Читать книгу Romantic Thriller Sommer 2020: 9 Romane um Liebe und Geheimnis - Alfred Bekker - Страница 66
Оглавление3
So groß hatte Damian Amberwood sich das Schloss nicht vorgestellt. Ein riesiger viereckiger Kasten, der auf den ersten Blick wie eine trutzige Burg wirkte.
Der Psychologe war mit Vivian zusammen in ihrem Wagen gefahren, den ließ sie jetzt einfach stehen und reichte den Schlüssel einem livrierten Hausdiener.
„Danke, Jenkins. Schön, wieder hier zu sein“, sagte sie.
„Es ist schön, Sie gesund wiederzusehen, Mylady. – Sir.“ Er nickte Damian zu und fuhr den Wagen davon.
„Kommen Sie, Damian, ich stelle Sie meinem Vater vor.“
Amberwood wurde plötzlich etwas unsicher. „Wird er nicht – nun, ich meine, ich bin ein ungebetener, unerwarteter Gast ...“
„Dieser Einwand kommt ein bisschen spät von Ihnen, finden Sie nicht“, spottete Vivian und zog ihn weiter mit sich.
„Die Freunde und Gäste meiner Tochter sind auch die meinen.“ Lord Kenneth hatte in der Empfangshalle auf Vivian gewartet, als er ihren Wagen hatte vorfahren sehen. So hatte er den kurzen Wortwechsel gehört.
Damian war auf den ersten Blick beeindruckt. Seine Lordschaft war ein sehr schlanker, hochgewachsener Mann mit eisgrauen Haaren, einem schmalen Gesicht mit einer Hakennase und gütigen, blauen Augen. Jetzt breitete er die Arme aus, und Vivian flog mit einem Jubelruf auf ihren Vater zu.
„Wie schön, dich wiederzusehen, mein Engel“, sagte er leise und mit warmer Stimme. „Und nun stellst du mir deinen jungen Mann vor?“
„Ach, Dad, bitte, er ist nicht mein junger Mann“, wehrte sie ab, konnte aber nicht verhindern, dass leichte Röte ihr Gesicht überzog. „Es ist mein neuer Arbeitskollege – eigentlich mein Vorgesetzter – ja, weißt du, das ist so ...“ Vivian verhaspelte sich ein wenig, als ihr einfiel, dass ihr Vater ja noch gar nichts von ihrer Anstellung wusste.
Lord Kenneth lächelte etwas traurig. „Ich glaube, du hast mir eine Menge zu erzählen, Vivian. Vielleicht weihst du mich sogar in deine Pläne ein?“
Damian trat rasch hinzu und stellte sich vor, wobei er die freundlichen Augen wachsam auf sich ruhen spürte.
„Sie sind mir willkommen, Mr. Amberwood. Sie machen einen guten Eindruck auf mich. Wir können uns später noch darüber unterhalten, was meine Vivian bei Ihnen tun soll. – Nun aber sollten Sie auch meine andere Tochter kennenlernen.“ Der Lord machte eine Handbewegung zu einer Tür hin, die sich wie auf ein Stichwort hin öffnete.
Damian blieb verblüfft stehen. Die Ähnlichkeit zwischen den beiden Schwestern hatte er einfach vorausgesetzt, doch das, was er jetzt sah, hätte er nicht für möglich gehalten.
Gegensätzlicher konnten Zwillinge wohl kaum sein. Candarel war blond, besaß lange wallende Haare, leuchtend blaue Augen, volle rote Lippen und eine atemberaubende Figur. Und doch hatte die Frau eine seltsam abweisende Ausstrahlung. Damian jedenfalls hätte auf der Straße nicht mehr als einen Blick an sie verschwendet – sie war das genaue Gegenteil von Vivian. Die besaß ebenfalls eine phantastische Figur, war jedoch dunkelhaarig mit klugen warmen, braunen Augen, die ganze Geschichten erzählen konnten und immer ausdrucksvoll blieben. Vivian war die Wärme und Anmut, Candarel war kalt – aber eine vollkommene Schönheit; wenn man auf Marmorbüsten stand, schoss es Damian durch den Kopf.
Betont kühl begrüßte er die Frau und bemerkte ihre Verwunderung darüber, dass ihre Erscheinung auf ihn nicht so wirkte, wie sie es von anderen Männern gewohnt war. Er wandte sich Vivian zu, und gleich fühlte er sich wohler. Diese Frau bestand aus Leben, und als sie ihn jetzt anlächelte, wusste er, dass er ab sofort behutsam um sie werben würde.
Wenig später zeigte ihm ein Hausmädchen den Weg zu seinem Zimmer. Dieser Flügel des Schlosses war umgebaut worden, es gab überall Strom, und auch Heizkörper waren in die Zimmer eingebaut worden. Das war auch notwendig, denn die Nächte wurden doch empfindlich kalt zwischen den dicken Mauern.
Das Zimmer für Damian war üppig eingerichtet mit alten Möbeln, einem teuren Teppich und einem riesigen Bett. Er hatte von hier aus dem ersten Stock eine prachtvolle Aussicht auf die Parkanlagen, die vermutlich von einer ganzen Heerschar an Gärtnern instand gehalten wurden. Alles hier in und um Castle Ferristeen atmete Wohlstand.
Damian stammte zwar auch aus wohlhabenden Verhältnissen, doch das hier sprengte auch seine Vorstellungen. Er war froh darüber, dass Vivian offensichtlich keinen großen Wert auf Pomp und Luxus legte.
Es klopfte, Vivian kam herein.
„Ihr Vater ist beeindruckend“, stellte er fest.
„Und meine Schwester ist ein Biest“, fügte sie hinzu. „Danke, dass Sie das nicht auch in Worte gefasst haben.“
„Sie ist zumindest – anders.“
„Damian, das ist eine sehr höfliche Umschreibung.“ Vivian lächelte traurig. „Wollen Sie sich noch etwas frisch machen? Hier wird pünktlich gegessen.“
„Und – wieviel Zeit haben wir bis dahin noch?“, erkundigte er sich harmlos.
„Etwa eine halbe Stunde. Warum?“
Wortlos zog Damian sie an sich, und sie wehrte ihn nicht ab.
„Weil ich mir vor dem Essen etwas Appetit holen möchte“, flüsterte er rauh. Sein Kopf näherte sich dem ihren, und wie von selbst fanden sich ihre Lippen zu einem Kuss.
„Das wollte ich vom ersten Augenblick an tun“, murmelte Damian und vergrub sein Gesicht in ihrem duftenden Haar.
„Ich auch.“
Die beiden standen noch eine Weile eng umschlungen, bis ein laut hallender Gong zur Mahlzeit rief.