Читать книгу Wahre Verbrechen: Morde am Fließband - Die bekanntesten Kriminalgeschichten aller Länder - Alexis Willibald - Страница 9

Die Nonne von Monza

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Inhaltsverzeichnis

Das Kloster, in dem unsere Geschichte sich abspielt, ist das Kloster di Santa Margherita zu Monza in dem besonderen Quartier di Agrate. Es gehörte dem Orden der Humiliatinnen. Dieser Orden war im Jahre 1134 gestiftet worden und zunächst nur für Männer von italienischer Abkunft und von Adel bestimmt gewesen, die Kaiser Lothar II. nach Deutschland geschickt und, nachdem sie ihren Gehorsam und ihre Demut bewiesen, wieder entlassen hatte mit den Worten: »Denique humiliati estis«. Sie nannten sich mit Bezug hierauf Humiliati, stellten sich 1151 unter die Regel des heiligen Benedikt und wurden im Jahre 1200 vom Papste Innozenz III. förmlich bestätigt. Im Laufe der Zeit erwarb der Orden große Reichtümer, insbesondere auch Grundbesitz von bedeutendem Wert. Die Folge davon war, daß die Humiliaten trotz ihres Namens sehr übermütig wurden und sich einem üppigen, schwelgerischen Leben ergaben. Der Erzbischof Carlo Borromeo von Mailand, jener gelehrte und fromme Kirchenfürst, der nachmals heilig gesprochen wurde, griff energisch ein und setzte beim päpstlichen Stuhle die Reform des entarteten Ordens durch. Die Chorherren gerieten darüber so in Zorn, daß einer von ihnen namens Farina am 26. Oktober 1569 in einer Kapelle des Doms zu Mailand während des Gottesdienstes einen Schuß auf den Erzbischof abfeuerte und ihn, zum Glück nur leicht, verwundete. Der Papst Paul V. hob deshalb den Orden im Jahre 1576 gänzlich auf.

Schon früher waren auch Klöster der Humiliatinnen entstanden, die einer ähnlichen Regel folgten wie die der Humiliaten. Sie wurden durch das päpstliche Dekret, das wir eben erwähnt haben, nicht berührt und bestanden fort, auch nachdem die Klöster der Männer eingegangen waren. Das diesem Orden gehörige Kloster in Monza ist, wie schon erwähnt, der Schauplatz unseres Prozesses, dessen Beginn in das Jahr 1607 fällt.

Um diese Zeit herrschte die spanische Linie des Hauses Habsburg über das Herzogtum Mailand. König Philipp III. (1598 – 1621) hatte als Statthalter Don Pietro Enriquez de Acevedo di Fuentes eingesetzt. Er sah es nicht ungern, daß spanische Granden in größerer Zahl sich nach Mailand begaben und dort niederließen. Auch die navarresische Familie de Leyva war dorthin gezogen und mit dem Bezirk, in dem das Kloster di Santa Margherita lag, beliehen worden. Noch jetzt ist eine Urkunde vom 26. Dezember 1596 vorhanden, laut welcher die Schwester Virgina Maria Leyva, auch Principessa del Borgo e del monastero genannt, in Vertretung ihres Vaters, des Don Martino de Leyva, das Recht verleiht, im Flusse Lambro bei Monza zu fischen. Dieser ebengenannte Don Martino de Leyva war ein stolzer Herr, der den Prunk liebte und alles aufbot, um die Würde und den Glanz seines Hauses zu erhalten und zu mehren. Damit das große Vermögen in einer Hand bleiben sollte, hatte er seine einzige Tochter Virginia gezwungen, den Schleier zu nehmen. Sie war in das Kloster der Humiliatinnen zu Monza eingetreten und hatte, einundzwanzig Jahre alt, den Profeß abgelegt. Ausgezeichnet durch vornehme Geburt, durch ungewöhnliche wohnliche Schönheit und durch reiche Geistesgaben, gewann sie sehr schnell die Herzen der anderen Nonnen. In kurzem hatte sie sich eine Stellung erobert, wie sie vor ihr keiner Bewohnerin des Klosters jemals eingeräumt worden war; selbst die Äbtissin fügte sich ihren Wünschen, und ungestraft durfte sie die Hausordnung und die strengen Ordensregeln übertreten.

Aber diese Freiheit wurde ihr Verderben. Die keusche Nonne knüpfte Bekanntschaft an mit einem jungen Manne, der in der Nähe des Klosters wohnte; sie vermittelte, daß er heimlich Zutritt im Kloster erhielt, nahm ihn endlich sogar mit in ihre Zelle und fing ein Liebesverhältnis mit ihm an, das mehrere Jahre von ihr unterhalten wurde und nicht ohne Früchte blieb. Ihr Fehltritt ließ sich nicht verbergen, obschon ihr Geliebter kein Mittel scheute und sogar zum Mörder wurde, um die Zeuginnen ihres verbrecherischen Wandels für immer stumm zu machen. Der Prozeß, der auf Befehl des Kardinals Federigo Borromeo, eines Vetters von Carlo Borromeo, der damals Erzbischof von Mailand war und die Gerichtsbarkeit über das Kloster besaß, eingeleitet wurde, brachte es an den Tag, daß die Humiliatinnen von Monza gleich liederlichen Dirnen gelebt und in schamloser Weise Unzucht getrieben hatten, daß das Kloster nicht eine Stätte demütiger Entsagung und frommer Empfindungen gewesen war, sondern ein Ort, wo Lüge und List, Buhlerei und Brutalität geherrscht hatten.

Am 27. November pochte der apostolische Protonotar und Kriminalvikar der erzbischöflichen Kurie zu Mailand, Girolamo Saraceno, an die Pforte des Klosters und begehrte sofortigen Einlaß. Er war versehen mit einem Schreiben des Erzbischofs Borromeo, das ihn ermächtigte, in Begleitung eines Notars sich in das Kloster zu verfügen, dessen Tür der Regel gemäß für gewöhnlich jedem Manne verschlossen blieb, und dort Verhöre vorzunehmen. Im inneren Sprechzimmer erschien vor ihm zunächst die Priorin Angela Margherita, in der Welt Angela Sacchi genannt, um als Informationszeugin ihre Aussage zu erstatten. Sie leistete einen feierlichen Eid auf das Evangelienbuch und wurde hierauf in italienischer Sprache, in der überhaupt die Protokolle, die Urteile und alle zu den Akten gekommenen Schriftstücke abgefaßt sind, vernommen.

Sie sagte auf die einzelnen Fragen des Protonotars hin folgendes aus: »Der Signor Giampaolo Osio, um den es sich handelt, ist ein Glied der angesehenen adeligen Familie degli Osii, die ihre Wohnung nahe bei dem Kloster hat. Daß er öfters im Kloster war, weiß ich. Einige Nonnen wollen ihn gesehen haben, andere hatten schon vor längerer Zeit Verdacht deswegen geschöpft, weil seit dem letzten Allerheiligenfeste die Speisen bald früher, bald später als gewöhnlich in die Zellen der Schwestern Ottavia Ricci, Silvia Casati und Benedetta Homati getragen wurden. Diese drei Schwestern sind Freundinnen der Schwester Virginia Maria de Leyva und wohnen mit ihr zusammen. Die Speisen waren nicht die gewöhnlichen, mußten vielmehr bereitet sein für eine Person, die mit der üblichen Kost der Nonnen nicht fürlieb nahm. Sie wurden heimlich aus der Küche geholt und heimlich in die Zellen getragen. Dies aber würde nicht geschehen sein, wenn sie für die Nonnen bestimmt gewesen wären.

Zwischen Osio und Virginia besteht schon seit etwa sieben Jahren eine innige Freundschaft. Sie haben sich miteinander unterhalten und sich gegenseitig Geschenke gemacht. Er hat ihr Geflügel, Fische, Früchte und anderes geschickt, sie hat ihm Nonnenbackwerk, weiße Halskrausen und ähnliches zukommen lassen. In früherer Zeit bewohnte Schwester Virginia ein Zimmer, dessen Fenster nach dem an das Kloster grenzenden Garten Osios hinausging, so daß, wenn er im Garten war, beide sich unbeobachtet sehen und sprechen konnten. Auf Anordnung von Monsignore Bacca, gelegentlich einer Visitation, die vor zwei Jahren stattfand, ist Virginia in eine andere Zelle versetzt und jenes Fenster zugemauert worden.

Ich weiß auch, daß Osio im Verdacht steht, den Apotheker Reineri Roncini in Monza ermordet zu haben, und daß er das wahrscheinlich deswegen getan habe, weil Reineri sich über die Freundschaft zwischen Osio und Virginia geäußert und dadurch den Zorn des ersteren erregt haben solle.

Zur Zeit des letzten Karnevals hörte ich sagen, Osio sei in Pavia wegen seines Verkehrs mit der Schwester Virginia eingesperrt worden, und zwar sei dies geschehen auf Veranlassung des Fürsten Ascoli, eines Vetters der Virginia, der bei dem Gouverneur Grafen di Fuentes einen Haftbefehl ausgewirkt habe.

Öfters ist auch ein Kind von zwei Jahren, ein kleines Mädchen namens Francesca, in das Kloster gekommen, das Schwester Virginia sehr zärtlich behandelte. Man erzählte, diese Francesca sei die Tochter des Osio und der Virginia. Ich glaube, das Kind hält sich im Hause des Giampaolo OsIo auf und ist als sein Kind anerkannt worden.

Über die Schwester Catterina Cassini von Meda, die aus dem Kloster verschwunden ist, weiß ich folgendes zu sagen. Eine Schwester dieses Namens, die aber noch nicht als Nonne eingekleidet war, ist allerdings im Kloster gewesen und hat die Schwester Virginia bedient. Vor etwa einem Jahre wurde sie auf Anordnung der letzteren in einen verschlossenen Raum neben der Waschküche, etwas entfernt von den Zellen der Nonnen, eingesperrt. Drei bis vier Tage blieb sie in ihrem Arrest, dann aber war sie verschwunden. Sie hatte in die Mauer, die sich an der Hauptstraße entlangzieht, eine Öffnung gebrochen und durch sie die Flucht ergriffen. Das war gerade an dem Tage, an dem Monsignore Bacca in das Kloster kam, um eine Visitation zu halten. Diese Flucht schien uns um so merkwürdiger, als Catterina, die etwas beschränkt war, den Monsignore hatte um Rat fragen wollen, ob sie das Kloster wieder verlassen solle, ohne Profeß zu tun. Ich glaube, Schwester Catterina ist von mehreren Nonnen in Arrest gebracht worden, weil sie ihnen nicht gehorsam gewesen war. Die damalige Priorin Bianca Homati und die Vikarin Virginia müssen dies besser wissen. Es ging das Gerücht um, daß Catterina von allem gewußt habe, was zwischen Osio und Virginia vorgegangen ist. Sie soll nicht reinen Mund gehalten, sondern geplaudert haben und deshalb von Osio entfernt und unschädlich gemacht worden sein.«

Nach dem Verhör wurde die Prioiin entlassen und ihr bei Strafe der Exkommunikation aufgegeben, über alles, was der erzbischöfliche Protonotar sie gefragt hatte, das tiefste Stillschweigen zu beobachten.

Am folgenden Tage, den 28. November 1607, erschien die Vikarin Francesca Imbersaga vor der Gerichtskommission. Sie gab sehr wichtige Aufschlüsse über die Vorgänge im Kloster Santa Margherita und über die von Osio verübten Verbrechen. Die Vikarin erklärte: »Ich kann mir nicht anders denken, als daß ich wegen der Unordnung vernommen werden soll, die durch Schwester Virginia in diesem Kloster entstanden ist, und werde alles mitteilen, was ich weiß. Vor etwa acht Jahren, als ich noch Priorin war, wurde ich von Personen außerhalb unseres Klosters davon in Kenntnis gesetzt, daß Osio ein Liebesverhältnis mit mehreren Nonnen unterhalte. Es wurde mir gesagt, Osio pflege von einem seiner an das Kloster stoßenden Gärten aus mit den Nonnen, die an einem Fenster mit der Aussicht auf diesen Garten ständen, zu sprechen und sich über Stelldicheins zu verständigen. Zuerst knüpfte Osio mit einer Klosterschülerin Isabelle degli Ortensii aus Monza an. Sie ging öfters in den Hühnerhof, dort traf sie mit Osio zusammen, der von einem Baume seines Gartens, dessen Äste in den Hof ragten, zu ihr herunterstieg. Später fing er eine Liebschaft an mit Schwester Virginia, Sie sah ihn und er sah sie an einem in den Garten gehenden Fensterchen in der Zelle der Schwester Candida. Als mir das hinterbracht wurde, begab ich mich sofort zu dieser Zelle, aber sie war verschlossen. Virginia und Candida hatten sich eingeriegelt, Ich stieg deshalb auf den Fruchtspeicher, von dem aus man den Garten des Osio überschauen konnte. Hier sah ich, daß Osio im Garten stand und unverwandt nach dem Klosterfensterchen in der Zelle der Schwester Candida heraufblickte. Ob Virginia und Candida an diesem Fensterchen standen, konnte ich nicht bemerken. Ich verbot den beiden Nonnen, an dieses Fensterchen zu treten, weil dadurch die Ehre des Klosters leiden möchte. Sie leugneten, jemals von dort aus mit Osio geliebäugelt zu haben. Bald darauf ließ ich das Fenster zumauern. Nach vier oder fünf Monaten erfuhr ich, daß Virginia öfters an einem Fenster des Klosterbäckers zu treffen sei, von dem aus man in einen anderen Garten des Osio sehen konnte, und daß sie von dort aus mit ihm Blicke wechselte. Ich stellte sie deshalb zur Rede, sie aber leugnete alles ab.

Ich vermutete, daß sie auch schriftlichen Verkehr mit Osio unterhielt und sich des Giuseppe Peseno als Boten bediente. Ich untersagte diesem daher den Zutritt ins Kloster. Das brachte die Schwester Virginia in hohem Grade auf, sie schleuderte mir die schwersten Beleidigungen ins Gesicht, und zwar geschah das in Gegenwart mehrerer anderer Nonnen. Diese hielten es mit Virginia, die von allen ihres Einflusses wegen gefürchtet wurde, und ließen mich im Stiche. Kurze Zeit darauf wurde Virginia krank; sie legte sich zu Bett und behauptete, ich hätte ihr Gift eingegeben. Sie setzte es mit Hilfe ihrer mächtigen Verwandten durch, daß ich von allen meinen Ämtern entfernt und an meiner Stelle die mit ihr eng befreundete Schwester Beatrice zur Priorin, sie selbst aber zur Vikarin ernannt wurde. Nun konnte sie tun und lassen, was sie wollte. Zwei Jahre später starb Beatrice, und ich wurde Pförtnerin. Während ich dieses Amt zu verwalten hatte, bemerkte ich wiederholt, daß das Schloß an der großen Tür der Kirche zur Nachtzeit geöffnet war. Ich kam auf den Gedanken, daß Osio auf diesem Wege in das Kloster gelange. Eines Nachts hörte Schwester Vittoria, daß in den anderen Klöstern bereits zu dem Matutinum (dem ersten Gebet) geläutet wurde. Sie stand eilig auf und lief ohne Schuhe nach der Kirche, um ebenfalls zu läuten. Auf der Treppe sah sie die Lampe, die soeben noch gebrannt hatte, plötzlich verlöschen. Eine mit Virginia befreundete Schwester stand vor ihrer Zelle und sagte zu der Schwester Vittoria, sie solle die Lampe wieder anzünden. Wahrscheinlich hatten Oslo und Virginia ein Stelldichein in der Kirche, und jene Schwester war beauftragt, Wache zu stehen und die Lampe auszulöschen, sobald ein Unberufener sich nahte.

Ein andermal mußte die Schwester Paol’ Antonia Aliprandi des Nachts ihre Zelle verlassen. Sie sah im Korridor drei Nonnen von der Pforte herkommen und rief 4 sie an. Eine der Nonnen, die ein Tuch um den Kopf geschlungen hatte, so daß ihr Antlitz verdeckt war, zog sich hierauf in eine Ecke nahe der Pforte zurück. Antonia war neugierig und wollte gern wissen, wer diese Nonne sei, sie wurde aber von Schwester Benedetta – einer der drei Nonnen – am Arme gefaßt und mit dem Bemerken zurückgeschoben, es sei die Schwester Giovanna. Das war eine Lüge, denn Giovanna befand sich in der Kirche. Wahrscheinlich hatte Osio sich in das Gewand einer Nonne gekleidet, um desto ungestörter bei Virginia sein zu können.

In der Nacht der Vigilien am letztvergangenen Allerheiligenfeste war Schwester Dorothea krank. Viele Nonnen befanden sich in ihrer Zelle, unter ihnen auch die Freundinnen und Helferinnen der Virginia, die Schwestern Candida, Benedetta und Ottavia. Die letztere ging dreimal aus der Zelle und sprach, wenn sie wiederkam, stets heimlich mit Candida und Benedetta. Ich schloß daraus, daß Osio in dieser Nacht in das Kloster gekommen und bei Virginia sei, die unter dem Vorwand des Unwohlseins dem Gottesdienste nicht beigewohnt hatte. Virginia hatte in der Zelle der Schwester Ottavia geschlafen, diese, Candida, Benedetta und Silvia waren geschäftig aus-und eingegangen, hatten aber regelmäßig die Tür der Zelle verschlossen.

Damit war die Schuld der Schwester Virginia so gut wie bewiesen. Am folgenden Tage wurde Virginia aus dem Kloster Santa Margherita weggebracht und in das Kloster del Borchetto zu Mailand übergeführt. Vermutlich befürchtete man, daß manche von den Nonnen nicht mit der Sprache herausgehen würden, solange Virginia im Kloster wäre und die Mittel besäße, ihren Einfluß geltend zu machen.

Am 30. November 1607, bevor noch weiter in der Untersuchung vorgegangen worden war, ließ sich der Erzpriester Settala bei dem Kriminaloikar der erzbischöflichen Kurie von Mailand melden und überreichte ihm einen ihm soeben im Beichtstuhle eingehändigten Zettel, in dem der Guardian des Klosters Maria delle Grazie anzeigte, daß eine Nonne aus dem Kloster Santa Margherita mit zahlreichen Wunden bedeckt im Kloster Maria belle Grazie angekommen sei. Der Kriminalvikar Saraceno und der Erzpriester Settala begaben sich ohne Verzug in das außerhalb der Stadt gelegene Kloster Maria delle Grazie, der Notar aber, den Saraceno zu seiner Unterstützung, mitgebracht hatte, verfügte sich in das Kloster Santa Margherita, um Erkundigung einzuziehen über die Vorfälle, die sich dort in der vergangenen Nacht etwa zugetragen hätten. Er ließ durch die Priorin feststellen, welche Nonnen fehlten, und siehe da, die Schwestern Ottavia Ricci und Benedetta Homati, die zwei vertrauten Freundinnen der Schwester Virginia, waren während der Nacht vom 29. zum 3o. November aus dem Kloster verschwunden.

Der Kriminalvikar Saraceno fand im Kloster Maria delle Grazie eine Nonne, deren Kleider beschmutzt, zerrissen und durchnäßt waren. Sie blutete stark und war augenscheinlich sehr schwach. Sie gab an, sie sei Schwester Ottavia Ricci und sei zusammen mit der Schwester Benedetta Homati aus ihrem Kloster entflohen. Giampaolo Osio habe sie beide zur Flucht überredet und ihnen den Weg gebahnt. Was aus ihrer Gefährtin geworden sei, das wisse sie nicht. Sie war so entkräftet; daß zunächst darauf verzichtet werden mußte, ein genaues Verhör mit ihr anzustellen. Sie wurde im Wagen aus dem Mönchskloster Maria delle Grazie in das Nonnenkloster di Santa Oisola in Monza geschafft, dort entkleidet, zu Bett gebracht und verbunden. Sie hatte nicht weniger als zwölf Wunden, die meisten am Kopfe, und war augenscheinlich sehr schwer verletzt. Als sie wieder so weit genesen war, daß sie ausführlich vernommen werden konnte, machte sie folgende Angaben: »Mein Vater heißt Agrippa, und ich bin in Mailand geboren. Bis gestern bin ich im Kloster Santa Margherita gewesen. Ich war sehr befreundet mit Schwester Virginia und kannte ihr Verhältnis zu Osio. Als sie gestern plötzlich aus dem Kloster weggebracht wurde, erschrak ich und fürchtete, daß nun auch ich, weil ich ihre Liebschaft mit Osio unterstützt und ihr Dienste geleistet hatte, zur Rechenschaft gezogen werden würde. Ich konnte es vor innerer Unruhe nicht mehr in meiner Zelle aushalten und begab mich zur Schwester Candida, um nicht allein schlafen zu müssen. Ich kleidete mich eben aus und wollte zu Bett gehen, als mir Schwester Benedetta ein Zeichen gab. Ich ging vor die Zelle und besprach mich dort mit ihr. Sie sagte mir, sie fühle sich nicht mehr sicher, fürchte sich vor der Kriminaluntersuchung, die der Kriminalvikar bereits eingeleitet habe, und sei deshalb unter allen Umständen entschlossen, aus dem Kloster zu fliehen. Sie habe Osio davon in Kenntnis gesetzt und ihn gebeten, ihr behilflich zu sein. Auf meine Bemerkung, das sei ja Wahnwitz, sie solle nicht so törichte Pläne verfolgen, entgegnete sie mir, wenn ich im Kloster bliebe und nicht ebenfalls die Flucht ergriffe, würde niemand anders als ich wahnsinnig sein. Hierauf ging sie die Treppe, die zur Kirche führte, hinunter, und ich lief ihr nach, um sie zurückzuhalten. Auf meine Frage, wo Osio sei, erwiderte sie: ›Komm mit, du wirst ihn schon sehen. Er ist eben damit beschäftigt, die Mauer zu durchbrechen.‹ Sie führte mich an die Gartenmauer in die Nähe des großen Tores und rief dem jenseits der Mauer stehenden Oslo zu: ›Wißt Ihr schon, daß Ottavia nicht mitkommen will?‹ Er antwortete: ›Meinetwegen! Aber nach allem, was ich erfahren habe, steht der Kopf auf dem Spiele.‹ Während Asio von außen eine Öffnung in die Mauer brach, half Benedetta von innen nach. Beide wurden nicht müde, mir vorzureden, welche fürchterlichen Strafen meiner warteten, wenn man durch die Untersuchung dahinterkäme, daß ich dem fleischlichen Umgange einer Nonne mit einem Manne Vorschub geleistet hätte. Sie malten mir solche schreckliche Bilder vor, daß ich mich endlich bereit erklärte, aus dem Kloster zu entweichen, wenn Osio mir versprechen wollte, mich in ein Nonnenkloster nach Bergamo zu bringen. Er versprach mir das, ich kleidete mich darauf wieder an und gelangte zusammen mit Benedetta durch die Öffnung der Mauer ins Freie, Osio geleitete uns an der Stadtmauer entlang, die wir an einer Stelle, wo sie eingestürzt war, überstiegen. Nachdem wir den Fluß Lambro eine kleine Strecke weit verfolgt hatten, kamen wir an die Kirche der Madonna delle Grazie. Ich schlug den andern vor, hier niederzuknieen und die Madonna anzurufen, daß sie uns auf unserem Wege in Gnaden schützen möchte. Mein Vorschlag wurde angenommen; unter der großen Tür der Kirche knieten wir nieder und beteten siebenmal das Salve Regina. Dann setzten wir unsere Wanderung fort und erreichten wiederum den Fluß Lambro. Ich glitt aus und fiel in das Wasser. Es war indes nicht tief, und ich fand bald Grund. Als ich mich an das Ufer arbeitete, zog Osio plötzlich ein Feuerrohr unter seinem Mantel hervor und schlug auf mich ein. Ich rief die heilige Maria von Loretto um Hilfe an, aber er hatte kein Erbarmen, sondern fuhr fort, mich auf den Kopf zu schlagen, ich weiß nicht wie oft. Als er gar den Hahn des Gewehres aufzog, fürchtete ich, daß er mich erschießen würde. Er feuerte jedoch nicht, sondern zerschlug mir die rechte Hand, mit der ich mich aufstützte, um das Ufer zu ersteigen. Schwester Benedetta stand etwas entfernt und bat den Osio, er möchte von mir ablassen. Ich verhielt mich nach den Schlägen auf die Hand ganz still, und Osio mochte deshalb glauben, daß ich tot wäre, und ging mit Benedetta weiter. Ich hatte nicht mehr die Kraft, an das Land zu kommen, das Wasser riß mich fort, aber mit Hilfe der heiligen Jungfrau, die ich bat, sie möchte mich nicht in meinen Sünden umkommen lassen, sondern mir Zeit zum Beichten gönnen, kam ich an eine seichte Stelle, an der man mich später gefunden hat. Ich hatte wohl schon drei Stunden dort gelegen, als endlich der Tag anbrach und ich einen Landmann entdeckte, der vorüberging. Ich rief ihn an und bat ihn, mich in sein Haus aufzunehmen und wenigstens eine Nacht bei sich zu behalten. Er schlug es mir jedoch ab und reichte mir nur einen Stock als Stütze, mit dessen Hilfe ich mich zum Kloster Maria delle Grazie schleppte.«

An der von der verwundeten Schwester Ottavia bezeichneten Stelle wurde tatsächlich der blutige Schaft eines Feuerrohrs gefunden und dadurch die Erzählung der Nonne bestätigt. Sie wurde am 17. Dezember 1607 gefragt, ob sie bereit sei, ihre Angaben unter der Folter zu wiederholen. Sie bejahte es, setzte aber hinzu, unrichtig sei das eine, daß sie gesagt habe, sie sei in den Fluß Lambro gefallen. Sie sei nicht hineingefallen, sondern Osio habe sie hineingeworfen. Am 26. Dezember 1607 starb sie an ihren Wunden.

Schon vorher, am 2. Dezember, hatte der Erzpriester Settala dem Kriminalvikar durch einen Eilboten anzeigen lassen, Schwester Benedetta sei in einem Brunnen bei Velate aufgefunden worden, ob tot oder lebendig, habe er nicht in Erfahrung bringen können. Augenblicklich eilten der Kriminalvikar und sein Notar in einer Karosse, begleitet von mehreren berittenen Dienern, an Ort und Stelle. Im Hause des Alberico de Albericis fanden sie eine Frauensperson in einem Bett liegend, deren Haupt mit Tüchern, wie sie Nonnen zu tragen pflegen, umhüllt war. Sie litt offenbar große Schmerzen und brach oft in laute Klagen aus. Auf Befragen sagte sie, daß sie Schwester Benedetta Homati aus dem Kloster Santa Margherita sei. Alberico sagte darüber, wie die Schwester in sein Haus gekommen sei, aus: »Als wir alle in der Kirche versammelt waren, hörten wir eine Stimme rufen: ›Helft mir, ich bin in diesem Brunnen!‹ Wir liefen nun an den einige Dutzend Schritte von der Kirche entfernten Brunnen und sahen, daß unten in der Tiefe ein Weib lag. Es stieg einer hinein und nahm ein Seil mit, mit dem sie herausgebracht wurde. Sie sagte, daß sie schon den vorigen Tag und die ganze Nacht im Brunnen gesteckt habe.« Der Vikar befahl ihr alsbald, aufzustehen und sich anzukleiden, damit sie nach Monza geschafft werden könne. Das geschah; sie wurde in das Kloster di Santa Orsola übergeführt, in dem, wie wir wissen, auch Schwester Ottavia ein Unterkommen erhalten hatte. Am 3. Dezember 1607 konnte Benedetta selbst im Kloster di Santa Arsola verhört werden, und zwar wurde sie als Hauptperson und als Zeugin eidlich abgehört. Ihre Aussage lautete: »Ich habe gewußt, daß Osio vertrauten Umgang mit Schwester Virginia unterhielt, und bin ihnen bei ihren Zusammenkünften behilflich gewesen. Am 29. November fragte Osio brieflich bei mir an, ob es wahr sei, daß Virginia infolge der Krimmaluntersuchung, die über das Kloster verhängt worden, bereits in ein anderes Kloster übergeführt sei. Ich antwortete ihm, das sei richtig, Virginia sei nach Milano gebracht worden, und ich müßte befürchten, ebenfalls in die Untersuchung verwickelt zu werden. Ich wollte deshalb lieber das Kloster heimlich verlassen und mich in ein anderes Kloster begeben, er solle mir dazu Beistand leisten und zu einer Stunde, die ich ihm bestimmte, an der Gartenmauer sein. Osio kam. Ottavia und ich flüchteten uns durch eine Öffnung, die Osio in die Mauer brach; wir verließen alle drei die Stadt Monza und schlugen den Weg nach Bergamo ein. Bald darauf warf Osio die Schwester Ottavia – vermutlich weil er sich einer Mitwisserin seines strafbaren Verhältnisses mit Virginia entledigen wollte – in den Lambro. Ich wollte ihr die Hand reichen und ihr heraushelfen, aber Osio versetzte ihr mit einem Feuerrohr mehrere Schläge auf den Kopf, und wir glaubten beide, daß sie tot sei. Mich zwang er, mit ihm weiterzuwandern. Etwa fünf bis sechs Miglien von Monza entfernt brachte er mich in ein verlassenes einsames Haus und ließ mich dort den Rest der Nacht und am folgenden Tage allein. Er setzte mir Käse und Wein vor, ich traute mich aber nicht, etwas zu genießen, weil ich mich fürchtete und dachte, er würde mich vergiften. In der nächstfolgenden Nacht kehrte Osio zurück und eröffnete mir, wir müßten weitermarschieren. Als wir etwa drei Miglien zurückgelegt hatten, kamen wir in ein Gebüsch, in dem sich ein Brunnen befand. Osio gab mir einen Stoß, daß ich hineinstürzen sollte. Ich fiel jedoch nur auf die Erde, nahm alle meine Kraft zusammen, stand gleich wieder auf und entfloh. Osio folgte mir auf dem Fuße, holte mich ein, schleppte mich mit Gewalt zurück und warf mich kopfüber in den Brunnen. Ich schlug im Fallen gegen mehrere hervorragende Steine und verletzte mich an der linken Seite. Als ich unten lag, warf Osio große Steine hinunter, die mir das rechte Schienbein zerschmetterten, mich aber nicht töteten, weil ich den Kopf dadurch deckte, daß ich mich unter einige Steine duckte, die eine Art von Dach bildeten. Der Brunnen war sehr tief, hatte aber kein Wasser. Es waren Steine drin und Knochen, ein schwarzer Klumpen, der darin lag, hatte das Ansehen eines menschlichen Kopfes. Ich habe eine entsetzliche Nacht und einen ganzen langen Tag in dem Brunnen zugebracht, bis endlich gestern früh mein Hilferuf gehört und ich erlöst wurde. Als ich in das Haus des Alberico getragen wurde, redete mir eine ältere Donna, die mir nach ihrer schwarzen Kleidung eine Witwe zu sein schien, zu, ich sollte doch angeben, daß ich mich selbst in den Brunnen gestürzt hätte. Ich entgegnete ihr aber, ich würde die Wahrheit sagen. Ich habe übrigens nur am Tage um Hilfe gerufen, nicht in der Nacht, weil ich fürchtete, Osio möchte in der Nähe sein, mich hören und mich vollends durch Steinwürfe töten.«

Als man sie fragte, seit wie langer Zeit und auf welche Weise Osio in das Kloster Santa Margherita gekommen sei, antwortete sie: »Soviel ich weiß, ist Osio seit etwa vier bis fünf Jahren öfters, und zwar immer des Nachts, in das Kloster gekommen. Anfänglich kam er durch die Kirche, deren Tür ihm bald von mir, bald von Schwester Ottavia, bald von Schwester Virginia selbst geöffnet wurde. Später, als der Schlüssel von der Kirchtür abgezogen worden war, führten wir ihn mit Hilfe von Nachschlüsseln in das Kloster, und zwar in die Zelle der Virginia, aus der er sich regelmäßig, ehe der Tag anbrach, wieder entfernte. Aus dem Garten des Osio führte ein unterirdischer Gang in die Zelle der Schwester Ottavia. Diesen benutzte Osio verschiedene Male, um seine Geliebte, die dann in der Zelle der Schwester Ottavia schlief, zu besuchen. Am letzten Allerheiligenfeste gelangte Osio in das Kloster, indem er über die Mauer stieg. Er blieb damals vierzehn Tage im Kloster, teils in der Kammer der Ottavia, teils in der meinigen, die an die der Schwester Virginia stieß. Sogar an dem Abend des Tages, an dem Virginia das Kloster verließ, befand sich Osio in meiner Zelle und verbarg sich hinter den Bettvorhängen.«

Schwester Benedetta war die erste, die erwähnte, daß auch ein Priester Paolo Arrigone eine Rolle in dem Verkehr zwischen Osio und Virginia gespielt hatte. Anfangs habe, so erzählte sie, Paolo Arrigone für Osio die Korrespondenz mit Schwester Virginia geführt, später aber sei er frech genug gewesen, für sich selbst ihre Gunst zu begehren, sei jedoch mit Verachtung von ihr zurückgewiesen worden.

In der Tat befindet sich bei den Akten eine Zuschrift von Virginia an Arrigone, in der sie ihm in den stärksten Ausdrücken vorwirft, daß er es gewagt habe, eine Braut Christi in Versuchung zu führen.

Benedetta gibt weiter an, Virginia habe oftmals Reue empfunden und den sündlichen Umgang mit Osio nicht fortsetzen wollen. Sie habe die Schlüssel zu ihrer Zelle und zur Klosterpforte in den Brunnen geworfen, darauf seien die Schlösser verändert worden, Osios Schlüssel hätten nicht mehr gepaßt, und folglich habe er nicht mehr in das Kloster gelangen können. Aber Arrigone habe dem Osio die neuen Schlüssel verschafft, dieser habe sich sofort Nachschlüssel machen lassen, sei mit Hilfe dieser Nachschlüssel wiederum zu Virginia gekommen, und nun sei sie von neuem in Sunde gefallen. Wohl fünfzigmal habe Schwester Virginia die Schlüssel weggeworfen, aber ebensooft habe Osio durch Vermittelung des Priesters Arrigone die neuen Schlüssel erhalten und nachmachen lassen.

Aus Benedettas Aussage geht hervor, daß Osio ein auffallend schöner Mann gewesen ist und durch seine Schönheit auf Virginia großen Eindruck gemacht hat. Als sie ihn vom Fenster der Schwester Candida aus zum ersten Male erblickt habe, berichtete Benedetta, habe sie ausgerufen: »Si potrebbe mai vedere la più bella cosa!« (»Es kann nichts Schöneres in der Welt geben als ihn!«)

Einige Tage, nachdem Schwester Benedetta aus jenem Brunnen herausgeholt worden war, am 9. Dezember 1607, sandte der königliche Fiskal Tormiani dem Kriminalvikar einen bereits stark in Verwesung übergegangenen menschlichen Kopf zu mit dem Bemerken, daß der Kopf in demselben Brunnen gelegen habe. Der Kopf war mit einem leinenen Tuche umhüllt und reichlich mit Haaren bedeckt, die aber nicht in Zöpfen herabhingen, sondern kurz geschnitten waren. Das Gesicht mußte, wie man aus der Bildung des Kopfes schließen konnte, rund gewesen sein. Dr. Antonio Monti wurde beauftragt, den Kopf zu untersuchen, und gab sein Gutachten dahin ab, daß es schwer sei, zu entscheiden, ob der Kopf einem Manne oder einem Weibe angehört habe; er neige aber mehr zu der Ansicht, daß es der Kopf eines Weibes sei. Es entstand die Vermutung, daß man den Kopf der Schwester Catterina vor sich habe, die von Osio ermordet und deren Kopf von ihm in den erwähnten Brunnen geworfen worden sein mußte.

Die angestellten Verhöre erhoben diese Vermutung zur Gewißheit. Schwester Ottavia sagte noch vor ihrem Tode aus: »Schwester Catterina, die kurze Haare trug und ein rundes volles Gesicht hatte, geriet eines Tages in Zwist mit Schwester Degnamerita. Virginia, die mit der letzteren sehr befreundet war, ließ deshalb die Catterina in einen Raum neben der Waschküche einsperren. Catterina fing darauf an, von Virginia, Benedetta und mir übel zu reden, sie drohte, den Umgang zwischen Virginia und Osio anzuzeigen und sie an ihrer Stelle ins Gefängnis zu bringen. Als Osio dies erfuhr und zugleich hörte, daß Monsignore Bacca im Kloster angekommen sei, um Visitation zu halten, fürchtete er, Catterina würde ihre Drohung ausführen. Er beschloß deshalb, sie zu ermorden. Eines Nachts, als Osio im Kloster bei seiner Geliebten war, begaben wir uns in das Gefängnis der Schwester Catterina. Schwester Benedetta ging zuerst hinein und sprach mit ihr, dann folgte Virginia, dann ich, dann Osio. Er hatte aus der Waschküche den eisernen Fuß einer Haspel (un piede di bicocca) geholt und versetzte ihr damit, als sie sich von ihrem Strohlager erhob, etliche Schläge auf den Kopf. Die Schläge waren tödlich, sie starb nach wenigen Augenblicken in unserem Beisein, und wir trugen die Leiche in den Hühnerstall. Benedetta und ich zogen die Tote an den Füßen in eine Ecke und legten Holz auf sie, so daß sie nicht gesehen werden konnte. Hierauf brach Osio mit Hilfe seines Degens eine Öffnung in die Gartenmauer und entfernte sich. In der folgenden Nacht kam Osio wieder und trug zusammen mit Schwester Benedetta die Leiche in seine Wohnung. Dort zerstückelte er den Körper, zerstreute die einzelnen Teile und warf den Kopf, wie er uns später mitteilte, in einen von Monza ziemlich weit entfernten Brunnen.«

Benedetta bestätigte diese Angaben im wesentlichen, fügte aber noch hinzu, daß auch die Schwestern Silvia und Candida bei dem Morde zugegen gewesen wären. Beide räumten es bei ihren Verhören ein, und im Hause Osios fand man, als genau nachgesucht wurde, in einem versteckten Räume mehrere Knochen, die Sachverständige für Menschenknochen erklärten.

Osio, der also in ein Nonnenkloster eingedrungen, die Schwester Virginia verführt, mit ihr jahrelang Unzucht getrieben, sodann die Schwestern Ottavia und Benedetta aus dem Kloster weggebracht, die erstere sowie schon vorher die Schwester Catterina ermordet und die Schwester Benedetta zu ermorden versucht haben sollte, Osio, dem ferner der Tod des Apothekers Reineri und eines Agenten Molteno vorgeworfen wurde, war schon vor dem Eintreffen des Kriminalvikars aus Monza verschwunden. Die Justiz bot alles auf, um seiner habhaft zu werden, aber vergeblich. Osio war ein gewandter Mann, er hatte viele gute Freunde, und die Grenze war bald erreicht. Am 12. Dezember 1607 reichte er beim Erzbischof Federigo Borromeo eine Verteidigungsschrift ein, in der er keck behauptete, die arme Virginia und er seien durch schlechte Menschen in eine Falle gelockt worden. Die Hauptschuld träfe die Schwestern Ottavia und Benedetta; diese hätten ihn dazu verleitet, sie aus dem Kloster wegzuführen. Unterwegs seien beide in heftigen Streit geraten, Benedetta habe zuletzt in voller Wut die Ottavia in den Lambro gestoßen und dann sich selbst aus Verzweiflung darüber in den Brunnen gestürzt. Der Priester Paolo Arrigone und nicht er habe die Liebesbriefe an Virginia geschrieben. Er bat den Erzbischof um die Gnade, ihm die Aufnahme in das Kastell zu Pavia zu gestatten, damit er der lästigen Verfolgungen durch die Justiz-und Polizeibehörden endlich überhoben werde.

Es braucht kaum bemerkt zu werden, daß dieses Gesuch nicht berücksichtigt wurde.

Am 22. Dezember 1607 fand im Kloster del Borchetto zu Mailand das erste Verhör der damals zweiunddreißig Jahre alten, noch immer liebreizenden und liebenswürdigen Schwester Virginia statt. Sie wurde in doppelter Eigenschaft vernommen: als Angeschuldigte und als Zeugin. Man ließ sie einen feierlichen Eid leisten, daß sie die Wahrheit angeben werde, und begann auch hier wie bei den übrigen Verhören mit der Frage, ob sie wisse oder vermute, weshalb sie sich in diesem Kloster und nicht mehr im Kloster Santa Margherita in Monza befinde, und weshalb gegen sie die Kriminaluntersuchung eingeleitet worden sei. Sie antwortete: »Ich weiß es nicht anders, als daß das Gerede in bezug auf Giampaolo Osio die Ursache ist. Deshalb bin ich auch hierher versetzt worden; übrigens habe ich meine Versetzung selbst gewünscht.«

Nun fragte man, was an dem Gerede Wahres sei. Daraufhin erklärte sie: »Meine Oberen, insbesondere auch Monsignore Bacca, warfen mir vor, ich hätte mit Osio, dessen Haus sich dicht neben dem Kloster befindet, in dem ich in Monza gelebt habe, in einem Liebesverhältnis gestanden. Dieser Vorwurf war auch begründet. Es ist aber von meiner Seite eine erzwungene Liebe gewesen, denn freiwillig würde ich nicht einmal dem Könige von Spanien eine Vertraulichkeit gestattet haben. Es sind jetzt sechs Jahre verflossen, seit mein Agent Joseph Molteno von Giampaolo Osio getötet wurde. Der Mörder hatte sich, um den Händen der Justiz zu entgehen, geflüchtet und in seiner Gartenwohnung dicht an der Klostermauer versteckt. Eines Tages war ich zufällig in der Zelle der Schwester Candida Brancolina und stand an dem nach dem Garten hinausgehenden Fenster. Osio sah mich dort und grüßte mich ehrerbietig. Als ich bald darauf wieder an jenem Fenster stand, grüßte er mich nochmals und gab mir durch ein Zeichen zu verstehen, daß er mir einen Brief zusenden wollte. Ich war aufgebracht darüber und zürnte ihm wegen der Tötung meines Agenten. Ich setzte deshalb den Richter von Monza, Carlo Pirovano, von dem Versteck Osios in Kenntnis und hoffte, er würde ihn festnehmen und in das Gefängnis setzen lassen. Da wandte sich die Mutter Osios an die Priorin und bat sie, bei mir ein gutes Wort einzulegen, daß ich meine Klage zurücknehmen und den Richter wissen lassen möchte, ihr Sohn habe meine Verzeihung erhalten. Die Priorin sagte mir das und verlangte von mir, ich sollte den jungen Mann nicht ins Unglück stürzen und nicht darauf bestehen, daß er bestraft würde. Hierauf schrieb ich dem Richter, daß er die Sache auf sich beruhen lassen sollte. Er antwortete mir, es hätten sich schon viele Kavaliere bemüht, den Lauf der Gerechtigkeit in diesem Falle zu hemmen, er habe ihnen indes niemals Gehör geschenkt. Nachdem ich nun aber selbst auf die Verfolgung verzichtet hätte, wollte er kein weiteres Verfahren einleiten.

Ich benachrichtigte Osio hiervon, und er dankte mir vom Garten aus, indem er mir zugleich versicherte, er würde mir ebenso gern und ebenso eifrig dienen, wie Molteno es getan habe. Zugleich bat er um die Erlaubnis, mir einen Brief schreiben zu dürfen. Einige Tage später war er wieder im Garten und zeigte mir einen Brief, den er in der Hand hielt. Ich willigte ein, ihn anzunehmen, er warf ihn über die Mauer in den Hühnerhof des Klosters, Schwester Ottavia holte und überbrachte ihn mir. Der Brief war zwar in respektvollen, aber doch auch in zärtlichen Ausdrücken geschrieben. Mir kam er zu frei vor, denn Osio trug mir darin, wenn auch in verblümter Weise, seine Liebe an und gab mir zu erkennen, daß er hoffte, ich würde ihm ein Stelldichein bewilligen. Ich schrieb zurück und verwies ihm seine Zudringlichkeit. Ich fragte ihn, wie er es wagen könne, mir seine Huldigung darzubringen, und deutete ihm an, daß er es bereuen würde, wenn er fortführe, mich zu belästigen.

Osio beratschlagte sich mit seinem vertrauten Freunde, dem Priester Arrigone, wie er sich bei mir entschuldigen und insinuieren könne. Arrigone riet ihm, mich durch einen Brief voll Reue und Demut zu täuschen. Osio schrieb in diesem Sinne und bat mich um Vergebung wegen seiner Kühnheit. Dieser Brief wurde an einen Faden befestigt, den ich vom Fenster hinabließ, und dann von mir heraufgezogen. Ich freute mich, daß er seinen Fehler eingesehen hatte und so zerknirscht an mich schrieb. Seine Mutter schickte mir seidene Blumen von Bologna, Moschuskugeln und andere Dinge als Geschenke. Ich wußte aber recht gut, daß eigentlich Osio der Geber war. Den Priester Arrigone sah und sprach ich öfters; anfänglich erzählte er mir viel von Osio, dann aber sagte er mir, daß er selbst ihm die Briefe an mich diktiert habe und daß er von Liebe zu mir entbrannt sei. Ich verbat mir diese Sprache und wandte ihm den Rücken. Dagegen gewährte ich das von Osio an mich gestellte Ansuchen, ihm im Sprechzimmer eine Zusammenkunft zu gewähren. Schwester Ottavia warf auf mein Geheiß die Schlüssel über die Mauer in seinen Garten, und mit ihrer Hilfe kam er eines Nachts in das genannte Zimmer. Ich war durch ein doppeltes Gitter von ihm geschieden und hörte ihn nur an. Er bat mich um Verzeihung wegen der Tötung des Molteno und zeigte die größte Bescheidenheit in allem, was er sprach.

Ich sah ihn dann noch ein zweites Mal im Sprechzimmer, und es kam mir vor, als fühlte ich mich durch Zauberei zu ihm hingezogen. Von da an mußte ich immer an jenes Fenster in Schwester Candidas Zelle treten, um ihn zu sehen. Es trieb mich dazu eine diabolische Kraft, auch wenn ich mir fest vornahm, es nicht wieder zu tun. Ich erinnere mich, daß ich mir einmal, als Schwester Ottavia mir meldete, Osio sei im Garten und schaue herauf zu dem Klosterfenster, Gewalt antat und nicht an das Fenster hinanging, aber ich mußte wenigstens auf einen Kasten steigen, um ihn von da aus zu erblicken, während er mich nicht sehen konnte. Ich war sehr unwillig über mich selbst und flehte Gott um Beistand an in dieser Versuchung. Es half mir aber nichts, sein Bild stand mir Tag und Nacht vor den Augen, ich konnte nicht von ihm lassen. Ich raufte mir die Haare aus und trug mich sogar mit Selbstmordgedanken, aber immer von neuem und immer mächtiger trat der Versucher an mich heran. Ich bin überzeugt, daß Zauberei gegen mich angewendet worden ist und teuflische Kunst mich berückt hat. Im Sprechzimmer reichte mir Osio einen Gegenstand durch das Gitter und ließ mich ihn mit der Zunge berühren, indem er vorgab, es sei eine heilige Reliquie. Es war aber, wie er mir nachher gestanden hat, ein Magnet und ist vielleicht das Zaubermittel gewesen, das er benutzt hat, um mich zu verführen. Als ich noch gegen die in mir aufkeimende Leidenschaft kämpfte, fing der Priester Arrigone von neuem an, mir Liebesanträge zu machen und Liebesbriefe zu schreiben. Ich zerriß die letzteren vor seinen Augen und sagte ihm sehr deutlich, daß er nicht die mindeste Hoffnung hätte, jemals von mir erhört zu werden. Darauf begann er um die Liebe der Schwester Candida zu werben, er brachte sie wirklich dahin, daß sie ihm im Sprechzimmer wiederholt des Nachts ein Stelldichein gab und seine Geliebte wurde. Unser Faktor Domenico besorgte den Briefwechsel zwischen beiden, mich aber empörte diese Falschheit, ich setzte durch, daß Domenico aus dem Kloster entlassen wurde, und deshalb warf Arrigone einen tödlichen Haß auf mich.

Bis dahin war zwischen Osio und mir noch kein anderes Unrecht vorgekommen, als daß ich mit ihm heimlich zusammengekommen 5 war und mit ihm gesprochen hatte. Einmal bat er mich, ich sollte ihm in der Nacht hinter der kleinen Klosterpforte ein Stelldichein geben. Unter dem Einfluß der Zauberei gestand ich es zu, machte aber die Bedingung, daß dies die letzte Zusammenkunft sein sollte. Schwester Ottavia hob die eiserne Stange, die die Pforte verschloß, in die Höhe, öffnete und führte Osio zu mir. Wir plauderten miteinander, während Ottavia in der Nähe blieb. Osio betrug sich sehr anständig und nahm sich auch in allem, was er sprach, sehr zusammen. Als er sich entfernte, fragte er, ob er in den nächsten Tagen wiederkommen dürfte. Ich erlaubte es. Es verging aber eine längere Zeit, er wurde sehr ungeduldig und bestürmte mich, ihn nicht so lange warten zu lassen. So kamen wir wiederum in der Nacht hinter der Klosterpforte zusammen und unterhielten uns über Verschiedenes. Beim Fortgehen wurde Osio zudringlich und tat mir eine Beleidigung an. Ich eilte davon und ließ ihn flehen.

Ich betete fleißig und geißelte mich bis auf das Blut, um der Versuchung zu widerstehen und von dem Menschen loszukommen. Ich beschloß, ihn nie wiederzusehen und jede Gelegenheit dazu zu meiden. Aber der Teufel zog mich doch von neuem zu ihm hin und folterte mich in meinem Gemüte so, daß ich bei meinem Entschlusse nicht beharren konnte und wieder hin zu ihm mußte. Ich kehrte zurück zur Klosterpforte, Osio wartete auf mich, er schloß mich in seine Arme, und ich verfiel der Sünde. Darüber wurde ich ganz schwermütig und krank, so daß ich drei Monate lang zu Bett liegen mußte. Osio hörte unterdessen nicht auf, mir Briefe zu schreiben und mich zu bitten, ich möchte ihm den Eintritt in das Kloster und in meine Zelle gestatten. Als ich ihm erwiderte, daß ich mich der Strafe der Exkommunikation aussetzte, wenn ich dies täte, schickte er mir ein Buch, das von Gewissenssachen handelte. Darin stand, daß es nicht mit dem Kirchenbanne bestraft werde, wenn ein Mann in ein Nonnenkloster hineingehe, wohl aber, wenn eine Nonne aus ihm herausgehe. Das Buch hatte Osio vom Priester Arrigone geliehen erhalten. Nachdem ich es gelesen hatte, willigte ich ein, daß Osio mich im Kloster besuchte. Er kam nun oft und blieb Tag und Nacht in meiner Zelle. Nach einiger Zeit fühlte ich, daß ich schwanger war. Ich wurde von einem toten Knäblein entbunden. Ich erkrankte, bekam ein Fieber, das mich drei Jahre lang nicht verließ, und hatte große Gewissensunruhe. Um endlich von diesem sträflichen Umgange loszukommen, verkaufte ich mein Silberzeug und ließ der Madonna di Loretto eine Votivtafel anfertigen, auf der eine Nonne dargestellt war, die, ein Knäblein im Arme, auf ihren Knieen lag und weinte. Ich gelobte späterhin der Madonna noch zweimal Opfergaben, wenn sie mich von dieser sündhaften Leidenschaft befreien wollte. Es half aber nichts, die Zauberei war zu mächtig, ich setzte den Verkehr mit Osio fort und gebar eine Tochter.«

Virginia versicherte weiter, daß sie keinen Teil habe an den Verbrechen, die von Osio gegen die Schwestern Catterina, Ottavia und Benedetta verübt worden seien. Schwester Catterina sei allerdings auf ihr Geheiß eingesperrt worden und habe gedroht, ihr Verhältnis zu Osio zur Anzeige zu bringen. Sie, Virginia, sei mit den anderen Schwestern in ihr Gefängnis gegangen, um ihr gut zuzureden, diese Drohung nicht auszuführen. Catterina aber habe hochmütig geantwortet, sie werde Virginia und ihren Geliebten doch ins Verderben stürzen. Nun sei der mitanwesende Osio in Zorn geraten und habe sie erschlagen. »Ich würde«, beteuerte sie, »niemals, und wenn es der Kaiser verlangt hätte, meine Zustimmung dazu gegeben haben, daß jemand ein Übel zugefügt würde.«

Am 19. Februar 1608 wurde Virginia gefoltert und unter Anlegung eines den Daumenschrauben ähnlichen Instruments (sibili) aufgefordert, anzugeben, ob sie in ihren früheren Verhören die lautere Wahrheit gesagt habe. Sie rief: «Ich bestätige alles, es ist die reine Wahrheit. Bindet mich los, ihr tut mir sehr weh, ich kann nicht mehr!« Sie wurde losgebunden und unterschrieb das über die Verhandlung aufgenommene Protokoll.

Hiermit schließen die Akten der Voruntersuchung, und es folgen die Urteile, zuerst das vom 18. Oktober 1608 gegen Virginia allein. Mannerio Lancilotto, apostolischer Protonotar und Kriminalvikar der erzbischöflichen Kurie zu Mailand, verkündigte in Gegenwart des Notars Gerolamo Bolino, sowie des Pietro Barca, Doktors der Theologie und Kanonikus an dem Kollegiatstift di Santo Ambrogio, und des Priesters Antonio Mazinelle, Pflegers des Hospitals di Santo Ambrogio zu Mailand, das Urteil, welches folgendermaßen lautete: »Nach wiederholter Anrufung des Namens Christi und Gott vor Augen erkennen wir nach Anhörung des Rates Sachverständiger und unter deren Zustimmung die Schwester Virginia für überführt, nicht allein durch viele Zeugen, sondern auch durch ihr eigenes Geständnis, daß sie viele schwere und abscheuliche Verbrechen begangen hat, und verurteilen sie, indem wir sie mit Rücksicht auf die heiligen Kanones und päpstlichen Konstitutionen mild behandeln, zur Strafe der lebenslänglichen Einkerkerung in dem Kloster di Santa Valeria zu Mailand in der Weise, daß sie dort in einem kleinen Gefängnis eingemauert werde, so daß nur eine kleine Öffnung in der Wand bleibt, durch die ihr das Erforderliche gereicht werden könne, daß sie nicht Hungers sterbe, und ein kleines Fensterchen, damit sie Licht und Luft habe. Sodann soll sie während eines Zeitraums von fünf Jahren wöchentlich an jedem sechsten Tage zu ihrem Seelenheil und zu ihrer Erinnerung an das Leiden Christi fasten und womöglich nur Wasser und Brot erhalten. Auch soll sie gehalten sein, die kanonischen Stunden aufmerksam und fromm innezuhalten. Ihre Einkünfte und Renten, sowie die Früchte ihrer Brautgabe sollen, solange sie lebt, dem genannten Kloster zugewiesen werden, nach ihrem Tode aber mit ihrer Brautgabe an das Kloster di Santa Margherita zurückfallen. Aller Würden und Privilegien, sowie des aktiven und passiven Wahlrechts wird sie verlustig erklärt.«

Das zweite Urteil wurde am 24. Januar 1609 gegen den Priester Arrigone publiziert, nachdem zuvor ein Fiskal, der Advokat Sebastiano Ricci an der erzbischöflichen Kurie, aufgetreten war. Die einzelnen Verbrechen wurden aufgezählt und Arrigone der Beihilfe an den Verbrechen des Osio, der versuchten Verführung an Virginia und der vollendeten Verführung an der Schwester Candida Colomba für schuldig erklärt.

Er wurde nach vorgängiger Beratung mit dem Erzbischofe zu einer zweijährigen Galeerenstrafe und zu ewigem Exil, fünfzehn Meilen von Monza entfernt, verurteilt.

Arrigone ergriff das Rechtsmittel der Berufung an den Papst und focht das Urteil als ungerecht an, weil er die Verbrechen, deren er für schuldig erachtet worden sei, nicht begangen habe, vielmehr seine Feinde alles, was gegen ihn vorgebracht worden sei, erdichtet hatten. Aus den Akten ist indes nicht zu ersehen, ob die Berufung irgendeinen Erfolg gehabt hat.

Am 16. Juli 1609 erteilte der Erzbischof von Mailand dem Vikar Lancilotto die Ermächtigung, das Kloster Santa Margherita mit einem Notar zu betreten und gegen die Nonnen Benedetta – die in das Kloster zurückgebracht worden war –, Silvia und Candida die Untersuchung einzuleiten, gegen die ersteren, weil sie das sträfliche Verhältnis zwischen Osio und Virginia unterstützt, gegen die letztere, weil sie dasselbe getan und sich auch selbst mit dem Priester Arrigone vergangen habe. Der Vikar erhielt die Befugnis, diese Nonnen, wenn er es zur Ermittelung der Wahrheit für nötig hielte, auf die Folter spannen zu lassen.

Sie gestanden, was ihnen zur Last gelegt wurde, und schon am 26. Juli 1609 konnte das Urteil gefällt werden. Es lautete dahin, daß alle drei Nonnen eingemauert werden sollten. Eine Berufung nach Rom, die ihre Verwandten einlegten, scheint vergeblich gewesen zu sein.

Während über die unglücklichen Nonnen eine so fürchterliche Strafe längst ausgesprochen worden war, lebte der Hauptverbrecher Giampaolo Osio noch immer auf freiem Fuße. Der Senat von Mailand verfolgte ihn zwar durch seine Delegierten, den Senator und Doktor der Rechte Giovanni di Salamanca und den Generalfiskal Francesco, auf das eifrigste, und nicht bloß ihn allein, sondern auch seine Diener Camillo, genannt Rosso, Nicolao Perrina und Luigi Panzuglio. Die Diener sollten ihrem Herrn bei der Ermordung des Drogisten Reineri Roncini, der im Oktober 1607 in Monza in seinem Laden erschossen worden war, geholfen und dann sich mit Osio verabredet haben, den Priester Arrigone als Mörder anzugeben.

Es gelang jedoch nicht, die Missetäter zu ergreifen, deshalb wurden durch ein Kontumazialurteil vom 25. Februar 1608 Giampaolo Oslo wegen Mordes zum Tode am Galgen und seine Diener zum Tode durch das Schwert verurteilt und ihr gesamtes Vermögen eingezogen. Der Statthalter Graf di Fuentes erließ am 5.April 1608 eine öffentliche Bekanntmachung, laut welcher er demjenigen, der den zum Tode verurteilten Osio lebendig in die Hände der Gerichte liefere, eine Belohnung von tausend Scudi zusicherte und ihm ferner versprach, daß ihm für den Osio vier Verbrecher freigegeben werden sollten. Dem, der den Osio tot liefere, wurden fünfhundert Scudi und die Freigabe von zwei Verbrechern verheißen. Gleichzeitig, wurde das dem Osio gehörige Haus in Monza niedergerissen, dem Boden gleichgemacht und dann auf jener Stelle eine Schandsäule errichtet.

Allein Osio hatte auch in Monza Freunde; nach wenigen Tagen fand man die Schandsäule umgestürzt auf der Erde liegen. Es kam nicht heraus, von wem dieser Frevel begangen worden war, obwohl für die Entdeckung des Täters ein Preis von hundert Scudi ausgesetzt wurde. Auch die tausend Scudi für die Ergreifung Osios verdiente sich niemand, und dennoch wurde die Strafe an ihm vollzogen. Das trug sich so zu. Osio irrte unstet und flüchtig lange Zeit umher, seine Einnahmequellen versiegten, weil sein Vermögen in Beschlag genommen worden war, er litt oft bittere Not und war nirgends willkommen, wo er anklopfte. Zuletzt kehrte er heimlich nach Mailand zurück und wurde von einem seiner früheren Freunde, der dort in großem Ansehen stand, aufgenommen. Mehrere Tage blieb er in dessen Hause verborgen, eines Morgens aber sah man auf dem Schafott, das auf einem freien Platze stand, das Haupt des Verbrechers aufgepflanzt. Sein Gastfreund hatte ihn köpfen und das vom Rumpfe getrennte Haupt auf das Schafott stecken lassen. Ob er ihn töten ließ, um sich von dem Verdachte zu reinigen, daß er dem Mörder Herberge gewährt habe, oder weil er dadurch die Gunst des Statthalters zu erlangen hoffte, oder um anderer unbekannter Ursachen willen – wir wissen es nicht. Aber es wird berichtet, daß bei der Hinrichtung auch eine gewisse feierliche Form beobachtet worden sei. Der nichts Schlimmes ahnende Osio soll mitten in der Nacht geweckt, in ein unterirdisches Gemach gebracht, dort in Fesseln gelegt und, nachdem er einem daselbst anwesenden Priester gebeichtet habe, enthauptet worden sein.

Die Nonnen Virginia, Benedetta, Silvia und Candida wurden lebendig eingemauert, sie büßten in ihrem furchtbaren Gefängnis den Bruch ihres Klostergelübdes. Virginia lebte noch lange Jahre in ihrer Einsamkeit, sie erreichte ein Alter von mehr als sechzig Jahren und wurde als ein Muster tiefer Reue und wahrer Gottesfurcht allgemein verehrt. Der berühmte mailändische Maler Daniele Crespi (1592-1630) erhielt vom Erzbischof die Erlaubnis, sie zu malen. Das merkwürdige Bild soll noch jetzt in Mailand vorhanden sein. Der Kardinal-Erzbischof Federigo Borromeo erwähnt die so hart gestrafte Nonne in einem Briefe vom 21. Juni 1627 nach Madrid, wo man sich für das tragische Geschick dieses edelgeborenen Mädchens lebhaft interessierte. Der Erzbischof sagte von ihr, sie könne ein Spiegel ernster Reue genannt werden. Das deutet darauf hin, daß er Mitleid für sie fühlte; indes enthalten unsere Quellen nichts darüber, ob ihr Los etwa später gemildert worden wäre.

So endete dieser berühmte Prozeß. Er läßt uns einen Blick tun in die Roheit und Gewalttätigkeit des italienischen Adels in der Zeit des siebzehnten Jahrhunderts und nicht minder in die Verwilderung des Priesterstandes und die Sittenlosigkeit, die in den Klöstern damals zu Hause war.

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