr kam es also vor allem darauf an, daß weder Gottfried von ihrer Vertraulichkeit mit Kassow, noch Kassow etwas von der mit Gottfried erfahre. Beides gelang ihrer Verschmitztheit und Verstellungskunst bis zum Tode beider Männer. Nur einmal, als Kassows Eifersucht rege geworden war, kam es bei einem Tanzfest zu einem ärgerlichen Auftritt, indem jener, betrunken, der Miltenberg den Halsschmuck, den er ihr geschenkt hatte, entreißen wollte. Gesina übte seitdem die Vorsicht, nie einen öffentlichen Tanz zu besuchen.

Kassow hatte sich bei den alten Timms einzunisten gewußt, er ward ein Hausfreund, brachte dann und wann auch dorthin eine Flasche Wein und lieh ihnen Geld, mit dem sie die Schulden ihres ausschweifenden Sohnes bezahlten. Wohl hob die alte Timm drohend den Finger: »Hör’ mal, Miltenbergin, das geht nicht mit der Freundschaft von Kassow!« Aber es geschah nur in freundlicher Art, gewissermaßen in der Erwartung, daß die Tochter sie beruhige, und ohne den geringsten Argwohn, daß es bereits zum ärgsten gekommen sei. Die Eltern hielten nach wie vor ihre Tochter für ein Musterbild von Tugend und fingen nun auch an, sie zu beklagen und ihr ihr volles Mitleid zu schenken, als jene es jetzt für dienlich zu ihren Plänen hielt, ihren Mann aufs schlimmste zu verleumden.

Daß er arbeitsscheu war und seine Vermögenszustände verfielen, war ihnen bekannt. Auch seine Saufereien, seine Spiele und seine Liederlichkeit waren nur zu sehr stadtkundig; aber sie log auch, daß er sie aufs grausamste mißhandle, wenn sie nicht stets für die feinste Tafel sorge, und er lasse es ihr doch stets am nötigen Gelde dazu fehlen. Um seiner Brutalität zu entfliehen, habe sie einmal eine ganze Nacht in einem Kutschkasten zubringen müssen. Kurz, sie müsse namenlos leiden; aber sie sei fest entschlossen, still und gelassen alles zu dulden, und beschwor ihre Eltern, ebenfalls zu schweigen.

So erschien die Ehebrecherin und Betrügerin als eine Märtyrerin und Heilige. Das angeregte Mitleid trug reiche Früchte. Eltern und Liebhaber beschenkten sie, und während sie selbst Wirtschaftsstücke heimlich verkaufte, klagte sie noch ihren Mann deshalb an. Und dieser selbe Mann, so lasterhaft sonst sein Leben sein mochte, war ihr gegenüber gerade um jene Zeit der liebevollste, gefälligste Gatte.

Gesina brauchte allerdings Geld, da die Vermögensumstände ihres Mannes immer verworrener wurden; sie brauchte das Geld zum Putz und zur Befriedigung ihrer eitlen Wünsche, aber schon jetzt fing auch ihre Großzügigkeit im Geschenkemachen und Wohltun an. Ihre Dienstboten kannten keine leutseligere, freigebigere Herrin. So gab sie sich, um sich Freunde und einen guten Ruf zu verschaffen; vielleicht aber auch zur Beschwichtigung ihres Gewissens. Später wurde dies ein bewußtes Prinzip.

Im Jahre 1810 genas sie nach einer dritten Niederkunft so leicht wie früher eines wohlgebildeten Knaben, der den Namen Heinrich erhielt. Man flüsterte, daß Kassow sein Vater sei.

Gesina blühte wieder und – brauchte wiederum Geld. Von der Verleumdung zur Beraubung ihres Mannes war nur ein Schritt. Sie ließ unter einem Vorwande durch den Schlosser das Pult desselben öffnen, entwendete zehn Taler, und die nicht entdeckte Tat lockte zur Wiederholung, Miltenbergs Kasse war nur klein, Ihr Mieter Th… mußte viel Geld haben. Bei dem Versuch mit einem kleinen Schlüssel öffnete sich sein Pult, und sie hielt zu ihrem eigenen Schrecken einen Beutel mit neunzig Talern in den Händen. Das schien der Anfängerin im Diebstahl zu viel; sie hätte wohl die Hälfte zurückgetan, fürchtete aber, der Schlüssel möchte brechen. Bei der der Entdeckung folgenden allgemeinen Aufregung bewährte sie ihre Meisterschaft in der Verstellungskunst.

Sie brauchte immer neues Geld. Jetzt lieh sie im Jahre 1812 von einem Bekannten eine Summe, vorgeblich um ihren armen Bruder in der Fremde zu unterstützen. Es ward vergeudet, und als es wiedergezahlt werden sollte, mußte der Mann dafür aufkommen, der ihr verzieh. Sie bog sich einen Dietrich zurecht, erbrach das Pult ihres eigenen Geliebten Gottfried und nahm daraus etliche zwanzig Taler. Gottfried geriet in Feuer und Flammen; die Miltenberg aber war am aufgebrachtesten, sie wollte nicht ruhen, bis der schändliche Dieb entdeckt wäre, und ließ gegen einen Lehrling und eine Wärterin Verdacht fallen. Die Untersuchung, bei der sich beide Angeschuldigte heftige Vorwürfe machten, gab zu öffentlichen Auftritten Anlaß, welche für die Verbrechcrin nicht schmeichelhaft waren, und wobei ihr Verhältnis zu Kassow zur Sprache kam. Es gereichte ihr zur neuen Warnung, auch in ihren Liebeshändeln noch vorsichtiger zu sein.

Im Oktober 1812 hatte sie ein Kind geboren, welches bald darauf starb; im Januar 1814 kam wieder eine Tochter zur Welt, deren Züge, je mehr sie sich ausprägten, Gottfried als Vater zu bezeichnen schienen.

Inzwischen hatte sich, nachdem Kassow sich mehr und mehr zurückgezogen hatte, die Leidenschaft für Gottfried zu wilder Gier gesteigert. Miltenberg, infolge seiner Ausschweifungen mit einem neuen Schaden behaftet, wankte als ein siecher Schatten umher. Um seinen hinkenden Gang zu rechtfertigen, hatte man ausgesprengt, es sei ihm ein schwerer Kutschkasten auf den Leib gefallen. Dieser elende Mann war das einzige Hindernis zu dem heißersehnten Glück, das die Phantasie seiner Frau im Besitze Gottfrieds erblickte. Die Miltenberg fing an, ihren Ehemann zu hassen. Er ward bei den Eltern aufs neue verklagt und verleumdet. Unter verschämten Tränen vertraute sie ihnen die Schande und gab zu erkennen, daß es auf Erden kein zweites so unglückliches Geschöpf wie sie gäbe. Die tiefgerührten Eltern sahen ihre Tochter bereits mit zerrütteter Gesundheit am Bettelstabe; sie klagten sich als die Stifter dieser Ehe, also als Urheber des namenlosen Unglücks an. Sie verhehlten nicht, daß sein Tod für ihn selbst wie für die Seinigen das wünschenswerteste Ereignis sei. Aber der alte Timm fühlte sich auch gedrungen, alles mögliche zu tun, dem Übel abzuhelfen. Er drang darauf, daß seine Tochter eine vom Manne abgesonderte Schlafstelle einnahm; er sann darüber nach, wie es zu verhindern wäre, daß Miltenberg neue Schulden mache und auf sein Haus eintragen lasse. Miltenberg ließ sich in seiner physischen und moralischen Schwäche alles gefallen, und schon sollte deshalb mit dem alten Miltenberg eine Vereinbarung getroffen werden, als dieser am 2. Januar 1813 plötzlich starb.

Es war ein natürlicher Tod: aber Gesina lernte am Sterbebett des Alten zuerst den Tod kennen. Sie ging im Dunkeln zur Leiche hinauf, drückte ihr die Hand, daß alle sich verwunderten, und hatte nicht die mindeste Furcht vor ihr. Dagegen sah sie in ihrem Manne, der sich, den Stachel seines unseligen Lebens im Herzen, die Bürgschaft des Todes in Mark und Beinen, in düsterer Melancholie mit seinenm Dasein quälte, eine wandelnde Leiche. Nur zuweilen erleichterte ein Strom heißgeweinter Tränen seine Brust. Der Wahn, daß sein Leben zu nichts nütze sei als zu seiner eigenen Qual, und daß es eine Wohltat für ihn selbst werde, wenn er davon befreit würde, ward durch eine eigene Äußerung Miltenbergs bestärkt. Als man von einem unheilbaren Anverwandten sprach, sagte er: »Was sind das für Ärzte, daß sie ihm nicht ein wenig nachhelfen. Ihm ist ja doch mit seinem Leben nicht gedient.«

Eine Wahrsagerin hatte seiner Frau um diese Zeit die Verheißung gegeben, ihre ganze Familie werde aussterben und sie allein übrigbleiben, um dann sehr gut leben zu können. Nun faßte der Glaube an die Notwendigkeit, daß ihr Mann sterben müsse, immer fester in ihr Wurzel. Sie wünschte seinen Tod und war entschlossen, nachzuhelfen.

Da fiel ihr ein, daß ihre Mutter früher wohl zur Vertilgung der Ratten und Mäuse Gift gelegt hatte, und daß auch wohl Menschen daran sterben möchten.

Der Gedanke durchzuckte sie so angenehm, wie wenn man ein Rätsel löst; es war dieselbe befreiende Empfindung, die sie bei der Öffnung der verschiedenen Kassen gehabt hatte. Gift sollte ihr zu ihrem Glück helfen, und der erste Gedanke wurde Entschluß.

Sie klagte ihrer Mutter Ende Juli, daß sie in ihrer Bettkammer oben Mäuse hätte: ob sie wohl Rat dafür wüßte? Die Mutter brachte kleine Stücke Schwarzbrot, auf die Arsenik gestreut war, und legte sie oben in die Kammer. »Sei vorsichtig um Gottes willen, daß keins von den Kindern hinauf geht, ‘ist Gift.« Einige Tage nachher ging Gesina hinauf, kratzte das Gift mit einem Messer von den Butterbroten, doch so, als hätten es die Mäuse abgefressen, und nahm es mit hinunter, um es Miltenberg zu geben. Aber »sie kann nicht dazu kommen, wird ängstlich« und legt das Gift in Papier gewickelt in ihre Kommode. Die Mutter will einige Tage später hinaufgehen und nachsehen, ob die Mäuse dagewesen sind. Schnell erwidert die Tochter: »Sie haben alles aufgefressen«, und bittet sie, noch etwas zu bringen, was auch geschieht.

Mehrere Wochen noch kämpfte sie mit sich selbst. »Endlich an einem Morgen fasse ich den schrecklichen Entschluß und gebe meinem Mann auf seinem Frühstück etwas davon ….« Miltenberg ging darauf hinaus. Sie geht hinauf und tritt ans Fenster und denkt: »Wenn er nun mal unterwegs stirbt, und sie bringen dir ihn tot zurück!«

Miltenberg kam blaß nach Hause, ging zu Bett, stand zwar am nächsten Tage wieder auf, mußte sich jedoch wieder zu Bett legen, Nachdem er acht Tage bettlägerig gewesen war, wankt er an einem Stocke die Treppe herunter, zeigt seiner Frau einen Wagen, den er selbst verfertigt hatte, und spricht: »Wenn ich sterbe, verkaufe den, und laß mich davon beerdigen,«

Vier Tage vor seinem Tode gab sie ihm noch einmal in einer Krankensuppe Gift.

Die letzten vier Tage konnte sie sich nicht mehr seinem Bette nahen. Nicht aus Rührung oder Gewissensbissen: es war ihr nur immer, als ahne sie, daß er es wisse. Sie blieb an der Türe stehen. Einmal glaubte sie, er werde aus dem Bette springen und sie schlagen.

Als Gottfried mehrere Tage vor Miltenbergs Tode nach Oldenburg reisen mußte, sagte der Kranke zu ihm: »Gottfried, lebendig findest du mich nicht wieder, wenn du zurückkommst, Ich weiß, du hast mit meiner Frau zu tun gehabt; ich vergebe dir gern. Versprich mir, sie nicht zu verlassen, und nimm dich der Kinder an,«

Am 1. Oktober 1813 stiegen die Leiden des Unglücklichen unerhört. In seinem Schmerze krümmte und wälzte er sich, flog oft hoch in die Höhe und schrie wie rasend. Gesina ließ sich am Sterbebette nicht sehen. Etwa eine Stunde vor dem Tode rief man sie; sie kam nicht. Er verschied unter lautem Brüllen. Da erst trat Madame Miltenberg in der vor dem Spiegel vollkommen fertig einstudierten Rolle einer untröstlichen Witwe an das Lager des Verblichenen.

Es war ihr gelungen. Kein Mitleid, keine Neue, keine Gewissensbisse, die Frucht der ersten Tat war für ihre Seele keine andere, als daß sie gelernt hatte, wie man an Gift stirbt, und daß man die Portion größer machen müsse als diesmal, wenn man schneller damit zum Ziele kommen wolle.

Nur ein Schrecken bemeisterte sich ihrer. Sein Leib war hoch aufgeschwollen, der ganze Körper voller Flecken. Da bekam sie einen schrecklichen Frost. Sie hatte Angst, daß ihre Mutter Verdacht schöpfen könnte. Aber diese sagte nur zum Tischler, er möchte den Sarg gut mit Pech anmachen; sie befürchte, der Körper möchte bersten. Daß der Sarg ordentlich verpicht wurde, gereichte der Witwe zum wahren Herzenstrost; aber beim Zunageln beschlich sie noch einmal ein Gefühl der Angst, denn sie glaubte, der Mann könnte von dem Klopfen wieder erwachen.

In Bremen war es Sitte, daß ein Kirchhof nach dem Namen des zuerst darauf Beerdigten genannt wurde. Der Kirchhof vor dem Heldentore war eben erst angelegt worden, und die Witwe schwebte in großer Angst, daß Miltenbergs Leiche ihm für alle Zukunft den Namen geben und ihr das Gedächtnis des Toten zurückrufen werde. Zu ihrer Beruhigung ward indes Miltenberg als Zweiter begraben. Keine Blume ward auf sein Grab gepflanzt.

Gottfried kam von der Reise zurück, als die Leiche noch über der Erde stand; in schonender Achtung lenkte er sein Pferd um und schlich zu Fuß in das Haus. Anders benahm sich eine schwangere Weibsperson, die an Miltenberg Rechte zu fordern hatte. Vier Wochen lang kam sie in den Hof und schrie unter den Fenstern, wenn das Kind zur Welt komme, wolle sie es ins Haus schmeißen.

»Jetzt will ich mich deiner annehmen! Du hast nach deiner Eltern Willen geheiratet«, so sprach der alte Timm zur Tochter und hielt redlich Wort. Im schlechtesten Rock, den ältesten Hut auf, ging er mit einer Schrift bei allen Gläubigern Wittenbergs umher und akkordierte mit ihnen. Das bare Geld in der Tasche und seine Versicherung, wie schlecht es mit dem Nachlaß bestellt sei, wirkten; er konnte sich eines Tages erschöpft auf einen Stuhl niederwerfen und sprechen: »Miltenbergin! nun bist du schuldenrein!« Er ordnete ihre Wirtschaft, verschaffte ihr tüchtige Gesellen, kaufte Vorräte zum Geschäft, und sie betrieb es zuerst mit Eifer. Gottfried rekommandierte sie überall, sie konnte auf Borg holen, und sie war ganz zufrieden. In Wirklichkeit war sie ja durchaus nicht insolvent, im Gegenteil, sie war eine reiche Witwe.

Von jetzt ab teilte sie ihre ungestörte Liebe zwischen Gottfried und dem wieder erscheinenden Kassow. Mit letzterem führte sie ein buhlerisches Leben außer dem Hause. Gottfried betrachtete sich mehr als gemütlichen Freund, der durch Galanterie, Aufmerksamkeiten aller Art und eine herzliche Unterhaltung die junge Witwe zu trösten suchte. Die Kinder liebten ihn als ihren Vater, krochen in sein Bett, und wenn er kam, brachte er Geschenke; aber er hielt sich in einer scheuen Entfernung, welche die Leidenschaft der Liebenden unbefriedigt hielt.

Als ein Beweis der ungeheueren Selbstsucht der Verbrecherin und dafür, daß sie sich für nichts interessierte, was nicht zu ihrem Wohlleben beitragen konnte, wird angeführt, daß sie von den gewaltigen Weltereignissen jenes Jahres (1813) später nicht die Spur mehr wußte und sich nur noch der großen Freude entsann, die ihr ein Erlaß von fünfunddreißig Talern gewährte, welche sie von seiten der Einquartierungskommission zurückerhielt.

Ihr ältester Geselle, ein geschickter junger Mann, hielt bald um die Hand der jungen Witwe an. Alles sprach für ihn, die Kinder liebten ihn. Sie lehnte höflich den Antrag ab, und der Geselle verließ bald nachher die Werkstatt; doch – um wieder zu kommen. Es schmeichelte der Eitelkeit der Miltenberg – weiter wollte sie hier nichts, und der Antrag ward im Vertrauen Bekannten und Freunden mitgeteilt. Gottfried soll darauf geantwortet haben (wir wissen es nur aus den Geständnissen der eitlen Verbrecherin): »Wenn ich das noch erlebte, daß du dich verheiratetest, die Kugel ginge durch meinen Kopf.« Die Mutter aber sagte ihr: »Nicht wahr, du liebst Gottfried? Mit unserem Willen wirst du nie mit ihm zusammenkommen« – ein Motiv zum späteren Elternmorde.

Wir wissen von ihrem Gemütszustande um diese Zeit mit Bestimmtheit, daß auch keine Regung von Gewissensbissen sich zeigte. Alle ihre Gedanken waren, sowie die Furcht vor einer Entdeckung beseitigt war, nur auf ihr Ich gerichtet. Dagegen stellten sich jetzt zum ersten Male Visionen ein, welche in ihrem späteren Leben, und namentlich im Gefängnis, eine bedeutende Rolle spielten. Als hätte es eine äußere Geisterwelt, eine Naturkraft übernehmen müssen, die verhärtete Stimme der eigenen Brust zu ersetzen, stiegen sie nicht wie Traumgebilde auf, die von der inneren Seelenangst geboren werden, denn die Miltenberg erfreute sich nach allen ihren Verbrechen des ruhigsten und süßesten Schlafes; sondern wenn sie wachte, von außen traten sie ihr entgegen.

Sie erzählte selbst viel darüber. Einmal – einige Wochen nach Miltenbergs Tode – stand sie vor ihrer Stube: »Es war Abend und auf der Diele finster. Auf einmal sah ich ein hellbrennendes Licht, ganz niedrig an der Erde, die Hausdiele heraufschweben, bis vor meine Hinterstube. Da verschwand es.« Drei Abende wiederholte sich das. Ein andermal kann sie sich gar nicht die Diele herunterfinden. »Und wie ich in die Höhe sehe, kommt mir eine große Wolke entgegen. Ach, denke ich, das ist Miltenbergs Erscheinung.«

Wenn man fragt, wie es der Verbrecherin möglich wurde, so vielfachen Betrug, solche scheußliche Verbrechen zu begehen und dabei ihr Scheinleben unter Beobachtung so vieler Augen fortzuführen, ohne eine Unterstützung als ihre Schlauheit, so wird uns darauf geantwortet, es sei ihr deswegen leicht geworden, da dieses Leben sich immer nur in dem engen, sich gleichbleibenden Kreise bewegte, wo sie die Personen, die ihre Welt ausmachten, kannte und die Art, sich zu ihnen zu stellen; genau studiert hatte. Gesellschaften wurden nicht gehalten; sie verkehrte nur mit Verwandten und Freundinnen, die sie weit übersah, und mit untergebenen Personen, deren Urteil, wenn eins hätte da sein können, durch den höheren Stand der Madame oder durch die feste Überzeugung von deren Herzensgüte geblendet war. Um Ostern 1814 aber bekam sie eine erste Vertraute in ihrem neuen Dienstmädchen, Beta Cornelius. Nicht daß Beta die Mitwisserin ihrer Greueltaten wurde und ihr dabei half, denn sie war ein braves, gottesfürchtiges Mädchen von argloser Gutmütigkeit, Anhänglichkeit, Fleiß und einer anspruchslosen Bescheidenheit; aber sie war das treueste und verschwiegenste Geschöpf, welches, ohne zu fragen, im guten Glauben für ihre Herrschaft alles tat und dabei eine seltene, unverbrüchliche Verschwiegenheit beobachtete. Beta tat aber nicht allein alles, was die Herrin sie hieß, sie betete diese auch an, da sie die Überzeugung hatte, daß es keine gutherzigere, liebevollere und bessere Herrschaft in der Welt gäbe. Eines solchen Wesens bedurfte das auf den feinsten Selbstbetrug raffinierende Gewissen der heuchlerischen Verbrecherin.

Gottfried, wie liebevoll er auch war, wie nahe sie es ihm auch legte, zeigte durchaus noch keine Absicht, um ihre Hand zu bitten. Miltenberg stand ihm doch nicht mehr im Wege. Also mußte er einen anderen Grund haben: ihre Kinder und ihre Eltern! Ihre Phantasie spiegelte ihr nun immerfort die Schlüsse vor: Wären deine Eltern nur nicht dagegen, brauchtest du nur das Vermögen nicht mit deinen Kindern zu teilen, besäßest du sogar deren vom Großvater erwartetes Vermögen – dann würdest du Gottfrieds Frau!

Sie, die niemand liebte, betrachtete schon längst ihre Eltern trotz des Übermaßes von Güte, mit der sie die Tochter überschütteten, als lästige Zwischenpersonen. Aber auch auf die Kinder hatte sie schon verdrießliche Blicke geworfen. Tagelang schickte sie die Kinder aus dem Hause, damit Gottfried nicht an ihr Dasein erinnert werde. Selbst die nachteiligen Reden der Nachbarn und Bekannten vermochten nichts dagegen.

Um zur Gräfin von Orlamünde zu werden, fühlte sie, daß es noch eines Impulses bedürfe. Sie wünschte schon damals vom Schicksale einen Wink zu erhalten, selbstbetrügerisch durch irgend etwas von außen her sich bestimmen zu lassen. Sie wandte sich wieder an die Kartenlegerinnen und befragte wenigstens vier derselben nacheinander. Indem sie ihnen die geheimen Wünsche ihres Herzens verriet und ihnen so das Wort in den Mund zu legen wußte, erhielt sie von allen dem Sinne nach denselben Ausspruch, daß ihre ganze Familie aussterben und sie ganz allein übrigbleiben werde, um dann im Überfluß leben zu können. Zugleich arbeitete sie aber mit scharfblickender Voraussicht auf die Zukunft hin, indem sie es sich angelegen sein ließ, daß diese Prophezeiungen unter den Leuten bekannt würden. Wenn es dann so kam, so geschah nichts anderes, als was die klugen Frauen längst vorausgesagt hatten, und die Möglichkeit, daß sie ein Verdacht treffen könne, wurde mindestens weiter entfernt. Dies schlaue Verfahren ist durch vielfache Zeugenaussagen außer Zweifel gesetzt.

So mit dem festen Entschluß zur Tat gerüstet, erwartete sie nur die Gelegenheit zur Ausführung. Es war ihr sehr willkommen, daß ihre Eltern öfters schon ihres Todes gedachten und die Mutter den Wunsch aussprach: »Das wünsche ich mir, Alter, vom lieben Gott, daß ich dich, wenn du einmal stirbst, nicht länger als acht Tage überlebe.«

Die alte Timm erkrankte wirklich: eine Hoffnung für die Miltenberg, daß sie diesmal das Gift sparen könne. Aber trotz ihrer vierzehntägigen Pflege starb die Mutter nicht! Der alte Timm hatte inzwischen sein Haus an den Tischler Bolte verkauft. Während der Unruhe des Einziehens läßt sich die schwache Alte in das Haus der Tochter tragen, um dort ihre Gesundheit wiederzugewinnen. Liebevoll und mit kindlichster Herzlichkeit wird sie in dem schönen neutapezierten Zimmer aufgenommen, das der alten Bürgersfrau viel zu prächtig dünkt. Mutter und Tochter scherzen darüber. »Mutter, du mußt denken, du bist im Kindbett«, sagte die letztere, und die Mutter lächelte herzlich.

Drei Tage nachher will die Miltenberg angeblich etwas Kleidung für die Mutter aus deren Hause holen, da sieht sie ein Papier, mit Zwirn zugebunden, und darauf geschrieben: »Rattenkraut«; es war ihr, »als sei es ihr absichtlich in den Weg gelegt worden«, und die Nacht konnte sie nicht schlafen vor dem Gedanken: »Wenn du nun keine Eltern hättest, so könnte dich doch niemand hindern!«

Nach drei Tagen besserte sich der Zustand der Mutter. Die Unruhe der Tochter wuchs. Sie ging wieder hinüber zum Schrank und holt sich in Papier – ein wenig aus dem Pakete. Aber wiederum verstreichen acht Tage. Die Mutter fällt so oft zurück, und es ist doch vielleicht nicht nötig, von dem Gift Gebrauch zu machen. Bald aber wurde ihr sichtlich wohler. Da trat einmal ihr Enkel Heinrich mit der Frage ans Lager: »Großmutter, ist es wahr, daß dem Kinde, welches nicht gut an seinen Eltern tut, die Hand aus der Erde wächst?« Der Miltenberg schnitt das Wort durch die Seele; aber statt sie vom Vorsatz abzumahnen, bestärkte es ihn. Noch an demselben Tage – es war ein Sonntag – rührte sie das Arsenik in ein Glas Limonade, das Lieblingsgetränk der Alten.

Die Verbrecherin bekannte: »Denken Sie, während ich das Gift einmache, gibt mir der liebe Gott ein herzliches, lautes Lachen ein, daß ich erst noch selbst davor erschrak. Aber gleich besann ich mich, dies gäbe mir der liebe Gott ein zum Beweise, daß die Mutter nun bald so im Himmel lachen werde.«

Als die Mutter das Gift schon getrunken hatte, flogen auf einmal drei Schwalben zur Stubentür herein und setzten sich auf die Krone des Himmelbettes. Die Miltenberg erschrak, ihre Knie zitterten. Sie dachte, das bedeute den ankommenden Tod. Aber die Mutter sagte ganz ruhig: »Süh mal, die lüttge Vogels!« Schwalben kamen nie sonst, nach der Miltenberg Versicherung, in ihr Haus, noch nisteten sie auf dem Hofe.

Das Gift wirkte. Schon Tags darauf verlangte die Mutter nach dem Abendmahl und erhielt es. Sie ordnete ihre kleinen Dinge an. Dem Ehemann drückte sie die Hand und sprach: »Wenn ich noch etwas erflehen darf: daß du mir bald folgst.« Der Timm antwortete: »In zwei Monaten bin ich bei dir«, und er verließ das Zimmer. Zur Miltenberg sprach sie darauf: »Wenn dein Bruder als Krüppel kommt, pflege seiner«, und hob beide Arme gen Himmel: »Ach könnte ich doch alle meine Kinder mitnehmen.« Erschöpft davon ruhte sie, schien am nächsten Morgen ganz wohl, verschied aber in der Frühe, noch ehe der alte Timm von drüben kam.

Bei der Leiche ihrer Mutter war die Miltenberg besonders ruhig. Eine Zeugin sagt sogar, sie sei lustig gewesen.

Den Tag nach der Beerdigung der Mutter (10. Mai) befand sie sich in dem Hinterzimmer mit der fünfvierteljährigen Johanna, ihrer jüngsten Tochter, allein. Das schien ihr die gelegenste Zeit, und Johanna war auch das in ihrem Verhältnis zu Gottfried hinderlichste Kind. Ohne Zaudern reichte sie der Kleinen ein Stück Kuchen von der Begräbnisfeier und darauf Arsenik, mit Butter festgeschmiert. Das Kind ward alsbald unwohl, Gottfried erquickte es mit Wein und Wasser, und es ward ruhiger. Er ging um zehn Uhr zu Bett. »Als es elf schlägt, sehe ich, in die Wiege – ach Gott! da war sie tot!« Bei Johannas Ermordung, sagt die Miltenberg, habe sie einen großen Schreck gehabt. Dieser, wie alle ihre Gefühle, lief aber nur auf den Gedanken hinaus: »Sollte dein Vater auch wohl etwas merken, daß du das Arsenik genommen hast?«

Ihr Schreck galt wohl nur der Überraschung, daß das gefährliche Stück so leicht von der Hand gegangen war. Es lachte in ihr auf zum Fortfahren.

Adelheid, ihr ältestes Kind, gewöhnlich Adeline genannt, war seit acht Tagen krank gewesen; aber es täuschte die Hoffnung der Mutter, daß es von selbst sterben werde. Als sie Adeline so unerwartet genesen sah, gab sie ihr auch von dem Butterkuchen mit Gift, und das Kind starb nach einigen Tagen am 18. Mai. Im Todeskampfe umklammerte es die Mutter, aber diese blieb ruhig dabei.

Das oben erwähnte Porträt, das englische Mädchen, welches der alte Miltenberg seiner Schwiegertochter schalkhafterweise über das Bett gehängt hatte, hatte eine auffallende Ähnlichkeit mit Adelinens Gesichtszügen gehabt. Jetzt holte die Mutter dieses Bild unter Tränen hervor, ließ einen schönen Rahmen darum machen, hing es auf und nannte es ihre Adelheid.

Der alte Timm, der fast täglich das Grab seiner Frau besuchte, hatte den Schmerz gehabt, auch dem Leichenbegängnis zweier Enkel folgen zu müssen. »Bei deinem dritten Kinde ist dein Vater nicht mehr da«, sagte er zur Tochter, und sie nahm es als Aufforderung des Schicksals. Zwei Wochen nach Adelinens Tode, an einem Sonntagabend, gab sie ihm eine ihren Zwecken entsprechend zubereitete Suppe. »Wenn du mich so pflegst, wirst du deinen Vater noch lange behalten«, sagte er, indem er die Suppe verzehrte. Sie erschrak und brachte den Vater nach Hause. In der Nacht entkleidete sie sich nicht, in der Erwartung, jeden Augenblick gerufen zu werden. Um vier Uhr morgens wird auch wirklich ans Haustor geklopft, ein Bote vom Tischler Bolte meldet, der alte Herr sei niedergefallen und verlange nach der Tochter; der Vater wünsche, daß seine Miltenbergin nicht mehr von ihm gehe. Er litt nach den Zeugenaussagen entsetzlich. Zwei Frauen bekunden, daß die Tochter dabei froh, ja lustig gewesen sei. Möglich, daß die spätere moralische Entrüstung die Erinnerung der Zeugen färbte, möglich, daß es geschah, um den Vater zu beruhigen; fast wäre die Heuchlerin zu sehr aus ihrer Rolle gefallen. Sie entsann sich, daß Wasser und Wein ihre Johanna ruhig gemacht hatten, sie holt es; als sie wiederkommt, sitzt der Vater an der Erde. Nachdem er eine Tasse Wein getrunken hat, redet er irre, phantasiert von der seligen Frau, die er auf seinem Bette sitzen sieht, ordnet noch verschiedenes an und stirbt darauf am 28. Juni.

Diese vier Vergiftungen gingen ohne allen Verdacht ab. Kinder sterben leicht hin. Die alten Leute hatten längst ihr Ende erwartet. Auch des Vaters Tod hatte nicht die geringste Gemütsbewegung bei der Mörderin veranlaßt, und sie entsann sich später kaum der Umstände, wie der Vater beerdigt wurde.

Ein einziges Kind, der fünfjährige Heinrich, war noch übrig. »Mutter, warum nimmt dir der liebe Gott alle deine Kinder?« fragte sie das Kind: ein Dolchstoß in ihr Herz, eine Mahnung, auch an die Wegräumung dieses letzten Hindernisses zu schreiten.

Sie gibt ihm Gift. Er richtet sich am zweiten Tage ängstlich in die Höhe. Da ergreift sie – zum ersten Male – Angst. Sie ruft ihre Beta, geschwind Milch zu bringen, »Ach, wenn in dem Augenblicke eine fremde Person bei mir gewesen wäre, so hätte ich mich ja verraten! Denn Milch soll ja Gegengift sein!« Das waren ihre Reflexionen über den Mord ihres letzten Kindes. Ob sie ihm wirklich Milch gegeben hat oder nicht, war ihr nicht erinnerlich. Der kleine Heinrich phantasierte auf seinem Krankenlager: »O Mutter, wie lacht Adelheid! Da steht sie auf dem Ofen …. Da steht mein Vater …. Bald bin ich im Himmel.«

Unter unsäglichen Schmerzen starb der Knabe am 22. September. In fünf Monaten, vom Mai bis September 1815, hatte die Miltenberg ihre beiden Eltern und ihre drei Kinder ermordet.

So viele Todesfälle in so kurzer Zeit hintereinander waren doch auffällig. Ihre Tränen, ihre frommen Sprüche vom Anbeten der dunklen Wege der Vorsehung konnten nicht allen Verdacht abwenden. Es verbreitete sich das Gerücht, es könne mit den Todesfällen im Miltenbergschen Hause nicht mit rechten Dingen zugehen. Die Freundinnen teilten das Gerücht der Witwe mit und verlangten, daß sie, um die schändliche Nachrede niederzuschlagen, die letzte Leiche sezieren lasse. Mit vollkommner Ruhe kam sie dem Wunsche entgegen. Die Leiche ward in Gegenwart vieler Zeugen vom Arzt seziert, und dieser gab die Versicherung, der Knabe sei an einer Verschlingung der Eingeweide gestorben. Jeder Schatten von Verdacht mußte darauf weichen.

Eine schmerzliche, langwierige Krankheit befiel nach diesem letzten Morde die Verbrecherin. Sie erkannte darin keine vergeltende Gerechtigkeit, keine Warnung. Von jetzt an begann aber ihre werktätige Wohltätigkeit. Sie ließ nicht die Armen zu sich kommen, sie suchte sie auf. Kranken und Wöchnerinnen bereitete sie Speisen und erbot sich zu ihrer Pflege. Wo der Ruf eines Bedürftigen ihr Ohr erreichte, sie eilte und bot das Ihre auf, beizuspringen. Den bedürftigen Schwestern ihres Vaters schenkte sie ein Stück Land, das zu dem Erbteil gehörte, das ihr zufiel.

Das Geld an sich war nie das Ziel ihrer Wünsche. Sie war nichts weniger als habsüchtig. Aber sie brauchte fortwährend Geld, um ihrer Eitelkeit mit Geschenken und Wohltaten zu frönen. Sie nahm Anleihen auf, deren Wiedererstattung im weiten Felde lag. Sie ließ sich von Kassow Geschenke über Geschenke geben und wußte ihn durch einen neuen Kunstgriff zu immer fortgesetzter Freigebigkeit zu bestimmen: sie habe nämlich die Ahnung, daß sie infolge ihrer unglaublichen Leiden bald sterben müsse. Kinder habe sie nicht, und was er ihr schenke oder leihe, gebe er seinen eigenen Kindern, denn sie sei willens, diese zu Erben einzusetzen.

Da erschien im Mai 1816 unerwartet ihr Bruder in Bremen: eine Erscheinung, welche auch in anderen Häusern keine freudige Überraschung hervorgebracht hätte. Man hatte den verlorenen Sohn, der sich in Münster 1812 als Stellvertreter hatte anwerben lassen, zur katholischen Religion übergegangen war und von dem die letzten Nachrichten aus Paris gekommen waren, längst für tot gehalten. Die Schwester hatte seine Habseligkeiten verkauft, und ein Erbteil hatte er bei den vielen Verwendungen zu seinem Besten kaum noch zu fordern. Da klopft er, zerlumpt, krüppelhaft, den Tod anscheinend in den Gliedern, an das Haus seiner Schwester. Die Heuchlerin verleugnete sich zum ersten Male, das heißt, sie fiel aus der Rolle. Eine elegante Dame konnte einen solchen Bruder unmöglich mit Vergnügen aufnehmen. Sie erschrak, und wäre es nicht vor den Leuten gewesen, sie hätte ihm den Eintritt ganz verwehrt. Sie logierte ihn in eine schlechte Kammer ein. Die Geschichte des Bruders gehört nicht in diese an Ereignissen und Schrecknissen schon überreiche der Verbrecherin. Außer dem, daß sie sich der Verwandtschaft schämte und daß sie ein neues Hindernis der Heirat mit Gottfried werden könne, hegte sie noch die Furcht, daß ihr Bruder doch noch eine Erbschaft verlangen könne. Rasch war ihr Entschluß gefaßt.

Am Freitag oder Sonnabend war der Bruder angekommen, am Sonntagmittag wurde er mit einem Gericht Schellfisch vergiftet. Nachmittags ward er in einem Wirtshause furchtbar krank und konnte sich kaum nach Hause schleppen. Die Schwester mußte ihn der Jugendbekannten wegen, die sich an seinem Krankenbette einfanden, anscheinend sorgsam pflegen. Aber mitten in seiner schweren Krankheit muß der arme Bruder sich aus seiner schlechten Hinterkammer in die höchste Bodenkammer schleppen lassen. Die Verbrecherin gibt als Grund für diese Grausamkeit an, daß auch der Bruder sich geäußert hätte, mit seinem Willen solle sie den Gottfried nicht heiraten, und sie habe letzteren täglich zurückerwartet. Der Kranke geriet in die Hirnwut, phantasierte von seinem Pferde und seinem Liebchen, redete seinen Leutnant an, wenn die Schwester bei ihm stand, rief »Vive l’empereur!« und war des Abends am 1. Juni tot.

Wer sollte sich wundern, daß ein invalider Krüppel, dem die Füße in Rußland erfroren waren und der, voll kranker Säfte, vielleicht ein Lazarettfieber mitbrachte, ein französischer Husar, dem trotz seines Passes kein Dorfschulze ein Nachtlager hatte geben wollen, ein Ausgestoßener, den der patriotische Haß genötigt hatte, auf offenem Felde zu schlafen, seit er die deutschen Grenzen betreten hatte: wem fiel es auf, daß ein solch verlorener Mensch bei der Heimkehr krank wurde und starb?

Nun waren die Eltern tot, die Kinder weggeschafft, der Bruder ins Grab geschickt, was hielt Gottfried noch ab, sie zu heiraten? Vielleicht den Kaufmann das Handwerk, welches sie betrieb? Es war ein gutes Brot, aber es erforderte eine Tätigkeit, welche sie, an andere Beschäftigungen gewöhnt, allmählich anwiderte. Sie gab das Geschäft auf und damit den letzten äußeren Halt gegen die Stürme in ihrem Inneren. Es fiel die letzte morsche Stütze; sie selbst äußerte sich darüber: »Ich kam dadurch außer Tätigkeit, jetzt war ich mir allein überlassen.«

Gottfried kam von einer Reise zurück. Leidenschaftlich empfing ihn die Witwe, mit deutlichen Worten forderte sie ihn zur Eingehung der Ehe auf. Er wich aus; vielleicht im Vorgefühl einer bevorstehenden, schweren Krankheit, vielleicht in dunkler Empfindung, »des gewissen von vielen schon verspürten Grauens vor der Frau«. Wie die Erhitzte und Gekränkte darüber dachte, ergibt sich aus einer ihrer vertraulichen Äußerungen, indem sie es als etwas ihr selbst Unbegreifliches bezeichnete, daß sie den Gottfried, der damals krank wurde, nicht vergiftet habe: »Denken Sie, damals hatte ich Gift in der Kommode, und doch fiel es mir nicht ein, Gottfried etwas zu geben.«

Sie gab ihre Hoffnung nicht auf. Der kranke Gottfried ward mit aller Aufopferung gepflegt; bei augenblicklichen Geldbedürfnissen zahlte sie für ihn, indem sie ihre eigenen Effekten versetzte. Er genas unter ihrer Pflege und schien endlich den Netzen, die sie um ihn spannte, zu erliegen. Beim Punsch am Silvesterabend 1816 auf ihrem Sofa kosend, »verließ uns«, wie die Verbrecherin sich ausdrückt, »die Tugend«. Die Folgen stellten sich ein. Nun mußte doch Gottfried, der gemütliche, redliche Gottfried, auf ihre Wünsche eingehen. Aber er glaubte, daß Kassow der Vater sei, oder eine dunkle Ahnung, welche Schlangen aus dem Busen des liebreizenden Weibes hervorzückten, durchschauerte ihn. Ihrem Jammer über den Verlust ihrer Ehre begegnete er nur mit dem Rate, »unten im Lande«, wo er Bekannte habe, heimlich die Niederkunft abzuwarten.

In Tränen schwimmend, flammte jetzt ihr Haß gegen den auf, um den sie solche Opfer umsonst gebracht haben sollte. Nicht mehr um seine Person war es ihr zu tun - ihre Sinnlichkeit war befriedigt oder erwartete keine Befriedigung mehr, es galt seinen Rang, sein vermeintliches Vermögen. Dazu kam die Furcht, durch ihre Niederkunft, die sie umsonst durch Abtreibungsversuche zu vermeiden gesucht hatte, um die sorgsam gehütete bürgerliche Ehre zu kommen.

Sie wandte sich an seine genauesten Freunde. Die Überredungskünste derselben wirkten; Gottfried und die Miltenberg machten ihre Verlobung bekannt. Sie hatten schon die ersten Besuche miteinander abgestattet, als das innere Grauen ihn überwältigte. Er trat zurück: »Ich kann und will sie nicht zur Frau haben«, sagte er zu seinen Freunden. Aber er ließ sich dann doch wieder überreden.

Schon waren sie zweimal an einem Sonntag aufgeboten worden, als die Angst sie folterte, er könne etwas von ihren Taten wissen und sie deshalb nicht heiraten wollen. Dazu kam ihr die sehr natürliche Überzeugung: »Er liebt dich nicht, er nimmt dich nur gezwungen; du wirst unglücklich mit ihm.« Der längst gereifte Vorsatz, auch ihn zu vergiften, wurde zum Entschluß. Der gezwungene Bräutigam schwankte aufs neue. Irgendein dazwischentretendes Hindernis konnte sie um ihren neuerrungenen Gewinn bringen; sie wollte ihn nunmehr durch einen moralischen Impuls zu einem Entschluß nötigen und sich sicherstellen.

Montag nach dem Aufgebot gab sie ihm vergiftete Mandelmilch. Erbrechen und Durchfall traten ein. Das Übel griff mit Riesenschritten um sich. Schnell ward ein Prediger geholt, um die Trauung mit dem Sterbenden zu vollziehen. Nach der Trauung mußte sie Gottfried versprechen, sich nicht wieder zu verheiraten. Er sagte, dann sterbe er ruhig. In der Nacht darauf, als die unerhörten Schmerzen des Unglücklichen sich zur Raserei steigerten, soll er den Trauring mit wütendem Ingrimm zu Boden geschleudert haben. Nach der Aussage der Verbrecherin aber fiel ihm der Ring vom Finger, da er von der Krankheit so mager geworden war. Er starb am 5. Juli, drei Tage nach der Trauung.

Alle diese bisherigen Taten hatten ihre bestimmten Motive. Die Höllenmacht in ihrem Busen war dadurch so genährt, die Begierde zum Vernichten so gesteigert worden, daß jedes neues Verbrechen ihr in der Folge immer gleichgültiger und der kleinste Beweggrund hinreichend wurde, es unter Verleugnung aller Gefühle und Rücksichten mit einer wunderbaren Ruhe und Selbstbeherrschung zu begehen.

Sechs Jahre lang, vom Jahre 1817 bis 1823, verübte die Gottfried keine Mordtaten. Die Akten berichten auch nicht einmal von Vergiftungsversuchen.

Dagegen stellte sich unwillkürlich etwas von Reue ein bei dem Gedanken: Was hat mir das alles nun geholfen? In ihren Bekenntnissen heißt es: »Reue über den Verlust meiner Kinder habe ich, seit mein Heinrich nicht mehr war, oft genug empfunden. Ich schloß mich oft auf meiner Bodenkammer ein und weinte unbeschreiblich. Ich konnte es nicht sehen, wenn den Kindern von ihren Eltern Geschenke eingekauft wurden, und wich dem Schmerze aus. Wenn die Kinder aus der Schule kamen, mußte ich immer wegsehen. Oft im Mondschein saß ich im Garten; und wenn dann das große, schöne Erbe vor mir lag und ich mich darüber freute, dann durchfuhr mich oft der Gedanke, was für eine Person ich sei, der das gehöre! Dann schämte ich mich.«

Sie tröstete sich aber mit dem Phantasiespiel, wie glücklich sie wäre, wenn sie reich genug wäre, allen Unglücklichen wohlzutun oder, wie sie ausdrücklich bekannte, ihre Sünden wieder gutzumachen und - selbst ohne Sorgen zu leben!

Nachdem die Motive, die aus dem Geschlechtstriebe entsprangen, ausgegangen waren, reichten für die Folge zwei schwächere Beweggründe, Sucht nach Genuß und eitlen Freuden und Sorge wegen ihres Auskommens, zu den neuen Verbrechen aus.

Nach Gottfrieds Tode erwartete sie eine bittere Enttäuschung. Sie hatte Gottfried für reich gehalten, statt dessen hatte er Schulden. Statt daß er von seinem Prinzipal sechshundert Taler zu fordern gehabt hatte, hatte dieser Prinzipal eine hohe Forderung an ihn gehabt, und die Witwe mußte mit der goldenen Uhr, der eleganten Bibliothek, einigen Kupferstichen und der Guitarre, den einzigen wirklichen Erbstücken, die sie übernahm, auch diese Schulden mit übernehmen. Diese Erbschaft scheint drückend; erscheint es für die Familie Gottfried aber nicht noch drückender, daß ihr unschuldiger Name um einer Ehe willen, die keine war, auf die Verbrecherin überging, und daß unter demselben ihre Schandtaten nun auf alle Zukunft übergehen werden? Ein kleines Erbteil hatte Gottfried zwar noch in Regensburg stehen. Als aber seine Brüder der Witwe die drückende Lage einer reichgewesenen, jetzt verarmten Schwester vorstellten, wurde sie durch die einmal übernommene Rolle der Mildherzigen genötigt, so unangenehm es ihr war, von diesem Anspruch abzustehen.

Aber Geld mußte sie haben, bares; und Lügen, weshalb sie dessen bedürfe, waren stets zur Hand. Sie maß anderen gegenüber im Vertrauen ihrem seligen Gottfried eine Schuldenlast von dreitausendzweihundert Talern bei, die sie tilgen müsse; außerdem dichtete sie ihm, wie schon früher ihrem Vater, eine uneheliche Tochter an, für deren Schicksal zu sorgen die Ehrenrettung des teueren Verstorbenen ihr gebiete. Sie erntete für dieses ehrenhafte Benehmen die größten Lobsprüche ein.

Gottfrieds nachgeborenes Kind war tot zur Welt gekommen. Die Stelle des Vaters schien bald, bei den noch immer großen und durch den Schmerz erhöhten Reizen der Witwe, durch mehrere Bewunderer ersetzt zu werden. Auch der Ruf ihres Wohlstandes lockte noch immer Bewerber an. Wie weit die Vertraulichkeit der Witwe mit den neuen Freunden gegangen ist, darüber geben die Akten kein gewisses Licht, und die Gottfried leugnete alles Unerlaubte. Allerdings spricht der Umstand, daß sie diese Freunde nur benutzte, um Geschenke und Darlehen von ihnen zu erpressen, für diese Behauptung.

In vielfacher Berührung erscheint die Gottfried namentlich mit einem ungenannten angesehenen Manne, der als Herr X in der Biographie figuriert und bald als Liebhaber, Bewunderer, Beschützer, bald als Gläubiger auftritt. Er hatte sie schon als Kind bewundert, den Vater auf ihren Wert aufmerksam gemacht und diesen gebeten, sie ihm zu verwahren, bis er von einer Reise zurückkehre. Er erscheint darauf eine Zeitlang immer als Freund in der Not, Ratgeber und Tröster. Es ist nicht unwahrscheinlich, daß der selige Gottfried schon auf ihn eifersüchtig war. Er schoß alle nötigen Gelder, deren die Witwe zu den Begräbniskosten bedurfte, vor und trug auch später zu diesen und jenen Ausgaben bei. Aber als ein wohlhabender Mann und sehr gewiegter Finanzier übte er seine großmütigen Handlungen mit einem scharfen Umblick auf die pekuniären Verhältnisse seiner Freundin, und während er zu Anfang kaum eine Verschreibung annahm, sie mit Geschenken überhäufte, sein Kind der Gottfried zur Pflege übergab, drängte er sie später mit ernsten Mahnungen und Vorstellungen zur Sparsamkeit mit sehr genauen Berechnungen, daß sie ihr Vermögen über ihre Kräfte angreife, und gab um seiner Neigung willen keineswegs seine Forderung an die schöne Schuldnerin auf. Er war der erste, der ihre Aufrichtigkeit in Zweifel zog. Wenn sie wirklich in innigem Verhältnis zu X gelebt hat, so war diese Liebschaft gewiß für sie eine der peinigendsten, da der Liebhaber so klug, schlau und überdem ein Gläubiger war, der sie von Haus und Hof treiben konnte. Aber er blieb der einzige ihrer Freunde, der vor ihrer Mäusebutter gesichert war. Sie konnte wohl ihn vergiften, aber nicht die Papiere, welche in den Händen seiner Erben blieben. Der Gottfried Verhältnis zu X gehört zu den unklareren Partien ihrer Lebensgeschichte. Die Familie des Betreffenden scheint sowohl von dem Herausgeber als von der Gottfried selbst geschont und von letzterer gefürchtet worden zu sein. Obwohl der Tod auf dem Schafott ihr gewiß war, ist dies doch das Merkwürdigste, in welcher Art sie ihre Geständnisse umhüllte und beschönigte, was dritte Personen anlangte, immer in der entsetzlichen Angst, daß der Einfluß der Familie derselben ihr Schicksal noch erschweren, ihre Strafe noch verstärken könne.

Von den Geschenken und Komödienbilletts und den Einladungen zum Essen usw. fing die Gottfried wieder an, wie sie sich ausdrückte, »von neuem zu leben!« Über den Umgang und die Aufmerksamkeiten des X vergaß sie alle ihre Vergehungen, fing an ihn zu lieben und glaubte die Glücklichste auf der Welt zu sein.

Im Glück dieser Verbindung schlug sie drei ehrenwerte Heiratsanträge aus, stets unter dem Vorwand, daß sie dem seligen Gottfried versprochen habe, sich nicht wieder zu verheiraten. Im übrigen war diese Verbindung auch um deswillen angenehm für die Sünderin, weil Herr X ihr in ihrem Umgang vollkommen freie Hand ließ. Sie hatte viele Mieter, und einer derselben, der Kommissionär Johann Mosees, trat, wie sie sich ausdrückte, »in des seligen Gottfrieds Fußtapfen«. Er pflegte den Garten, sang, ging mit ihr spazieren. Und dabei war er sehr religiös! »Da wurde sein jüngster Bruder konfirmiert. Ach, das war eine schöne Zeit! Acht Tage zuvor betete er jeden Nachmittag mit seinem Bruder. Wäre ich damals zu einem Prediger geeilt und hätte ihm meinen Herzenskummer mitgeteilt! Denn durch diesen jungen Mann konnte ich wieder gut werden!«

Sie lebte »sehr glücklich, einig und zufrieden«. Um diese Zeit knüpfte sie ihre alten Freundschaften wieder an, was ihr um so leichter fiel, als sie von ihren Freundinnen als eine unerhörte Dulderin betrachtet wurde. »Der liebe Gott legt mir ein schweres Joch auf, aber er macht mich stark!« sagte sie. Einer Freundin wollte sie kaum Dräsekes Predigten leihen, aus Furcht, sie könnte das kostbarste Buch verlieren; »denn das ist es, was mich einzig erhält«. Sie hatte aber nie ein Blatt darin gelesen. Es scheint während dieser Zeit des Stillstandes im Vergiften gewesen zu sein, daß sie allen Ernstes glaubte, durch ihre Wohltätigkeitshandlungen alle auf ihrer Seele lastenden Mordtaten wieder gutzumachen. Im Jahre 1819 war der Ruf, der sie zu einem Engel des Lichtes, zum Vorbild frommer Duldung und wohltätiger Liebe erhob, schon allgemein verbreitet.

Neue Heiratsanträge erfolgten, ein ehrenwerter Witwer hielt in fast romanhafter Weise um sie an. Als ein solches Glück für die Familie wurde die Heirat betrachtet, daß selbst die Tochter des Mannes die Witwe bat, sie möge doch die Hand ihres Vaters nicht ausschlagen. Sie schlug sie doch aus mit den rührenden Worten: »Sie sind für mich viel zu gut!« Diese demütige Selbsterkenntnis war indessen nichts weniger als der Grund. Herr X war entschieden gegen diese Heirat, und die Gottfried klagte noch oft darüber, daß sie den ehrenwerten, wohlhabenden Mann nicht genommen habe, sie »hätte dann ohne Sorgen leben können und wohl nie wieder an Vergiftungen gedacht!«

Ihre Vermögensverhältnisse wurden immer verwickelter. Herr X sah ihr zu sehr in die Karten, er wagte zu eigenmächtige Eingriffe in ihren Wirkungskreis; dazu gab es nun auch ein ihrem sittlichen Rufe unvorteilhaftes Gerede. Sie suchte sich von ihm loszumachen; aber die drückenden Geldverbindungen ließen es nicht zu. Sie blieb abhängig von ihm bis zu ihrer Entdeckung.

Mosees war jetzt ihr Herzensfreund, ihre Beta nicht mehr Magd, sondern Freundin geworden, und wenn die alte Furcht sie beschlich, so bediente sie sich als Trost des Umgangs und der Liebe junger Mädchen. Um nicht im Alter allein zu stehen, schloß sie, spekulativ in allem, Bündnisse mit der Jugend. Zugleich gab das Zerstreuung und Aufheiterung von außen. Der erfrischende Umgang wirkte heilsam den Gespenstern des Wahnsinnes entgegen. Die Mädchen herzten und küßten sie als ihre liebste mütterliche Freundin, verehrten ihr Geschenke, versprachen unter teueren Gelöbnissen, sie nie zu verlassen. Zwar klopfte dann zuweilen das Gewissen an; und manchmal, wenn sie mit den Kleinen am Kirchhof vorüberfuhr, dachte sie an ihre Kinder, die dort im Grabe ruhten.

Bald trieb es sie aus dem Hause, an dem so viele Verbrechen hafteten. Auch hatte sich ihre Beta inzwischen an den Küfer Schmidt verheiratet. Ihr fehlte deren zerstreuender Umgang, und sie wollte den Besuchen des X entgehen. Sie bezog eine elegante, freundliche Wohnung in der schöneren Oberstraße bei Herrn Eckerlien. Die Zerstreuungen, welche die Aussicht auf die lebhafte Passage bot, konnten ihre innere Unruhe indessen nicht beschwichtigen. Willkommen kam ihr deshalb eine Einladung zu einer in der Stadt verheirateten Freundin, die sich in größeren Verhältnissen bewegte als die Gottfried in Bremen, und wo die schöne, liebenswürdige Witwe mit besonderer Zuvorkommenheit aufgenommen wurde. Der vornehmen Rolle gemäß, die man sie spielen ließ, mußte ihre vermutete Wohlhabenheit sich durch Freigebigkeit äußern; plötzlich fand sie zu ihrem Schrecken die Kasse erschöpft.

Schnell weiß sie Rat: ihr Geld ist ihr gestohlen worden. In einem günstigen Augenblick ergreift sie den Schlüsselbund ihrer Freundin, dreht den Bart eines Schlüssels in ihrem Kommodenschlosse ab, wirft den Schlüssel weg, macht Lärm, Die Kommode wird geöffnet. Es ist richtig, ihr Geld fehlt. Alles lief glücklich ab. Wer konnte an ihrer Angabe zweifeln? Nur eine Magd, mit der die Herrschaft schon unzufrieden war, kam in Verdacht und entlief, ward später ergriffen und während einer langwierigen Untersuchung in Haft behalten. Die Richter kamen ins Haus zur Feststellung des Tatbestandes des Diebstahles. Sie sollte ihn beschwören. Aber etwas hatte die Gottfried nicht voraus bedacht, die gerichtliche Untersuchung. Zurücktreten konnte die feine, vornehme Dame nicht, ohne ihr ganzes schwer errungenes Ansehen bloßzugeben. Sie schwor und beging den ersten Meineid. Dieser unangenehme Vorfall wurde indessen bald durch die Zerstreuungen des vornehmen Lebens ganz in den Hintergrund gedrängt. Madame Gottfried, allenthalben geehrt und umschmeichelt, konnte nicht wieder fort. An Geld gebrach es ihr nun nicht mehr, und als sie endlich zurückkehrte, begleiteten sie die dringendsten Einladungen, wiederzukehren.

In Bremen dagegen erwarteten sie die alten Erinnerungen und neue Sorgen um die Zukunft. Herr X drängte, und sie schuldete ihm bereits mehrere tausend Taler. Ihre Immobilien, 1817 nur mit zweitausendfünfhundert Talern belastet, waren jetzt schon mit über fünftausend Talern verhaftet, sie schienen dem Liebhaber und Gläubiger zu keiner weiteren Sicherheit zu genügen.

Da, in ihren Nöten, meldete sich ein neuer Freiwerber, der Stiefsohn ihres Wirtes Eckerlien, den ihr dieser Ehrenmann selber aufs dringenste anempfahl. Zimmermann war ein Modewarenhändler, von rechtlichem Charakter, der einem einträglichen Geschäft vorstand, und jedenfalls mußte diese Verbindung bei ihren jetzt so zerrütteten Vermögensumständen als ein Glück betrachtet werden.

Auch war ihr der Heiratsantrag sehr willkommen. Aber heiraten konnte sie den Mann nicht; sie konnte überhaupt nicht mehr daran denken, eine eheliche Verbindung einzugehen. »Ihr ganzes Wesen war geistig und körperlich nur eine große Lüge, ein Schein ohne Wesen, unfähig, den durchschauenden Blick täglicher eng vertrauter Beobachtungen eines Ehegatten zu ertragen. Ihr Körper mit übertünchten Wangen, elfenbeinernem Gebiß, falschem Busen und einer durch zehnfache Kleidung erkünstelten Wohlbeleibtheit, unter der sich ein sündenabgezehrtes Gerippe barg, stand mit ihrer Seele im Wetteifer der Heuchelei zur Verbergung des Wahren, steter Aufmerksamkeit bedürftig. Aber noch schwerer, ja unmöglich war der Verbrecherin die bei täglichem ehelichen Zusammenleben erforderliche Spannung zur heuchlerischen Verbergung ihres wahren Inneren.«

Heiraten konnte, heiraten wollte sie Zimmermann nicht; aber sie hatte ja auch ihren Gottfried nicht eigentlich geheiratet, sondern nur die kurze Ehe mit ihm zur Erringung der möglichsten Vorteile benutzt. So wollte sie auch den neuen Bewerber benutzen; wie, das würde schon die Gelegenheit eingeben. Vorerst lehnte sie den Antrag so bescheiden ab, daß er wiederholt werden mußte. Sie teilte ihn X mit, der ihr wider Erwarten dazu riet; sogleich bat sie ihn um ein Darlehen von dreihundert Talern, da sie ihr Leinenzeug zur Hochzeit instand setzen wolle. Sie erhielt das Geld, und das war der erste Vorteil, den ihr der Antrag gebracht hatte. Zugleich aber versprach ihr X, seine Kapitalien nicht, wie er gedroht hatte, zu kündigen, damit der Kredit ihres Bräutigams nicht leide: der zweite Vorteil.

Das errungene Geld ward sofort angewendet, um sich in den Augen der alten und wackeren Eltern Zimmermanns einen Schein von Wohlhabenheit und Reichtum zu geben, der sie als eine gute Partie erscheinen ließ. Nun wurde das Versprechen, welches sie Gottfried gegeben haben wollte, nicht wieder zu heiraten, als letzte Schanze gegen den Stürmenden aufgestellt, wobei er einiges Blut lassen sollte. Sie hatte gerade zweihundert Taler Schulden zu bezahlen. Mit Freuden streckte Zimmermann, der die Angelegenheit als einen Prüfstein seiner Liebe ansah, das Geld der reichen Frau vor. Auch als des seligen Gottfrieds Prinzipal sie um die Rückzahlung der sechshundert Taler anging, war Zimmermann aus denselben Gründen gern bereit, das Geld vorzuschießen. Sie fiel ihm darauf um den Hals, und der Bund war geschlossen.

Dies war der dritte bare Vorteil. Sie benutzte das Verlöbnis aber auch, um sich mit ihrer Freundin Maria Heckendorf auszusöhnen, die ihr den Umgang mit X nicht hatte vergeben wollen. Was konnte die Heckendorf nun aber dagegen sagen, als ihre Freundin die Braut eines Mannes wurde, der, wie jene versicherte, nichts lieber als die »Stunden der Andacht« las und der fromme Eltern hatte, mit denen wieder zum heiligen Abendmahl zu gehen die Gottfried sich freute.

So schien, wenn nicht alles, so doch vieles, was sie gewünscht hatte, erreicht, als Freundeseinflüsterungen den Bräutigam dringend vor der einzugehenden Ehe warnten. Man machte auf ihre gefahrbringende Nähe, auf das Verhältnis mit X aufmerksam, und die Gottfried befürchtete mit Grund, daß er wanke. Mit schneller und wohlberechneter Entschlossenheit spielte sie jetzt die durch Mitteilung der Nachreden zu ungunsten ihres Rufes tief Verletzte, erklärte sich weinend für ein Opfer der dunklen, unerforschlichen Wege der Vorsehung und entschlossen, keinen Glücklicheren mehr an ihr unglückliches Los zu knüpfen. Sie wollte zurücktreten. Natürlich wollte der wackere Zimmermann nun nichts davon wissen. Es kam wieder zur Vereinigung; aber die Gottfried zog den richtigen Schluß, wer sich einmal überreden lasse, könne es auch ein zweites Mal. Zimmermann konnte von ihren großen Schulden an X hören, er konnte, erschreckt, zurücktreten und seine eigenen Darlehen zurückfordern. Dies mußte verhütet, ihre bisher errungenen Vorteile mußten gesichert werden; darum dachte sie daran, ihn mit Mäusebutter zu vergiften. Sie hatte nämlich einige Tage zuvor solches in den Zeitungen zum Verkauf ausgebotcn gelesen und sogleich die Neugier empfunden, ob dies wohl auch wie Arsenik auf Menschen wirke, und sich deshalb durch ihre Beta eine Kruke davon holen lassen.

Sich noch mit diesem Verlobten auf dessen Totenbette ehelich verbinden zu lassen, kam ihr nicht in den Sinn. Er hatte zu wenig wirkliches Vermögen, und die Täuschung bei der Verheiratung mit Gottfried war ihr noch zu erinnerlich; auch hätte eine Wiederholung der Geschichte bedenkliche Gerüchte erzeugen können. Sie wollte ihn nur einfach vergiften und bei der Gelegenheit sehen, was diese Vergiftungsprozedur etwa noch für sie abwürfe.

Zimmermann sollte indessen keines schnellen Todes sterben. Teils hätte das neuen Verdacht erregen können, teils hatte sie sich auf die Rolle präpariert, während einer langen schmerzlichen Krankheit ihn mit aufopfernder Liebe und Treue zu pflegen. Dabei konnten Vermächtnisse für sie abfallen, welche der durch Erfahrung Gewitzigten lieber waren als ganze Erbschaften. Er erhielt daher gegen Ende April 1823 nur eine mäßige Portion Mäusebutter auf Zwieback.

Um diese Zeit erhielt aber auch ihre Freundin Marie Heckendorf eine ziemliche Portion, weil diese sich zu vorlaut und eindringlich über das Verhältnis zu X geäußert hatte, vielleicht auch, um sie von Besuchen bei der Gottfried abzuhalten, während diese ihre ganze Geisteskraft an Zimmermanns Krankenbette aufbieten mußte. Endlich gab es auch erwünschte Gelegenheit, an deren Krankenlager zu beweisen, wie sie sich einer Freundin annehme, die gegen sie vor aller Welt gesprochen hatte.

Das Mäusegift wirkte sehr schnell bei beiden Personen. Die unglückliche Marie erkrankte sehr heftig. Aber das Gift, das hier nicht wiederholt beigebracht wurde, bewirkte nur bei der in bedrängten Verhältnissen und von ihrer Hände Arbeit Lebenden eine Lähmung der Hände und Füße. Im übrigen siegte ihre starke Leibesbeschaffenheit über das Gift, und sie blieb am Leben.

Auch Zimmermanns starke Gesundheit widerstand länger den Angriffen. Nach acht Tagen konnte er sich schon wieder aufrichten und die Verlobte durch einen Besuch überraschen. Da mußte sie ihn ernsthafter anfassen. Er erhielt ein gebratenes Küchlein mit Pflaumen: die neue Vergiftung ließ ihn nicht wieder aufkommen. »Willst du Erbin meines Vermögens sein?« fragte der Todkranke die Gottfried nach ihrer eigenen Angabe Sie erinnerte ihn an seinen Bruder. Er antwortete nun: »So sollst du, was ich dir gegeben habe, als Geschenk annehmen; aber versprich mir, daß du gleich nach Hannover reisen willst zu deinem Cousin. Denn wenn ich tot bin, was wollen die Leute mit dir machen?« Diese Warnung scheint wirklich aus liebender Besorgnis erfolgt zu sein. Zimmermann kannte die ungünstigen Gerüchte, die unter einigen über seine Braut umgingen, und war doch zauberartig von ihren Blicken und Worten gefesselt.

Am 1. Juni 1823 gab Zimmermann unter entsetzlichen Beängstigungen seinen Geist auf. Der Schmerz seiner Braut erschien natürlich grenzenlos, und jetzt war es, wo sie, um ihn ertragen zu können, »denjenigen Prediger ihres Kirchspiels, welcher die meisten Zuhörer hatte«, um eine öffentliche Fürbitte für sie ersuchte, Man erfuhr erst später, daß diese Fürbitte von ihr angeregt worden war, damals erregte die Sache wirklich nur Mitleid, aber nicht den geringsten Argwohn.

Zweihundert und dann sechzig Taler und das allgemeine Mitleid waren der bare Ertrag dieser Vergiftung. Zudem besorgte die Gottfried den Ausverkauf des Zimmermannschen Modewarenlagers, angeblich zur Zerstreuung und auf Wunsch der Erben und Verwandten. Außer daß die treuherzigen Erben ihr willig noch mehr gezahlt hatten, als das mündliche Vermächtnis des Bräutigams bestimmt hatte, machte sie noch bei diesem Ausverkauf für sich Geschäfte. Die schöne, reizende, von so wunderbarem Unglück verfolgte Witwe, die am Ladentisch als Ausverkäuferin stand, muß aller Wahrscheinlichkeit nach noch einen bedeutenden Zulauf von Käufern und Käuferinnen veranlaßt haben, und sie schlug dabei eine nicht unbedeutende Summe für sich heraus.

Mit der gewonnenen Beute ging sie auf eine Zerstreuungsreise nach Hannover, wo die liebenswürdige Witwe, von einem väterlichen Verwandten empfangen, abermals in Kreise geriet, die, weit über ihre Sphäre in Bremen, ihrer Eitelkeit aufs äußerste schmeichelten. Verwandte und Freunde suchten alles hervor, ihr den Aufenthalt angenehm zu machen, und das sanfte, geschmeidige, gemütliche Wesen der Verbrecherin, verbunden mit ihrer glänzenden Toilette aus Zimmermanns Lager, verschaffte ihr überall Zuneigung und das Ansehen einer Dame von Stand. Sie war unerschöpflich in solchen Erfindungen, Erzählungen und Liebesbeweisen, welche die Zuneigung zu ihrer Person vermehren mußten; aber in ihren Briefen nach Hause erfand sie über das wirklich Erfahrene noch manches hinzu, um auch in Bremen dadurch ihren Kredit zu erhöhen.

Ihr Cousin Temme, im Hause des Herzogs von Cambridge, mußte bei dessen Rückkehr aus dem Palais von Monplaisir, welches er interimistisch bewohnt hatte, in seine Stadtwohnung ziehen. Da diese zu klein war, schätzte es ein Freund desselben, Herr Kleine, ein wohlhabender Beamter, für eine Ehre, die kindlich-naive, heitere, lustige, lebensfrohe, sanfte, gefühlvolle Frau, die ihre nach solchen Schicksalen so natürliche Schwermut der Gesellschaft wegen auf so liebenswürdige Weise zu bewältigen wußte, vornehm, freigebig und immer die Liebe und Güte selbst war, in seine größere Wohnung aufzunehmen. Man freute sich, wie die Musik die Leidende erweichen konnte. Als ein junger Mann die Arie sang:

Eingehüllt in Dunkel sind die Wege,

Gott, die du uns führst!

war sie von der tiefsten Wehmut ergriffen, und wollte kein tröstlicheres Lied gehört haben, keines, das so auf ihr Schicksal paßte; sie bat um eine Abschrift, die man ihr später nach Bremen nachschickte.

An ihre Freundin Marie schrieb sie die rührendsten Trostbriefe. Nichts könne ihr so oft die Freude ihres Aufenthaltes in Hannover verkümmern als die Nachricht, daß sie ihre Marie noch immer leidend wisse. Sie bat sie dringend, wenn das ihren Zustand lindern könne, noch mehr Bäder zu nehmen, die sie gern bezahlen wolle. – »Verzage doch nicht. – Dein religiöser Sinn ahnt gewiß die dunklen Wege der Vorsehung, die doch immer unser Bestes will; und wir Kurzsichtigen, sehen wir nicht auch oft ein, daß alles zu unserem Besten geschieht? Laß uns ihm glaubend vertrauen. Er ist unser bester Vater.« Zum Schluß, nachdem sie die liebste Freundin aufgefordert hat, ihr bei der Rückreise entgegenzukommen, heißt es noch: »Du bist überzeugt, ich meine es gut, und was ich sage, ist aufrichtig gemeint.« So konnte sie auch ihren Freundinnen nicht genug Stammbuchblätter mit frommen Versen zuschicken.

Einst, als sie Kaffee tranken, kam ein Hausierer, der allerhand ausbot, auch Mäusebutter. Die Gottfried schien kaum zu wissen, was das sei, und bat dann, ihr eine Kruke zu kaufen; aber sie affektierte eine solche Angst vor dem Gift, daß sie es nicht in die Hände nahm, sondern den jungen Herrn Kleine bat, es für sie einzupacken.

Im November (1823) kehrte sie nach Bremen zurück. Diesmal hatte sie in Hannover niemanden vergiftet, auch kein Verbrechen begangen. In Bremen dagegen erwarteten sie Ärger und Bedrängnisse ihrer Gläubiger. Da waren Schulden eingefordert, die sie durch den Akkord ihres Vaters für getilgt hielt. X drohte, und Kassow, der schon bei der Verlobung mit Zimmermann erkannt hatte, daß es ein leeres Versprechen der Gottfried gewesen war, seine Kinder zu Erben einzusetzen, forderte ungestüm seine Vorschüsse und hätte gern auch seine Geschenke zurückgenommen. Jener Magister, welcher die Ehe mit Miltenberg zustande gebracht hatte, mußte die undankbare Mühe übernehmen, für Kassow als Vermittler bei der Gottfried aufzutreten. Ihre Antwortsbriefe sind merkwürdige Belege dafür, mit welcher Gewandtheit und Hartnäckigkeit dieses Weib ihre Ansprüche zu verteidigen wußte, und wie sie die Federn ihrer Freunde (denn die meisten Briefe ließ sie sich konzipieren) zu gebrauchen wußte, um ihre Rolle fortzuspielen. Einzelne Stellen aus diesen Schreiben können wir uns nicht entheben, zu ihrer Charakteristik hier auszuziehen: »Gott wird mich jetzt stärken; auf alles bin ich gefaßt. Mit gutem Gewissen erscheine ich, wo Sie es wünschen; die Wahrheit soll und darf der Mensch reden.« – »Ich bin nicht reich – aber ehrlich und redlich durchs Leben gehen, ist mein Vorsatz.« – »O wie leicht irrt man in der Beurteilung des menschlichen Herzens! – Wie empfindlich der Schmerz ist, von anderen verkannt zu sein und sich bei dem besten Willen höhnisch beurteilt zu sehen, davon hat wohl keiner mehr Ursache zu reden als ich bei Ihren mir zugesandten Briefen.« – »O könnten Sie in mein Herz sehen! Sie haben mir eine Wunde geschlagen, die nie zu heilen ist.« – »So unedel, wie Sie mich schildern, bin ich nicht, bloß unglücklich. Wer hat mehr Tränen der Verzweiflung geweint als ich – und ich lebe dennoch! Glück gibt es nicht auf dieser Welt voll Mängel und Trübsal. Wer aber wahrhaft glaubt, wird und soll nicht untergehen.« – »Mit Beschämung wird gewiß mancher Verleumder bereuen, mir wehe getan zu haben. Die Reue bleibt nicht aus.« – »Eine unglückliche Ehe war mein Los, aber Vertrauen zu dem lieben Gott ließ mich alles ertragen.« – »Was nützt die Schale, wenn der Kern nichts taugt? – Dem Reinen ist alles rein. Gott ist Zeuge meiner unglücklichen Lage. Ach Herr (Magister), welch ein schönes Gefühl, nach der Eltern und des Mannes Tode so zu handeln, wie ich tat! – Da ich am Sonntag zum heiligen Abendmahle gehe, werden Sie die Kürze meines Briefes verzeihen, indem mein Geist mit der heiligen Handlung zu sehr beschäftigt ist. So gewiß ich dieses Mahl empfange, rede ich die Wahrheit.«

So verteidigte sich die Giftmischerin, um der Abbezahlung von fünfhundert Talern zu entgehen! Welche Kräfte sie anwandte, um dem Verdachte des Mordes zu entweichen, mag man danach berechnen. Zum Belege ihrer Kraft in der Heuchelei mögen jene Auszüge genügen.

Aber das Drehen und Wenden half ihr nichts. Gerichtlich hätte Kassow schwerlich die fünfhundert Taler einfordern können; das böse Gewissen der Schuldnerin half dem Gläubiger, und sie sah sich zur Unterzeichnung eines Schulddokumentes über fünfhundert Taler genötigt. Von jetzt ab war ihr Leben eine fortgesetzte Angst vor ihren Gläubigern und eine ununterbrochene Kette von Versuchen, um anderwärts Geld aufzunehmen, um die dringendsten Gläubiger zu beschwichtigen und Zeit zu gewinnen.

Zur Einschränkung genötigt, verließ sie ihre elegante Wohnung in der Oberstraße und bezog wieder ihr Erbhaus. Der Lehrer S. und der fromme Kommissionär Mosees zogen gleichfalls zu ihr. Da wurde jeden Tag gesungen und gebetet. »Aber,« sagte sie, »statt daß ich nun angefangen hätte, still und fromm zu leben, tat ich gerade das Gegenteil. Ich fing an zu reisen, liebte geistige Getränke, lebte ungesittet, unordentlich, entwendete meinen Nebenmenschen das Ihrige, las gerne Romane, traktierte, und wurde aufs neue Mörderin!«

Im Frühjahr 1824 reiste sie abermals nach Hannover, ward freundlich im Kleineschen Hause aufgenommen, kehrte aber mit neuen Schulden, die das vornehme Leben verursacht hatte, nach Bremen zurück. So hatte ihr der alte Herr Kleine achthundert Taler, angeblich zur schleunigen Abtragung dringender Schulden, vorgestreckt; aber auch das half ihr wenig.

Die einst wohlhabende Frau brauchte dringend drei Louisdor. Sie selbst wollte sich nicht mehr an X wenden. Eine langjährige Freundin der Verbrecherin, die Musiklehrerin Anna Meyerholtz, ward von ihr ersucht, bei dem gemeinsamen Freunde um die drei Louisdor für die Gottfried zu bitten. Umsonst, X wollte nichts mehr geben. Die Meyerholtz lebte in dürftigen Umständen, von ihrem geringen Einkommen mußte sie noch einen blinden achtzigjährigen Vater ernähren. Sie selbst konnte nichts geben, aber sie hatte mehrere Wohltaten früherhin von der Gottfried erfahren; so erbot sie sich in ihrer Herzensgüte, von den seit Jahren zusammengesparten Begräbniskosten für den zu erwartenden Tod des alten Vaters ihr auf kurze Zeit die nötige Summe zu leihen.

Ein schneller Gedanke durchzuckte die Mörderin, und in vierundzwanzig Stunden wurde er zur Tat. Statt von dieser aufopfernden Liebe gerührt zu werden, beschloß sie, die hilfsbereite Freundin zu vergiften und sich ihres sauer ersparten Geldes durch Diebstahl zu bemächtigen.

Vergebens hat man sich bemüht, die Motive dieser Tat zu positiver Gewißheit ans Licht zu stellen. Befragt, warum sie das getan habe, konnte sie unter Seufzern und Tränen nur antworten: »Ach, das mag Gott wissen!« Und doch war ein Grund vorhanden, auch außer dem Wunsch, in den völligen Besitz des Geldes zu gelangen, das sie von der armen Freundin nur leihweise zu erhalten hatte; es war der instinktartige Reiz, der hier zum ersten Male wirkt und fürchterlich heraustritt.

Sie war im Besitz von vielem Gift und hatte so lange nicht vergiftet, wenigstens nicht wirkungsreich vergiftet. Ganz hatte sie es freilich nicht lassen können und darum versuchsweise diesem oder jenem etwas eingegeben. Schon vor Pfingsten 1824 hatte sie einer entfernten Verwandten aus irgendeiner gehässigen Gesinnung Mäusebutter auf Weißbrot gereicht. Im September desselben Jahres erhielt die sechsjährige Tochter des Lehrers S. Gift, weil – die Gottfried ihre Mutter haßte! Ihr Freund, der fromme Mosees, hatte ebenfalls vor kurzem Mäusebutter erhalten, damit – die Gottfried während seines Unwohlseins seine Speisekammer bestehlen könnte.

Sie war jetzt auf die Höhe des Verbrechens gekommen, wo die Sünde zur Lust, zum Bedürfnis wird. Das Vergiften hatte längst alles Schreckliche für sie verloren. Es war ihr ein Nahrungszweig geworden und die Spannung dabei ihre liebste Unterhaltung; ihr fehlte ja schon seit langem jede Tätigkeit. Sie selbst sagte: »Mir war gar nicht schlimm bei dem Vergiften zumute. Ich konnte das Gift ohne die mindesten Gewissensbisse und mit völliger Seelenruhe geben. Es war mir, als wenn meine Stimme zu mir sagte, ich müsse es tun. Ich hatte gewissermaßen Wohlgefallen daran. Ich schlief ruhig, und alle diese ungerechten Handlungen drückten mich nicht. Man schaudert doch sonst vor dem Bösen; allein das war nicht bei mir der Fall. Ich konnte mit Lust Böses tun.«

Der Grund war da: sie wollte und mußte vergiften, und mit Erfolg vergiften, und es bedurfte nun nur noch eines äußeren Anlasses. Den gab die Aussicht auf den Erwerb einiger Taler; vielleicht auch die Furcht, daß die schlimmen Reden des X über die Gottfried auf die Meyerholtz einen üblen Eindruck gemacht haben könnten.

Nach so vielen Vergiftungsgeschichten, aus denen wir die Verfahrungsart der Gottfried kennen, mögen wir über die folgenden, was die sich überall ähnlichen Einzelheiten betrifft, kürzer fortgehen und nur die Motive näher betrachten. Die Musiklehrerin erhielt die Mäusebutter bei einem Besuche bei der Gottfried, auf Zwieback geschmiert. Schon auf der Straße befielen sie ein starker Stuhlzwang und heftiges Erbrechen. Sie schrie auf dem Bette, »als wenn sie mit einem Schwert durchschnitten würde«, griff die Umstehenden an, schleuderte sie von sich und starb am 21. März 1825 furchtbar entstellt. Natürlich war die Gottfried wieder die treueste Krankenpflegerin gewesen. Als eine gemeinschaftliche Bekannte ausrief: »Herr Jesus, die hat etwas eingekriegt«, schüttelte sie ruhig den Kopf und tadelte die andere, daß sie sich von ihrem lebhaften Gefühl habe hinreißen lassen: »Möchten Sie dem alten Vater den Schmerz antun?« Als der Arzt die Leiche öffnen wollte, kam er zu spät. Die Gottfried hatte, weil die Leiche platzen wollte, die schleunige Einsargung durchgesetzt. Niemand hegte Verdacht. Dagegen plünderte, ungestört durch die Gegenwart des blinden Greises, des achtzigjährigen Vaters der Ermordeten, die Gottfried deren Schränke, während sie vorgab, für den armen, nun seiner letzten Stütze Beraubten den Haushalt zu führen.

Es war um diese Zeit, da sie Shakespeares »Hamlet« im Theater sah. Als eine Freundin sehr gerührt war und weinte, sagte die Gottfried, sie solle doch denken, es wäre Komödie.

Nachdem sie im Frühjahr noch eine dritte Erholungsreise nach Hannover gemacht hatte, fuhr sie in ihren Vergiftungsarbeiten fort.

Im Juli 1825 vergiftete sie, doch ohne tödliche Folge, den schon erwähnten Lehrer S. (wie schon früher dessen Kind), weil seine Frau ihr zuwider war.

Ihr lieber Mietsmann, der fromme Mosees, kränkelte schon seit Jahren an dem ihm gelegentlich, wenn sie gerade daran dachte, beigebrachten Gifte. Als er im Begriffe schien, sie heiraten zu wollen, hielt sie es für an der Zeit, ihn ernstlich zu vergiften. Unter Kuß und Tränen gab sie ihm die stärkste Dosis, und er starb, vor Schmerz rasend, am 5. Dezember 1825, nachdem sie sich versichert hatte, daß er ihr ein bedeutendes Legat ausgesetzt hatte. Zum ersten Male schien sie beim Leichenbegängnisse dieses Opfers ihre Maske abzunehmen. Nach den Aussagen von Zeugen verbarg sie nicht die kälteste Gleichgültigkeit, und zu einer neben ihr stehenden Frau sagte sie während der Leichenrede, das sei nun die einundzwanzigste oder zweiundzwanzigste Leiche, die sie begraben lasse; es komme ihr gerade vor wie eine Hochzeit.

In ihrem Selbstbekenntnis aus jener Zeit räumt sie ein, daß ihr damaliger Seelenzustand ein unbehaglicher und sie am liebsten allein gewesen sei, auch Unlust am Anziehen, an jeder Ordnung, ja auch an vielen Vergnügungen empfunden habe. Besonders bedauerte sie, daß sie, wenn sie sterbe, den Armen nichts hinterlasse, wie andere tun, um ihre Sünden abzulösen.

Mosees Vergiftung, zwar ein Kapitalstück, genügte indessen nicht zum täglichen Brot. Sie übte und versuchte sich fortwährend in kleineren Vergiftungen, die schwerlich zur Kenntnisnahme der Richter gekommen sind. Um der unbedeutendsten Ursachen willen griff sie zu ihrer Mäusebutter. Sie reichte sie ihrer Magd, Luzie Block, dem Kindermädchen des Lehrers S., Blandine Witzel, also schon der dritten Person in einer Familie, die Gift essen mußte, nur um des Hasses der Gottfried gegen die Frau willen, die sie nicht vergiftete, und der Magd Sophie Luise Fette, die sich in den Diensten einer ihrer Mieterinnen befand. Schon wählte sie nicht mehr, noch verfolgte sie Einzelne, vielmehr gab sie das Gift, wenn der Zufall ihr die Personen zuführte. In ihren Geständnissen heißt es: »Zuweilen war ich monatelang von dem Triebe frei; dann aber kam wieder eine Periode, wo ich mit dem Gedanken aufwachte: wenn der oder die kommen sollte, da solltest du Gift geben. Am häufigsten gab ich die Mäusebutter Personen, die mich allein besuchten, weil ich dann am häufigsten den Trieb fühlte.«

Sie konnte, wenn sie einmal zum Nachdenken über sich selbst kam, sich oft darüber wundern, daß alles so unentdeckt blieb. Zugleich hatte sie es aber in der teuflischen Heuchelei so weit gebracht, daß sie ihre Opfer in ihren Qualen noch necken konnte. Seit Jahren vergiftete sie fort und fort ihre Freundin Marie Heckendorf, jedoch in geringen Dosen. Einst konnte sie, als von den Flecken die Rede war, welche infolge des häufigen Giftgenusses im Gesichte entstanden, den Finger heben und im Tone warnender Liebe fragen, sie genösse doch wohl nicht heimlich starke Getränke.

Mancherlei immer dringendere Geldverwicklungen zwangen sie, ihr Haus zu verkaufen. Von Anfang an schwebte ihr dabei vor, daß ihr dasselbe über kurz oder lang wieder als Eigentum zufallen müsse. Deshalb hatte sie sich auch die lebenslängliche Nutznießung zweier Nebenhäuser, die zu ihrem Besten vermietet wurden, vorbehalten und fing ihr Lebensverhältnis mit dem Käufer, dem Radmacher Rumpf, so an, daß sie in gewohnter Weise durch verschiedene Vergiftungen zu ihrem Zwecke zu kommen hoffte. Es gab hier eine Arbeit mit großem Ziel, und mit voller Kraft ging sie ans Werk. Im allgemeinen gaben ihr die Vorgänge mit Gottfried, Zimmermann, Mosees die Grundzüge ihres Verfahrens an; die vorliegende Aufgabe forderte aber Vorarbeiten. Um einen Bräutigam zu gewinnen, der ihr auf dem Totenbette alles oder doch den Teil seines Vermögens verschreibe, den sie wünschte, mußte sie zuvor seine Frau und so viele Mitglieder der Familie, als nötig waren, beiseite schaffen. Wie dies zu bewerkstelligen war, dazu fand sie in ihrer eigenen Geschichte genügende Anleitung.

Wie die Gottfried sich in das Vertrauen der Rumpfschen Familie einzuschleichen verstanden hatte, wissen wir. Sie betrachtete sich als Mitglied der Familie; wie in ihrem Verhältnis mit Kassow spiegelte sie dem neuen braven Freunde vor, daß sie, die alle Teuren auf dieser Welt verloren habe, doch jemanden haben müsse, dem sie ihr Hab und Gut hinterlasse, und die Rumpfschen Kinder sollten ihre Erben werden. Schon aus dem Zusammenleben mit ihnen zog sie bedeutende Vorteile, indem sie bei ihrer Absicht, den Rumpfs ihr ganzes Vermögen zuzuwenden, eine strenge Scheidung des Mein und Dein für überflüssig hielt.

Die Ehefrau des Rumpf starb am fünfzehnten Tage nach ihrer Entbindung, am 22. Dezember 1826, wie niemand zweifelte, infolge der Niederkunft, in der Tat aber vom Genuß einer Hafersuppe. Als diese zu langsam wirkte, frischte die Gottfried drei Tage vor dem Tode das Gift noch einmal auf. Es schien, als werde sie selbst an teilnehmendem Schmerz sterben. Wer hätte gegen sie Verdacht schöpfen sollen, obwohl bald darauf auch Magd und Amme, von ihr aus Mutwillen oder kleinen Nebengründen vergiftet, dieselben Qualen erlitten!

Nach einigen Wochen spielte sie gegen den Witwer auf eine Wiederverheiratung an. Er wies, »von entschiedener Abneigung beseelt«, den Antrag, wenn auch scherzend, so doch bestimmt zurück, indem er erklärte, am wenigsten eine Witwe heiraten zu wollen. Nun mußte auch er erkranken und verdankte nur dem Umstande, daß er sich nicht wie die früheren Opfer durch ihr einschmeichelndes Wesen zu Versprechungen und Vermächtnissen hinreißen ließ, die längere Fristung seines Lebens, freilich auch die langsameren Oualen.

Auch der Gottfried mochte dieser Vergiftungsprozeß zu lange dauern; wenigstens gewährte er ihrer rastlosen Seele nicht Beschäftigung genug. Sie vergiftete inzwischen ihre treue Beta Cornelius, die jetzt verehelichte Schmidt, während der Abwesenheit ihres Mannes. Das Motiv waren fünfzig Taler, welche Schmidt seiner Frau behufs der Kosten ihrer bevorstehenden Entbindung zurückgelassen hatte. Die Gottfried brauchte das Geld. Freilich, sie brauchte auch ihre Beta, welche ihr auch nach ihrer Verheiratung noch immer die treuesten Dienste leistete. War es aber doch vielleicht ein krampfhaftes Verlangen der Verlorenen, sich auch dieses letzten Trostes zu berauben, ein Kitzel der Verzweiflung, der nicht ohne Analogie dasteht? Ihre letzte Mäusebutter mußte die Wöchnerin verzehren, aber ihre gesunde Natur widerstand lange. Noch gebar sie einen Knaben; noch mußte die Todkranke auch ihre dreijährige Tochter vor sich hinsterben sehen, da auch das Kind von der vergifteten Kirschsuppe zu essen bekommen hatte. Ein neuer Vorrat Mäusebutter, den sich die Gottfried schnell zu verschaffen gewußt hatte, vollendete endlich die Zerstörung des kräftigen Körpers ihrer Beta. Kein Todesfall, außer dem ihres Sohnes Heinrich, scheint sie auf gleiche Weise, wenn nicht erschüttert, doch später in der Erinnerung bewegt zu haben, als dieser. »Ich bekenne,« schrieb sie, »zwei Menschen (Beta und ihren Mann) getrennt zu haben, die sehr glücklich waren, und die beide ihr Leben für mich würden hergegeben haben.«

Dieser Raubmord, durch den sie nur etwa fünfundzwanzig Taler gewonnen haben will, genügte nicht, sie aus den Verlegenheiten zu reißen. Der alte Herr Kleine in Hannover drängte um die geliehenen achthundert Taler. Sie konnte nur mit Mühe einige hundert Taler aufnehmen, um ihn einstweilen zu befriedigen. Dafür machte sie den Plan, nach Hannover zu reisen und dort den Vater Kleine und »womöglich auch seine Kinder zu vergiften«, nicht um damit die Schuld zu tilgen, sondern um fürs erste von seinen Mahnungen befreit zu werden. Weiter gingen ihre Absichten selten; sie ging nicht habsüchtig auf Gewinn aus, sie wollte in der Regel nur aus einer augenblicklich drückenden Verlegenheit gerettet sein und freien Atem schöpfen. Die Zukunft kümmerte sie wenig.

Voraus schickte sie Briefe über Briefe voller Zärtlichkeit an den lieben Vater Kleine, der ihr einziger Freund wäre, der ihr in den kleinsten Angelegenheiten seinen Rat schenken müßte; denn sie könne nicht tun, was er nicht billige. Dann trat sie mit einer vollen Kruke Mäusebutter ihre vierte und letzte Reise nach Hannover an.

Der Alte und seine Tochter nahmen die Gottfried wie eine Tochter auf. Ihr ganzes Sinnen und Trachten war, ihr den Aufenthalt angenehm zu machen. Am 17. Juli präparierte sie ihm seinen Schinken zum Frühstück, und am 24. gab er unter namenlosen Schmerzen seinen Geist auf. Nach der Sezierung gab das ärztliche Gutachten als Ursache seines Todes die Gallenruhr an.

Tags darauf, am 25., erkrankte die ganze Kleinsche Familie infolge Genusses einer Hafersuppe, an der der älteste Sohn, welcher gerade zum Tode seines Vaters aus Paris zurückgekehrt war, bereits einen metallischen Geschmack bemerkt hatte. Glücklicherweise mußten sich alle so stark erbrechen, daß die Nachwirkungen des Giftes nicht erheblich waren.

Über den Todesfall schrieb die Gottfried nach Hause: »Wenn Sie es doch gesehen hätten, wie der Selige mich mit seinen Kindern vor sein Sterbebette kommen ließ, mich bat, bei seinen Kindern zu bleiben und Luise, die Tochter, nie zu vergessen! Wir haben uns in seiner Gegenwart ewige Freundschaft gelobt. Ich kann sagen, an ihm wohl einen zweiten Vater verloren zu haben. Wen habe ich jetzt? Es ist schrecklich, mein Los auf der Welt! Alles, was ich liebe, wird mir genommen!«

Durch Kleines Tod gewann sie allerdings den gewünschten Aufschub. Niemand dachte daran, den Rest von fünfhundert Talern, den sie ihm noch geschuldet hatte, jetzt zurückzufordern. Außerdem log sie den Erben vor, dem Verstorbenen fünf Louisdor zur Aufbewahrung gegeben zu haben. Obwohl dies auffiel, da man die Geldstücke nicht fand, auch nichts darüber verzeichnet fand, während Kleine doch der allersorgsamste Mann in seinen Geldangelegenheiten war, erhielt sie dieselben, und es erregte nicht den geringsten Verdacht. Ferner stahl sie einem Fräulein Stockhausen einen Doppellouisdor und der Kleineschen Tochter Wäsche und andere Kleinigkeiten.

Dabei war sie so sicher. Jede Furcht vor Entdeckung war verschwunden; ja sie gestand, sie hätte letztere nach so vielem Erfolge für unmöglich gehalten. Zwar besuchten sie wieder ihre Visionen; auch den alten Kleine sah sie an einem Nebeltage vor ihrem Kammerfenster im dichten Nebel stehen, und, versicherte sie im Gefängnis, »dies ist so gewiß wahr, als ob ich es eben sähe!« Aber sie beschwichtigte die bösen Geister durch gute Worte. Ihre Briefe nach Hause, besonders die an Rumpf, waren voll frommer Ermahnungen, als habe sie in der Fremde keinen anderen Gedanken als an ihre daheimgebliebenen Bekannten und deren Leiden. »Fassen Sie nur Mut,« schreibt sie wiederholt an Rumpf, »und ehren Sie die dunklen Wege des Schicksals, das doch immer unser Bestes will. Und tun wir nicht auch am besten, unser Schicksal in die Hand des besten Führers glaubend und vertrauend zu geben?«

Aus Hannover, wo man sie unter Tränen und Liebesversicherungen entlassen hatte, brachte sie viele Geschenke an ihre Lieben und Hausgenossen zurück, bestahl aber sogleich alle dafür und trieb Unfugs die Fülle im eigenen Hause. Ja es waren so tolle Streiche darunter, die man eher einem neckischen Kobold als einer vernünftigen Person zuschreiben sollte, so daß von einigen Richtern auf eine Geistesverwirrung geschlossen werden konnte. Frischgebackenes Brot lag im Schmutz auf dem Hofe; eine neue, sorgfältig verschlossene Blechtrommel war mit Menschenkot angefüllt und dergleichen. Aber alles geschah nur, um sich dem Witwer Rumpf unentbehrlich zu machen.

Aber Gift wirkte doch besser, Gift und schöne Redensarten, wechselweise gebraucht. Wenn der arme Mann sich im Erbrechen würgte, hielt Tante Gottfried ihm teilnehmend den heißen Kopf; sie wischte mit ihrem Tuche seinen Angstschweiß ab und vergoß Tränen, daß sie nicht an seiner Statt leiden könne. Und wenn er erschöpft auf seinem Lager ruhte, steckte sie ihm ein Brieflein und Stammbuchblätter zu mit Gedenksprüchen erbaulichen Inhaltes, wie etwa folgendem: »Schuldlos sein ist des Leidenden höchste Würde, und der Edle, welcher mit heißem Antlitz unter das Geschick sich beugt, ist ein Anblick, über den der Himmel sich freut.«

Es half ihr alles nichts. Rumpf wollte sie weder heiraten, noch fühlte er sich gedrungen, ihr Vermächtnisse zu machen. Im Gegenteil vermehrte sich von Tag zu Tag sein geheimer Widerwille gegen die Witwe; ja sie fürchtete, er ahne mehr, als er solle. Ihr Widerwille stieg zum Ingrimm an; zugleich aber auch ihre Angst vor dem unsichtbaren Rächer, den sie jetzt in allen ungewöhnlichen Ereignissen seinen Arm nach ihr ausstrecken sah. Als Bremen am 6. März 1827 durch Deichbrüche und Wassersnot heimgesucht wurde, meinte sie, es geschehe ihretwegen; als ein Feuer entstand und aus dem Haus eines Malers dessen Gemälde auf die Straße geschleudert wurden, sah sie das Gemälde fliegen, um das sie denselben Maler bei der Auktion ihres Vaters betrogen hatte. Bei anhaltender Dürre, bei Schlackerwetter und Stürmen sah sie sich als die Zielscheibe, und die Sonne brannte, die Orkane tobten, um sie der Gerechtigkeit in der Welt zu verraten. Sie erblindete einmal auf eine Viertelstunde; manchmal, wenn sie etwas anfangen oder anrühren wollte, trat plötzlich Nasenbluten ein. Es war das Walten der unsichtbaren Dämonen, Sie floh vor ihnen nach den Gräbern der von ihr Ermordeten, um sich homöopathisch vor ihnen zu retten. Aber sowie sie sich den Kirchhöfen näherte, schauerten Regengüsse nieder, und sie mußte umkehren.

Die Dämonen hielten sie indessen nicht von neuen Untaten ab. Sie befand sich nur wohl, wenn sie in ihrer Tätigkeit war. Ihre Freundin Marie, die noch fortwährend an dem Gifte zehrte, hatte einen Pflegesohn, Wilhelm Suhling, einen elfjährigen Knaben. Am 31. Januar 1828, als Marie die Gottfried besucht, freut sich diese über den wahren Johanniskopf des Knaben, aber im selben Augenblick reicht sie ihm das vergiftete Butterbrot und fragt bedeutungsvoll ihre Freundin: »Was meinst du, Marie, wenn du den einmal verlieren müßtest?« Der Knabe erkrankte, aber verwand die Schmerzen, und nach drei Wochen war sein erster Ausgang zur Tante Gottfried, um geliebkost und beklagt zu weiden. Zugleich aber empfing er gekochte Pflaumen mit Mäusebutter zur Auffrischung der Vergiftung. Er kam noch glücklich mit dem Leben davon. Auch ein junges Mädchen, welches ihr zum Geburtstag gratulierte, erhielt zum Dank Mäusebutter. Sie vergeudete und verspritzte das Gift wie eine Rasende, die mit ihrem Vorrat von Kraft zu Ende kommen will.

Die einzelnen Umstände ihrer letzten Giftgebung sind von keiner anderen Bedeutung mehr, als daß sie die Entdeckung herbeiführten. Am 5. März 1828 vergiftete sie den Speck, um Rumpf aus der Welt zu schaffen, wie sie im Verhör angab, in der Absicht, ihr Haus wiederzubekommen. – »Ich dachte, wenn alles ausstürbe, würde ich die Nächste zum Hause sein.«

Ihre letzten Vergiftungen in diesem Schreckenshause waren doppelter Art gewesen. Einmal gab sie Rumpf besondere Portionen, dann aß er auch mit bei den allgemeinen Vergiftungen, welche sie den Hausgenossen in den gewöhnlichen Mahlzeiten bereitete.

Am 6. März 1828, an ihrem Geburtstage, wurde die Gottfried mit Antritt ihres vierundvierzigsten Lebensjahres verhaftet, und die Laufbahn ihrer Verbrechen war mit dem fünfzehnten wirklich erfolgten Giftmorde und mit ungefähr (denn genau ist die Zahl nicht ermittelt worden) auch fünfzehn Vergiftungen, die keine schädlichen Folgen gehabt hatten, geschlossen. Außerdem belasteten sie als erwiesene Verbrechen wiederholter Ehebruch, Meineid, Diebstahl, Einbruch, Unterschlagungen und der Versuch, ihre Leibesfrucht abzutreiben.

Wie die Verbrecherin zum Geständnis gebracht wurde, ist schon oft angeführt worden: wie sie mitten im Bekennen zurückhielt, widerrief und gleich darauf wieder bekennen mußte, wie die entsetzlichste Angst sie durchschüttelte, weniger vor dem Bewußtsein ihrer Sündenlast und vor der göttlichen Strafe als vor der weltlichen Gerechtigkeit. Die Furcht war ihr angeborenes Erbteil. Sie fürchtete alles, was ihr sinnlich entgegentrat, das Rauschen eines Blattes, ein wildes Pferd vor dem Wagen, die scharfe Ansprache des Richters. Mehr als alles aber fürchtete sie den äußeren Schmerz der Todesstrafe, und ihr ganzes heuchlerisches Drehen und Wenden ging dahin, sich die Möglichkeit vorzuspiegeln, daß es nicht zum Ärgsten kommen werde. Daher rührt ihr Bemühen, mit sich selbst und den Richtern schön zu tun und sich in dem Lichte einer unfreiwillig Handelnden, einer von bösen Dämonen Verführten, unbewußt und unwiderstehlich Geleiteten darzustellen. Daher kommt bei den gräßlichsten Geständnissen die große Scheu, wo es einen Nebenumstand zu bekennen galt, der die Rache einer angesehenen Person oder Familie auf sie hätte herbeiziehen können, als möchte, wenn sie den oder jenen nenne oder einräume, auch ihm ein Leid zugefügt zu haben, ihre Strafe verstärkt werden. Daher bekannte sie früher die Kindermorde als die ihrer Eltern, Ehemänner und Freunde. Sie vermeinte, auf ihre Kinder ein Recht zu haben, und daß daher wegen ihrer Ermordung weniger als bei den anderen Ermordeten dritte Personen als Rächer auftreten würden. Die Sündenlast, auch als sie ausgesprochen war, drückte sie nicht nieder; vor allem aber hielt sie die Hoffnung aufrecht, daß die vornehmen Herren und die Richter, gegen welche sie so demütig war, sie mit dem Tode verschonen möchten. Sie bat und stellte anheim, ob man sie nicht zur Abbüßung ihrer so großen Vergehen im Gefängnis belassen und ihr als Strafe Magddienste in demselben auftragen wolle. Die Verzögerung der Untersuchung, die lange schwebende Pein waren ihr ein Trost; sie konnte vergnügt sein und zufrieden, daß es so wurde, wie einige der Herren ihr vorausgesagt hatten, nämlich daß der Prozeß sich auf Jahre hinausziehen werde. Ihre einzige und fürchterliche Angst war, daß doch plötzlich die Türe rasseln und der Henker eintreten möchte, um sie zum Richtplatz abzuholen. Sie zitterte nicht, wenn in ihrer Gegenwart die Leichen der von ihr Gemordeten ausgegraben wurden, der Modergeruch war nicht zu angreifend für ihre Nerven; aber sie gab sich allen Ernstes dem Gedanken hin, daß man sie mit den Leichen zusammenbinden; in eines der Gräber werfen, mit kochendem Wasser überschütten und dann lebendig begraben werde! Ja, als wilde Tiere in Bremen gezeigt wurden, zitterte sie vor der Vorstellung, die zuweilen in den Glauben überging, man werde sie dem Publikum zur Genugtuung diesen Tieren lebendig vorwerfen.

Ihre Schlauheit bewährte sich in dem von ihr angenommenen Verteidigungssystem. Mochte von dem dichterisch-philosophischen Fatalitätsspuk, der in jenen Jahren im Schwunge war, etwas in die Pelzerstraße nach Bremen gedrungen sein, daß auch die Gescha, ihrer abergläubischen Mutter Kind, davon erfahren hatte? Ihr Glaube war gewiß nicht stark, es war nur ein Mittel, die härteste Anklage von sich abzuwenden, vielleicht auch sich selbst zu stärken. Sie wollte sich darstellen als eine Unglückliche, der finstere Mächte den Trieb in ihre Wiege gelegt hatten. Mit Schlauheit wußte sie ein unbedeutendes Faktum als Motiv zu benutzen. Sie habe nämlich eine schlechte Amme gehabt, und ihre Mutter habe immer gesagt, daß des verruchten Menschen Milch ihr geschadet habe. Bei der Untersuchung ergab sich indessen nicht mehr, als daß die Amme etwas heftiger Gemütsart gewesen und einmal im Zuchthause gesessen habe.

Es lag in diesem Verteidigungssystem, daß sie die näherliegenden Motive ihrer einzelnen Taten möglichst entfernte, um immer wieder auf den unwiderstehlichen Trieb zurückzukommen. So redete sie mit der äußersten Liebe, ja Zärtlichkeit von allen ihren Opfern; sie zerfloß in Tränen, wenn sie ihrer gedachte, und dichtete den teuern, werten Personen gute Eigenschaften an, damit es unwahrscheinlicher werde, daß sie ihre Opfer bei gesunden Sinnen habe vergiften können. Selbst ihren ersten Mann, der erweislich ein Taugenichts und ein wüster Mensch gewesen war, konnte sie nicht genug wegen seiner Liebenswürdigkeit rühmen. Es gehörte die langwierigste und strengste Untersuchung dazu, um die selbstischen Beweggründe der einzelnen Verbrechen ans Licht zu stellen, um die Heuchlerin aus ihrer Schanze herauszuschlagen und wieder in die gemeine Verbrechersphäre zu treiben, in die sie gehörte. Ohne diese genauen Ermittlungen über die Motive ihrer Giftmorde und die sie begleitenden Verbrechen wäre es denkbar gewesen, daß Ärzte und Richter vereint auch ein moralisches Scheusal wie die Gottfried dem Gesetze hätten entziehen können.

Alle ihre Reue war nur Scheinwerk, Lug und Trug, vor den Menschen wie vor sich selbst. Vergebens suchten ihre Richter, ihr Verteidiger, vergebens die Geistlichen die Saat der Erkenntnis und der Buße in ihr Herz zu streuen: sie schlug nicht Wurzel, da kein Feld für sie war. Sünde und Eitelkeit hatten den fruchttragenden Boden gänzlich fortgespült. Was im Tränenwasser aufkeimte, waren Scheinblüten, die sofort wieder hinwelkten. Allerlei Heuchelei ließ sie spielen, um mit sich und den Machthabenden schön zu tun. Sie bat um die frommen, schönen Bücher und hielt sie auch aufgeschlagen vor sich, wenn jemand eintrat; es war aber in jedem Falle wahrscheinlich, daß sie nicht darin gelesen hatte.

Die Eitelkeit hielt sie auch in den Kerkermauern in ihren Ketten. Es war ein schrecklicher Moment für sie, als ein Maler sie zeichnete, sie, das eingefallene, hagere Gerippe im Friesrock. Jemand lobte beim Malen ihre Nase. »Da ist doch etwas Gutes an mir!« rief sie. Als später ein zweiter Maler ein gelungenes Bild entwarf, war sie sehr zufrieden und äußerte, nun würde sie doch nicht wieder wie das erstemal um den Spottpreis von achtzehn Groten in den Gassen ausgeboten werden. Sie schätzte es als die größte Humanität, daß man ihr vergönnt habe, statt der gewöhnlichen Gefängniskleidung ihren seidenen Jumper zu tragen, den sie auch trotz Lumpen und Flicken durch die Jahre ihrer Gefangenschaft anbehielt. Des Nachts schlief sie ohne Laken, um dieses des Morgens rein über ihr Bett breiten zu können, wenn Besuch käme.

Daß ein solches hohles Wesen die Strafe als eine notwendige Vergeltung und Sühnung ihrer Schuld betrachten solle, war nicht zu erwarten. Das Unsichtbare rächte sich für diese Verleugnung durch furchtbare Visionen, die die Verbrecherin gespensterhaft bei Nacht und Tage ängstigten. Sie gibt selbst darüber in ihren schriftlichen Mitteilungen die genauesten Nachrichten. So sieht sie, während der Polizeikommissar bei ihr ist, als sie aus dem Fenster blickt, einen großen schönen Saal mit einem schönen Schreibpult und einem Tisch mit Kaffeeservice; die beiden Söhne des ermordeten Kleine gehen im Saale auf und nieder, und deren Schwester will mit einer langen Nase auf die Verbrecherin zu. Sie ruft den Kommissar herbei, der natürlich nichts sieht. Ein andermal sitzt der alte Kleine in einer Wolke auf dem Kirchturm und droht ihr. Am häufigsten erblickte sie den blinden achtzigjährigen Herrn Meyerholtz, dem sie seine einzige Stütze und Ernährerin, seine Tochter, geraubt hatte, ohne die Barmherzigkeit geübt zu haben, auch ihn zu vergiften, und ein andermal den armen Küfer Schmidt und sein Kind, die traurig auf einer Wiese sitzen; denn sie hat ihnen ihr Liebstes und das Einzige gemordet, was für sie Wert auf Erden hatte. Das Totenantlitz des alten Herrn Kleine in Hannover verließ sie fast nirgends; die Söhne rannten ihr nach, und der eine schleuderte sie bei den Haaren auf den Schinderkarren. Zuweilen werden die Visionen poetisch; so ist sie einmal in der Kirche, aber als sie sich niedersetzen will, stehen alle Leute auf und gehen weg. Einmal sieht sie Zimmermann, ihren verlobten Bräutigam, in einem schönen Laden totenblaß stehen. Als sie eintritt, reicht er ihr ein ganz schmutziges Gesangbuch mit den Worten: »Suche hierin deinen Trost, mein Gesangbuch ist verloren.« In der Regel offenbart sich aber nichts Geistiges und Sinniges in den Erscheinungen, es sind nur Larven, um sie zu erschrecken.

Diese Visionen wurden oft so arg, daß sie nachts aufsprang und himmelhoch bat, daß man Wächter in ihrer Zelle lasse. Auch mußte die Frau des Gefangenenwärters ihr Gardinen vor das Fenster machen, weil die Gespenster immer von außen zu ihr kämen! Die Angst nach solchen Erscheinungen bewog sie auch zu Geständnissen, gegen welche sie sich früher gesträubt hatte. Sie hatte die scheußliche Frechheit gehabt, ihren seligen Vater zu verleumden, daß er es gewesen sei, der sie zum Vergiften angeleitet und ihr den Auftrag gegeben hätte, Miltenberg zu ermorden; ja er habe seinem eigenen kleinen Kinde mit den Fingern die Hirnschale eingedrückt und noch viele andre Greueltaten verübt. Die Geister, die ihr erschienen, zwangen sie hier, wie in anderen Fällen, die Wahrheit zu bekennen. Aber auch in diesen Visionen spielte ihre Eitelkeit und Verkehrtheit mit. So erscheint ihr ihr vergifteter erster Mann, der Wüstling Miltenberg, als ein anderer Heiland an der Hand Doktor Dräsekes, reicht ihr die Hand und spricht: »Ich will dich erretten und seligmachen, und du sollst mich preisen.«

Wir mögen fragen: Bedarf es noch einer Charakteristik dieses Weibes? Ihr Verteidiger hat sich durch die Lebensgeschichte der Gottfried ein großes Verdienst erworben, vielleicht auch bei denen, um deren Dank es ihm nicht zu tun ist; er hat aus der Erscheinung der Verbrecherin alles Spukhafte entfernt und das Menschliche der Verbrecherin ans Licht gestellt. Aber in welcher Verzerrung erscheint dabei das Menschliche dieser Frau! Gegen ihre Vorgängerinnen gehalten, ist die Gottfried allerdings ein Spuk. Jene sind warmblütige Wesen, von großen, furchtbaren Leidenschaften getrieben; der Teufel fand Grund und Boden, um seine Saaten auszustreuen. In dieser fand er nur eine Negation. Selbstsucht und Eitelkeit haben alles Göttliche und Menschliche aufgezehrt, und es steht nichts vor uns als ein hohles Scheinbild, dem man alle Lumpen umhängen kann, weiße und schwarze. Das Diabolische ist ihr nicht angeboren; kaum mögen wir in ihrem späteren Tun ihre Tatkraft eine diabolische nennen. Nichts von Affekt, nichts von Leidenschaft, kein Hohn, kein Haß, keine Rache. Nicht die kalte, selbstische Berechnung, welche gerade die Nächsten und Liebsten hinopfert, um zu einem Zwecke zu kommen. Ein einziger hat sie vielleicht gekränkt, beleidigt, ihr erster Mann: sie hat keinen Groll gegen ihn. Gift befreite ihn von einem kläglichen Dasein; eine Mörderin konnte sich der Selbsttäuschung hingeben, daß sie ihm eine Wohltat erzeigte. Auch daran hatte sie nie im Ernste gedacht. Nur und allein, um durch seinen Tod zu gewinnen, vergiftete sie ihn wie die anderen. Sie kennt keine Bande der Liebe und des Hasses, und dieselbe Gleisnerei, die von keinem Unglück hören kann, ohne Tränen zu vergießen, die die Leidenden aufsucht, die Kranken pflegt, kann ohne die geringste Regung die fürchterlichsten Qualen ihrer Opfer ansehen, ohne Mitgefühl zu empfinden. Sie, die vor dem geringsten körperlichen Schmerze zittert, kann kaltblütig diese Qualen noch durch neue Giftdosen erhöhen. Und sehen wir, wie sie an fünfzehn Opfern dieses Wesen treibt, wie alle ihre Gifttränke den beabsichtigten Erfolg haben und sie doch vor der Welt dasteht als eine tugendhafte Frau, als ein liebliches, gefeiertes Wesen, als eine christliche Dulderin, so hätte allerdings ein früheres Zeitalter an einen seelenlosen Kobold, an ein Dunstbild habe denken können, das ein boshafter Zauberer ins Leben setzte mit der Kraft, alles zu scheinen und nichts von allem zu sein. Aber sie ist kein Werkzeug einer dämonischen Macht: sie ist eine Spekulantin im Dienste ihres Egoismus. Alles an ihr ist Berechnung. Das Dämonische liegt nur darin, wie alle ihre mit dem äußersten Leichtsinn unternommenen Handlungen glücken, ohne entdeckt zu werden; wie sie Leichenberge um sich häufen kann, und kein Auge sieht durch die Nacht; mit den allergewöhnlichsten Verstellungskünsten täuscht sie den Argwohn der Kläger und der Menge. Und nun, als die erste Entdeckung erfolgt ist, ist damit alles entdeckt. Sie hat nicht mehr die Kraft, die Lügen zu fassen, und die ganze Lügenerscheinung sinkt wie ein Dunstbild zusammen, das eben nur durch die Einbildungskraft und Täuschung den anderen groß und furchtbar war.

Gleichwohl läßt sich der Trieb zum Vergiften nicht wegleugnen. Nur war er kein ursprünglicher, angeborener. Erst im Verlauf ihrer Verbrecherschicksale wuchs er und wurde so stark, bis er sie überwältigte. Sie ist schuld daran; nicht finstere Mächte, böse Dämonen, sie selbst impfte sich ihn ein. Sie kommt dafür und für seine Wirkungen auf; auch wenn er sie später in einer Art fortriß und zu Taten bewog, daß wir bei uns sprechen müssen, es ist unmöglich, daß sie dies bei gesunder Vernunft tat. Der Durst, der Kitzel, die Befriedigung suchten, schweiften ins Gebiet des Unbegreiflichen; aber es ist uns sehr begreiflich gemacht, wie dieser Durst und Kitzel entstanden sind. Sie fühlte sich unruhig und ängstlich, wenn sie eine Weile keinen Arsenikvorrat besaß, und ihr ward erst wieder wohl, wenn die Kruke Mäusebutter in ihrem Schranke stand. Ihre letzte Kruke nahm sie mit in den Kerker!

Aber diese Egoistin verschwendete nicht die köstliche Gabe zu spielerischen Zwecken; es war fast bei allen ihren Gaben eine bestimmte Absicht da. Selten geschah es aus zornigen oder rachsüchtigen Gefühlen. Nur zuletzt, als nach so vielem Glück und Greuel doch kein sichtliches, greifbares Resultat für sie da war, als Sorge und Not ihr drohten, als sie einsam dastand, von furchtbaren Gespenstern geneckt und umgeben, da schweifte auch ihr Sinn in der Irre umher, und wie eine Trunkene oder am Leben Verzweifelnde vergiftete sie darauf los, wen und wie es traf, nur um Beschäftigung zu haben und in der Beschäftigung Vergessenheit ihrer selbst zu finden.

Am 17. September 1830, im dritten Jahre ihrer Verhaftung und der Berge von Akten auftürmenden Untersuchung, erfolgte die Verurteilung der Gottfried durch das Bremer Obergericht zum Tode mittels des Schwertes.

Ihre Gesundheit, geschwächt durch die stete Furcht vor einem plötzlichen, gewaltsamen Tode, hatte sich in der letzten Zeit wieder gebessert. Völlig unvorbereitet ward sie am 18. September zur Entgegennahme des Urteils abgeholt. Aber beim Eintreten in den Saal fiel ihr falkenartig umherspähendes Auge auf ein Gefäß, dessen Inhalt sie sogleich richtig erriet. Es war Essig zum augenblicklichen Schutze gegen eine Ohnmacht. Sie wußte nun, ehe ein Wort gesprochen war, was ihr bevorstand. Sie bekam, nach ihrem Bekenntnis, keinen wirklichen Schreck, aber ein heftiges Beben und innerlicher Frost überfielen sie. Sie erklärte, daß sie dieses Urteil und noch weit mehr verdient habe, weshalb sie es mit Dank annehme.

Dennoch appellierte sie und bemühte sich in Briefen und Gesprächen, ihren Verteidiger von ihrer guten Gesinnung zu überzeugen; das heißt, sie wünschte alle ihre Missetaten ins schönste Licht gesetzt zu sehen und den Beweis ihrer Unzurechnungsfähigkeit weitergeführt. Aber dieser bemerkt, daß ihr Schmerz nach wie vor selbstischer Natur geblieben sei. Es zeigte sich keine Spur von einem Gefühl geistiger Hilfsbedürftigkeit. Im Gegenteil bemerkte er eine gewisse Sattheit und Selbstzufriedenheit, die in frömmelnden Redensarten ihre Blößen verbarg.

Das Gericht besorgte einen Selbstmord, und deshalb ward sie von nun an unter steter Bewachung von fünf Frauen, die sich abwechselten, gehalten. Diesen Frauen gegenüber sprach sie sich ungezwungener, charakteristischer aus als gegen Geistliche, Richter und Verteidiger. Vergebens hatte sie um Befreiung von dieser Bewachung gebeten; sie schloß daraus auf ihr nahe bevorstehendes Ende. Dem Tode auf dem Schafott zuvorzukommen, versuchte sie sich durch Hunger selbst ums Leben zu bringen. Alle dagegen angewandten Mittel schlugen fehl; vergebens stellte ihr Doktor Dräseke auch vor, daß sich dieser Vorsatz nicht mit ihrer vorgegebenen Religiosität vereinen lasse. Die Natur half selbst. Wenn der Hunger aufs höchste gestiegen war, verlangte sie doch noch etwas Bouillon und Apfelmus. Nur die letzten acht Tage genoß sie gar nichts.

Die fünf Frauen sagten einstimmig, in der letzten Zeit sei die Gottfried immer schlechter geworden, immer »gallichter«, »häßlicher«, »unartiger«. Sie las auch nicht mehr zum Scheine in den Erbauungsbüchern. Sie betete nie und klagte nie über ihre Sünden. Die heuchlerisch-demütige Kreatur ward jetzt, da sie sah, daß alle ihre Verstellung nichts half, frech und bitter gegen die Beamten und Richter: die Bewachung habe ihr ein Gallenfieber zugezogen; es fehle nur, daß man sie auch noch fessele; es sei unausstehlich, wie viele Besuche man zu ihr lasse usw. Sogar noch gegen die fünf Frauen heuchelte sie; denn sie gab jeder einzelnen den Vorzug vor der anderen und schmähte auf die Abwesenden.

Sie hoffte aufs bestimmteste, noch vor ihrer Hinrichtung aus Schwäche zu sterben, und verordnete für diesen Fall, daß man ihr den Mund zubinden solle, damit er nicht so häßlich offen stehe. Dann möchte man ihr den Todesschweiß abwischen und sie mit einem Bettlaken bedecken, daß sie nicht zum Schauspiel würde, wenn man sie die Treppe hinuntertrage. Trotz dieser Todesgedanken und -vorbereitungen hatte sie das feinste Ohr für alles, was im Gefängnis vorfiel; sie horchte durch die Mauern, kannte die Gefangenensprache, interessierte sich aufs lebhafteste für die männlichen Gefangenen und hätte gern die Kupplerin gespielt für ihre Liebschaften; denn auch diese werden in den Kerkermauern gepflogen.

Ein besonderes letztes Interesse erregte ihr die Gefangensetzung einer anderen Frau, die des Giftmordes an ihrem Gatten beschuldigt war. Sie versuchte durch die Wände den Antworten bei deren erstem Verhör zuzuhören und äußerte dann: »Die teufelt sich davon los. Wenn ich hätte so sprechen können, so wäre ich auch freigekommen.«

Der Erteilung des Abendmahls wich sie, indem sie Krankheit vorschützte, noch aus, und Doktor Dräseke mußte mehrere Male unverrichteter Sache fortgehen. Im übrigen versuchte sie auch jetzt noch die Fromme zu spielen und prunkte vor allen, die sie besuchten, mit salbungsvollen biblischen Sprüchen, die sie immer zur Hand zu haben schien.

Am 14. April 1831 wurde ihr das unter dem 6. April ergangene Urteil des Oberappellationsgerichts der vier freien Städte Deutschlands zu Lübeck, welches das Bremer Urteil lediglich bestätigte, eröffnet. Keine sonderliche Bewegung ward an ihr sichtbar; doch ließ sie es sich wiederholen, worauf sie Tränen vergoß und erklärte, ihr Leben sei das wenigste, was sie für so viele Verbrechen geben könne.

Fest und entschieden erklärte sie, als ihr Verteidiger sie darauf aufmerksam machte, daß sie um Begnadigung beim Senate einkommen dürfe und er gern erbötig sei, ihr Gesuch aufzusetzen, daß sie nicht um Begnadigung bitten wolle, sie gebe gern ihr Leben hin.

Noch war freilich ihr Vertrauen darauf gerichtet, aus Schwäche vor der Hinrichtung zu sterben. Zusammengekauert lag sie im Bette, stumpfsinnig das Unvermeidliche erwartend. Vom Lesen und Beten mochte sie nichts hören; sie sei zu schwach dazu, und kurz erklärte sie allen, die sie befragten, Gottes Barmherzigkeit sei größer als alle Sünden, und niemand könne mehr tun, als sein Leben hingeben, noch dazu, wenn er es gern gebe.

Als die Hoffnung, an Schwäche zu sterben, fehlschlug, beschäftigte sie sich nur mit den Äußerlichkeiten der Hinrichtung. Zwar nahm sie nun endlich nach vielem Aufschub das Abendmahl, doch ohne inneres Verlangen, nur durch äußere Rücksichten genötigt. Ihre Toilette war viel wichtiger. Als man ihr im Gefängnis einige Tage vorher zum ersten Male einen Spiegel gab, erschrak sie heftig, wie sie jetzt aussehe und wie sie gealtert sei. Sie wollte nicht wieder hineinsehen. Sie lieh sich eine Haube von der Gefangenenwärterin, und da sie ihr nicht weiß genug war, bat sie die Frau, sie vorher in ihrem Garten noch etwas zu bleichen.

Am 19. April erfuhr sie, daß sie am nächsten Morgen hingerichtet werden solle. Sie erkundigte sich genau nach dem Ort und der Stunde und versicherte, sie habe alles gestanden und keinen mehr vergiftet, als die auf der Liste ständen; ihr Herz sei ganz rein! Überhaupt kamen nur selbstgefällige Äußerungen über ihre Lippen, ein flüchtiger Scherz mit dem Gefangenenknecht, ein Gelüst nach Johannisbeeren und Apfelsinen.

Das gleißende Gewand äußerer Leutseligkeit entfiel ihr mehr und mehr, je näher die Todesstunde kam. Sie ward einsilbig und antwortete kaum. Noch bis zur letzten Stunde gab sie die Hoffnung nicht auf, daß sie an dem Gallenerbrechen, das ihre Schwäche erhöhte, sterben möchte. Morgens um fünf Uhr erschien der Geistliche und fand sie noch schlafend. Als man sie endlich weckte, war sie nicht weniger als erfreut über den Besuch, forderte Wein zum Trinken und Einreiben, Kaffee und andere Kleinigkeiten, ohne daß ihr Sinn sich besonders mit dem Prediger beschäftigt hatte.

Eine neue Angst stieg in ihr auf vor dem offenen Wagen, in dem sie transportiert werden sollte. Sie fürchtete, den Exzessen des Pöbels ausgesetzt zu sein. Man beruhigte sie, indem man ihr sagte, daß ein Polizeidiener neben ihr sitzen werde. Ihr Anzug beschäftigte sie fast allein in der letzten Stunde. Aus ähnlichem Grunde ließ sie den Geistlichen, der einen zweiten Besuch machen wollte, nicht vor. Sie zog sich selbst an und ließ sorgsam den Kragen der Jacke abschneiden, damit Platz zum Schwertstreich werde. Die neuen Schuhe von grober Arbeit, die man ihr hinstellte, wies sie mit Abscheu von sich und gab sich erst zufrieden, als eine Frau ihr ein Paar leichte Zeugschuhe brachte; aber die schwarzen Strümpfe, die ihr geliefert wurden, zog sie über ihre alten grauen, um ihre Waden dadurch mehr hervorzuheben.

Noch kam ein furchtbarer Moment für das eitle Weib. Man wußte, wie sie sich gegen das übliche Totenkleid, ein weites, weißes Gewand mit schwarzer Einfassung und gleichen Bändern und Schleifen, sträuben würde. Und deshalb ward es ihr erst hereingebracht, als sie schon aufrecht stand, unterfaßt von zwei Dienern der Gerechtigkeit. Ihre Augen verdrehten sich auf furchtbare Weise, als sie das Kleid zu Gesicht bekam, und sie seufzte tief auf, als man es ihr über den Kopf warf, faßte sich aber doch und zupfte es zurecht.

Schnell und ohne Rührung nahm sie Abschied von den Frauen; als aber Dräseke den Augenblick wahrnahm und plötzlich an sie herantrat, wandte sie sich mit den Worten um: »Ihnen will ich nicht adieu sagen«. – »Und mir willst du nicht adieu sagen?« sprach der Geistliche. Sie antwortete rasch: »Na, dann will ich Ihnen auf ewig adieu sagen.« – »Nein, nicht auf ewig«, erwiderte Dräseke tief bewegt, sprach noch einige Worte der Ermahnung und weinte bitterlich. Jetzt stürzten auch ihre Tränen hervor; sie hielt ihr weißes Tuch vor das Gesicht und wankte die Treppe hinunter.

In äußerlich vollkommener Haltung saß sie während des ganzen Weges zur Richtstatt auf dem Leiterwagen, den sie ohne große Unterstützung bestiegen hatte. Ihre Hände hatte sie schon bald von dem Stricke, der scheinbar darum geschlungen worden war, befreit, und sie hielt während der ganzen Fahrt krampfhaft die Hand des neben ihr sitzenden Polizeidieners.

Im Angesicht des Marktplatzes war das Schafott aufgeschlagen, elf Fuß hoch, schwarz behangen. Ihm gegenüber, sechs Fuß hoch, stand die ebenfalls schwarze Tribüne zur Hegung des hochnotpeinlichen Halsgerichts. Auf jene hinaufgehoben, hörte sie, dem Gerichte gegenüber, mit sichtbarer Angst, doch ohne Tränen die Vorlesung des Todesurteils. Nachdem von dem Senator der Stab über ihrem Haupte zerbrochen und sie dem Scharfrichter übergeben worden war, reichte sie dem Gerichte zum Abschied ihre Hand, nahm einen guten Trunk Weins und wankte dem Schafott zu. Zierlich faßte sie beim Aufsteigen auf die Treppe das Gewand. Als sie oben den für sie bestimmten Lehnstuhl sah, stierte, so wird uns vom Verteidiger berichtet, »ihr Blick wild umher, ein satanisches Leben, ein Feuer der Hölle blitzte aus dem sonst erloschenen Augapfel hervor«. Da der zur Aufrechterhaltung des Kopfes bestimmte Riemen nicht passen wollte, vergingen noch einige Minuten. Die Knechte stießen den kraftlos übersinkenden Kopf wiederholt durch Stöße unter das Kinn empor, bis ein kräftiger Hieb das Haupt vom Körper trennte.

Die vorige Stille verwandelte sich in ein lautes Rufen der zahllos Versammelten. Der Scharfrichter nahm das weiße Tuch, welches die Gerichtete auf ihrem Schöße liegen hatte, und wischte damit das Blut vom Schwerte.

Bei der Sektion des Leichnams – er ward auf dem Schinderkarren fortgefahren – ergab sich eine vollkommen regelmäßige Struktur aller edlen Körperteile und zugleich die völlige Gesundheit der Verbrecherin. Ihre Schwäche war nur die Folge des versuchten Hungertodes. Nur durch das unerhört gewaltsame Schnüren waren die Brustknochen emporgetrieben.

In dem Museum in Bremen wurde noch lange der Kopf der Gottfried in Spiritus, ihr Skelett in einem Schranke aufbewahrt.

Wahre Verbrechen: Morde am Fließband - Die bekanntesten Kriminalgeschichten aller Länder

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