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Kommissar X - Die namenlose Tote

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Neal Chadwick

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Ein heller Schrei durchschnitt die Stille.

Jo Walker sog die kalte Morgenluft in gleichmäßigen Zügen in sich hinein, während er in gemäßigtem Tempo seine morgendliche Jogging-Tour durch den New Yorker Central Park machte. Zur Rechten hatte er den sogenannten Pond, einen Teich, an dessen Ufern sich ein Vogelreservat befand. Das Gezwitscher bildete einen angenehmen Kontrast zu den Geräuschen, die den Moloch New York sonst beherrschten.

Eine friedliche, stille Oase in der pulsierenden Stadt - aber nicht an diesem Morgen...

Aus einiger Entfernung sah Walker drei Menschen auf sich zu laufen, zwei Männer und eine Frau. Aber das waren keineswegs Jogger, die zum Vergnügen oder wegen der Gesundheit liefen.

Die drei kamen sehr schnell näher. Die Frau schien auf der Flucht vor den beiden Männern zu sein, die ihr im Abstand weniger Meter auf den Fersen waren. Aber dieser Abstand wurde immer kleiner.

"Nein!"

Die Frau keuchte und sah sich verzweifelt um. Sie trug sportliche Kleidung. Ihr langes, schwarzes Haar flog wirr durch das feingeschnittene, bräunliche Gesicht, während ihre Verfolger sie fast erreicht hatten.

Dann stolperte sie, strauchelte und ging zu Boden. Die beiden Kerle beugten sich über sie und packten sie roh. Sie schnappte nach Luft und hatte nicht einmal mehr genug davon, um zu schreien. Die junge Frau war völlig ausgepowert. Ihre Versuche, sich doch noch loszureißen, wirkten kraftlos.

Dem eisernen Griff ihrer beiden Kontrahenten hätte sie wohl ohnehin auch nicht allzu viel entgegenzusetzen vermocht.

Indessen hatte Jo mit einen kleinen Spurt den Ort des Geschehens erreicht. Er wollte wissen, was hier gespielt wurde.

"Was machen Sie da?" fragte Jo an die beiden Männer gerichtet, die ihr Opfer inzwischen an den Armen empor gerissen und auf die Füße gestellt hatten. Sie zitterte und in ihren Augen stand nackte Angst. Als sie Jo sah, schien so etwas wie ein Hoffnungsfunke in ihnen aufzuglimmen.

Die beiden Männer trugen elegante Kleidung und machten einen gut trainierten Eindruck. Der eine hatte dunkle Haare und einen Oberlippenbart. Der andere war blond und blauäugig. Sein Gesicht wirkte grobschlächtig und brutal.

"Joggen Sie einfach weiter!" zischte der Dunkelhaarige. "Na los, verschwinden Sie schon."

"Nein!" rief die Frau, aber der Blonde verschloß ihr mit seiner großen Pranke den Mund.

"Dies ist eine Polizeiaktion und kein Schauspiel, Mister!" behauptete der Dunkelhaarige frech. Aber das erschien Jo nicht besonders glaubwürdig.

"Das sieht eher nach etwas anderem aus!" erwiderte er kühl.

"Glauben Sie, was Sie wollen!"

"Sie werden doch sicher Dienstausweise haben!"

Jo trat nahe an das Trio heran. Die beiden wechselten einen kurzen Blick miteinander. Es schien ihnen nicht zu gefallen, mit Jo an jemanden geraten zu sein, der sich nicht so leicht abwimmeln ließ.

Der Dunkelhaarige entblößte seine Zähne und knurrte: "Klar, haben wir Ausweise!" Er griff in die Innentasche und hatte in der nächsten Sekunde eine 8-Millimeter-Pistole in der Hand.

Jo hatte etwas in der Art erwartet. Sein Handkantenschlag kam daher blitzschnell und schleuderte dem Kerl die Waffe aus der Hand. Die nachfolgende Linke traf ihn mitten im ungedeckten Gesicht, ließ ihn rückwärts taumeln und zu Boden gehen. Er schien etwas benommen zu sein.

Die junge Frau nutzte ihre Chance und riß sich los. Sie hatte kaum noch Kraft, aber sie versuchte dennoch davonzulaufen. Sie strauchelte und fiel beinahe vor Schwäche hin. Wer mochte wissen, wie lange sie schon auf der Flucht war...

Ihre Bewegungen wirkten kraftlos und erschöpft, aber Ihr Widerstandswille war ungebrochen. Sie war fest entschlossen, alles auf eine Karte zu setzen.

Der Blonde legte Jo indessen mit einem gekonnten Judogriff auf die Matte und griff dann zum Schulterholster. Es verging nur der Bruchteil eines Augenblicks und Kommissar X blickte in eine Pistolen-Mündung, die grell aufblitzte. Jo hatte sich jedoch bereits herumgerollt, als der Schuß in den Boden krachte. Ehe der Kerl zum zweiten Mal feuern konnte, schnellte Jo mit dem Fuß vor und fuhr seinem Gegner in die Kniekehle. Der Blonde verlor augenblicklich das Gleichgewicht. Sein Schuß ging in die Wolken. Ehe er sich versah, war Jo dann über ihm, bog ihm den Waffenarm herum und entwand ihm die Pistole. Der Kerl atmete tief durch und erstarrte dann. Er war alles andere als begeistert davon, daß er nun in die Mündung seiner eigenen Waffe blicken mußte.

"Mistkerl!" knurrte der Blonde, während Jo sich erhob.

Der Dunkelhaarige hatte sich nicht weiter um seinen Komplizen gekümmert, sondern seine Waffe aufgehoben und unverdrossen die Verfolgung der jungen Frau wieder aufgenommen.

Jo sah, daß er sie bald einholen würde.

Er wandte sich an den am Boden liegenden Blonden, der eine höllische Angst zu haben schien.

Jo machte mit dem Pistolenlauf eine eindeutige Bewegung.

"Verschwinde!" zischte er, während der Kerl ihn ungläubig anstierte. "Na los, hörst du schwer?"

Jo wich einen Schritt zurück, während der Blonde wieder auf die Beine kam. Er schien Jo nicht zu trauen, vielleicht rechnete er damit, eine Kugel in den Rücken zu bekommen. Jo brannte ihm stattdessen eins vor die Füße. Jetzt spurtete der Blonde los, wobei er sich immer wieder umdrehte.

Doch Jo hielt sich nicht länger mit ihm auf, sondern setzte dem Dunkelhaarigen nach.

Jo war gut in Form und holte schnell auf. Der Dunkelhaarige hielt seine Waffe in der Hand und hatte die Frau fast erreicht. Ihr Vorsprung schmolz von Sekunde zu Sekunde. Sie schluchzte und stolperte nur noch mehr oder weniger vorwärts.

Als etwas Jo näher heran war, stoppte er und brachte die Pistole in Anschlag. "Waffe fallen lassen!" rief er.

Der Dunkelhaarige antwortete auf seine Weise.

Er drehte sich blitzartig um und feuerte sofort. Aber der Schuß war schlecht gezielt und ging einen halben Meter über Jo hinweg. Kommissar X hatte eine solche Reaktion insgeheim einkalkuliert und so krachte sein Schuß nur einen Sekundenbruchteil später.

Die Kugel fuhr dem Dunkelhaarigen in den Arm. Er fluchte lauthals, versuchte, noch eimal die Waffe hochzureißen, aber der Arm gehorchte ihm nicht so richtig. Die Waffe fiel zu Boden, während Blut durch seinen edlen Zwirn sickerte.

Mit verkniffenem Gesicht sah er sich kurz nach der jungen Frau um, die in einiger Entfernung einer Parkbank haltgemacht hatte und nach Luft schnappte. Als Jo näher kam, ergriff der Verletzte die heillose Flucht.

"Stehen bleiben!" rief Jo und ballerte einmal über den Kopf des Flüchtenden hinweg. Aber der Kerl blieb nicht stehen. Er lief einfach weiter und Jo dachte sich, daß es jetzt vielleicht Wichtigeres gab, als eine wilde Verfolgungsjagd.

Er wandte sich der Frau zu, die auf der Bank niedergesunken war. Als er sich ihr näherte, blickte sie auf.

Ihre Augen waren dunkel und voller Furcht.

Sie schien etwas sagen zu wollen, aber es kam kein Ton über ihre Lippen. Mit der Hand strich sie sich die Haare aus dem Gesicht.

"Haben Sie keine Angst", sagte Jo ruhig. "Es ist vorbei."

Sie seufzte, versuchte so etwas wie die Ahnung eines Lächelns und nickte. Sie hatte Ringe unter den Augen, wie jemand, der tagelang nicht geschlafen hat. Sie mußte Teil irgendeines Dramas sein, von dessen Hintergründen Jo nicht den Hauch einer Ahnung hatte.

"Ich danke Ihnen", sagte sie. Ihr Englisch hatte einen minimalen Akzent. Südamerika oder Südeuropa, schätzte Jo. "Wer weiß, was die Kerle mit mir angestellt hätten, wenn Sie nicht gewesen wären!"

Jo nickte.

"Ja, das war knapp."

"Ich dachte immer, der südliche Central Park wäre relativ sicher, zumindest für New Yorker Verhältnisse."

"Ist er auch."

Sie zuckte mit den Achseln. "Na ja, wie es scheint gibt es auch hier Gesindel..."

Jo wog die Pistole in seiner Hand, die er dem Blonden abgenommen hatte. Es war eine Baretta. "Es wäre vernünftig, zur Polizei zu gehen", meinte er.

Aber sie schüttelte entschieden den Kopf. Dann versuchte sie zu lächeln, diesmal schon etwas erfolgreicher.

"Das bringt doch nichts", meinte sie mit einer wegwerfenden Geste.

Jo zog die Augenbrauen hoch.

"Warum denn nicht?"

"Das kennt man doch! So etwas verläuft im Sand!"

"Aber Sie haben das, was die meisten nicht haben, Miss..." Jo erwartete, daß die dunkeläugige Schönheit ihm vielleicht jetzt ihren Namen sagte, aber das tat sie nicht.

"Trotzdem", sagte sie "Es ist ja nichts passiert."

"Was wollten die Kerle eigentlich von Ihnen?"

Sie zögerte eine Sekunde, ehe sie die Antwort parat hatte. "Ich nehme an, mein Geld! Was denn auch sonst?"

Jo hatte den Eindruck, daß sie selbst nicht so recht von dieser Version überzeugt war. "Das sah mir nicht so aus!" stellte der Privatdetektiv daher im Brustton der Überzeugung fest.

Die junge Frau zuckte mit den Achseln.

"Was weiß ich, wie es aussah oder was sie wollten!" Sie wirkte ein wenig genervt, stand auf und musterte Jo. "Warum fragen Sie mich eigentlich so aus?"

"Sorry, ist wohl eine Berufskrankheit. Ich bin Privatdetektiv. Mein Office ist übrigens ganz in der Nähe. Sie sehen aus, als könnten Sie eine Tasse Kaffe und ein Frühstück gut vertragen..."

Sie schien ein wenig irritiert. Ihre dunklen Augen sahen Jo an, als versuchte sie, dessen Gedanken zu lesen. "Warum machen Sie das?" fragte sie schließlich. "Schließlich war das ja alles andere als ungefährlich. Sie haben Ihr Leben riskiert."

"Ich hatte den Eindruck habe, daß Sie Hilfe brauchen. Und an diesem Eindruck hat sich auch nichts dadurch geändert, daß die beiden Kerle sich davongemacht haben!"

"Der Eindruck täuscht."

"Tut mir Leid, es war nur ein Angebot."

"Es war nicht so gemeint, Mister..."

"Walker. Jo Walker." Jo sah sie offen an. "Ich hoffe nur, daß Sie wissen, mit wem Sie sich da eingelassen haben..." Die beiden Angreifer waren sicher keine Straßendiebe. Das waren Fische, die ein paar Nummern größer waren."

Sie wandte ein wenig den Kopf und blickte an Jo vorbei. Kommissar X folgte ihrem Blick, um zu sehen, was die Aufmerksamkeit der jungen Frau erregt hatte.

In einiger Entfernung stand da ein untersetzter, aber sehr kräftig wirkender Mann mit gelocktem Haar. Als Walker zu ihm hinblickte, drehte der Lockenkopf sich zur Seite und ging mit immer schnelleren Schritten davon.

"Kannten Sie den Mann?"'

"Nein. Wie kommen Sie darauf?"

"Es sah so aus."

Sie versuchte zu lächeln. "Sehen Sie, das ist nicht der erste Mann, der mir hintersieht. Finden Sie das wirklich so ungewöhnlich?" Sie machte eine Pause und schien einen Moment lang nachzudenken. Dann sagte sie plötzlich: "Vielleicht nehme ich das Frühstück doch."

Jo lächelte. "Zu gütig, Lady! Was hat den Stimmungsumschwung bewirkt?"

"Ich glaube, daß man Ihnen trauen kann!"

"Oder glauben Sie, daß die Kerle an der Straßenecke wieder auf Sie warten, um Sie in Empfang zu nehmen?"

"Glauben Sie, was Sie wollen! Gilt Ihr Angebot nun noch oder nicht?"

"Gehen wir!"

*


Wenig später befanden sie sich in Jos Residenz, die gleichzeitig als Wohnung und Office fungierte und sich in einer Traumetage am nördlichen Ende der 7th Avenue befand.

"Nanu", wurde der von vielen auch respektvoll als Kommissar X bezeichnete Privatdetektiv von seiner attraktiven Assistentin April Bondy begrüßt. "Bringst du deine Klienten jetzt schon vom Joggen mit?"

Jo grinste der blonden April schelmisch ins Gesicht.

"Was glaubst du, wen ich morgens alles im Central Park treffe! Wenn ich Kaufmann wäre, würde ich dort meine Kontakte pflegen! Da hat man das ganze Business auf einem Haufen!"

April lachte.

"Und alle im Jogging-Anzug..."

"...und ohne Vorzimmerdrachen, die einen mit Terminen nach der Jahrtausendwende vertrösten!"

Sie wandten sich zu der jungen Frau um, die den Raum eingehend musterte. "Könnte ich mich erst ein bißchen bei Ihnen frischmachen?"

Jo nickte.

"Natürlich." Er wies ihr den Weg zum Bad und als er zurückkam, fragte April: "Wer ist die Kleine?"

"Sie hat es mir noch nicht gesagt."

"Ihre Frisur hat ja wirklich etwas gelitten. Was ist passiert?"

"Ein paar Kerle waren hinter ihr her und ich bin dazwischen gegangen!" Er legte die Baretta auf den Tisch.

"Die scheinen ja gut ausgerüstet gewesen zu sein", meinte April beim Anblick der Waffe und Jo nickte.

"Kann man wohl sagen! Mit wem auch immer sich diese junge Frau angelegt hat - einfache Straßenräuber waren das nicht!"

"Steht sie unter Schock?"

"Glaube ich nicht. Sie wirkt auf mich außerordentlich cool, wenn man bedenkt, in welcher Lage sie gerade noch gewesen ist."

Als die Fremde wenig später aus dem Bad kam, saßen Jo und April schon beim Frühstück. Sie setzte sich dazu. Im Gesicht hatte sie eine kleine Schramme und ihre Kleider wiesen ein paar Flecken auf. Aber sonst schien alles in Ordnung mit ihr zu sein.

"Wollen Sie uns nicht Ihren Namen sagen?" hakte April nach, die vor Neugier platzte. Die junge Frau hob den Kopf, als müsse sie überlegen und sagte dann: "Es ist besser für Sie und besser für mich, wenn Sie ihn nicht wissen."

April runzelte verwundert die Stirn. Sie schien mit dieser Antwort kaum etwas anfangen zu können. Indessen wandte sich die junge Frau an Walker und versuchte so schnell wie möglich das Gespräch auf irgendein unverfängliches Terrain zu lenken. Sie mußte große Angst haben und dazu ein schier grenzenloses Mißtrauen.

"Sie sind also Privatdetektiv", murmelte sie gedehnt und schien dabei über irgendetwas nachzudenken.

"Ja", nickte Jo.

"Ihr Geschäft scheint ja nicht schlecht zu gehen! Wenn ich mir Ihre Residenz hier so ansehe..."

"Ich kann nicht klagen."

"Was sind das so für Leute, die Sie hier aufsuchen?"

"Leute wie Sie."

"Nehmen Sie mich nicht auf den Arm!"

"Es ist so, wie ich sage. Es sind Leute mit Problemen, Leute, die kein Vertrauen zur Polizei haben und solche, denen die Polizei nicht helfen kann..."

"Einer wie Sie arbeitet doch sicher nur für Millionäre und große Versicherungskonzerne!"

"Ich habe nichts gegen Geld", erwiderte Jo. "Aber ich habe auch schon für kleine Leute gearbeitet. Ich bin in der glücklichen Lage, mir meine Aufträge aussuchen zu können."

Sie aß das Frühstück mit großem Appetit. Vor allem vom Kaffee konnte sie kaum genug bekommen. Sie war übernächtigt, schien sich aber unbedingt wach halten zu wollen.

"Ich fahre gleich zu Captain Rowland von der City Police", meinte der Privatdetektiv wie beiläufig. "Rowland ist mein Freund. Ich könnte Sie mitnehmen. Das wäre kein Problem..."

"Was soll ich dort?"

"Sie schauen sich paar Fotos an. Vielleicht sind die Kerle ja schon einmal aufgefallen. Dann könnten Sie sie identifizieren... Das kostet Sie nicht mehr als ein bißchen Zeit, Miss."

"Ich sagte schon einmal nein, Mister Walker."

"Nennen Sie mich Jo."

"Jo."

Sie wollte keine Polizei und ihr 'Nein' klang ziemlich endgültig. Wahrscheinlich hatte sie ihre Gründe dafür.

"Haben Sie Angst, daß sich jemand an Ihnen rächen könnte, wenn Sie die zwei in die Pfanne hauen?"

Sie seufzte und strich sich dabei das blauschwarze Haar zurück. Eine schöne Frau, dachte Jo. Eine sehr schöne Frau sogar. Und dann ertappte er sich dabei, daß sein Blick wie magnetisch von ihr angezogen wurde.

"Ich habe es Ihnen doch schon einmal klarzumachen versucht, Jo..." sagte sie jetzt in einem etwas milderen Tonfall.

"Versuchen Sie es ruhig noch einmal!" lächelte Jo.

Sie hob beschwörend die Arme. "Ich bin Ihnen sehr dankbar für das, was Sie für mich getan haben, aber der Rest ist meine Sache. Ganz allein meine Sache, verstehen Sie?"

"Um ehrlich zu sein: nein. Denn mir scheint, daß Ihnen da etwas über den Kopf gewachsen ist. Die Kerle, die ihnen aufgelauert haben, sind sicher keine Idioten. Die werden Sie überall wieder auftreiben. Glauben Sie mir!"

Jo merkte, daß er gegen eine Wand rannte. Je mehr er in sie zu dringen versuchte, desto mehr verschloß sie sich - aus welchem Grund auch immer.

Plötzlich sagte sie: "Ich glaube, ich muß jetzt los. Vielen Dank für alles. Ich werde es irgendwann wieder gutmachen, wenn ich kann."

"Warum ein so plötzlicher Aufbruch?" fragte April.

Die junge Frau versuchte ein Lächeln. "Es ist nicht plötzlich", erklärte sie wenig überzeugend. "Ich muß jetzt einfach los, das ist alles." Sie erhob sich und Jo folgte ihrem Beispiel.

"Soll ich Sie nach Hause bringen?" fragte der Privatdetektiv.

"Nein, danke."

"Wie gesagt, ich bin gleich sowieso unterwegs!"

"Dann nehmen Sie mich ein Stückchen mit!"

"Okay", nickte Jo. Sein Blick versank in ihren dunklen Augen und er dachte: Was mag in diesem hübschen Kopf wohl vor sich gehen? Man konnte es drehen und wenden, wie man wollte: Er wurde aus dieser Frau einfach nicht schlau. Sie machte es einem aber auch nicht gerade leicht!

*


"Sie müssen mir schon sagen, wo es hingehen soll!" meinte Jo, als er zehn Minuten am Steuer seines champagnerfarbenen Mercedes 500 SL saß.

Die dunkeläugige Schönheit saß auf dem Beifahrersitz und meinte knapp: "Fahren Sie nur. Ich werde Ihnen schon sagen, wann ich aussteigen möchte."

"Wie gesagt, am besten Sie steigen überhaupt nicht aus, sondern kommen mit mir zu Polizei."

"Lassen wir das."

"Manchen ist nicht zu helfen."

"Schon möglich..." Sie seufzte. "Und was machen Sie jetzt bei der Polizei?"

"Ach, es geht um eine Gegenüberstellung. Ich möchte gerne dabei sein. Mein Freund Rowland und ich sind an einen Drogenring herangekommen. Jetzt kommt die Kleinarbeit. Aber die muß auch gemacht werden. Am Ende kann davon nämlich abhängen, ob es auch zu Verurteilungen kommt."

"Was haben Sie mit Drogen zu tun, Jo? Sind Leute Ihrer Sorte nicht eher für den raffinierten Mord oder den spektakulären Diamantenraub zuständig?"

Jo blickte kurz zu ihr hin.

"Sie irren sich", erklärte er. "Obwohl... Es war eigentlich auch eine Art Mord."

"Das müssen Sie mir erklären."

"Ein ziemlich verzweifelter Mann kam zu mir. Sein siebzehnjähriger Sohn hatte sich den goldenen Schuß gesetzt. Das war der Auslöser des Ganzen, deshalb bin ich in der Sache drin."

"Aber das ist doch kein Mord", meinte sie. "Der Junge wußte doch wohl, was er tat. Er wollte es so."

"Glauben Sie das wirklich?"

"Ja, so sehe ich das!"

"In diesem Fall war es mit Sicherheit anders. Der Junge war von seinem Dealer plötzlich mit Stoff einer Qualitätsstufe beliefert worden, die er nicht gewohnt gewesen war. Er hatte nicht mehr als seine normale Ration genommen und war nun tot. Und das war ganz eindeutig Mord, auch in juristischem Sinn." Aber Jo hatte keine Lust, weiter darüber zu diskutieren. "Das Thema scheint Sie zu interessieren!" stellte er fest.

"Mich interessiert vieles."

Jo Walker gab dem Gespräch einen abrupten Schwenk. "Seit wann sind Sie auf der Flucht?"

Sie lächelte. "Sie können es nicht lassen, was?"

"Wie gesagt: Berufskrankheit."

"Ich habe die Kerle heute zum ersten Mal getroffen."

"Mich brauchen Sie nicht anzulügen."

"Sie wissen alles am besten, was?"

"Ich gebe mir Mühe", lächelte Jo. "Wissen Sie, was ich glaube? Ich glaube, daß sie schon tagelang vor ihnen davonlaufen."

Sie versuchte sich in aufgesetzter, künstlich wirkender Heiterkeit. "Haben Sie Beweise?"

"Bin ich der Staatsanwalt?"

Sie deutete plötzlich mit ihrem schlanken Arm nach rechts und fragte: "Sehen Sie die Ecke dort hinten?"

"Ja."

"Lassen Sie mich dort aussteigen."

"Und dann? Wo wollen Sie hin?"

"Eine Straße weiter ist die U-Bahn."

Jo fuhr an den Straßenrand. Die junge Frau wollte schon aussteigen, aber Jo hielt sie noch zurück.

"Was ist noch?"

"Nehmen Sie das hier." Sie nahm es und schaute stirnrunzelnd darauf. Es war eine von Walkers Visitenkarten. "Vielleicht überlegen Sie es sich ja noch einmal, ob Sie sich helfen lassen wollen..."

Sie steckte die Karte ein.

"Leben Sie wohl, Jo."

Und dann war sie auch schon weg. Jo sah sie zwischen den Passanten verschwinden. Sie blickte sich ständig um, so als fühlte sie sich beobachtet. Man konnte nur hoffen, daß sie nicht eines Tages als Wasserleiche aus dem East River gefischt wurde...

*


Captain Tom Rowland vom Morddezernat Manhattan C/II war ein massiger Koloß, der von seiner Figur her hervorragend dazu geeignet gewesen wäre, als Double von Bud Spencer zu fungieren.

"Du bist ein bißchen zu früh, Jo! Wir müssen noch auf ein paar Leute warten! Aber ich kann dir einen frischgebrühten Kaffee anbieten!"

"Danke, aber ich habe gerade gefrühstückt."

"Wenn die Sache heute glatt geht, dann sind wir schon ein ganzes Stück weiter", meinte Rowland. "Ich bin ganz zuversichtlich..."

Jo nahm die Baretta hervor, die er einem der beiden Kerle im Park abgenommen hatte. Er hatte die Waffe in eine Plastik-Tüte getan, obwohl es dazu wohl längst zu spät gewesen war. Jo hatte die Pistole schließlich in die Hand genommen und benutzt - und damit vermutlich fast alles an Spuren vernichtet, was irgendetwas aussagen konnte.

"Was ist das?" fragte Rowland.

"Heute morgen hatte ich beim Joggen Gelegenheit, mein Nahkampftraining etwas aufzufrischen", meinte Jo sarkastisch und erzählte Rowland in knappen Sätzen, was geschehen war.

"Und wo ist die Frau jetzt?" erkundigte sich der dicke Captain.

"Auf und davon." Jo zuckte mit den Schultern. "Was sollte ich machen, sie zwangsweise zur Polizei schleppen?"

"Sich überfallen zu lassen ist ja nicht strafbar!"

"Du sagst es!"

"Und was soll ich jetzt mit der Baretta?"

"Einfach mal ins Labor geben. Vielleicht kommt ja etwas dabei heraus!"

Tom Rowland holte tief Luft und blies sich dabei auf wie ein Walroß. "Glaubst du eigentlich, das Labor hat nicht genügend zu tun, Jo? Mit dieser Waffe ist niemand umgebracht worden und wenn sie aus dem Verkehr gezogen wird, wird das auch niemals geschehen." Er hob die Baretta hoch und sah sie sich von allen Seien an. "Die Nummer ist abgefeilt...", murmelte er.

"Eine Hand wäscht die andere, Tom. Also, was ist mit dem Labor? Wenn ich die Waffe dir überlasse, sind meine Chancen größer, sie untersucht zu bekommen, als wenn ich es allein versuche."

Rowland seufzte und fixierte Jo mit seinem Blick.

"Okay, Jo."

"Danke."

"Dann beantworte mir aber bitte eine Frage: Warum hängst du dich in diese Sache hinein?"

"Reine Neugier!" grinste Jo.

Ein Lieutenant kam herein und wandte sich an Rowland. "Es sind alle versammelt, Captain!"

Rowland schlug sich klatschend auf die Schenkel und stand auf. "Dann kann es ja losgehen!"

Jo steckte sich eine Zigarette in den Mund und zündete sie an.

"Drücken wir uns selbst die Daumen dafür, daß Jim Lacroix heute ins Loch geschickt wird!"

Sie gingen gemeinsam in einen schmucklos eingerichteten Raum, von dem aus man durch eine Scheibe in ein Nebenzimmer sehen konnte.

Rowland begrüßte eine vierzig- bis fünfzigjährige Schwarze von untersetzter Statur, die einen ziemlich verschüchterten Eindruck machte.

"Sie brauchen keine Angst zu haben, Mrs. Grogan", behauptete Rowland. Die Schwarze nickte, schien dem Police-Captain allerdings nicht so recht zu glauben. "Das sagen Sie so einfach, Captain!"

"Man kann Sie durch diese Scheibe nicht sehen", ergänzte Walker.

Sie nickte und wandte den Blick zur Seite.

Martha Grogan war die Vermieterin von Ron Bogdanovich gewesen - jenem Jungen, dem jemand beim goldenen Schuß etwas nachgeholfen hatte, indem er ihn mit reinem, statt wie sonst üblich, mit großzügig verlängertem Heroin belieferte.

Indessen hatte sich auf der anderen Seite der Glasscheibe eine Riege hochgewachsener, aschblonder Männer aufgebaut. Einer von ihnen war Jim Lacroix, Bogdanovichs Dealer. Martha Grogan hatte bei ihrer ersten Vernehmung am Tatort ausgesagt, daß ein Mann Bogdanovich regelmäßig besucht hätte und auch kurz vor dessen Tod noch dort gewesen sei. Ihre Beschreibung paßte auf Lacroix wie die Faust aufs Auge, aber jetzt mußte sie ihn noch identifizieren, ihn als den Mann bezeichnen, der kurz vor Bogdanovichs Tod noch bei ihm gewesen war und ihn vermutlich beliefert hatte.

Diesmal eine tödliche Lieferung.

"Was ist?" fragte Rowland vielleicht eine Spur zu ungeduldig. "Ist der Mann dabei?"

Martha Grogan schluckte.

"Ich bin mir nicht sicher!"

"Aber das gibt es doch nicht! Sie konnten Ihn doch ganz genau beschreiben!" schimpfte Rowland.

Sie hatte Angst, das lag deutlich auf der Hand. Wovor auch immer.

Vielleicht hatte Lacroix jemanden bei ihr vorgeschickt, der ihr unmißverständlich klargemacht hatte, wie sie sich verhalten mußte, wenn sie bei guter Gesundheit bleiben wollte. Vielleicht war sie auch einfach gekauft worden.

"Ich bin mir nicht sicher, ob er dabei ist", sagte sie wenig überzeugend. "Vielleicht der dort ganz rechts. Oder doch der in der Mitte? Sie sehen sich alle so ähnlich!"

"Hören Sie!" wurde sie dann von Rowland beschworen. "Sie brauchen wirklich keine Angst zu haben! Wenn Sie nur einen Ton sagen, dann können wir diesen Kerl ins Loch stecken!"

"Für wie lange?"

"Für sehr lange, denn dann geht es um Mord!"

"Können Sie mir das garantieren? Oder läuft am Ende nicht so, daß ein geschickter Anwalt ihn doch rauspaukt?"

"Ich bin weder Richter noch Geschworener, aber wenn Sie ihn wiedererkennen, dann hätten wir eine Chance!"

"Und wenn ich ihn nicht identifizieren kann?"

Rowland schwieg und atmete tief durch. Er ging zwei, drei Schritte hin und her und murmelte dann: "Ich fürchte, daß er uns dann durch die Lappen geht!"

Sie schien noch einmal zu überlegen. Man konnte ihrem Gesicht förmlich ansehen, wie der Kampf in ihr tobte. Dann war er entschieden - und zwar endgültig, wenn man nach dem Klang ihrer Stimme ging.

"Tut mir Leid, von diesen Männern hier war es keiner!" sagte sie sehr bestimmt. Sie kniff ihre Lippen zusammen. Ihr Gesicht war eine Maske geworden.

Rowland machte einen letzten Versuch. "Einer dieser Männer ist ein Mörder und Sie wissen, welcher. Ron Bogdanovich hätte vom Alter her Ihr Sohn sein können. Denken Sie an Rons Eltern, was es für sie bedeutet, wenn sein Mörder davonkommt!"

Sie wandte den Blick an Rowland und seufzte. "Ich wünschte, ich könnte Ihnen helfen, Captain. Aber ich kann doch nur sagen, was der Wahrheit entspricht, oder?"

Der dicke Captain sah ein, daß die Sache verloren war.

"Natürlich", sagte er.

"Kann ich jetzt gehen?"

Rowland nickte. "Gehen Sie nur!" Als sie weg war, schlug er wütend mit der flachen Hand gegen die Wand.

"Der Tag fängt wirklich schlecht an, was?" meinte Jo.

*


Es war zwei Tage später, als Jo Walker die dunkeläugige Schöne zum zweiten Mal sah - diesmal allerdings nur als Schwarz-weiß-Foto in der Zeitung. April hatte ihn darauf aufmerksam gemacht und ihm die entsprechende Seite unter die Nase gehalten.

WER KENNT DIESE FRAU? stand dort in großen Lettern.

Das Foto war nicht besonders gut, ein Zeitungsfoto eben, aber Jo hatte so etwas schon oft genug vor Augen gehabt, um auf den ersten Blick zu sehen, daß es sich um das Bild einer Toten handelte.

"Ich habe es geahnt", murmelte Jo tonlos, als er den dazugehörigen Text las. In Yonkers war eine junge Frau umgebracht worden. Man hatte sie mit einer Kugel in der Herzgegend in einer Seitenstraße aufgefunden. Der Toten fehlte leider alles, was sie hätte identifizieren können. Sie hatte keinen Paß, keine Etiketten in der Kleidung, keine Brieftasche, keine Kreditkarte.

"Scheint, als hätten die beiden Kerle sie doch noch erwischt", meinte April. "In der Zeitung steht, daß sie vorgestern ermordet wurde..."

"Nichts Näheres?"

"Nein."

"Ich habe sie in der Nähe einer Subway-Station abgesetzt", sagte Jo. "Sie muß sich auf ziemlich direktem Weg nach Yonkers aufgemacht haben." Er zuckte mit den Schultern. "Sie hätte auf mich hören sollen..."

"Das hätte sie." April machte eine kurze Pause und fuhr dann fort: "Ich weiß, daß dir das näher geht, als du zugeben willst. Ich habe gesehen, wie du sie angesehen hast..."

Jo stand auf und ging zum Fenster und blickte hinaus. Es war ein trüber Tag. New York war heute eine Waschküche. Der letzte Schauer war gerade zwei Minuten vorbei, aber der nächste kam bereits über den Central Park.

"Die Polizei in Yonkers sucht Zeugen, die die Tote kennen", murmelte Jo. "Ich werde mal auf einen Sprung vorbeifahren." Er machte eine unbestimmte Geste und ließ seine Hände dann in den Hosentaschen verschwinden. "Mehr kann ich wohl nicht mehr für sie tun..."

*


Der Mann, dem Jo Walker in dem miefigen, engen Büro gegenübersaß hieß Clarke und er war Lieutenant der Mordkommission von Yonkers. Clarke war klein und drahtig und in seinen tiefen Augenhöhlen lauerten zwei giftige Augen. Ein kleiner Terrier, so wirkte er auf Jo. Einer, der zubiß und dann nie wieder losließ.

Naja, dachte Jo. Jeder hat eben seinen Weg.

"Ihr Name ist also Walker", raunte der Giftzwerg mit einem Unterton, der nichts Gutes ahnen ließ. "Kann es sein, daß ich diesen Namen schon mal gehört habe?"

"Durchaus."

"Man nennt Sie auch Kommissar X, nicht wahr?"

"Ich kann es nicht abstreiten."

Clarke schlug urplötzlich mit der flachen Hand auf den Tisch und schnellte mit dem Kopf wütend nach vorne. Seine Augen waren aus ihren Höhlen hervorgetreten und funkelten angriffslustig.

"Ich will Ihnen gleich zu Anfang etwas klarmachen, Mister Walker! Ganz gleich, ob Sie Ihr Büro in einer Nobel-Etage oder in einem Hinterzimmer haben, ob Sie ein Star ihrer Branche oder nur so ein Schmalspur-Schnüffler sind: Ich mag keine Privatdetektive."

Jo zuckte die Achseln.

"Das tut mir Leid!"

"Und ich mag es auch nicht, wenn Ihr Schnüffler uns Profis ins Handwerk pfuscht!"

Jo atmete tief durch. "Erstens sind wir Privaten genau so Profis in diesem Geschäft wie Ihresgleichen und zweitens habe ich nicht die Absicht, Ihnen dazwischen zu funken, Clarke. Ich ermittle in diesem Fall gar nicht, sondern bin als Zeuge hier!"

"Okay", sagte Clark und grinste sarkastisch. "Ich will Ihnen das mal für eine Minute glauben. Erzählen Sie, was Sie zu der Sache beizusteuern haben! Sagen Sie bloß, Sie kennen die Tote!"

"Ich habe sie am Montagmorgen im Central Park gesehen, als ich meine tägliche Jogging-Runde machte. Zwei Kerle waren ihr auf den Fersen und ich bin dazwischen gegangen."

"Wie nobel, Mister Walker. Findet man heute selten so etwas. Die meisten schauen einfach weg. Wer ist die Lady?"

"Sie hat mir ihren Namen nicht gesagt."

"Zu schade! Wann war das genau am Montagmorgen?"

"So gegen sieben. Einem der Kerle konnte ich die Baretta abnehmen. Sie befindet sich noch im Labor. Erkundigen Sie sich bei Captain Rowland, wenn Sie an dem Befund interessiert sind."

"Bin ich nicht."

Jo runzelte die Stirn. Fast glaubte er, sich verhört zu haben.

"Habe ich das richtig verstanden?"

"Ja, das haben Sie", nickte Clarke. "Sehen Sie, die Sache ist ganz einfach: Zu dem Zeitpunkt, an dem Sie die namenlose Lady im Central Park von New York City gesehen haben wollen, war sie schon mindestens eine halbe Stunde tot."

Für Jo war das wie ein Schlag vor den Kopf. "Ich bin mir aber völlig sicher..."

"Tut mir Leid, Mister Walker, aber wie es scheint, haben Sie den Weg hierher nach Yonkers umsonst gemacht." Es stand Clarke im Gesicht geschrieben, daß es ihm nicht ein bißchen Leid tat. Aber das war Jo ohnehin ziemlich gleichgültig. Seine Gedanken waren bei der namenlosen Toten, deren Bild er in der Zeitung gesehen hatte. "Sie war es", sagte er. "Ich bin mir da hundertprozentig sicher. So ein Gesicht vergißt man nicht."

"Sie muß sehr hübsch gewesen sein, bevor man aus ihr eine Leiche gemacht hat!" Clarke zuckte mit den Schultern. "Wahrscheinlich haben Sie eine andere Frau gesehen, Walker. Vielleicht eine, die der Toten sehr ähnlich sah und die Sie dann auf dem Foto wiederzuerkennen glaubten!"

Aber Jo schüttelte entschieden mit dem Kopf.

"Das glaube ich nicht."

"Dann gehen Sie ins Leichenschauhaus und sehen Sie sie sich im Original an! Vielleicht geht es dann in Ihren Schädel!"

Kommissar X ließ nicht locker. Er hatte ein Paar gut funktionierender Augen im Kopf und es gab keinen Grund, ihnen nicht zu trauen. Also bohrte er weiter.

"Es gibt Mittel und Wege, Todeszeiten zu manipulieren. Ist eine Obduktion durchgeführt worden?"

"Die Todesursache liegt auf der Hand. Sie starb durch eine Kugel aus einer 8-mm-Pistole. Ein Schuß aus nächster Nähe. Und da hat sich niemand die Mühe gemacht, irgendetwas zu manipulieren. Es war ein ganz simpler, brutaler Mord. Fast wie eine Hinrichtung."

"Wer hat sie gefunden?"

"Wissen Sie was, Walker: Es ist genau so, wie ich befürchtet habe! Sie versuchen mir Fragen zu stellen anstatt umgekehrt. Und genau das kann ich nicht leiden. Sie sagten, daß Sie in dieser Sache nicht ermitteln, also sehe ich auch nicht ein, weshalb ich Ihnen irgendetwas sagen soll."

Jo verzog das Gesicht.

"Und wenn ich nun doch an der Sache arbeiten würde?"

"Dann würde ich Ihnen vielleicht erst recht nichts sagen, damit Sie mir nicht dauernd in die Quere kommen!"

"Na, dann ich ja froh sein, daß ich mein Büro in Manhattan und nicht in Yonkers habe!"

"Allerdings. Bei mir hätten Sie nicht viel zu lachen! Und ich gebe Ihnen auch jetzt den Rat, sich den Kopf über Ihre eigenen Sachen zu zerbrechen."

Kommissar X wandte sich zum Gehen. Aus diesem Terrier würde er kaum mehr herausbekommen. Und er fragte sich, ob er das überhaupt versuchen sollte. Schließlich war es Clarkes Aufgabe, den Mörder der jungen Frau zu finden, nicht Walkers. Es hatte ihn niemand beauftragt.

Bevor Walker sich auf den Rückweg nach Manhattan machte, wollte er sich die Tote aber doch noch einmal ansehen. Er wollte sichergehen, sich nicht geirrt zu haben.

Der Arzt, der Jo durch die Katakomben des Leichenschauhauses führte, war fast so bleich wie die Körper, die er zerschnitt. Kein Wunder, dachte Jo. Schließlich kam der Kerl wohl ziemlich selten mal ans Tageslicht.

"Kannten Sie die Tote?" fragte der Arzt und Jo nickte zögernd.

"Könnte man so sagen."

"Sie sind der erste, der sie zu kennen glaubt", meinte der Arzt. "Und dabei steht es doch jetzt sogar in der Zeitung!"

"Vielleicht kam sie nicht von hier."

"Alles möglich, Mister."

Dann wurde eine Leiche aus dem Kühlfach gezogen. Der Arzt deckte das Gesicht ab und gähnte dabei ungeniert. Ihr Gesicht hatte fast jegliche Farbe verloren. Jemand war so pietätvoll gewesen, ihr die Augen zu schließen.

Aber sie war es.

Für Jo gab es keinen Zweifel mehr.

"Todeszeit?" fragte Jo.

Der Arzt schaute in seine Unterlagen. "Montagmorgen, cirka halb sieben. Wahrscheinlich früher."

"Und wann wurde sie gefunden?"

"Steht auch hier: Kurz nach halb acht."

"Kein Irrtum möglich?"

"Wovon sprechen Sie?"

"Von der Todeszeit."

Der bleiche Arzt runzelte die Stirn. "Was wollen Sie eigentlich? Glauben Sie, wir machen hier Pfusch?"

"Nein, es ist nur so, daß ich die Tote noch quicklebendig gesehen habe, als sie nach Ihren Angaben schon auf dem Weg hierher war. Deshalb frage ich, ob es da nicht sein könnte, daß Sie sich bei der Todeszeit geirrt haben."

Er blickte auf seinen Boden. "Mein Kollege Snyder war um halb acht am Tatort und hat den Tod festgestellt", murmelte er. "Und wann bitte wollen Sie sie noch gesehen haben?"

"Schon gut", meinte Jo. "Vergessen Sie's!" Um halb acht hatte die Tote in Walkers Residenz noch an ihrem Kaffee geschlürft.

Irgendetwas stimmte hier nicht.

*


Als Jo Walker zurück in die 7th Avenue kam, war es Nachmittag und es regnete wieder. Diesmal war es kein Schauer, sondern eher eine Art Dauerregen, die Jo den ganzen Weg von Yonkers bis hierher begleitet hatte. Ein scheußlicher Tag - und das in mehrfacher Hinsicht.

Aber die Unannehmlichkeiten hatten sich mit der Feuchtigkeit, die da unablässig von dem grauen Himmel herabrieselte, noch lange nicht erschöpft. Das merkte Jo ziemlich bald, nachdem er sich wieder in seiner Residenz befand.

Er ließ die Türen auseinander fliegen und warf den nassen Mantel in eine Ecke.

"Was neues, April?" fragte er seine Assistentin.

"Im Büro sitzen zwei Klienten."

Jo pfiff durch die Zähne.

"Gleich zwei? Haben sie gesagt, was sie wollen?"

"Nein", schüttelte April den Kopf und warf dabei ihre blonde Mähne in den Nacken. "Sie wollen nur mit dir persönlich sprechen. Von mir wollten Sie nicht einmal eine Tasse Kaffee!"

Das Erste, was Jo mißfiel, als er sein Büro betrat war, daß jemand hinter seinem Schreibtisch saß und die Füße hochgelegt hatte. Der zweite Besucher lehnte am Fenster und hatte die Hände in den Hosentaschen.

Jo erstarrte.

Das waren die beiden Gorillas, vor denen die junge Frau davongelaufen war, deren Foto jetzt in den Zeitungen bewundert werden konnte. Der Dunkelhaarige hatte seinen rechten Arm bandagiert und trug ihn in einer Schlinge.

Wenigstens fiel er dadurch als Schütze erst einmal aus. Anders der Blonde, dessen Hand in der Manteltasche ruhte und wahrscheinlich einen Pistolengriff umfaßte.

Das Gesicht des Dunkelhaarigen blieb sehr ernst und war fast eine Leichenbittermiene. Der Blonde hingegen grinste frech und kaute dabei auf irgendetwas herum.

"So sieht man sich wieder", murmelte Jo.

"Schließen Sie die Tür!" befahl der Dunkelhaarige und ließ seine Worte durch seinen Komplizen dadurch unterstreichen, daß dieser jetzt seine Waffe aus der Manteltasche hervorholte und sie auf Jo richtete. "Ich hoffe, Sie machen keine Dummheiten, Mister Walker!"

"Das hoffe ich umgekehrt auch!" erwiderte Jo, nachdem er die Tür geschlossen hatte. "Was wollen Sie von mir?"

Auf dem Schreibtisch lag noch die Zeitung, die Jo am Morgen gelesen hatte. Der Dunkelhaarige schlug die Seite auf, auf der das Bild der namenlosen Toten war. "Sie haben das hier sicher gelesen, nicht wahr?"

"Ja." Walker trat näher an den Schreibtisch heran. Bevor er sich in den davor stehenden Sessel fallen ließ, deutete er auf das Foto. "Das ist eure Arbeit, nicht wahr?"

"Sie werden nicht im Ernst erwarten, daß wir dazu etwas sagen, Mister Walker."

"Nein, allerdings nicht."

"Ich werde unter anderem dafür bezahlt, daß ich zwei und zwei zusammenrechne und meine Schlüsse ziehe." Jo zeigte auf die Waffe des Blonden. "Acht Millimeter?"

"Die Fragen stellen wir hier, auch wenn Ihnen das nicht paßt!"

"Bitte! Sie sind wahrscheinlich nicht hier, um mir einen Auftrag zu geben!"

"Nein, das sicherlich nicht. Es geht um etwas anderes."

"Da bin ich aber gespannt!"

"Sie erinnern sich an die junge Frau, Montagmorgen im Central Park... Sie haben uns leider dazwischen gefunkt!" Er hob ein wenig den bandagierten Arm an. "Diese Frau hatte etwas in ihren Besitz gebracht, das ihr nicht gehörte. Wir hatten die Aufgabe, es ihr wieder abzunehmen..."

"Und wie kann ich Ihnen da helfen?"

"Indem Sie es uns jetzt aushändigen."

"Warum nehmen Sie an, daß ich es habe?"

"Weil sie es bei Ihnen deponiert haben wird, wenn sie einen Funken Verstand gehabt hat. Es kann auch sein, daß Sie es ihr abgenommen haben. Der Phantasie sind da keine Grenzen gesetzt."

"Das wird ja immer interessanter!" meinte Jo sarkastisch.

"Jedenfalls glaube ich nicht, daß diese Begegnung im Park reiner Zufall war."

Jo zuckte die Achseln.

"Bedaure, ich weiß noch nicht einmal, worum es geht."

Das Gesicht des Dunkelhaarigen blieb regungslos. Mit der Linken machte er eine unbestimmte Geste. Unterdessen bewegte sich der Blonde seitwärts. Er öffnete einen der Büroschränke und begann damit, den Inhalt auf den Boden zu streuen.

"Scheint, als würde Ihre Antwort meinen Freund hier nicht sehr überzeugen, Mister Walker."

Der Blonde grinste unverschämt. Es machte ihm Spaß, was er tat - besonders als seine Hand dann über ein Regal strich und ein paar recht wertvolle Vasen auf dem Boden zerscheppern ließ.

Jetzt wurde es Jo zu bunt.

Er gab dem Schreibtisch einen kräftigen Tritt, so daß er dem Dunkelhaarigen entgegenkam und dieser mitsamt Sessel nach hinten kippte. Er fluchte unterdrückt, während der Blonde die Waffe hob.

Jo warf sich zu Boden, bevor der Kerl schoß.

Genau diesem Augenblick flog die Tür auf und April kam herein. Der Krach hatte sie angelockt. Auf jeden Fall tauchte sie genau im richtigen Moment auf, denn der Blonde wirbelte mit der Waffe in der Hand herum in ihre Richtung.

Jo rollte sich am Boden herum und riß die Automatic heraus. Blitzschnell ging das. Der Blonde zögerte nur den Bruchteil einer Sekunde, und doch war es jetzt bereits zu spät für ihn. Er blickte direkt in den Lauf von Walkers Automatic und konnte sich seine Chancen an zwei Fingern ausrechnen, schneller zu schießen als der Privatdetektiv.

"Der Gedanke taugt nichts, der Ihnen da im Kopf herumspukt", zischte Jo. "Werfen Sie Ihr Schießeisen lieber weg, wenn Sie kein Loch in den Kopf wollen!"

Der Blonde zögerte noch einen Moment und atmete dann tief durch. Er sah ein, daß er auch diese Runde verloren hatte, so sehr er sich darüber auch ärgern mochte. Er warf seine Pistole zu Boden. Sein dunkelhaariger Komplize arbeitete sich indessen unter Schreibtisch und Sessel hervor. Er schien Schmerzen zu haben, wenn man nach dem verzerrten Gesicht ging. Vielleicht hatte es seinen verletzten Arm erneut erwischt. Jos Mitleid hielt sich allerdings in Grenzen.

"Jetzt drehen wir den Spieß mal um!" meinte Jo. "Wer schickt Sie?"

Der Blonde schielte zu seinem Komplizen hinüber und schien abzuwarten, wie dieser reagieren würde. Der Dunkelhaarige schien bei den beiden für das Denken zuständig zu sein.

"Sie können mich mal, Walker!" zischte dieser.

Jo wandte sich an April. "Du kannst schon mal die Polizei rufen!"

Der Blonde wurde unruhig. Ihm schien die harte Linie des Dunkelhaarigen nicht zu gefallen, er sagte aber nichts.

April hob indessen die Waffe des Blonden vom Boden auf und ging ins Vorzimmer. Jo befahl inzwischen dem Dunkelhaarigen, sich zu seinem Komplizen an die Wand zu stellen.

"Sie bluffen, Walker!"

"Glauben Sie?"

Inzwischen hörte man April aus dem Nebenzimmer die Polizei anrufen. Der Blonde bekam einen panischen Zug im Gesicht. "Der Kerl ist verrückt!" knurrte er. "Der bringt es fertig und liefert sich selbst mit ans Messer!"

"Halt's Maul!" zischte der Dunkelhaarige.

"Vielleicht können wir uns so mit ihm einigen!"

"Ich sagte: Halt's Maul!"

Jetzt mischte sich Jo ein: "Das mit der Frau in Yonkers - wart ihr das?"

"Kein Kommentar", zischte der Dunkelhaarige.

"Wir haben damit nichts zu tun", schnatterte der Blonde, der es langsam mit der Angst zu tun bekam.

Jo hielt sich daher an ihn. "Die Frau wurde mit einer 8-mm-Pistole erschossen. Wenn ich mich nicht irre, dann ist Ihre Waffe von demselben Kaliber."

"Es gibt viele 8-mm-Pistolen."

"Im Labor wird sich herausstellen, ob es diese hier war."

"Willst du mir was anhängen?"

"Warum nicht? Meine Beziehungen zur Polizei sind hervorragend!"

"Ich sage dir, der Kerl blufft!" knurrte der Dunkelhaarige dazwischen. Jo hielt sich länger mit dem Katz und Maus-Spiel auf. Bis die Polizei kam, hatte er noch ein bißchen Zeit und die nutzte er, indem er die Taschen der beiden Kerle durchsuchte. Er fand ihre Brieftaschen.

Der Blonde hieß Glenn Peters, der Dunkelhaarige Miles McCarthy - jedenfalls wenn man nach dem ging, was in den Führerscheinen stand. Aber die beiden waren natürlich nur Handlanger. Jo hoffte, durch sie vielleicht eine Etage höher zu gelangen. Er wollte wissen, wer dahinter steckte - und das jetzt nicht mehr nur deshalb, weil er diesen Hintermännern den Mord in Yonkers nicht verzeihen konnte, sondern weil er jetzt selbst in der Sache mit drinsteckte. Ob es ihm paßte oder nicht.

In der Brieftasche des dunkelhaarigen McCarthy steckte ein kleiner Zettel, auf dem eine Adresse stand. Jo hob die Augenbrauen. Es stand kein Name dabei, aber das machte nichts.

Es war eine Adresse, die er kannte.

Jim Lacroix. Wenn das keine Überraschung war!

*


Zwei Detectives kamen wenig später vorbei und nahmen Peters und McCarthy mit. Vielleicht ergab die Untersuchung der 8-mm-Waffe ja etwas.

Jo machte sich indessen an die Verfolgung einer anderen Spur. Wer immer letztlich diese beiden Gorillas in sein Büro gehetzt hatte - er würde kaum lockerlassen. Und wenn Jim Lacroix in der Sache mit drinsteckte, dann war es auch nicht allzu schwer, sich auszumalen, worum es hier eigentlich ging: Entweder Drogen oder Schwarzgeld. Oder beides.

Jim Lacroix bewohnte ein elegantes Penthouse, aber dort suchte Jo ihn gar nicht erst, weil er aus Erfahrung wußte, daß man ihn dort nur in Ausnahmefällen um diese Zeit antreffen konnte. Lacroix war ständig unterwegs. Ein umtriebiger Mann, der die Unterwelt-Hierarchie schon ein paar Stufen nach oben gefallen war.

Er dealte. Kokain und Heroin, vielleicht auch noch andere Sachen.

Vor einiger Zeit hatte er versucht, auch in der Prostitution Fuß zu fassen, hatte sich da aber ganz gehörig die Finger verbrannt. Seitdem hatte er eine Narbe am Hals, trug daher meistens Rollkragen- Pullover und kümmerte sich nur noch um Geschäfte, von denen er etwas verstand.

Walker klapperte einige Lokale an der Bowery ab, von denen er wußte, daß Lacroix sich dort bevorzugt aufhielt. Schließlich ermittelte er ja schon eine ganze Weile in Lacroix' Dunstkreis und kannte die Gewohnheiten des Dealers ganz gut.

Jo traf ihn schließlich in einer Bar vor einem Martini sitzend. Sein Outfit war vom Feinsten. Allein das Sakko kostete sicher mehr, als der Barmixer im ganzen Monat verdiente. Maßgeschneidert.

Ein breites Grinsen ging über Lacroix' Gesicht, wobei er ein paar Jacket-Kronen entblößte.

"So sieht man sich wieder, Walker!" gurgelte er vergnügt. "War wohl ein Schlag ins Wasser, die Show von heute morgen!"

Jo setzte sich zu ihm.

"Irgendwann erwischt dich jemand, verlaß dich drauf. Wenn ich es nicht bin, dann vielleicht mein Freund Rowland. Oder einer deiner sauberen Freunde." Jo zuckte mit den Schultern.

Lacroix ließ das kalt.

"Ich wußte gar nicht, daß du ein so schlechter Verlierer bist, Schnüffler!"

Jo zuckte die Achseln. "Bin ich eigentlich gar nicht. Vielleicht liegt es daran, daß ich Leute wie dich nicht leiden kann!"

Lacroix lachte heiser und verzog das Gesicht. "Das Kompliment kann ich ohne Umschweife zurückgeben!"

"Irgend etwas hast du mit der Frau angestellt, um sie umzudrehen", stellte Jo fest. "Vielleicht eine Art Pension, um ihr den Mund zu stopfen - oder eine handfeste Drohung. Ich schätze, es war eine Kombination aus beidem. Zuckerbrot und Peitsche, so sagt man doch dazu, oder?"

Lacroix hob die Augenbrauen hoch. Bis jetzt hatte ihm Walkers Auftreten offenbar noch nicht die Laune verdorben, was nur heißen konnte, daß er sich sehr sicher fühlte.

"Was willst du jetzt unternehmen, Walker?"

"Mal sehen."

"Mich die ganze Zeit über beschatten, bis du glaubst, daß die Gelegenheit da ist, um zuzuschlagen?" Er lachte trocken. "Da kannst du lange warten."

"Wart's ab, Lacroix. Vielleicht kommt das früher, als du es für möglich hältst!"

"Wie wär's, wenn du und dein Freund Rowland mal einsehen würdet, daß ihr euch schlicht und ergreifend geirrt habt! Ich bin kein Mörder. Und ich habe auch nichts mit dem puren Heroin zu tun, das dem Jungen über den Jordan geholfen hat." Er zuckte mit den Schultern. Um seinen Mund spielte ein zynischer Zug. "Allerdings...", murmelte er gedehnt, "ich muß schon sagen: Wer das Zeug nimmt, sollte es auch dosieren können! Oder die Finger davon lassen!"

"Wenn ich dich reden höre, wird mir schlecht", gestand Jo.

"Es zwingt dich ja niemand."

"Leider doch. Ich bin nicht wegen dem Jungen hier."

Lacroix runzelte die Stirn. "Weswegen dann? Willst du mir irgendeine andere Sauerei anhängen? Dir traue ich alles zu, Walker!"

Jo hatte sich die Zeitungsseite mit der Toten aus Yonkers herausgerissen und hielt sie Jim Lacroix jetzt unter die Nase. Dieser warf nur einen beifälligen Blick auf das Bild und die Überschrift und meinte dann: "WER KENNT DIESE FRAU? - Ich kenne Sie jedenfalls nicht!"

"Merkwürdig", meinte Jo. "Da wird jemand umgebracht und die Spur führt geradewegs zu dir! Erklär mir das, wenn du es kannst!"

"Ich weiß von nichts!

"Und was mit Glenn Peters und Miles McCarthy? Sagen die dir etwas?"

"Jetzt begreife ich gar nichts! Was haben die mit der Frau in Yonkers zu tun?"

"Sie waren hinter ihr her. Und jetzt ist sie tot. Zufällig hatte einer der beiden deine Adresse dabei. Hast du die Nobel-Gorillas angeheuert?"

"Nein."

"Ich hoffe, die Polizei glaubt dir das auch."

"Warum sollten sie nicht?"

"Peters hatte eine 8-mm-Pistole bei sich. Und mit genau so einer Waffe ist die junge Frau in Yonkers erschossen worden... Aber es weiß doch jeder, daß die beiden kaum aus eigenem Antrieb gehandelt haben! Das sind doch Lakaien. Man wird also nach einem Auftraggeber Ausschau halten..."

"...und auf mich kommen. Willst du mir das sagen?"

Jo nickte. "Du hast es erfaßt."

"Warum sollte ich die Frau umbringen wollen?"

"Was weiß ich? Bei dem Jungen hattest du ja auch einen Grund." Jo rollte die Zeitung wieder zusammen und steckte sie in die Manteltasche, während das Gesicht von Jim Lacroix zu einer eisigen Maske geworden war.

"Du willst mir Ärger machen, nicht wahr, Walker?"

"Ja, und du kannst dich darauf verlassen, daß ich es auch schaffen werde!"

Lacroix tickte nervös mit den Fingern auf dem Tisch herum. "Also gut, ich kenne Peters und McCarthy."

"Sie stehen auf deiner Gehaltsliste, stimmt's?"

"Nein. Sie haben mal für mich gearbeitet, als es darum ging, ein paar säumige Schuldner daran zu erinnern, daß man Jim Lacroix nicht so einfach vergißt."

Jo konnte sich lebhaft vorstellen, wie dieser 'Erinnerung' in der Praxis aussah. Zu den Schulden kam in solchen Fällen noch eine saftige Krankenhausrechnung...

"Für wen arbeiten die beiden jetzt?"

"Keine Ahnung!"

Jo erhob sich, packte Jim Lacroix am Revers seines edlen Jacketts und zog ihn zu sich heran. "Du willst mich für dumm verkaufen, Lacroix. Aber dazu mußte du schon entschieden früher aufstehen!"

Der Dealer ruderte mit den Armen.

"Ich weiß es wirklich nicht, Walker! Aber du kannst ja mal bei Tony Willis nachfragen."

Jo ließ Lacroix los, während der Barmann fragte: "Probleme, Jimmy?"

"Nein!" knurrte dieser und zog sich sein Jackett wieder glatt.

"Tony Willis? Der Geschäftsführer vom Round Midnight?" erkundigte sich Jo.

"Genau der. Ich habe Peters und McCarthy als Rausschmeißer dort empfohlen. Kann sein, daß sie bei Willis gelandet sind."

"Ich hoffe für dich, daß das stimmt!"

"Und ich hoffe, daß ich dich nun fürs Erste los bin, Walker!"

Jo zuckte mit den Schultern und wandte sich zum Gehen. Lacroix hatte etwas von einem schleimigen Aal. Immer wenn man schon glaubte, ihn gepackt zu haben, glitt er einem durch die Finger.

*


Als Jo wieder in seinem champagnerfarbenen 500 SL saß, erreichte ihn ein Telefonanruf von April.

"Was gibt es?"

"Jo, hier hat sich gerade jemand am Telefon gemeldet, der seinen Namen nicht nennen wollte. Aber er kannte offenbar die Frau, der du im Central Park geholfen hast."

"Hat er sonst noch was gesagt? Den Namen der Lady vielleicht?"

"Nein, er sprach nur von 'der Kleinen' aus dem Central Park. Es ging ziemlich schnell, Jo. Er wollte dich persönlich sprechen, aber damit konnte ich leider nicht dienen."

"Will er sich wieder melden?"

"Hat er nicht gesagt."

"Hat er wenigstens gesagt, was er von mir will und warum er sich nicht bei diesem Polizei-Terrier in Yonkers meldet? Die ist doch ganz wild auf jemanden, der die Frau identifizieren kann!"

"Keine Ahnung, Jo. Ich habe das Gespräch aufgenommen - wenn man es denn überhaupt so nennen will. Wenn du nachher zurückkommst, kannst du dir die Stimme ja mal anhören. Vielleicht ist es ein alter Bekannter... Was ist übrigens mit der Lacroix-Spur? Ist sie heiß?"

"Eher lauwarm."

Jo wollte schon auflegen, aber da hörte er April sagen: "Ehe ich es vergessen, Jo! Unser Freund Tom Rowland hat sich übrigens ebenfalls gemeldet."

"Wegen den beiden Kerlen, die mir einen unfreundlichen Besuch abstatten wollten?"

"Nein, Jo. wegen der Baretta."

"Und?"

"Vor drei Jahren wurde ein Mann aus dem East River gefischt, der mit dieser Waffe erschossen wurde."

Jo pfiff durch die Zähne.

"Weißt du noch mehr darüber?"

"Rowland geht der Sache nach!"

"Okay. Wer weiß? Vielleicht ist das ja ein Punkt, an dem man ansetzen kann, um das Knäuel zu entwirren."

Ein paar Minuten später hatte Jo Walker das Round Midnight erreicht.

Es war schon mehr als ein Jahr, seit er hier zum letzten Mal ermittelt hatte, aber in der Zwischenzeit hatte sich der Laden in erstaunlicher Weise verändert. Aus einem billigen Strip-Lokal war so etwas wie eine Nobel-Disco mit Laser-Show und allen nur denkbaren Schikanen geworden.

Jo staunte.

Um diese Zeit war natürlich an einem Ort wie diesem noch nichts los und so ging er schnurstracks dorthin, wo er Tony Willis' Büro vermutete. Es war immer noch am selben Platz und war eines der wenigen Dinge hier, die sich kaum verändert hatten.

Ja, dachte Jo, von ihrem Outfit her hätten Peters und McCarthy in einen Laden wie diesen hineingepaßt.

Tony Willis war alles andere als erfreut, als er Jo hereinplatzen sah. Er erhob sich hinter seinem Schreibtisch. Der Mann, der sich in einen der protzigen Ledersessel geflezt hatte, war wie ein Kleiderschrank gebaut und war vermutlich nicht für die Buchführung angeheuert worden.

Als er Jo eintreten sah, bildeten sich auf seinem konturlosen Gesicht tiefe Furchen, die Schlimmes ahnen ließen. Aber Jo wußte, daß dieser Wachhund nur beißen würde, wenn sein Herr es ihm befahl.

"Was willst du?" fragte Tony Willis. "An deinen letzten Besuch habe keine guten Erinnerungen. Im Endeffekt läuft es doch immer darauf hinaus, daß du mir meine Gäste verscheuchst!"

Jo grinste. "Das könnte auch an den Gästen liegen", meinte er. "Aber wie auch immer . Im Moment ist dein Laden ja leer."

"So etwas spricht sich leider herum."

"Dann machen wir es kurz. Ich will mich mit dir unter vier Augen unterhalten."

Tony Willis atmete tief durch und nutzte diesen Augenblick zum Nachdenken. Dann wandte er sich an den Gorilla. "Geh ein bißchen frische Luft schnappen", wies er diesen an.

Der Gorilla baute sich zu voller Größe auf, unterzog Jo einer kritischen Musterung und gehorchte dann - mit sichtlichem Widerwillen.

"Scheint sich viel verändert zu haben, was das Round Midnight betrifft."

"Ja. Es ist ganz anderer Laden geworden mit völlig verändertem Publikum!"

"Publikum mit mehr Geld, wie ich annehme."

"Da nimmst du richtig an."

"Ich frage mich, woher das Geld für solche Investitionen kommt..."

Willis verzog das Gesicht. "Wer weiß, vielleicht drucke ich es einfach!"

"Jedenfalls muß jemand viel Geld hier 'reingesteckt haben. Wem gehört das Round Midnight jetzt?"

Willis ließ die Frage unbeantwortet und meinte: "Was willst du hier?"

"Glenn Peters und Miles McCarthy - arbeiten die für dich?"

"Seit ein paar Wochen, ja. Sechs Tage die Woche ab acht Uhr abends. Warum?"

"Dann hast du mir die Kerle auf den Hals geschickt!"

"Für wen hältst du mich!"

Walker kramte das Bild von der Yonkers-Toten heraus und hielt es Willis hin. "Kennst du sie?"

"Nein."

"Sie hat nicht zufällig für dich gearbeitet?"

"Nein, bestimmt nicht. Und ich habe sie auch noch nie hier gesehen. Sie wäre mir aufgefallen, so hübsch wie sie ist." Willis hob die Augenbrauen. "Sonst noch was - oder war es das?"

"Peters und McCarthy, haben die vielleicht noch eine Art 'Nebenjob'?" hakte Jo nach.

Willis zuckte betont gleichgültig die Achseln. "Das geht mich nichts an!" meinte er. "Ich kümmere mich nur um meine Angelegenheiten."

Jo lächelte dünn.

"Diese Sache könnte schneller deine Angelegenheit werden, als dir lieb ist!"

"Was meinst du damit?" Und dann fiel sein Blick erneut auf das Bild der Toten. Jetzt begriff er. "Ich vergebe keine Mordaufträge, wenn es das ist, was du meinst."

"Wer dann?"

"Kein Kommentar."

"Kennst du jemanden, dem in letzter Zeit vielleicht etwas abhanden gekommen ist? Schwarzgeld, Stoff, irgend etwas in der Art."

Willis kniff die Augen zu engen Schlitzen zusammen und lehnte sich etwas zurück. Er fühlte sich jetzt sichtlich unwohl in seiner Haut. Jo hatte irgendeine Saite in Willis zum Klingen gebracht. Aber nach dessen Gesicht zu urteilen, mußte es wohl ein Mißton sein.

"Ich kann mich ja umhören", grunzte Willis.

"Tu das", nickte Jo in der Gewißheit, von diesem Kerl nicht mehr zu hören zu bekommen. Es mußte seinen Grund haben, daß Willis auf einmal solche Manschetten bekommen hatte.

Vielleicht lag es daran, daß er besonders nah am Vulkan saß und keine Lust hatte, etwas abzubekommen, wenn er zum Ausbruch kam...

*


Der Mann war klein, aber sehr kräftig. Aber das Auffallendste an ihm waren nicht seine breiten Schultern, die ihn noch etwas kleiner wirken ließen, als er in Wirklichkeit war, sondern sein gelocktes, dunkles Haar.

Der Lockenkopf saß in einem Schnellrestaurant mit Blick auf die Straße und kleckerte Hamburgersauce au die Zeitung, die er vor sich ausgebreitet hatte. WER KENNT DIESE FRAU? stand dort und er dachte mit einem Anflug von Zynismus: Das hat sie nun davon!

Es war viel schneller zu Ende gewesen, als er gedacht hatte. Er hatte sie eigentlich für etwas cleverer gehalten. Aber die Leute, die sie gejagt hatten, waren mindestens so clever und der Lockenkopf wußte ganz genau, daß er sehr auf der Hut sein mußte, wenn er verhindern wollte, daß es ihm genau so erging wie ihr.

Er schlug die Zeitungsseite um. Er konnte dieses Gesicht einfach nicht mehr sehen. Vielleicht sollte ich einfach verschwinden! kam es ihm zum ersten Mal in den Sinn. Einfach alles vergessen und sich irgendwo verkriechen.

Aber insgeheim wußte er, daß das keine Möglichkeit war.

Und alles wegen einem kleinen Päckchen! ging es ihm schmerzhaft durch den Kopf. Aber es gab kein Zurück. Augen zu und durch. Er mußte das Päckchen wieder in seine Hände bekommen, und zwar um jeden Preis.

Wenigsten hatte er einen Anhaltspunkt dafür, wo sich das Päckchen befand. Der Lockenkopf grinste. Jo Walker, Privatdetektiv, genannt Kommissar X...

Ich möchte wissen, wie sie an den gekommen ist! ging es ihm durch den Kopf.

Der Lockenkopf hatte den Hamburger zu drei Vierteln aufgegessen, da sah er vorne bei der Tür einen Schwarzen hereinkommen, der in seinem edlen Zwirn einfach lächerlich hier wirkte. Der Lockenkopf kannte den Kerl flüchtig. Er war nicht zum Essen gekommen, das lag auf der Hand.

Der Blick des Schwarzen wanderte im Raum umher und hatte den Lockenkopf zwei Sekunden später gefunden.

Er ließ den Rest vom Hamburger fallen und sprang auf. Er mußte weg hier. Es war schon beinahe zu spät, aber vielleicht hatte er ja noch eine Chance. Seine beschmierte Hand wanderte unter das Jackett und zauberte eine Pistole hervor. Wahrscheinlich hätte er sofort abgedrückt und vermutlich auch getroffen, denn er war kein schlechter Schütze.

Doch es kam anders.

Er hatte die Pistole gerade entsichert, da fühlte er, wie etwas sehr Hartes in seinen Rücken gestoßen wurde.

Wahrscheinlich eine Revolvermündung.

"Schön ruhig und nicht umdrehen!" zischte es in seinem Rücken. Eine Hand griff von hinten um ihn herum und langte nach der Pistole des Lockenkopfs. "Haben wir dich endlich, du Ratte!" kam es von hinten. Der Schwarze kam indessen näher, während Gäste und Personal in dem Schnellrestaurant wie erstarrt dastanden.

Der Lockenkopf ahnte, daß er jetzt alles versuchen mußte.

Bevor der Hintermann seine Waffe genommen hatte, wirbelte der Lockenkopf herum und ließ die Linke mitten in das Gesicht seines Gegners krachen. Einen Sekundenbruchteil war dieser unfähig, etwas zu tun und das nutzte der Lockenkopf blitzschnell. Er packte den Kerl im Würgegriff und setzte ihm die Pistole an die Schläfe.

"Waffe fallen lassen!" Der Kerl gehorchte. Die Waffe plumpste mit einem unüberhörbaren Geräusch auf die Fliesen.

Der Schwarze hatte indessen ebenfalls unter die Jacke gegriffen und seine Waffe herausgeholt, aber jetzt stand er wie zur Salzsäule erstarrt da.

"Wenn du dich auch nur einen Schritt bewegst, dann ist dein Freund hier erledigt!"

Der Schwarze warf einen unschlüssigen Blick zu seinem Komplizen.

"Tu, was er sagt!" röchelte dieser. Das Blut war ihm aus der Nase geschossen und über das Gesicht gelaufen. Es sah allerdings viel schlimmer aus, als es in Wirklichkeit war.

"Okay, okay!" murmelte der Schwarze.

"Die Waffe ganz vorsichtig auf den Tisch!"

"Ich mache alles, was du sagst!"

Irgendjemand wird längst die Polizei gerufen haben! durchfuhr es den Lockenkopf. Es wurde Zeit für ihn, zu verschwinden. Das was er jetzt am wenigsten gebrauchen konnte, waren stundenlange Verhöre und dergleichen. Außerdem war er selbst nicht so ganz koscher und würde wohl kaum ungeschoren aus der Sache herauskommen.

"Keine falsche Bewegung!" zischte er den Schwarzen an, als dieser seine Waffe auf den Tisch legen wollte. Der Lockenkopf hatte das kaum merkliche Zucken sehr wohl registriert. Für den Bruchteil einer Sekunde hing alles in der Schwebe.

Und dann machte der Schwarze doch noch eine falsche Bewegung.

Der Lockenkopf hatte das kommen sehen und schoß zuerst. Zweimal. Die erste Kugel ging in die Schulter und riß ihn herum. Die Zweite traf in Bauchnabelhöhe und ließ den Schwarzen wie ein Taschenmesser zusammenklappen.

Der Lockenkopf ließ den Lauf seiner Waffe in der Gegend umherzeigen, aber es drohte von niemandem Gefahr. Keiner wagte es, da einzuschreiten. Er zog den Kerl, den er noch immer im Schwitzkasten hatte, mit sich durch die Hintertür. Das war eine Vorsichtsmaßnahme, die ihm schon seit langem mehr oder weniger in Fleisch und Blut übergegangen war: Nie ein Lokal besuchen, in dem man den Hinterausgang nicht kannte.

Es ging ein paar Stufen hinab durch einen engen Korridor.

Aus der Ferne war eine Polizeisirene zu hören.

Der Lockenkopf stoppte und überlegte eine Sekunde, während sein Gefangener ächzte. Sie tauschten einen Blick. Der Kerl ahnt langsam, daß ich ihn nicht am Leben lassen kann! ging es dem Lockenkopf durch den Kopf.

"Du bist ein toter Mann!" zischte der Kerl mit der zerschlagenen Nase. "Verlaß dich drauf! Du wirst nicht davonkommen."

"Wart's ab!"

"Das hat noch keiner geschafft!"

Blitzschnell steckte der Lockenkopf die Pistole in die Jackentasche, packte dann mit beiden Händen zu und drehte dem Kerl den Kopf herum. Es dauert nur einen Augenaufschlag lang. Bevor der Mann schreien konnte, brach sein Genick.

Der Lockenkopf ließ ihn die Wand hinuntersacken und rannte dann den Korridor entlang. Dann erreichte er den Hintereingang, riß die Tür auf und lief hinaus.

*


Jo Walker hatte sich die Stimme auf dem Band jetzt zum dritten Mal angehört, aber er war nicht schlauer, als nach dem ersten Mal.

Er schüttelte entschieden den Kopf.

"Nein, diese Stimme habe ich noch nie gehört."

"Er wird sich ja vielleicht wieder melden", erwiderte April. "Was kann das sein, worum es hier geht? Dieser Anrufer glaubt, daß du dir etwas unter den Nagel gerissen hast, das dir nicht gehört - und Peters und McCarthy hatten wohl ähnliche Gedanken. Also, wenn du mich fragst, dann hast du am Montagmorgen einer Diebin geholfen."

Jo zuckte mit den Schultern.

"Ja, sieht so aus. Ich habe versucht, von Tony Willis zu erfahren, wem Rauschgift oder Schwarzgeld abgenommen wurde. So etwas kommt ja immer wieder mal vor."

"...obwohl es doch so etwas wie ein sicheres Todesurteil ist!" gab April zu bedenken.

"Daran denken die wenigsten. Sie sehen nur den schnellen Profit. Stell dir vor, da liegt eine Million und du brauchst nur zuzugreifen."

April lächelte. "So etwas stelle ich mir lieber nicht vor."

Etwas später kam dann der zweite Anruf des Unbekannten.

Walker nahm ab. Er erkannte die Stimme sofort wieder.

"Sie sind am Montag im Central Park einer jungen Frau begegnet, Mister Walker...", begann der Unbekannte. "Und ich nehme, daß sie etwas Bestimmtes bei Ihnen deponiert hat."

"Wer sind Sie?" fragte Jo.

"Das tut nichts zur Sache."

"Haben Sie Peters und McCarthy hinter der jungen Frau hergeschickt?"

"Die beiden Gorillas? Nein. Da liegen Sie völlig falsch. Aber ich habe beobachtet, wie Sie die beiden abgefertigt haben. Alle Achtung! Aber auf die Dauer werden Sie so nicht durchkommen..."

Jo seufzte. "Etwas genauer hätte ich es schon ganz gerne..."

"Ich kann Ihnen aber sagen, daß Sie auf der Todesliste einiger sehr einflußreicher Leute stehen, Walker."

"Weshalb?"

"Können Sie sich das nicht denken?"

"Und wer steckt dahinter?"

"Ich dachte mir, Sie daß interessiert sind, das zu erfahren, Walker. Aber meine Auskunft ist nicht umsonst."

"Sie wollen das Päckchen?"

"Ihr Leben sollte Ihnen schon soviel wert sein, Walker."

Jo überlegte kurz. Dann sagte er: "Okay." Er hatte nichts, was er dem Kerl anbieten konnte. Aber vielleicht kam er ja trotzdem ein Stück weiter, wenn er sich mit dem Anrufer traf.

Der Unbekannte gab in knappen Worten Ort und Zeit an und legte dann auf. Jo blickte auf die Uhr an seinem Handgelenk. Er hatte eine gute halbe Stunde.

*


Jo setzte sich sofort in seinen 500 SL, um zum Treffpunkt zu fahren. Der Ort, den der Anrufer angegeben hatte, war ein Hinterhof und da war es ratsam, ein bißchen früher dort zu sein. Schließlich konnte es sich ja auch um eine Falle handeln.

Ein paar Minuten erst hatte sich Jo in den Verkehr eingefädelt, da war er sich bereits ziemlich sicher, verfolgt zu werden. Jo hatte das einfach zu oft erlebt. Da entwickelte man für solche Dinge eine Art sechsten Sinn.

Es war ein schwarzer Mitsubishi mit getönten Gläsern.

Jo machte an einer Ampel die Probe aufs Exempel. Nachdem er sich bereits die Geradeaus-Spur eingeordnet hatte, zog abrupt nach rechts herüber, als es dort grün wurde. Jemand hupte und zeigte ihm einen Vogel. Jo hatte Glück, seinen Mercedes ohne Kratzer auf die Abzweigung zu bringen.

Es vergingen kaum ein paar Minuten, da hatte Jo den Mitsubishi wieder hinter sich. Der Fahrer war nur als Schemen erkennbar.

Der Privatdetektiv blickte in den Rückspiegel und versuchte, sich das Nummernschild zu merken.

Jo beschleunigte plötzlich, zog mit quietschenden Reifen an einem Müllwagen vorbei und bog in eine Nebenstraße, in der kaum Verkehr herrschte. Die Gerade nutzte Jo, um etwas Abstand zwischen sich und seinen Schatten zu legen. Durchschlagenden Erfolg brachte das allerdings auch nicht.

Der Mitsubishi ließ sich nicht abhängen und solange Jo ihn auf den Fersen hatte, konnte er nicht zu dem Treffpunkt mit dem Unbekannten.

Vielleicht will der Kerl gar nicht mich! ging es Walker durch den Kopf. Es konnte ja genau so gut sein, daß der Verfolger im Mitsubishi hoffte, über Jo an den Unbekannten heranzukommen - jemanden, der vielleicht eine viel wichtigere Rolle in diesem undurchsichtigen Schachspiel innehatte.

Die ganze Sache artete zu einem immer undurchsichtiger werdenden Spiel aus. Wird Zeit, daß ich den Spieß mal umdrehe! dachte Jo.

Nachdem der Mitsubishi ihm um eine weitere Ecke gefolgt war, jagten sie eine Einbahnstraße entlang.

Plötzlich schwenkte Jo in eine Parklücke am Straßenrand ein. Es war die einzige Lücke auf mehr als zweihundert Meter und so blieb dem Verfolger nichts anderes übrig, als an Jo vorbeizuziehen, zumal er noch einen ungeduldigen Lkw im Nacken hatte.

Jo grinste, als er den Kerl fluchen und wütend gegen das Lenkrad schlagen sah. Für einen kurzen Augenblick sah er auch sein Gesicht - oder besser gesagt das, was die übergroße Sonnenbrille und der hochgeschlagene Mantelkragen davon übrig ließen.

Walker sah eine Zahnkrone blinken, aber alles in allem würde das, was er zu Gesicht bekommen hatte, kaum reichen, den Kerl je zu identifizieren.

Als der Mitsubishi gezwungenermaßen an Walkers Mercedes vorbeigezogen und der Müllwagen mit seinen zischenden Bremsen die Straße freigegeben hatte, riß Jo das Lenkrad ganz herum, trat auf das Gaspedal und ließ den 500 SL die Einbahnstraße in umgekehrter Richtung entlang brausen. Ein VW und ein Buick wichen in letzter Sekunde zu den Seiten aus. Jo erntete böse Blicke und ein mittleres Hupkonzert. Ein Lieferwagen stoppte direkt vor ihm, so daß Jo auf den Bürgersteig ausweichen mußte.

Als er die nächste Ecke erreicht hatte, war er gerettet. Kommissar X blickte sich kurz um. Jo erblickte noch die Rückfront des Müllwagens. Von dem Mitsubishi war nichts zu sehen.

Jo fädelte sich wieder in den Verkehr ein und warf einen kurzen Blick auf die Uhr. Es würde knapp werden, wenn er noch pünktlich am Treffpunkt sein wollte.

Jo fuhr noch einen kleinen Umweg. Ein paar Schnörkel konnten nicht schaden. Er wollte sichergehen, den Verfolger auch wirklich abgehängt zu haben.

*


Die Farbe blätterte von der Hausfassade, aber niemand schien Interesse daran zu haben, hier mal für einen neuen Anstrich zu sorgen. Diese Straße hatte in ferner Vergangenheit sicher einmal bessere Zeiten erlebt, aber davon war kaum noch etwas zu sehen.

Einige uralte Leuchtreklamen, die längst nicht mehr in Betrieb waren, zeugten noch davon, daß es hier sogar einmal Geschäfte gegeben hatte. Aber die waren alle verschwunden. Jetzt war hier Slum.

Jo stellte den Mercedes am Straßenrand ab und hoffte, ihn noch vorzufinden, wenn er zurückkam.

Er stieg aus.

Leichter Nieselregen fiel aus dem grauen Himmel und der Privatdetektiv schlug sich den Kragen hoch. Seine Rechte war in der Manteltasche und umfaßte den Griff seiner Automatic.

Er mußte auf der Hut sein. Vielleicht suchte nur irgendjemand eine passende Gelegenheit, um ihn an unauffälliger Stelle vom Leben zum Tod zu befördern.

Jo mußte mit allem rechnen.

Er warf einen Blick auf die Hausnummern. Hier war er richtig. Jo gelangte durch eine enge Schlucht zwischen zwei schmuck- und fensterlosen Hauswänden in einen tristen Hinterhof. Er sah einen fast völlig ausgeschlachteten Ford, der an allen Vieren aufgebockt war.

Dahinter bewegte sich etwas.

Jo kam etwas näher heran, und dann sah er, was los war.

Zwei Kerle beugten sich über einen Mann, der reglos am Boden lag.

Die beiden wirbelten herum, als sie Jo bemerkten. Die beiden waren sicher noch unter zwanzig und trugen Blousons, die mit martialischen Emblemen bedruckt waren.

Der Mann am Boden war mit Sicherheit nicht mehr am Leben. Eine Kugel hatte ihm die Schläfe so zerschmettert, daß da nicht die leiseste Chance eines Irrtums bestand.

Die Kerle blickten Jo abwartend an. Einer von ihnen hatte noch die Brieftasche des Toten in der Hand.

Einen Augenblick lang geschah gar nichts. Aber Jo bemerkte die Anspannung bei seinen Gegenübern. In ihren Augen blitzte es. Dann griff der Rechte von ihnen unter seine Jacke. Jo hatte es instinktiv erwartet, riß die Automatic heraus und kam dem Kerl zuvor, unter dessen Blouson sich eine Pistole befand.

Der junge Mann erstarte zur Salzsäule, bevor er die Waffe richtig in Anschlag gebracht hatte. Er kniff die Augen zu engen Schlitzen zusammen und blickte direkt in die Mündung der Automatic.

"Schön ruhig!" befahl Jo.

"Ein Bulle", meinte der andere, den die Panik erfaßt zu haben schien, aber auch er wagte keine Bewegung. "So ein verdammter Mist!" knurrte er mißmutig vor sich hin.

"Waffe auf den Boden", knurrte Jo.

Der Kerl zögerte noch eine Sekunde, tat dann so, als wollte er die Pistole tatsächlich zu Boden fallen lassen und riß sie dann urplötzlich in die Höhe.

Kurz hintereinander bellten zwei Schüsse auf.

Der erste kam von Jo und erwischte den Kerl am Arm, dessen Kugel ins Nichts abgelenkt wurde. Jetzt erst fiel die Pistole zu Boden. Der Kerl hielt sich den Arm und fluchte vor sich hin.

"Das wäre nicht nötig gewesen", stellte Jo kühl fest und kam etwas näher, bis die Pistole direkt zu seinen Füßen lag. Jo blickte kurz abwärts. Kaliber acht Millimeter, genau wie bei der Toten in Yonkers.

Jo deutete mit dem Lauf der Automatic auf den Toten.

"Wart ihr das?"

"Nein, er war schon tot! Ich schwör's!" rief der, der sich die Brieftasche genommen hatte. Der andere kämpfte im Augenblick so sehr mit seinen Schmerzen, daß er ohnehin nicht viel hätte sagen können.

"Wenn der Kerl mit der Waffe deines Freundes umgebracht wurde, wird sich das herausstellen!" meinte Jo.

"Die Waffe? Die kommt doch von ihm!" Dabei deutete er auf den Toten. "Schauen Sie ruhig nach! Er trägt unter dem Jackett ein Schulterholster. Die Pistole paßt haargenau hinein!"

Jo streckte die Hand aus.

"Die Brieftasche, wenn ich bitten dürfte!"

Der Kerl warf sie herüber und Jo schnappte sie aus der Luft. Der Inhalt war nicht weiter ungewöhnlich. Führerschein, Kreditkarten, etwas Bargeld. Der Tote hieß Dick Fowler - ein Name, der Jo im Moment noch nichts sagte.

Aber er hätte seinen 500 SL dafür verwettet, daß es sich um den Mann handelte, der ihn unbedingt hatte sprechen wollen. Jo ging zu der Leiche. So ein Schuß in die Schläfe war kein schöner Anblick. Das Gesicht hatte nur noch entfernte Ähnlichkeit mit dem, das in dem Führerschein abgebildet war.

Es war ein kleiner, drahtiger Mann mit einem Lockenkopf.

Jo schlug Mantel und Jackett des Toten zur Seite. Da war tatsächlich ein leeres Holster.

Aller Wahrscheinlichkeit nach waren die beiden Kerle tatsächlich nur Leichenfledderer und nicht die Mörder.

"Was habt ihr gesehen?" fragte Jo.

"Nichts!" knurrte der Verletzte. Und der andere meinte: "Ich sagte doch, als wir kamen, war schon alles passiert."

"Habt ihr keinen Schuß gehört?"

"Nein."

"Und sonst irgend etwas?"

"Jemand lief weg, jemand der ziemlich elegant gekleidet war und in einen tollen Schlitten stieg."

"Was für ein Schlitten?"

"Ein BMW."

"Nach der Autonummer brauche ich wohl nicht zu fragen..."

"Was denken Sie sich eigentlich! Glauben Sie, wir haben nichts Besseres zu tun, als uns Autonummern zu merken?"

"Na, das würde jedenfalls niemandem schaden!"

Der Verletzte verzog das Gesicht. "Ha, ha, sehr witzig!" knurrte er gallig. Der andere hob ein wenig die Hände und meinte: "Vielleicht können wir uns irgendwie einigen... Ich meine, es ist doch nicht unbedingt nötig, daß Sie uns aufs Revier schleppen und so. Wir könnten..."

"Was war mit der Mann, der davonrannte?" schnitt Jo ihm das Wort ab.

"Wie sah er aus?"

"Er hatte Schlitzaugen. An mehr kann ich mich nicht erinnern. Ich dachte mir noch: Der gehört doch eigentlich nicht in diese Straße!"

"Schlitzaugen?"

"Wie ein Chinese!"

Jo bewegte den Lauf seiner Automatic hin und her. "Verschwindet!" meinte er. Es dauerte eine volle Sekunde, ehe sie begriffen hatten und sich in Marsch setzten.

*


"Dick Fowler...", murmelte Tom Rowland, als er mit seinen Leuten am Tatort war. "Irgendwie kommt mir der Name bekannt vor", meinte der dicke Captain nachdenklich. "Verdammt! Ich weiß nur noch nicht, wo ich ihn einordnen soll!"

Jo lächelte dünn.

"Es fällt dir bestimmt wieder ein, Tom!"

Rowland blickte auf. "Wollen es hoffen!"

"Wie wär's, wenn sich deine Leute mal ein bißchen umhören, wem in der Unterwelt etwas Wertvolles abhanden gekommen ist, Tom! Stoff, Schwarzgeld, irgend etwas in der Art."

"Du glaubst, darum geht es?"

"Worum sollte es sonst gehen? Jemand hat die Hand ausgestreckt und konnte nicht nein sagen."

"Du sprichst von der Lady in Yonkers?"

"Vielleicht." Jo deutete auf die Leiche, die gerade hinter einem Spurensicherer verborgen war. "Vielleicht aber auch dieser Dick Fowler."

Rowland nickte. "So könnte es sein."

"Hast du übrigens eine Ahnung, wessen Geld das Round Midnight derartig aufgemöbelt hat?"

"Meinst du diese Kaschemme an der Bowery?"

"Jetzt ist es ein Luxusladen."

"Ich werde mich bei den Kollegen von der Sitte umhören", versprach Rowland. "Ich habe da einige Gerüchte gehört."

Walker zog die Augenbrauen hoch. "Was für Gerüchte?"

"Harry Dominguez soll einige alte Schuppen aufgekauft und auf Vordermann gebracht haben. Natürlich über Strohmänner, damit es nicht so auffällt."

Jo pfiff durch die Zähne. "Der Harry Dominguez?"

"Ja, ganz recht", nickte der dicke Captain. Dominguez hatte seine Finger in allem, was profitabel war. Um Gesetze und Menschenleben pflegte er sich dabei weniger zu kümmern. Angeblich war er ein ganz großer Hecht im Drogen-Teich. "Du weißt", fuhr Rowland fort, "Leute wie Dominguez brauchen Orte, an denen sie ihr Geld waschen können... Das Round Midnight kann er dazu so gut wie jeden anderen Laden gebrauchen. Und bei der Richtigen Aufmachung zieht es auch zahlungskräftiges Publikum an. Leute, die Koks nehmen, um 24 Stunden am Tag Geld verdienen zu können, sind eine einträglichere Kundschaft, als arme Junkies vom Straßenstrich."

"Kann ich mir denken."

"Übrigens hat es in einem Schellrestaurant zwei Tote gegeben." Rowland sah sich den Führerschein von Dick Fowler an. "Der Kerl hier paßt genau auf das Phantombild, das jetzt an alle gegangen ist... Einem der Toten hat er das Genick gebrochen. Da gehört schon einiges dazu..."

"Ein Ex-Marine? Fremdenlegionär?"

"Vielleicht. Der andere starb an einer 8-mm-Kugel."

"Ein Kaliber, das in Mode zu kommen scheint", murmelte Jo.

*


Als Jo Walker am nächsten Tag Captain Rowlands Büro aufsuchte, war schon manches klarer.

Rowland machte ein ernstes Gesicht.

"Es gibt paar neue Antworten, die ein paar neue Fragen nach sich ziehen, Jo!"

Jo lachte. "Daran müßtest du dich langsam gewöhnt haben! Schließlich machst du deinen Job ja nicht erst seit gestern!"

Der Police-Captain schüttelte den Kopf. "Es gibt Sachen, an die werde ich mich wohl nie gewöhnen. Zur Sache: Der Mord an der Lady in Yonkers scheint geklärt."

Jo hob interessiert die Augenbrauen. "Hat sich dieser Terrier namens Clarke an die richtige Spur geheftet?"

"Nein, Clarke war wohl völlig auf dem Holzweg. Es war Kommissar Zufall!" Rowland hob die Waffe, die er vor sich auf dem Schreibtisch liegen gehabt hatte. Eine 8-mm-Pistole. "Das ist die Waffe von diesem Dick Fowler, der sich gestern mit dir treffen wollte. Und es ist mit hundertprozentiger Sicherheit auch die Waffe, mit der die Frau in Yonkers umgebracht wurde, das haben die ballistischen Tests ergeben!"

Jo zündete sich eine Zigarette an und nahm einen tiefen Lungenzug, bevor er erwiderte: "Aber wir wissen noch immer nicht, wer die Tote eigentlich war, oder?"

"Ich habe vor einer Stunde noch mit Clarke telefoniert. Bis jetzt hat sich kein glaubwürdiger Zeuge gemeldet, der die Frau identifizieren konnte!" Rowland grinste über das ganze Gesicht. "Du scheinst diesem Lieutenant in schlechter Erinnerung geblieben zu sein, Jo!"

"Kunststück!"

Jo stand auf und versuchte nachzudenken. Es mußte doch irgendeinen Sinn in diesem Puzzle aus Tod und Unbekannt geben! "Ich hatte dir gestern die Nummer eines schwarzen Mitsubishi gegeben, der mich auf dem Weg zu Dick Fowler verfolgt hat..."

"Gefälscht", sagte Rowland ungerührt.

"Und Fowler? Schon etwas über ihn herausgefunden?"

"Er war bei den Marines und ist rausgeflogen, weil er Armeegut veruntreut hat. Nachher hat er sich als Leibwächter, bei privaten Sicherheitsdiensten, als Rausschmeißer und so weiter durchgeschlagen. Er ist mehrfach wegen Körperverletzung dran gewesen."

"Sein letzter Arbeitgeber?"

Rowland lachte heiser. "Zuletzt ist er vor fünf Jahren straffällig gewesen. Das war drüben in Philadelphia. Seitdem ist er entweder zahm geworden oder hat sich geschickter angestellt." Rowland zuckte mit den Achseln. "Es ist ärgerlich, Jo, aber ich kann es auch nicht ändern: Jede Spur führt konsequent in die Sackgasse!"

Aber Jo schüttelte energisch den Kopf. Das wollte er nicht gelten lassen. "Wahrscheinlich sind wir nur zu dumm, alles zusammenzubringen oder es fehlt uns das Schlüsselstück zum Ganzen!"

"Deine beiden freundlichen Besucher sind übrigens wieder auf freiem Fuß, Jo!"

"Peters und McCarthy?"

"Ja. Illegaler Waffenbesitz, darauf wird es hinauslaufen. Die Kaution ist lächerlich."

"Und der Mann, der mit Peters' 8-mm-Waffe vor drei Jahren umgebracht wurde?"

"Peters hat die Waffe erst später gekauft."

"Und daran glaubst du!"

"Ja, er saß nämlich zu jener Zeit eine kürzere Haftstrafe ab."

Jo kratzte sich am Ohr. Alles schien ins nichts zu führen.

"April wird die beiden das nächste Mal sicher nicht ins Büro lassen!" Jo seufzte. "Ich brauche ein Bild von Fowler."

"Warum? Willst du damit hausieren gehen?"

"Ganz recht, Tom."

"Wie wär's, wenn wir uns zusammen aufmachen?"

Aber Jo schüttelte den Kopf. "Das wäre in diesem Fall nicht so gut. Jemandem wie mir erzählt man vielleicht etwas mehr als der Polizei!"

*


Am Abend zog Jo Walker noch durch ein paar einschlägige Etablissements an der Bowery und Umgebung und zeigte dort seine Fotos herum. Nicht nur das von Dick Fowler, sondern auch die namenlose Tote aus Yonkers.

Bei Fowler hatte er überhaupt keinen Erfolg. Überall behauptete man, ihn nicht zu kennen, und selbst Leute, die Jo in früheren Fällen schon als Informanten gedient hatten, waren plötzlich sehr schweigsam geworden. Die Yonkers-Leiche hingegen glaubte jemand wiederzuerkennen, aber der Kerl war so betrunken, daß Jo schließlich zu der Überzeugung kam, daß die Erinnerung dieses Mannes doch etwas durch die vielen Drinks gelitten hatte.

Es war schon deutlich nach Mitternacht, als Jo eine kleine, schlecht beleuchtete Nebenstraße passierte, um zu seinem Wagen zu gelangen, den er in der Nähe abgestellt hatte.

Plötzlich hörte er in seinem Rücken ein Geräusch, das langsam anschwoll. Es war ein Motorengeräusch. Irgendein Instinkt bewog Jo dazu, gerade noch rechtzeitig den Kopf zu wenden.

Es war eine dunkle Limousine, die mörderisch beschleunigte und auf ihn zuraste. Jo wirbelte herum. Das Licht blendete ihn. Er konnte sich nur noch durch einen Sprung auf die Motorhaube retten. Er rollte über das Blech und fiel seitlich herunter, während der Wagen in eine Gruppe von Mülltonnen raste.

Jo sah zu, daß er wieder auf die Beine kam, denn ihm war sofort klar, was hier gespielt wurde. Dies war nichts anderes als ein Mordversuch. Jemand war ihm gefolgt und suchte nun seine Chance.

Der Wagen setzte zurück.

Jo suchte nach einer Möglichkeit, sich zu schützen. Er spurtete zu einem Hauseingang auf der anderen Straßenseite, während er hinter sich die Limousine erneut herankommen hörte.

Es war knapp, aber Jo schaffte es um Haaresbreite in die Nische des Hauseingangs.

Er riß seine Automatic aus dem Schulterholster, feuerte auf die Reifen und traf. Erst den Rechten, dann den Linken.

Die Limousine raste über den Bürgersteig, schlingerte und blieb dann an einem parkenden Kastenwagen hängen.

Der Fahrer stieg aus. Jo sah ihn nur als Schemen. Ein Mündungsfeuer blitzte in der Nacht und Jo nahm Deckung. Zwei, drei Kugeln wurden in Jos Richtung geschickt und fuhren allesamt in das Mauerwerk des Türeinganges.

Dann hörte Jo schnelle Schritte. Der Kerl rannte davon.

Kommissar X tauchte indessen geduckt aus der Deckung heraus und hob die Automatic.

"Stehen bleiben!" rief er, bekam als Antwort aber nur einen mehr oder minder schlecht gezielten Schuß.

Jo feuerte zurück, allerdings ebenfalls ohne zu treffen. Der Flüchtende bog um eine Ecke und Jo spurtete ihm hinterher. Als der Privatdetektiv ebenfalls die Ecke passierte, war ihm schon klar, daß er ihn verloren hatte.

Jo blickte die Straße entlang. Parkende Autos zu beiden Seiten und eine ganze Reihe von Diskotheken und Bars. Hier war rund um die Uhr Betrieb. Ein geradezu idealer Ort, wenn man schnell untertauchen wollte. Und in diesem Fall hatte Kommissar X keine Chance. Er wußte ja strenggenommen nicht einmal sicher, ob er nach einem Mann oder einer Frau zu suchen hatte.

Jo steckte seine Waffe zurück ins Schulterholster und ging zurück, um nach dem Wagen zu schauen. Aber große Hoffnungen in Bezug auf Spuren brauchte er sich da auch nicht zu machen. Wahrscheinlich war die Limousine gestohlen.

Irgendjemand hat mich auf seiner Liste! ging es Walker durch den Kopf.

*


Der nächste Tag war nicht so furchtbar wie der vorhergehende. Der Himmel war zwar immer noch grau in grau, aber es regnete wenigstens nicht mehr. Der Mann, der da allein auf der Parkbank saß, hatte sich den Mantelkragen hochgeschlagen. Vom East River kam ein frischer Wind und er versuchte, sich mit einer Zigarette etwas warm zu halten.

Er wartete.

Mindestens einmal in der Minute schaute er auf die Uhr.

"Tag, Ridley!"

Der Mann fuhr herum. Sein Gesicht entspannte sich ein wenig. "Walker! Sie müssen verrückt geworden sein!"

Jo Walker lächelte. "Weshalb?"

"Na, halten Sie du es wirklich für eine gute Idee, dich hier im East River Park mit mir zu verabreden?"

"Hätten wir uns vielleicht vor aller Augen auf der Bowery treffen sollen?"

Der Mann, der Ridley hieß, machte eine wegwerfende Handbewegung.

"Wir hätten uns überhaupt nicht treffen sollen, Walker! Ich muß geworden wahnsinnig sein!"

"Und geldgierig!"

Jo hatte plötzlich 500 Dollar zwischen den Fingern. Ridley stierte wie hypnotisiert auf das Geld und nahm es dann, nachdem er sich sorgfältig nach allen Seiten umgedreht hatte.

Ridley war ein Informant, mit dem Jo hin und wieder zusammenarbeitete, sofern es sich anbot. Und in diesem Fall bot es sich an, denn Ridley war für gewöhnlich gut informiert, was die Unterwelt - und speziell die Drogenszene - anging. Wovon er selbst lebte, das wollte Jo gar nicht so genau wissen. Die meisten seiner Unternehmungen befanden sich mit Sicherheit jenseits der Grenze, die das Gesetz zog, ein weiterer Teil lag wohl im schmalen Niemandsland dazwischen.

Aber so viel Geld er auch verdiente, Ridley war es stets noch schneller wieder los, als er es herbeischaffen konnte. Dafür sorgte ein unersättliches Laster. Er zockte. Für Jo bedeutete das, daß Ridley an einer Mitarbeit immer interessiert war, da er ständig Geld brauchte.

"Was willst du?" fragte er, während Jo sich zu ihm setzte und sich ebenfalls eine Zigarette anzündete.

"Irgend jemandem muß in letzter Zeit etwas Wertvolles abhanden gekommen sein", stellte Jo fest. "Hast du davon etwas gehört?"

"Man hört so manches..."

"Also, du hast..."

"Ich muß auch leben, Walker!"

"Verstehe, wieviel willst du?"

Er grinste.

"Du verstehst nicht. Ich will am Leben bleiben! Die Sache, in der du da herum bohrst, ist verdammt heiß!"

"Das habe ich schon gemerkt, als ich versucht habe, aus Willis etwas herauszubekommen..."

Ridley grinste flüchtig. "Wollte nicht mit dir reden, was? Kann ich gut verstehen! Und wenn du mich fragst, ich gebe dir den guten Rat, dich erst einmal ein bißchen zu verdrücken." Er zuckte die Achseln. "Kann doch für dich kein Problem sein!" Du hast doch Geld genug! Mach Urlaub in Europa oder auf Mauritius. So weit weg wie nur möglich!"

"Das ist nicht mein Stil, Ridley!"

"Alles andere wäre jetzt reine Dummheit. Walker, ich gebe dir diesen Rat völlig kostenlos, aber ich meine es verdammt ernst! Ein Kilo Kokain ist weggekommen. Irgend so ein kleiner Hampelmann wollte schnell Millionär werden... Du hast schon genug Wirbel gemacht, Walker! Geh auf Tauchstation!"

Jo machte etwas ganz anders. Er holte die Brieftasche heraus und zeigte Ridley den Stapel mit Scheinen. Große Scheine. Ridley schluckte.

"Wem ist das Kokain abhanden gekommen?"

"Ich habe nur Gerüchte gehört!!"

"Und wie lauten die?"

"Mein Leben ist mir lieb und teuer, Walker! Teurer, als du bezahlen kannst!"

"Gut, fangen wir die Sache anders an. Sagt dir der Name Dick Fowler etwas?"

"Leibwächter, Rausschmeißer, vielleicht auch Mörder, das weiß ich nicht. Ein Mann, dem ich immer gerne aus dem Weg gegangen bin. Wie kommst du auf den?"

"Er ist tot."

"Vielleicht bist du der nächste, Walker!"

"Soll das eine Warnung sein?"

Er nickte. "Besser, du faßt es so auf und nimmst die Sache ernst. Angeblich sollst du mit der Sache etwas zu tun haben. Mit dem gestohlenen Kokain, meine ich."

"Traust du mir so etwas zu?"

"Darum geht es nicht, Walker. Wenn es dir derjenige zutraut, dem das Zeug abhanden gekommen ist, bist du genau so dran wie Dick Fowler."

"Für wen hat Fowler zuletzt gearbeitet?"

Ridley bedachte erst Walker, dann dessen Brieftasche mit einem nachdenklichen Blick.

"Das wird teuer!"

"Bedien dich!"

Er griff zu. Dann murmelte er ziemlich leise einen Namen. "Harry Dominguez."

Bingo! dachte Jo. Langsam begann sich für Jo ein Bild zusammenzusetzen. Ein Bild, das ihm nicht gefiel, aber jetzt wußte er wenigstens, mit wem er es zu tun hatte.

Jo erhob sich.

"Hat Dominguez zufällig auch das Round Midnight aufgekauft?"

"Er hat Geld hineingepumpt und hat jetzt das Sagen."

"Bis zum nächsten Mal, Ridley!"

*


Harry Dominguez bewohnte ein herrschaftliches, villenartiges Haus, das von einer hohen Mauer umgeben war.

Als Jo Walker seinen Mercedes vor dem gußeisernen Tor stoppte, wandte er sich an Captain Rowland, der neben ihm saß. Ohne den dicken Captain hatte er nicht die geringste Chance, überhaupt je zu Dominguez vorzustoßen oder gar in sein privates Refugium eingelassen zu werden. Aber mit einem Captain der Mordkommission, der dazu noch offiziell ermittelte, war das etwas anderes.

"Worauf wartest du, Tom? Sag am Sprechgerät deinen Text auf!"

"Du hast dir mit Harry Dominguez wirklich den Richtigen ausgesucht, Jo! Ihm etwas anzuhängen ist schwerer, als einen Pudding an die Wand zu nageln!"

Jo zuckte die Achseln. "Vielleicht klappt es ja diesmal, Tom! Außerdem habe ich es mir ja nicht ausgesucht."

"Ich weiß."

"Hattest du schon einmal mit Dominguez zu tun?"

"Ich bin ihm mal begegnet, da war ich noch Lieutenant. Er hat schon damals den biederen Geschäftsmann herausgekehrt. Das ist eine Rolle, die er meisterhaft zu spielen versteht, Jo."

Zwei Sekunden später meldete sich am Sprechgerät irgendeine niedere Charge. Aber als Tom das Wort Kriminalpolizei über die Lippen brachte, war das gußeiserne Tor schon so gut wie geöffnet. Dominguez wollte keine Schwierigkeiten. Und er war sich wohl auch absolut sicher, daß ihm nichts anzuhängen war. Nicht einmal falsches Parken.

Nachdem sie das Tor passiert hatten, stellte Jo seinen Mercedes vor dem protzig wirkenden Portal der Villa ab.

Sie stiegen aus und wurden anscheinend schon erwartet. Ein dunkelhaariger Mann mit asiatischen Gesichtszügen kam die Stufen des Portals herunter.

Sein Anzug war ziemlich enggeschnitten. Für einen Sekundenbruchteil glaubte Jo eine gewisse, charakteristische Ausbuchtung zu sehen, die ein Pistolenholster verriet.

"Sie sagten, Sie sind von der Polizei?" fragte der Asiate.

Tom Rowland hielt seine Marke hoch und nickte.

"Genau so ist es. Wir möchten zu Mister Dominguez."

"In welcher Angelegenheit?"

"Das möchten wir ihm schon selbst sagen, Mister..."

"Tanaka. Wenn Sie mir bitte folgen wollen..."

Dominguez konnte man sicher jedes nur denkbare Verbrechen nachsagen, aber nicht, daß er keinen Geschmack hatte. Seine Villa schien vollgestopft zu sein mit erlesenen Antiquitäten.

"Sind Sie Japaner?" fragte Jo, als Tanaka sie in einen Salon geführt hatte. Die Bilder an den Wänden waren sämtlich Originale. Es war ein Raum, der nicht in erster Linie Reichtum, sondern Kultiviertheit vermitteln sollte.

Tanaka bedachte Jo mit einem nachdenklichen Blick, der schwer zu deuten blieb. Seine dunklen Mandelaugen schienen sich dabei ein wenig zu verengen.

"Meine Eltern waren Japaner, ich bin US-Bürger." Er lächelte geschäftsmäßig und kalt. "Wenn Sie mich jetzt bitte entschuldigen würden. Ich werde Mister Dominguez sagen, daß Sie auf ihn warten!"

Tanaka wandte sich zum Gehen.

Er hatte den Ausgang des Salons schon beinahe erreicht, da fragte Jo ihn: "Wo waren Sie gestern Nachmittag, sagen wir zwischen vier und fünf?"

Tanaka erstarrte mitten in der Bewegung. Es verging ein Moment, eher sich herumdrehte. Mit völlig ausdruckslosem Gesicht erwiderte er dann völlig überflüssiger weise: "Sprechen Sie mit mir?"

"Sehen Sie hier noch jemanden?"

Tanakas Blick ging von Walker zu Rowland und wieder zurück. Er atmete einmal tief durch und erklärte dann im Brustton absoluter Überzeugung: "Ich war hier."

"Hier, im Haus von Mister Dominguez?" vergewisserte sich Jo.

"Ja. Ich hatte Dienst."

"Tragen Sie eine Waffe?"

Tanakas Arm spannte sich unwillkürlich an, seine Hand glitt ein wenig höher. Er fühlte sich jetzt sichtlich unwohl in seiner Haut, wollte dies aber um keinen Preis der Welt zeigen. Schließlich nickte er. "Ja, ich trage eine Waffe. Und ich habe dafür auch einen Schein." Er schlug sein Jackett zur Seite und holte Sie heraus. Jo nahm sie ihm aus der Hand. Es war ein 45er Revolver, Dick Fowler hingegen war mit einer Baretta getötet worden.

Jo roch dennoch am Lauf.

"Hiermit ist vor kurzem geschossen worden", stellte er fest.

"Ich muß im Training bleiben", gab Tanaka zur Antwort. "Sie wissen doch, wie das ist, Sir! So eine Villa übt eine starke Anziehungskraft auf Gesindel aller Art aus!"

Jo gab ihm die Waffe zurück.

Tanaka steckte sie wieder ein und ging.

"Er könnte Fowlers Mörder sein", meinte Jo. Tanaka konnte der Mann mit dem asiatischen Gesicht sein, den die Leichenfledderer hatten weglaufen sehen. Teuer genug war sein Anzug jedenfalls, um in einer solchen Gegend für Aufsehen zu sorgen.

"Du hast seine Waffe gesehen, Jo."

"Er könnte eine andere benutzt haben."

"Ach komm, Jo! Warum glaubst du, daß er es war? Nur, weil er Schlitzaugen hat?"

Jo schüttelte den Kopf. "Nein, weil er in den Diensten von Harry Dominguez steht. Das schafft eine Verbindung zwischen ihm und Fowler. Was glaubst du wohl, auf wieviele Leute in Dominguez' Dunstkreis eine ähnliche Beschreibung passen würde?"

Die beiden Freunde verstummten rechtzeitig, bevor Harry Dominguez das Zimmer betrat. Dominguez war ein sonnengebräunter Mann um die fünfzig, dessen Kopf sicher irgendwann einmal mit schwarzem, lockigem Haar bedeckt gewesen war. Jetzt war davon das meiste ergraut.

Ein Lächeln stand in Dominguez jovial wirkendem Gesicht, ein Lächeln, bei dem man sich sehr davor hüten mußte, nicht darauf hereinzufallen.

Er gab erst Rowland und dann Jo die Hand und erkundigte sich dann, worum es ging. Jo wartete auf Tanaka. Aber der zog es offensichtlich vor, nicht in den Salon zurückzukehren.

"Es geht um Sie, Mister Dominguez", behauptete indessen Captain Rowland gedehnt, obwohl das natürlich nicht ganz stimmte. "Einer Ihrer Angestellten ist gestern tot aufgefunden worden..."

Dominguez machte zunächst ein etwas verdutztes Gesicht und hob dann mit einer hilflosen Geste beide Hände in die Höhe. "Tut mir Leid, meine Herren, aber für mich arbeiten so viele Menschen. Die meisten habe ich nie gesehen..."

"Es handelt sich um Dick Fowler!" warf Jo ein. "Ihren Leibwächter."

Dominguez' Gesicht blieb gelassen. Er schien einen Augenblick lang nachdenken zu müssen und nickte dann. "Ja, richtig", sagte er, "ein Mann namens Fowler hat eine Weile für meine Sicherheit gesorgt."

"Und seit wann nicht mehr?" fragte Rowland.

"Ach, das ist eine leidige Geschichte, besser wir wärmen Sie nicht auf, Lieutenant!"

"Captain!"

"Verzeihung."

"Sagen Sie schon, worum es ging. Zumindest Fowlers Ruf kann es nicht mehr schaden", knurrte Rowland.

Dominguez zuckte mit den Schultern.

"Also gut", sagte er, "ich will ganz offen zu Ihnen sein. Fowler hat geklaut. Sie sehen ja, daß es hier in diesem Haus genug Dinge gibt, die mitzunehmen sich lohnt. Manchmal habe ich auch einiges an Bargeld hier und..."

"Und vielleicht auch ein Kilo Kokain?" warf Jo ein.

Über Dominguez' Gesicht flog ein freudloses, aus Verlegenheit geborenes Lächeln, das nur dazu diente, seinen Ärger zu überspielen. Aber er hatte das gut drauf. Er war ein Mann, der sich hervorragend zu beherrschen wußte, wenn es nötig war.

"Ich habe schon viel von Ihnen gehört, Mister Walker. In letzter Zeit besonders oft..."

"Ich hoffe, nur Gutes!" meinte Jo.

"Wie man es nimmt, Walker. Wo Licht ist, ist immer auch Schatten."

"Wie wahr!" Dominguez wandte sich an Rowland. "Ich möchte die letzten Bemerkungen ihres Freundes einfach mal überhört haben, Captain. Und wenn Sie Ihre Streifen behalten und nicht doch eines Tages wieder Lieutenant oder arbeitslos sein wollen, dann kommen Sie auf diese Sache am besten erst dann wieder zurück, wenn Sie Beweise haben!"

Das war nicht mehr und nicht weniger als eine handfeste Drohung und Rowland verstand sehr genau, was sein Gegenüber damit sagen wollte. Dominguez' Verbindungen reichten weit nach oben. Er hatte Einfluß und Beziehungen und man munkelte, daß vielleicht sogar der eine oder andere Staatsanwalt auf seiner Gehaltsliste stand.

Das war einer der vielen Gründe dafür, daß sich an Dominguez bis jetzt noch jeder die Zähne ausgebissen hatte. Er war einfach nicht zu packen.

"Stimmt es etwa nicht, daß Ihnen ein Päckchen Kokain abhanden gekommen ist?" fragte Jo ungeniert und erntete von Dominguez dafür einen Blick, der soviel sagte, wie: 'Dir wird dein Mut auch noch vergehen, Walker!'

"Sie werden nicht im Ernst erwarten, daß ich darauf eine Antwort gebe! Halten Sie sich an die Fakten, nicht an Ihre wilde Fantasie!"

"Nun, Fakt ist, daß Dick Fowler nach einem gewissen Päckchen suchte, als er mich kurz vor seinem Tod anrief. Ein Päckchen, das sehr wertvoll sein muß und das er sich von dem Gehalt, das Sie ihm gezahlt haben, bestimmt nicht leisten konnte..."

Dominguez verzog das Gesicht. Er deutete mit dem Daumen auf Rowland. "Wenn ich Police-Captain wäre, würde mich die Frage interessieren, weshalb er dann ausgerechnet Sie angerufen hat! Vielleicht wäre da eine kleine Durchsuchung angebracht!" Einen Augenblick lang blickte er noch auf Jo Walker, dann funkelte er Rowland an. "Stattdessen belästigen Sie mich und stehlen mir meine wertvolle Zeit!"

"Ich weiß gar nicht, was Sie wollen, Mister Dominguez!" dröhnte der dicke Rowland zurück. "Bis jetzt hat Sie noch niemand angeklagt. Wir versuchen nur, den Tod Ihres Ex-Leibwächters aufzuklären!"

"Ach, und was hat dann Ihr Freund Walker getan?"

"Er hat eine Hypothese aufgestellt. Vielleicht haben Sie ja eine Bessere. Wer könnte Fowler Ihrer Meinung nach auf dem Gewissen haben?"

"Soll ich vielleicht auch noch Ihre Arbeit machen? Kommt nicht in Frage!"

Rowland nahm auf einem der zierlichen Stühle Platz, die aussahen, als hätten sie ein Vermögen gekostet. Für einen so massigen Mann wie Rowland war das sicher nicht das geeignete Sitzmöbel, aber Robusteres gab es in diesem Raum nicht.

Dominguez baute sich zu einer imposanten Pose auf und meinte: "Hören Sie, ich weiß, daß Dick Fowler kriminell gewesen ist. Ich hatte ihm eine Chance geben wollen, er hat sie nicht genutzt. Alles weitere interessiert mich nicht. Das Kapitel ist für mich damit abgeschlossen. Und zwar endgültig. Wenn sie mich jetzt entschuldigen würden. Mister Tanaka wird Sie hinausbegleiten..."

Harry Dominguez drehte sich auf dem Absatz herum und wollte schon durch die Tür verschwinden, da hielt Walkers Stimme ihn zurück. "Einen Moment noch!" rief ihm der Privatdetektiv hinterher. Dominguez drehte sich herum und hob die Augenbrauen.

"Was gibt es noch?"

"Ich möchte, daß Sie sich noch etwas ansehen!" Jo holte das Zeitungsbild der Yonkers-Leiche heraus, trat nahe an Dominguez heran und hielt es ihm unter die Nase. Dominguez sah nur ganz kurz hin, oder besser: Er schielte für einen Sekundenbruchteil auf das Foto.

"Kennen Sie die Frau?"

"Nein."

"Sehen Sie sie sich doch einmal richtig an!"

"Ich sagte, daß ich sie nicht kenne. Das ist doch wohl genug, oder?"

"Wie Sie meinen."

Jo tat das Bild wieder beiseite und dachte: Der Kerl hat sie wiedererkannt! Wenigstens etwas, was bei der Sache herausgekommen ist!

*


Harry Dominguez trat an Fenster und blickte hinaus in den Garten. Er sah, wie Walker und Rowland in den Mercedes 500 SL stiegen und davonfuhren.

Dominguez steckte sich eine Havanna an und nahm einen tiefen Zug. Das beruhigte ihn ein bißchen. Seine Gedanken wurden klarer. Wenig später hörte er, wie Tanaka in seinem Rücken auftauchte.

Dominguez drehte sich nicht um.

"Wir müssen sehen, daß unser Problem jetzt endlich gelöst wird!" schimpfte er. "Und zwar sehr schnell!"

"Sie sollten sich keine Sorgen machen, Mister Dominguez", meinte Tanaka. "Wenn die etwas gegen Sie in der Hand hätten, wären sie ganz anders aufgetreten. Aber sie haben nichts."

"Ich weiß. Und ich hoffe, daß das so bleibt."

Tanaka kam näher heran und trat neben seinen Boß, der noch immer aus dem Fenster sah.

"Wie wär's, wenn wir die Angelegenheit erst einmal eine Weile ruhen lassen, Boß?"

Dominguez blies den Rauch seiner Havanna in einer langgezogenen Wolke aus dem Mund und schüttelte den Kopf. "Nein", meinte er. "Das kommt nicht in Frage! Dann verliere ich das Gesicht - und vielleicht noch mehr. Jeder wird dann denken, daß er mit mir machen kann, was er will!"

"Ich glaube nicht, daß dieser Walker wirklich den Stoff hat", meinte Tanaka im Brustton der Überzeugung. "Sonst hätte er nie und nimmer die Polizei eingeschaltet."

Aber da konnte Dominguez nur lachen. "Dieser fette Captain wäre nun wirklich nicht der Erste, der für einen Freund beide Augen zudrückt. Vielleicht hängt er sogar mit drin in der Sache! Im übrigen geht es auch gar nicht in erster Linie um den Stoff. Es ist mir ziemlich gleichgültig, wer ihn hat..."

"Fowler hatte ihn jedenfalls nicht."

"Nicht mehr, meinst du wohl."

Tanaka nickte. "Ja."

Dominguez drehte sich nun zu Tanaka herum und musterte ihn kritisch.

"Ich hoffe nicht, daß du je auf ähnliche Gedanken kommst!" knurrte er mürrisch.

"Ich bin ja nicht lebensmüde!"

Dominguez lächelte. "Siehst du, genau das ist der Grund, warum die Sache keinen Aufschub duldet! Sonst kommen Leute wie du auf dumme Gedanken, Tanaka!"

Tanakas Gesicht blieb unbeweglich.

"Dieser Walker weiß, daß ich Fowler erledigt habe. Schließlich hat er mich darauf angesprochen."

Dominguez' Augen wurden zu engen Schlitzen. "Woher kann er das wissen? Hat dich jemand gesehen?"

"Keine Ahnung."

"Du wirst schon eine Lösung für das Problem finden, Tanaka. Davon bin ich überzeugt!"

*


"Dominguez kannte das Mädchen", meinte Jo Walker an Rowland gewandt, der noch auf einen Sprung in Walkers Office in der 7th Avenue gekommen war. "Das ist für mich so sicher wie das Amen in der Kirche!"

Rowland hob die Schultern.

"Und was bitte schön bedeutet das? Der Mörder der Yonkers-Toten ist Dick Fowler gewesen, nicht Dominguez und seine Leute. Und außerdem wissen wir nach wie vor noch nichts über die Identität des Mädchens."

"Wenn Dick Fowler tatsächlich seinen Chef um ein Kilo Kokain erleichtert hat, dann könnte die junge Lady seine Komplizin gewesen sein", schlug Jo vor.

"Und warum sollte Fowler sie dann umbringen?" dröhnte Rowland.

Jo zuckte die Achseln. "Vielleicht wollte er nicht teilen."

"Alles Theorie, Jo. Beweisen können wir davon gar nichts."

"Ich weiß."

"Ich bin ja nun nicht erst seit gestern beim Police-Department und ich habe gesehen, wie andere Abteilungen sich an Dominguez die Zähne ausgebissen haben. Speziell die Sitte. Es hat sich niemand gefunden, der bereit war, vor Gericht gegen ihn auszusagen. Selbst wenn wir also etwas Handfestes in den Händen hätten, könnten wir damit vermutlich wenig anfangen!"

Jetzt schaute April Bondy durch die Tür.

"Jo, da ist ein Anruf, der sehr merkwürdig ist. Eine junge Frau, die ihren Namen nicht nennen will..."

Jo hob die Augenbrauen.

"Stell sie durch!"

"Schon geschehen. Ich werde das Gespräch aufzeichnen." Jo nahm seinen Hörer. "Hallo?"

"Spreche ich mit Mister Walker?" Die Stimme klang seltsam vertraut. So vertraut, daß es Jo einen Stich versetzte.

"Ja, hier ist Walker", murmelte er.

"Sie müssen mir helfen!"

"Wer sind Sie?"

"Erinnern Sie sich nicht? Wir sind uns im Central Park begegnet. Sie haben mich vor diesen Kerlen gerettet."

"Ich dachte, ich hätte Sie in einem Leichenschauhaus gesehen."

"Jo, da draußen ist jemand, der mich umbringen wird!"

"Wo sind Sie?"

Sie nannte ihm eine Adresse in Spanish Harlem. Ein Hotel oder zumindest etwas, das sich so nannte.

"Was soll ich tun?" fragte sie, völlig verzweifelt. Was immer sie sonst auch über sich erzählt hatte - viel war es ja nicht gewesen - ihre Verzweifelung schien Jo zumindest echt zu sein.

"Schließen Sie Ihr Zimmer ab und lassen Sie niemanden herein", riet Jo, obwohl er wußte, daß das auch nicht viel nützen würde. "Ich bin gleich da!"

"Was ist los?" wollte Rowland wissen, als Jo aufgelegt hatte und die Ladung seiner Automatic kurz überprüfte.

"Scheint, als wäre die Frau aus Yonkers aus dem Jenseits aufgetaucht! Jedenfalls gibt es was zu tun!"

*


Jo ließ den 500 SL auf Hochtouren laufen, soweit dies der Stadtverkehr zuließ. Und Rowland orderte per Funktelefon einige Streifenwagen nach Spanish Harlem.

Die Adresse war leicht zu finden. Ein billiges Stundenhotel, an dessen Rezeption ein hohläugiger Latino saß, der behauptete, kein Englisch zu verstehen.

Jo hielt ihm das Bild der Toten aus Yonkers unter die Nase.

"No he visto esa mujer!" behauptete er mit reicher Gestik, ohne wirklich hinzusehen.

"Welche Nummer!" zischte Jo ungeduldig. "Que numero?"

Als Tom Rowland ihm seine Marke auf den Tisch legte, wurde er blaß. Vielleicht war er illegal hier oder es gab noch irgend einen anderen Grund, aus dem eine Polizei-Marke ihm Schrecken einjagte. Jedenfalls wurde er sofort auskunftsfreudiger. "Numero ocho!" murmelte er und deutete die Treppe hinauf. Nummer acht. Jo holte die Automatic heraus und spurtete die Treppe hinauf.

Dann ging es den Flur entlang.

Vor der Nummer acht stand ein Mann im hellen Regenmantel, der sich an der Tür zu schaffen machte. In der Rechten hielt der Kerl eine Pistole mit Schalldämpfer.

Jo stoppte, während der Killer herumwirbelte und sofort schoß. Es machte 'Plop!', ein Geräusch, das fast so klang, als würde jemand niesen. Jo ließ sich zur Seite fallen, während das Projektil über ihn hinwegschoß, um dann am Ende des Flurs die Tapete von der Wand zu kratzen. Noch im Fallen ballerte Jo zurück und erwischte den Killer an der Seite. Der Kerl wurde rückwärts gegen die Tür gerissen. Sein heller Mantel färbte sich rot, während er erneut den Arm hochriß und seine Waffe auf Jo richtete.

Jo rollte sich am Boden herum und wollte seine Automatic ebenfalls in Anschlag bringen. Aber er kam nicht mehr dazu. Ein Schuß krachte und traf den Killer mitten in der Brust, ließ ihn mit dem Rücken gegen die Tür des Hotelzimmers fallen und an dieser zu Boden rutschen. Seine Augen blickten starr und tot geradeaus.

Jo rappelte sich hoch und blickte zurück.

Es war Tom Rowland, der den letzten Schuß abgegeben hatte. Der dicke Captain war vom Treppensteigen noch ganz außer Atem.

"Danke", sagte Jo. "Das war knapp."

"Es hat eben doch seine Vorteile, daß wir unterschiedliche Sprintgeschwindigkeit haben, Jo!" erwiderte der Dicke, nachdem er wieder zu Atem gekommen war.

Jo behielt die Automatic in der Hand und stellte sich neben die Tür.

"Machen Sie auf!" rief er "Ich bin's! Walker!"

Ein paar Augenblicke lang geschah gar nichts. Nicht die geringste Bewegung war auf der anderen Seite der ramponierten Holztür zu hören, auf der kaum noch Lack war.

Dann wurde das Schloß herumgedreht.

Die Tür ging einen Spalt breit auf und zwei dunkle Augen blickten mißtrauisch hervor. Dann öffnete sie die Tür ganz. Ihre Augen verrieten eine deutliche Spur von Entsetzen, als ihr die Leiche des Killers auf diese Weise ein Stück entgegenrutschte.

"Er wollte mich umbringen!" flüsterte sie und Jo nickte.

"Ja. Haben Sie eine Ahnung, wer ihn geschickt haben könnte?"

"Nein."

"Wollen Sie mich zum Narren halten?"

"Ich weiß nichts! Ich weiß überhaupt nichts." Sie deutete auf Tom Rowland. "Wer ist das?"

"Ein Captain der Mordkommission."

Das schien für sie wie ein Schlag vor den Kopf zu sein und ihr absolut nicht zu gefallen. Rowland beugte sich indessen über den Toten und durchsuchte dessen Taschen. Aber er fand nichts, was etwas über seine Identität aussagen konnte. "Wir haben sein hübsches Gesicht sicherlich in unserer Fotosammlung!" meinte er.

Von draußen waren Sirenen von Polizeiwagen zu hören und wenig später tauchten ein paar Uniformierte auf. Rowland zeigte ihnen seine Marke und wies sie an, jemanden von der Spurensicherung zu holen.

"Der Kerl hat mich schon den ganzen Tag verfolgt", berichtete die junge Frau. "Ich dachte schon, daß ich ihn abgehängt hätte. Aber das war ein Irrtum..."

Indessen legte Jo der jungen Frau einen Arm um die Schulter und führte sie von dem toten Killer weg in das schäbige Hotelzimmer hinein.

"Ich bin Ihnen schon wieder zu Dank verpflichtet, Jo!" meinte sie.

"Wie wär's, wenn Sie mir jetzt langsam Ihren Namen sagen würden."

Sie musterte Jo mit ihren ausdrucksstarken, dunklen Augen. Eine hübsche Frau, ging es Jo durch den Kopf. Aber eine, bei der man aufpassen mußte, um nicht unversehens über den Tisch gezogen zu werden. "Ich heiße Teresa", sagte sie.

"Und weiter?"

"Marquez."

"Mexiko? Puertorico?"

"Spielt das eine Rolle?"

"Was weiß ich! Wenn Sie am Leben bleiben wollen, spielt alles eine Rolle!" Jo ahnte, was in ihrem hübschen Kopf vor sich ging. Sie dachte, jetzt, da der Killer tot war, könnte sie genau so weitermachen wie bisher. Aber das kam nicht in Frage. Jetzt war es für sie an der Zeit, endlich auszupacken. "Wo ist das Päckchen?" fragte Jo und sie blickte ihn mit bleichem Gesicht an.

"Welches Päckchen?"

"Wenn Sie mir so dumm kommen, ist es vielleicht das Beste, ich überlassen Sie Harry Dominguez."

Sie wurde noch bleicher.

"Sie wissen also Bescheid...", murmelte sie schluckend. Jo gab dazu keinen Kommentar. Es war das Beste, sie erst einmal im Unklaren darüber zu belassen, wieviel er wirklich wußte.

Es war ja wenig genug.

Jo zog die Augenbrauen in die Höhe. "Also?" Er machte den Kleiderschrank auf. Es war nichts darin, außer ihrem Regenmantel. Ansonsten schien sie kein Gepäck zu haben. Nur eine Handtasche, die sie mit beiden Händen umklammerte.

Jo riß sie ihr aus der Hand.

"Was fällt Ihnen ein!"

Anstatt eine Antwort zu geben, öffnete Kommissar X die Tasche und wühlte sie durch. Er fand einige tausend Dollar an Bargeld, ein paar Papiertaschentücher, etwas Parfum, eine Zahnbürste und noch einige weitere Kleinigkeiten...

Jo tastete noch das Innenfutter ab, aber ein Kilo Koks befand sich dort auf keinen Fall.

Teresa trat nahe an Jo heran "Halten Sie mich wirklich für so dumm, das Zeug hier in diesem Zimmer zu haben!" flüsterte sie.

"Sie waren ja auch dumm genug, es zu stehlen!"

Sie warf den Kopf in den Nacken und strich sich eine Strähne ihrer dunklen Haare aus dem Gesicht. "Können wir uns nicht irgendwo anders über die Sache unterhalten?"

"Glauben Sie, Sie schaffen es, ohne die Polizei am Leben zu bleiben?"

Sie trat noch näher an Jo heran. Ihr Parfum war sehr dezent. Sie roch gut und sie wußte, wie man mit den Wimpern aufschlagen mußte, um auf Männer Eindruck zu machen. "Wenn Sie mir helfen, Jo..."

"Ich habe mich inzwischen selbst ziemlich unbeliebt bei den Brüdern gemacht..."

"Aber doch nicht meinetwegen!"

"Ich wüßte keinen anderen Grund!"

"Das tut mir Leid."

"Das braucht es nicht. Mir reicht es schon, wenn Sie Ihre Karten auf den Tisch legen. Dann enden Sie und ich vielleicht nicht mit einer Kugel in der Schläfe - wie Dick Fowler." Jo gab ihr die Tasche zurück. "Vielleicht sollten wir wirklich an einem anderen Ort unterhalten", meinte er dann. "Geben Sie Rowland Ihre Personalien. Sind Sie immer noch eine Illegale?"

"Nein. Es ist alles in bester Ordnung. Die Leute, für die ich gearbeitet habe, hatten immer vorzügliche Beziehungen."

"Na, dann wird es ja keine Probleme geben."

*


Jo glaubte, daß er vielleicht mehr aus Teresa herausbekommen konnte, wenn er sie allein in die Mangel nahm. Herumstehende Polizisten und ein dröhnender Captain Rowland konnten da nur stören.

Rowland begriff das sofort und legte Jo daher keinen Stein in den Weg. Schließlich wußte er, daß er sich Jo absolut verlassen konnte.

Teresa hatte allen Grund, vorsichtig zu sein, was die Polizei anging. Der Besitz eines Koks-Kilos war ja schließlich keine Kleinigkeit - allerdings hatte man es bis jetzt ja nicht bei ihr gefunden. Und wahrscheinlich träumte Teresa Marquez nach wie vor davon, als dem kleinen Päckchen doch noch Geld machen zu können...

Dieser Gedanke stand ihr förmlich auf der Stirn geschrieben - aber das konnte sie sich abschminken.

"Den Killer habe ich zum ersten Mal in der U-Bahn gesehen", erzählte sie noch während der Autofahrt. "Ich mußte mir ein paar neue Sachen kaufen. Wenn man so ohne Gepäck reist... Sie verstehen sicher!"

"Sie haben Glück gehabt!" meinte Jo.

"Ich dachte schon, ihn los zu sein, da taucht er plötzlich in einer Seitenstraße wieder hinter mir auf und hat auf mich geschossen. Ich bin um mein Leben gerannt, Jo!"

"Auf die Dauer werden sie nicht schnell genug rennen können, Teresa. Ich hätte übrigens schwören können, Sie schon einmal mausetot im Leichenschauhaus von Yonkers gesehen zu haben!"

Sie lächelte traurig.

"Das war meine Zwillingsschwester Isabel." Einige Tränen liefen ihr unwillkürlich über das feingeschnittene Gesicht. Sie suchte in ihrer Handtasche nach einem Taschentuch und fand es schließlich auch.

"Etwas in der Art habe ich mir schon gedacht", meinte Jo. "Wie wär's, wenn Sie mir die ganze Story mal von Anfang an erzählen würden!"

Sie wirkte plötzlich in sich gekehrt und nachdenklich. Ihr Blick ging aus dem Seitenfenster des Mercedes ins Nichts.

"Was wollen Sie wissen?"

"Zum Beispiel, wie Sie an Dominguez geraten sind!"

"Sehen Sie, vor drei Jahren sind meine Schwester und ich nach New York gekommen. Ein Schlepper hat uns von Venezuela hierher geschleust, und an verschiedene Nachtclubs vermittelt. Ein Zwillingspaar - manche Leute stehen auf so etwas, Jo. Verstehen Sie, was ich meine?"

"Ich denke schon."

"Irgendwann trafen wir dann in einem dieser Clubs auf Harry Dominguez und seinen Leibwächter..."

"Dick Fowler!"

"Ja."

"Stand Dominguez auch auf Zwillinge?"

"Er war ganz verrückt nach uns."

"Und wann sind Sie und Ihre Schwester dann auf die Idee gekommen, den großen Boß zu beklauen?"

Sie schüttelte den Kopf. "Es war nicht unsere Idee, sondern Fowlers. Für uns war Dominguez ein Kunde wie jeder andere, allerdings einer, mit dem sich viel Geld verdienen ließ, wenn wir ihn nachher noch in seine Villa begleiteten. Aber eines Tages kam Fowler dann mit seinem Vorschlag. Wir hatten keine Ahnung, einen Drogenbaron vor uns zu haben, aber es war uns schon klar, um was für Dollar-Beträge es da geht. Als Dominguez dann eine Lieferung im Haus hatte, meinte Fowler, daß die Gelegenheit da wäre, mit einem Schlag ein Vermögen zu machen. Reiner Stoff, verstehen Sie! Was glauben Sie, was sich aus einem Kilo machen läßt, wenn man es richtig zu verlängern weiß! Der Plan war, daß wir den großen Boß so ablenken, daß Fowler freie Hand bekam. Fowler wollte jeder von uns Zwanzigtausend geben." Sie atmete tief durch und fragte dann: "Haben Sie eine Zigarette für mich, Jo?"

"Sicher." Walker gab ihr eine von seinen und gab ihr auch Feuer. "Die Story ist sicher noch nicht zu Ende, oder?"

Teresa Marquez schüttelte den Kopf.

"Sie haben recht", murmelte sie mit belegter Stimme und seufzte dann wie jemand, der die Zeit gerne zurückdrehen würde. "Wir dachten, wir wären besonders schlau."

"Sie haben versucht, Fowler ebenfalls auf Kreuz zu legen, nicht wahr?" schloß Jo.

Sie nickte. "Es hat sogar geklappt. Wir haben ihm was in den Drink getan und sind dann mit dem Stoff auf und davon. Irgendwann haben wir uns dann getrennt. Zwillinge sind relativ auffällig, wissen Sie."

"Kann ich mir denken! Und damit wären wir wieder beim Ausgangspunkt. Dem Stoff."

"Ich sagte doch, ich habe ihn nicht."

"Sie sagten, Sie hätten ihn nicht in Ihrem Hotelzimmer!"

"Jo, was soll die Haarspalterei?"

"Das wissen Sie genau!"

"Sie geben nicht auf, was?"

Jo zuckte mit den Schultern und erwiderte: "Wenn es nur um Ihr Leben ginge, dann wäre es mir vielleicht gleichgültig, ob Sie sich bei Harry Dominguez anstellen, um eine Kugel in den Kopf zu bekommen."

Sie verzog das Gesicht. "Ich dachte, Sie wären ein knallharter Bursche! Haben Sie so große Angst? Am Montag im Central Park haben Sie mir einen anderen Eindruck gemacht."

"Ich lebe gerne, wenn Sie es genau wissen wollen. Aber lassen wir mich mal außen vor, Teresa. Ich finde, es sind schon genug Leute wegen dieses Päckchens gestorben - von denen, die es konsumieren und langsam daran zu Grunde gehen werden, gar nicht zu reden!"

Sie schwieg, bis sie in der 7th Avenue waren und Jo den Mercedes irgendwo in der Nähe der Agentur abstellte. Jo schnallte sich ab und Teresa meinte: "Sie müssen mir helfen unterzutauchen, Jo!"

"Sie wollen wirklich mit aller Gewalt eine Kugel in den Kopf bekommen, nicht wahr?"

"Wenn Sie mir helfen, habe ich eine Chance!"

"Nein. So tief können Sie gar nicht tauchen, daß Dominguez Sie nicht aufspürt."

"Einer wie er kann den Verlust von einem Kilo doch wettmachen. Das wird ihm nicht das Rückgrat brechen!"

"Doch genau das wird es, Teresa. Es ist wie in einem Wolfsrudel: Wenn die Meute mitkriegt, daß der Leitwolf nicht mehr stark genug ist, um sich durchzusetzen, dann fängt die Meute an, über ihn herzufallen. Dominguez kann Sie unmöglich davonkommen lassen, Teresa. Und er wird Sie überall aufspüren."

"Ich biete Ihnen die Hälfte, Jo!"

"Von dem Kokain?"

"Ja."

"Vergessen Sie's!"

Ihre Hand langte nach dem Türgriff und öffnete. Sie wollte aussteigen.

"Wenn Sie jetzt gehen, dann garantiere ich Ihnen, daß man spätestens in einer Woche auch Ihr Bild in der Zeitung sieht. Wenn überhaupt! Vielleicht hängt man Ihnen auch einfach ein Gewicht um den Hals und läßt Sie auf dem Grund des Hudson verwesen..."

Sie blickte Jo an, schien ein paar Sekunden lang zu überlegen und schlug die dann wieder zu.

"Okay", sagte sie. "Sie sind Profi, Jo. Wenn Sie einen besseren Vorschlag haben, dann sagen Sie ihn mir. Ich werde ihn mir zumindest anhören!"

"Zu gütig!"

"Wissen Sie, wo ich herkomme? Aus einer Siedlung am Rande von Caracas, die aus Wellblechhütten besteht. Mit diesem Päckchen hätte ich ausgesorgt. Selbst die Hälfte würde für meine Ansprüche noch gut ausreichen..." Ihr Blick ruhte einen Moment auf Jo. Dann fragte sie: "Und was soll ich Ihrer Meinung nach tun?"

"Geben Sie den Stoff mir."

"Damit Sie tun, wovon Sie meinen, daß ich es nicht schaffe?"

"Soviel Geld kann mir niemand bezahlen! Nein, darum geht es nicht."

"Worum dann?"

"Wir müssen Dominguez und seiner Bande eine Falle stellen, bevor sie uns umlegen. Eine andere Wahl haben wir nicht."

"Wie soll die Falle aussehen?"

"Das weiß ich noch nicht. Aber mir wird schon was einfallen."

"Und was hat das mit dem Stoff zu tun?"

"Wir brauchen einen Köder. Irgend etwas, das wir Dominguez anbieten können!"

Sie schwieg und schien mit sich zu kämpfen. Aber sie hatte nur eine Chance und Jo hoffte, daß ihr das langsam dämmerte. "Was ist mit Ihrem Freund, dem dicken Captain?"

"Rowland? Nun, ganz allein werden wir die Sache nicht durchziehen können."

"Jemand, der ein Kilo Koks besitzt, wird als Dealer angesehen. Man wird mich einlochen und später ausweisen."

"Wenn Dominguez Ihretwegen in den Bau wandert, wird es keine Schwierigkeit sein, mit der Staatsanwaltschaft zu verhandeln. Da bin ich mir sicher! Außerdem hat Sie bis jetzt noch kein Polizist mit dem Stoff aufgegriffen."

"Die Polizei muß draußen bleiben, Walker! Das ist meine Bedingung!"

Jo seufzte und schüttelte den Kopf. "Sie haben Sorgen, Lady! Aber wie Sie wollen..."

"Geben Sie mir Ihr Wort!"

"Meinetwegen! Und wo ist nun das Zeug?"

"In einem Schließfach. Fahren wir hin?"

Jo schüttelte den Kopf.

"Ich werde hinfahren, Sie bleiben derweil bei meiner Assistentin in der Agentur. Geben Sie mir den Schlüssel."

Sie verzog das Gesicht. "Und woher weiß ich, daß Sie mich nicht doch hereinlegen, Jo?"

"Sie wissen es nicht. Sie müssen einfach wählen, wem Sie mehr trauen. Ihren eigenen Fähigkeiten oder meinen!"

*


Der Schlüssel, den Teresa Jo gegeben hatte, gehörte zu einem Schließfach am John F. Kennedy-Airport und genau dorthin machte er sich nun auf den Weg. Er mußte sichergehen, daß die junge Frau ihn nicht schlicht und einfach anschmierte.

Er traute ihr mittlerweile alles zu. Je selbstmörderischer eine Dummheit war, desto größer schien die Chance, daß Teresa sie auch beging.

Jo blickte immer wieder in den Rückspiegel, aber es verfolgte ihn niemand. Die gut dreißig Kilometer zwischen Midtown Manhattan und dem John F. Kennedy-Airport schaffte Jo in etwas weniger als einer Dreiviertelstunde, was - gemessen am Verkehr - kein schlechtes Ergebnis war. Schließlich hatte er sogar noch Glück bei der Parkplatzsuche und stand bald darauf vor einer Wand mit Schließfächern.

Jo wartete einen Augenblick ab, in dem etwas weniger Betrieb war.

Er suchte sich die entsprechende Nummer heraus und öffnete es. Da war wirklich ein Päckchen. Jo riß es auf. Es war voll kleiner, durchsichtiger Plastikbriefchen, in denen sich ein weißes Pulver befand. Jo steckte eines der Briefchen in die Hosentasche, packte den Rest zusammen und steckte das Päckchen in ein anderes, noch freies Schließfach.

In seinem Rücken hörte er dann Stimmengewirr. Als er den Kopf ein paar Grad zur Seite drehte, sah er eine Gruppe japanischer Touristen, die sich in Anmarsch auf die Schließfächer befanden.

Gerade noch gutgegangen! dachte Jo, während er die Schlüssel beider Fächer nacheinander abzog und einsteckte. Zur gleichen Zeit hatten die ersten Japaner bereits die Wand erreicht und holten Ihr Gepäck heraus.

Jo wandte sich ab und ging davon. Er ließ den Blick über die Menschenmassen gleiten, die die riesige Halle erfüllten und in unregelmäßigen Wellen in die eine oder andere Richtung strömten, je nachdem, welcher Flug grade aufgerufen wurde.

Es schien, als hätte ihn niemand beschattet.

Jo war schon fast an einem der Ausgänge, da sah er einen alten Bekannten. Es war niemand anderes als Jim Lacroix, wie üblich in Rollkragen-Pullover und Jackett. Den Mantel hatte er locker über den angewinkelten Arm geworfen.

Die Blicke der beiden Männer begegneten sich und Jo fragt sich, ob es wohl wirklich ein Zufall war, daß er den Dealer hier und jetzt traf.

Ein flüchtiges Grinsen ging über seine Lippen.

"Tag, Walker!" meinte er, nicht ohne einen unangenehmen, triumphierenden Unterton. Aber das war nur Oberfläche. Jo hatte es nie deutlicher gespürt, als in diesem Augenblick! Mit Lacroix war etwas geschehen. Seine selbstsichere Arroganz schien nur noch Maske zu sein; in Wahrheit hatte er Angst. "Nanu, wo geht die Reise denn hin, Lacroix?" erkundigte sich Jo und trat näher an den Dealer heran. Dabei ließ er den Blick kurz umherschweifen, um zu sehen, ob Lacroix in der Nähe vielleicht einen Gorilla lauern hatte.

Aber dem war nicht so. Er schien allein verreisen zu wollen.

Sein Grinsen wurde ziemlich breit.

"Das möchten Sie wohl gerne wissen, was?"

"Darf ich raten? Rio? Acapulco?"

"Sonnig und weit weg! Warum nicht, Walker?"

"Wird es Ihnen nicht schon in New York zu heiß?"

"Ach, hören Sie auf!"

"Glauben Sie vielleicht, daß die Zeugin, die Sie unter Druck gesetzt haben, vielleicht doch noch auspackt und man Sie wegen Mordes vor Gericht stellt!" Jo lächelte dünn. "Vielleicht sollten Sie ihr mehr zahlen, dann könnten Sie ruhiger schlafen!"

"Die Sache ist vorbei, Walker."

"Nein, das ist sie nicht."

"Dieser Junge war kein Engel, Walker. Er hat selbst gedealt, er hat bei einem Überfall einen alten Man zum Krüppel geschlagen und er hätte seine Eltern für einen Schuß verkauft. Wenn er in der richtigen Verfassung war, dann hätte er für hundert Dollar einen Menschen umgebracht, sofern ihn jemand gefragt hätte und seine Hände nicht so zittrig gewesen wären!"

"Ich weiß", erwiderte Jo.

"Haben Sie das seinen blitzsauberen Eltern auch erzählt?"

"Ja, habe ich."

Lacroix zuckte mit den Schultern.

"Der Junge hat die Regeln verletzt. Er hat versucht, mich zu bescheißen."

"Ich kann mir einfach nicht vorstellen, daß Sie so etwas noch nie probiert haben, Lacroix!"

"Leben Sie wohl, Walker!"

Er zog davon und Jo schnürte es die Kehle zu. Aber es gab nichts, was er tun konnte. Er hatte den Mord ihm gegenüber praktisch zugegeben, aber es gab nichts Greifbares. Nichts, das sich vor einem Gericht verwerten ließ. Wenn er durch die Barrieren kam, würde niemand ihn aufhalten. Jim Lacroix konnte gehen, wohin er wollte. In ein paar Stunden schon konnte er auf der anderen Seite des Globus sein, um auf Nimmerwiedersehen unterzutauchen.

*


Jim Lacroix war gut gelaunt, als er die öffentlichen Toilettenräume betrat. Morgen hatte er alles hinter sich gelassen, was ihm so zusetzte. Es war eine Flucht, aber er fiel nicht ins Bodenlose. Er hatte einiges Kapital auf ausländischen Bankkonten angehäuft und das würde eine ganze Weile reichen. Selbst bei aufwendigem Lebensstil. Und irgendwann würde sich schon eine Gelegenheit ergeben, in lukrative Geschäfte einzusteigen.

Wo auch immer auf der Welt das dann sein mochte.

Jim Lacroix wirbelte herum, als er hinter sich die Tür zu den Sanitäranlagen aufgehen und wieder zuschlagen hörte. Sein Gesicht verlor jegliche Farbe. Er schluckte und wich einen Schritt zurück.

Zwei Männer waren eingetreten.

Der eine war blond, der andere dunkelhaarig und mit bandagiertem Arm. Der Dunkelhaarige blieb an der Tür stehen - und zwar so, daß niemand hereinkommen konnte.

"Peters! McCarthy!"

"Schön, daß du uns noch kennst, Lacroix!" brummte der Dunkelhaarige mit einem zynischen Lächeln auf den Lippen, das selbst einen Mann wie Jim Lacroix frösteln ließ.

"Was wollt ihr?"

"Scheint, als hätten wir Glück, dich überhaupt noch in den Staaten anzutreffen", meinte der dunkelhaarige McCarthy gedehnt. "Du wolltest dich aus dem Staub machen, was?"

"Was geht euch da an?

McCarthy zuckte die Achseln. "Uns interessiert das im Grunde nicht. Du weißt, daß wir nie etwas gegen dich gehabt haben. Im Gegenteil."

"Dominguez schickt euch, nicht wahr?"

Er bekam keine Antwort, sondern stattdessen einen furchtbaren Fausthieb von Peters. Lacroix taumelte rückwärts und knallte der Länge nach hin. Der Dealer rührte sich ächzend.

McCarthy machte eine knappe Geste.

"Fang an!" zischte er an Glenn Peters gewandt.

*


"Sie können sich in meiner Obhut völlig sicher fühlen!" erklärte April Bondy im Brustton der Überzeugung, während sie die Pistole durchlud. Sie hob die Waffe in die Höhe und fügte hinzu: "Ich kann damit umgehen, ob Sie es mir nun glauben oder nicht!"

Teresa stand am Fenster und blickte hinaus.

"Ich glaube es Ihnen", murmelte sie.

Dann hörten sie Schritte.

"Das ist Jo!" meinte April und eine Sekunde später flog die Tür auf und er stand vor ihnen. Teresa drehte sich herum. "Liegt es noch an Ort und Stelle?" fragte sie mit einem schwachen Lächeln auf den Lippen.

"Ja."

"Und was kommt nun?"

Jo warf seinen Mantel irgendwo hin, ging zum Schreibtisch und griff zum Telefon. Er drückte Teresa den Hörer in die Hand. "Rufen Sie Harry Dominguez an."

"Was soll ich ihm sagen?"

"Daß Sie ihm den Stoff zurückgeben und sich mit ihm treffen wollen!"

"Das wird ihn auch nicht dazu bewegen, mich oder Sie am Leben zu lassen, Jo!"

"Ich weiß. Aber es ist die einzige Chance, ihn in die Falle zu locken. Mäuse fängt man mit Speck. Und wir müssen in unserem Fall darauf hoffen, daß die Maus den Speck auch mag..."

"Okay..."

"Sie müssen darauf bestehen, daß er sich mit Ihnen persönlich trifft..." Jo nahm einen Zettel und schrieb etwas auf. Dann gab er den Zettel an Teresa. "Dies ist der Treffpunkt, lesen Sie ihm die Adresse genau so vor..."

"Halten Sie mich für ein kleines Kind?"

"Sie müssen wirken, als wären Sie sich ihrer Sache absolut sicher, Teresa. Und es muß schnell gehen. Er muß sich sofort entscheiden, sonst verzichten Sie auf das Treffen."

"Ein gefährliches Spiel, Jo."

"Nur halb so gefährlich wie das, was Sie bis jetzt getrieben haben, Teresa!"

*


"Captain, wir haben ihn!" rief Lieutenant Browne, einer von Rowlands Mitarbeitern im Morddezernat. Er warf dem dicken Captain eine Akte auf den Tisch. "Das ist der Tote. Es war gar nicht schwierig ihn zu finden, soviel wie der auf dem Kerbholz hat."

Rowland hob fragend die Augenbrauen.

"Und?"

"Cal Matthews, Ex-Soldat, Ex-Polizist, Ex-Kaufhausdetektiv, Ex-Knastbruder."

"Hört sich an, als hätte er es nirgends bis zu einem Pensionsanspruch gebracht! Was hat er denn zuletzt so gemacht? Wäre doch zu schön, wenn seine Spur zu Harry Dominguez führen würde."

Lieutenant Browne schüttelte den Kopf.

"Damit kann ich leider nicht dienen, Chef. Aber die Richtung, in die es stattdessen geht, ist auch nicht uninteressant. Matthews hat mehrfach für Jim Lacroix den Gorilla gespielt... Liegt eigentlich nahe, anzunehmen, daß er auch diesmal in Lacroix' Auftrag unterwegs war."

Rowland lockerte sich die Krawatte und fuhr sich mit einer fahrigen Geste über das Gesicht. Die Lacroix-Sache hatte der Captain innerlich schon abgehakt gehabt. Wenn die Vermieterin des jungen Bogdanovich nicht aussagte und den Dealer identifizierte, konnte man alles weitere vergessen. Und sie würde nicht aussagen, da konnte er sie noch so lange bearbeiten. Ihre Angst würde letztlich Sieger bleiben.

Rowland war lange genug im Geschäft, um zu wissen, daß solche Dinge immer wieder vorkamen und man sich damit abfinden mußte, daß nicht jeder Mörder gerichtsverwertbar zu überführen war.

Es war ärgerlich, aber wohl nicht zu ändern.

Doch vielleicht gab es jetzt wieder so etwas wie einen Strohhalm...

"Bis jetzt war ich der Meinung, daß die beiden Fälle nichts miteinander zu tun hätten", meinte Rowland nachdenklich. "Aber ich sehe keine Verbindung!"

"Zwischen Dominguez und Lacroix?"

"...und dieser Teresa Marquez, ja."

Der hoch aufgeschossene, schlanke Browne, der von seiner Figur her so etwas wie das exakte Gegenstück zu Rowland war, setzte sich halb auf den Schreibtisch seines Captains. "Die Verbindung zwischen den Beiden ist der Drogenhandel, würde ich sagen!"

"Aber Lacroix bewegt sich mehrere Spielklassen tiefer als Leute wie Dominguez."

Browne zuckte die Achseln.

"Warum fragen wir Lacroix nicht einfach?"

"Gute Idee!" grinste Rowland. "Wäre das nicht ein Job für Sie?"

"Lacroix wird nicht sehr begeistert davon sein, daß wir ihm wieder auf den Fersen sind..."

"Immer noch, Browne. Nicht schon wieder. Es geht noch immer um denselben Mord.

*


"Telefon, Mister Dominguez!"

Es war Tanaka, der das sagte. In der Rechten hatte er den drahtlosen Apparat und hielt ihn Dominguez hin, der hinaus in seinen Garten gegangen war, um etwas frische Luft zu schnappen.

Er schien in Gedanken versunken zu sein und es dauerte einen Moment, bis er wieder voll da war. Er drehte sich zu Tanaka herum und nahm ihm das Telefon ab.

"Wer ist es?"

"Hören Sie selbst!"

Dominguez nahm den Hörer ans Ohr.

Als er die Stimme von Teresa seinen Namen aussprechen hörte, war das wirklich etwas, womit er nicht gerechnet hatte. Ein zynisches Lächeln spielte um seine Lippen.

"Du hast lange nichts von dir hören lassen, Teresa!"

"Ich will es kurz machen, Harry!"

"Darum möchte ich auch gebeten haben!"

"Wir müssen uns treffen."

"Warum?"

"Ich habe eingesehen, daß..."

"Daß du dich an einer furchtbaren Dummheit beteiligt hast? Die Einsicht kommt ziemlich spät, findest du nicht auch?"

"Es war nicht meine Idee, sondern die von..."

"Solche Sachen diskutieren wir besser nicht am Telefon. Es ist mir im Übrigen auch gleichgültig, wer die Idee hatte. Wichtig ist nur, was ihr getan habt!"

"Ich will nichts mehr von dem Zeug. Du kannst es zurück haben!"

Sie nannte ihm einen Treffpunkt und sprach sehr schnell, wirkte aber erstaunlich sicher. Dominguez war überrascht. "Du wirst dort ein mehrstöckiges Haus sehen, das sich noch im Bau befindet... Du wirst deinen Wagen auf das Grundstück fahren, den Motor abstellen und auf weitere Anweisungen warten, die ich dir per Funktelefon geben werde."

"Was soll das Theater, Schätzchen? Mißtraust du mir etwa? Ich habe dich doch immer sehr gemocht!"

"Lassen wir das, Harry", erwiderte Teresa kühl.

"Wollen wir die Sache nicht einfacher über die Bühne bringen? Ich mache dir einen Vorschlag..."

"Nein, Harry, die Sache läuft nach meinen Regeln, oder überhaupt nicht."

"Ich werde es mir überlegen. Wo kann ich dich erreichen?"

"Überhaupt nicht. Du muß dich jetzt entscheiden. Jetzt sofort."

Harry Dominguez überlegte ein paar Sekunden lang schweigend. Die Sache gefiel ihm nicht. Vor allem ließ er sich nicht so gerne zu irgendetwas drängen. Warum hat sie es so verdammt eilig? fragte er sich.

Schließlich sagte er: "Ich komme!"

"Das Ganze läuft natürlich nur unter der Bedingung, daß du mir niemanden mehr auf den Hals hetzt!"

"Wofür hältst du mich!"

"Also ist das akzeptiert?"

"Ja." Harry Dominguez war einfach kein Mann, der es fertig brachte, eine gute Dollar-Million so einfach verloren zu geben. Aber der Hauptgrund für ihn, darauf einzugehen, war ein anderer...

"Gut", sagte sie. "Heute abend um acht bist du dort! Und ich rate dir, allein zu kommen, sonst kannst du das Päckchen in deine Verlustrechnung aufnehmen!"

Dominguez wollte noch etwas sagen, aber Teresa Marquez hatte bereits aufgelegt. Er wandte sich an Tanaka und ballte dabei die Rechte zur Faust. "Jetzt haben wir die Kleine! Haben sich Peters und McCarthy schon gemeldet?"

"Nein."

Dominguez gab Tanaka das Telefon. "Was machen Sie für ein Gesicht?"

"Ich frage mich, was Sie jetzt vorhaben, Mister Dominguez?"

"Na, was wohl!"

Tanaka schien es nicht zu gefallen. Aber er wußte sich zu beherrschen. Sein Gesicht bekam wieder den gewohnten, undurchdringlich und nichtssagend wirkenden Zug.

"Ich würde die Finger davon lassen, Mister Dominguez. Es könnte eine Falle sein. Irgendwann werden Sie die Kleine erwischen und dann bekommt sie ihre Kugel. Aber von dem Stoff würde ich die Finger lassen!"

Dominguez hob die Augenbrauen. John Tanaka, ein schweigsamer, undurchdringlich scheinender Mann, der sich mit seiner eigenen Meinung stets zurückhielt, wurde auf einmal redselig. Das war schon eigenartig...

"Wie sollte so eine Falle denn aussehen?"

"Sie könnte die Polizei eingeschaltet haben. Überlegen Sie doch! Wie kommt es, daß dieser Rowland hier auftauchte?"

"Na, wegen Fowler. Er hat ja schließlich für mich gearbeitet!"

"Ein Vorwand!"

Dominguez musterte Tanakas Züge und versuchte verzweifelt, aus seinem Bodyguard schlau zu werden. Zwei Jahre arbeitete Tanaka jetzt schon für Dominguez und dieser hatte eigentlich geglaubt, ihn zu kennen.

Seltsam, dachte Dominguez.

Aber hatte er nicht auch gedacht, Dick Fowler zu kennen?

"Wenn jemand ein ganzes Kilo Kokain besitzt, kann er unmöglich die Polizei zu Hilfe holen."

"Und wenn der jungen Frau das Gefängnis gegenüber der Chance, eine Kugel in den Kopf zu bekommen, als die angenehmere Alternative erscheint?"

"Aber darum will sie mir doch das Zeug zurückgeben! Sie will kein Loch in der Stirn..."

*


"Habe ich meine Rolle gut gespielt?" fragte Teresa, wobei sie ein zweifelndes Gesicht machte.

Jo nickte. "Hervorragend."

"Ich habe Angst, mich mit ihm zu treffen", sagte sie.

"Das brauchen Sie nicht."

"Werden Sie in meiner Nähe sein, Jo?"

"Natürlich..."

Ihre Hände zitterten und Jo nahm sie in die Seinen, um sie etwas zu beruhigen. "Heute Abend ist das Meiste vielleicht schon ausgestanden."

"Ich will's hoffen!"

Jo blickte auf die Uhr. "Es wird Zeit", meinte er.

"Aber bis acht ist es doch noch eine ganze Weile!"

"Wir müssen eher dort sein."

Jo holte die Automatic aus dem Schulterholster und überprüfte das Magazin.

"Glauben sie, daß Sie das Ding gebrauchen werden?" fragte Teresa.

"Ich hoffe nicht." Er wandte sich an April. "Ist mit deiner Waffe alles klar?"

"Alles okay!"

Sie fuhren zu dritt in Walkers Mercedes.

"Was geschieht nun, Jo?" fragte Teresa.

"Als Erstes holen wir den Stoff."

"Reicht es nicht, wenn wir Dominguez den Schlüssel geben? Dann geht er es sich abholen und die Polizei braucht ihn nur einzusammeln."

Aber Jo schüttelte den Kopf.

"So funktioniert das nicht."

"Warum nicht?"

"Weil Harry Dominguez niemals selbst zum J.F.K.-Airport fahren würde, um sich das Zeug abzuholen. Dazu hat er seine Leute. Wir würden ihn nie erwischen, jedenfalls nicht so, daß er aus dem Verkehr gezogen wird. Und das ist die einzige Lebensversicherung für Sie, Teresa!"

"Sie wollen, daß man ihn mit dem ganzen Kilo in der Tasche erwischt?"

"Ja, wenn's geht! Ein Kilo ist Beweismaterial genug, um ihn als Großdealer festzunehmen."

"Und was ist, wenn man uns mit dem Stoff erwischt?" fragte April dazwischen. Jo zuckte die Achseln. "Dann wird es schwer sein, zu beweisen, daß es nicht uns gehört..."

Teresa wurde unruhig, irgendetwas schien ihr nicht zu behagen.

"Dieser Rowland ist doch Ihr Freund, nicht wahr?"

"Ja, seit vielen Jahren", nickte Jo.

"Haben Sie ihn eingeweiht?"

"Nein, er weiß nur, daß unser Freund Dominguez den Treffpunkt mit einem Kilo Koks verlassen wird. Alles andere braucht er nicht wissen - er darf es sich nur denken, sonst kommt er in große Schwierigkeiten."

"Und Sie glauben, daß Ihr Plan klappt?"

"Sicher. Dominguez wird das Zeug persönlich abholen müssen, sonst bekommt er es nicht. Er wird es so schnell wie möglich wieder loszuwerden versuchen, aber diese kurze Zeitspanne reicht, um ihn festzunageln. Allerdings nur unter einer Vorraussetzung. Und für die können nur Sie sorgen, Teresa!"

Sie sah ihn an, als wäre er ein exotisches Tier. Ihre Stirn zog sich zusammen, aber sie tat, als wäre sie sehr verwundert. In Wahrheit war sie überrascht darüber, daß jemand sie durchschaut hatte.

"Wovon sprechen Sie?" flüsterte sie, und versuchte zu überspielen, was jetzt in ihr vorging. Ihr Blick ging zur Beifahrertür des 500 SL. Aber der Wagen fuhr. Sie konnte nicht heraus.

Jo fingerte ein Briefchen mit weißem Pulver aus seiner Manteltasche heraus. Er warf es ihr auf den Schoß.

"Hier", sagte er. "Dieses Zeug war in dem Schließfach. Es kann alles mögliche sein, aber Kokain ist es mit Sicherheit nicht. Das merkt sogar ein Amateur-Chemiker wie ich!"

"Aber..."

"Sie haben versucht mich hereinzulegen. Und so etwas kann ich nicht leiden. Kein Wunder, daß Sie die Lösung mit dem Schlüssel bevorzugen würden... Aber das wäre keine wirkliche Lösung. Und mein Plan klappt nur mit dem echten Stoff."

"Jo, ich..."

"Zum Diskutieren ist es jetzt zu spät. Wenn die Sache noch Aussicht auf Erfolg haben soll, dann müssen wir sehr viel eher am Ort des Geschehens sein. Dominguez wird sicher einen seiner Leute vorschicken, der dann irgendwo lauert, um Sie abzuknallen, sobald er das Zeug hat. Und wenn es so ist, müssen wir seinen Handlanger möglichst vorher ausschalten."

Sie blickte schweigend geradeaus.

"Sie können mich zu nichts zwingen!" erklärte sie.

"Ich weiß. Aber wenn Sie denken, daß Sie mich wie ein Spielzeug benutzen können, dann sind Sie auch schief gewickelt, Teresa. Wenn Sie nicht den Mund aufmachen, werde ich Sie bei der Polizei absetzen. Sollen die Ihnen dann helfen."

Sie seufzte. Dann sagte sie kleinlaut: "Es ist im General Post Office von New York City Ich habe es als Postlagersendung dort hingeschickt. Der Schlüssel vom Schließfach war nur ein Täuschungsmanöver. Ich dachte, wenn jemand den Stoff will, kann ich ihn vielleicht eine Weile damit hinhalten."

"Dann wollen wir keine Zeit verlieren."

*


Die Sache im General Post Office war schnell erledigt. Jo wich Teresa dabei keine Sekunde von der Seite. Wer konnte schon wissen, was ihr noch alles für Dummheiten einfielen?

Es war ein dicker, gepolsterter Umschlag, den man Teresa ohne Probleme aushändigte.

Jo nahm ihn ihr gleich aus der Hand und sie ließ dies, wenn auch widerwillig, geschehen.

"Wenn es noch irgendeine Überraschung gibt, die Sie für mich auf Lager haben, Teresa, dann sagen Sie mir sie lieber gleich."

"Nein, das war's." Sie hakte sich bei ihm unter und sah ihn mit ihren dunklen Augen warm an. "Sie sind ein prima Kerl, Jo. Ich mag Sie..."

Jo lächelte. Sie war eine tolle, begehrenswerte Frau, aber eine, die das auch einzusetzen wußte.

"Ist das jetzt eine neue Masche?"

"Es ist meine ehrliche Meinung."

Sie gingen zum Wagen. Jo gab den Umschlag April, die ihn öffnete und den Inhalt kurz überprüfte, soweit das möglich war.

Dann ging es zum Treffpunkt.

Es handelte sich um ein im Bau befindliches Bürohaus, an dem die Arbeiten nicht mehr vorangingen, seit der Rohbau fertiggestellt worden war. Dem Bauherrn war die finanzielle Puste ausgegangen, die Gläubiger stritten sich um das, was noch übrig blieb und bis der Kampf nicht gelaufen war, lief mit Sicherheit gar nichts.

Jo hatte den Mercedes in einer Seitenstraße abgestellt. Die letzten paar hundert Meter waren sie zu Fuß gegangen. Jetzt war es kurz nach sechs Uhr nachmittags. Fast zwei Stunden also noch bis acht Uhr.

Jo hoffte nur, daß das ausreichte und nicht schon Dominguez Leute hier irgendwo lauerten, um Teresa einen gebührenden Empfang zu bereiten.

Jo ließ den Blick die fensterlose Fassade empor gleiten. Ein Klotz mit 15 Stockwerken; für New Yorker Verhältnisse eher ein kleiner Bau, aber immer noch mehr als groß genug, um sich darin zu verstecken.

Bevor sie den Eingang passierten, holte Jo seine Automatic aus dem Schulterholster und April folgte seinem Beispiel, indem sie ihre Waffe aus der Handtasche nahm.

Sicher war schließlich sicher. Jo hatte keinerlei Lust mehr auf unliebsame Überraschungen.

Mit dem Lauf der Automatic voran tastete er sich in das Gebäude hinein. Aber da war niemand. Jo ging zu dem offenen Schacht, in den eigentlich der Aufzug gehörte, und lauschte. Der Wind strich durch die offenen Fenster und machte dabei eine seltsame Art von Musik, die fast ein wenig gespenstisch klang.

Aber es war nichts zu hören, was auf die Anwesenheit von Menschen hindeutete.

Er wandte sich an April und flüsterte: "Die Treppe hinauf!"

"Glaubst du, die Luft ist rein?" fragte sie.

"Wir werden sehen."

Wenig später ging es die Treppen hinauf.

"Wollen Sie nicht jede Etage durchsuchen?" erkundigte sich Teresa sarkastisch.

"Ganz ruhig bleiben!" meinte Jo. "Wir gehen hinauf bis ins oberste Stockwerk."

Sie hielten die Waffen schußbereit im Anschlag und tasteten sich Etage für Etage voran. Aber es kam ihnen niemand in die Quere.

Das Gebäude schien tatsächlich leer zu sein.

Schließlich waren sie ganz oben angekommen. Der Wind pfiff hier ziemlich wüst durch die offenen Fenster.

Jo ging als Erstes noch einmal zum Aufzugsschacht, um zu horchen. Eine ganze Weile blieb er dort mit angestrengtem Gesicht stehen, dann war er sich sicher.

Menschliche Schritte, fünf oder sechs Stockwerke tiefer. "Es ist doch jemand hier!" Er wandte sich an April. "Ihr bleibt hier oben! Ich werde mal nachsehen, wer sich da herumtreibt..."

*


Jo lief die Treppen wieder hinunter. Zwischendurch horchte er, aber es waren keine Geräusche mehr zu hören. Jo versuchte es im 10. Stock, ging rasch von Raum zu Raum, ohne auf jemanden zu stoßen.

Währenddessen begann es draußen wieder zu regnen. Das Platschen mischte sich mit dem Wimmern des Windes.

Vielleicht habe ich mich auch getäuscht! ging es Jo durch den Kopf.

Vielleicht hatte der Wind irgendetwas mehr oder minder regelmäßig hin und her bewegt, was sich dann fünf Stockwerke höher wie Schritte anhörte.

Er nahm sich die nächste Etage vor.

Ein solches Stockwerk war relativ schnell durchsucht. Die Räume waren sehr groß und leicht zu übersehen, da sie - abgesehen von etwas Baugerät - völlig leer waren. Keine verwinkelten Apartments und Wohnungen, sondern zukünftige Großraumbüros.

Jo arbeitete sich systematisch voran. Im ersten Raum dieser Etage war nichts zu sehen. Im zweiten auch nicht. Aber im dritten erlebte er eine unangenehme Überraschung.

In letzter Sekunde hatte Jo mit den Augenwinkeln die Gefahr noch gesehen, aber da war es schon passiert. Eine Eisenstange schlug ihm schmerzhaft die Automatic aus der Hand und beförderte sie in hohem Bogen auf den Boden - drei, vier Meter in den Raum hinein.

Der Kerl hatte neben der Tür gelauert. Sein zweiter Hieb hätte Jo glatt den Schädel zertrümmert, aber diesmal paßte der Privatdetektiv besser auf. Er duckte sich blitzschnell, so daß die Eisenstange dicht über ihn hinwegfuhr und mit einem metallischen Geräusch gegen die Mauer schlug.

Jo packte den Arm und drehte ihn herum, während ihn zwei blitzende Augen giftig anfunkelten. Die Eisenstange fiel zu Boden. Der Kerl ächzte und versuchte erfolglos, sich loszureißen.

Jo drehte ihn herum und packte ihn am Kragen seines abgerissenen Mantels. Der Mann war unrasiert und trug eine Strickmütze. Seine Kleider waren allesamt starr vor Dreck und er roch nach einer Mischung aus Bier und ein paar anderen, undefinierbaren Zutaten.

Wie einer von Dominguez' geschniegelten Gorillas sah er jedenfalls nicht aus.

Er zitterte und schien Angst zu haben.

"Na, los, versuch mich fertig zu machen, du feiner Pinkel!" zischte er. Er hatte längst gemerkt, daß Jo ihm körperlich überlegen war.

"Nur, wenn du mich dazu zwingst!"

Der Kerl schielte nach der Pistole. Jo konnte förmlich von seinem Gesicht ablesen, was er dachte. "Vergiß es!" raunte Kommissar X. "Mit dem Ding verletzt du dich doch höchstens selbst!"

Die Blicke der beiden Männer begegneten sich.

Zwei, vielleicht drei Sekunden lang geschah überhaupt nichts. Alles hing in der Schwebe. Dann sagte er: "Okay, ich gebe auf!"

Jo ließ den herumgedrehten Arm los, ging zu seiner Pistole, hob sie auf und steckte sie ein.

"Du willst mich hier 'rausschmeißen, was?" knurrte der Mann unwirsch. Jo ließ den Blick im Raum umherschweifen. In einer Ecke hatte der Kerl seine Habseligkeiten und auch eine kleine, niedergebrannte Feuerstelle.

"Kein Gedanke!" sagte Jo.

"Was willst du dann? Bist du Bulle oder wie kommt es, daß du eine Knarre hast?"

Jo lächelte und ging zum Fenster.

Er blickte hinab. Dort unten war niemand zu sehen. Es regnete unablässig und bei diesem Wetter ging nur nach draußen, wer keine andere Wahl hatte.

"Hör zu", sagte Jo. "Du hast sicher beobachtet, wie ich gekommen bin."

"Du bist mit zwei Frauen gekommen, aber ich habe gehofft, daß ihr mich nicht bemerken würdet. Es kommen manchmal Leute hierher, um sich das Haus anzusehen. Leute wie du in guten Sachen. Die meisten kommen aber nie bis hierher zu mir. Wenn doch, geht es mir meistens schlecht. Dann holen sie die Polizei. Ich bin schon viermal hier 'rausgeworfen worden."

"Wenn vor uns schon jemand gekommen wäre, dann hättest du das sicher bemerkt, oder?"

Er grinste.

"Also doch Bulle!"

"Nein, Private Eye."

Er zuckte mit den Schultern. "Wie auch immer. Wenn jemand vor Ihnen da gewesen wäre, hätte ich es bemerkt. Dafür habe ich fast so etwas wie einen sechsten Sinn bekommen, wissen Sie?"

Jo holte sein Portemonnaie heraus und nahm ein paar Scheine, die er dem Mann hinstreckte.

"Hier", sagte der Privatdetektiv. "Das ist für dich!"

Der Mann stierte auf das Geld.

"Das ist 'ne Menge Moos. Was muß ich dafür machen!"

"Mach dir einen schönen Abend und komm nicht vor neun zurück!"

"Das ist alles?"

"Das ist alles."

Ein Lächeln ging über das Gesicht des Mannes. Er ließ sich nicht zweimal bitten und streckte die Hand aus.

*


Jo Walker blickte hinaus und sah, wie der Obdachlose sich davonmachte. Kommissar X war sich ziemlich sicher, daß in nächster Zeit jemand auftauchen würde.

Und er behielt recht. Es dauerte kaum zehn Minuten, da quälte sich eine schlanke, dunkelhaarige Gestalt im Trenchcoat durch den Regen.

Es war Tanaka.

Er blickte sich nach allen Seiten hin um, sah dann aber zu, daß er möglichst schnell ins Gebäude hineinkam.

Jo lief zu den Treppen, zog die Automatic und lud sie durch. Durch den Aufzug hörte er, wie Tanaka mit schnellen, energischen Schritten hinaufkam. Jo postierte sich an einer Ecke und wartete.

Tanaka kam herauf. In der Rechten hielt er eine Pistole mit Schalldämpfer. Er stoppte kurz und strich sich die nassen Haare aus dem Gesicht.

Einen Augenblick lang schien er sich nicht ganz schlüssig darüber zu sein, ob es besser war, weiter hinauf zu laufen, oder sich in dieser Etage zu verstecken.

Er schien sich einen Augenblick später für die Treppe ins nächste Stockwerk zu entscheiden und wandte Kommissar X den Rücken zu.

Jo hielt den Augenblick für gekommen.

"Stehen bleiben, Tanaka! Und keine Bewegung!"

Tanaka erstarrte mitten in der Bewegung. Er drehte den Kopf ein wenig und versuchte mit den Augenwinkeln zu sehen, was sich hinter ihm abspielte.

"Pistole fallen lassen!" fordert Jo.

Er zögerte. In seinem Kopf schien die Frage herumzuspuken, ob er nicht doch noch eine Chance hatte.

"Ich würde es nicht darauf ankommen lassen", meinte Jo.

Die Pistole fiel zu Boden. Er drehte sich langsam herum.

"Walker! Das hätte ich mir ja fast denken können!"

"Tja, so sieht man sich wieder, Mister Tanaka!"

"Was haben Sie mit mir vor? Mich vielleicht einfach über den Haufen schießen!"

"Schließen Sie nicht von sich auf andere!"

Jo trat etwas näher heran, holte ein Paar Handschellen aus der Manteltasche heraus und warf sie Tanaka vor die Füße. "Schließen Sie Ihre Hände damit zusammen!"

"Wollen Sie mich zur Polizei schleifen? Das geht nach hinten los. Sie haben kein Recht zu dem, was Sie tun!"

"Sie können mich gerne anzeigen, Tanaka. Ich habe nichts dagegen."

"Ich begreife Ihr Spiel noch nicht so richtig, Walker! Auf welcher Seite stehen Sie? Ich hatte erst angenommen, daß Sie mit Teresa Marquez unter einer Decke stecken. Stimmt das? Oder hat die Kleine auch Sie aufs Kreuz gelegt?"

"Machen Sie einfach, was ich sage", erklärte Walker kühl und hob ein wenig den Lauf der Automatic.

Tanaka bückte sich. Er machte das sehr langsam und vorsichtig. "Keine Sorge", meinte er. "Mir ist bewußt, daß Sie eine Waffe haben und ich nicht."

"Ich hoffe es!"

Tanaka nahm die Handschellen auf und legte sie sich selbst an. Dann hob er die zusammengeketteten Hände hoch und meinte trotzig: "Zufrieden?"

"Bestens."

"Und jetzt?"

"Jetzt geht es nach oben. Gehen Sie voran."

Zögernd setzte er sich in Bewegung, während Jo sich bückte, um die Schalldämpferpistole vom Boden aufzunehmen. Jo nahm dabei ein Taschentuch. Es war eine Baretta - genau der Pistolentyp, mit dem Dick Fowler getötet worden war...

"Den 45er, den Sie mir in Dominguez' Haus präsentiert haben, tragen sie wohl nur sonntags, was?"

"Was geht Sie das an!"

"Bleiben Sie stehen und halten Sie die Hände hinter dem Kopf gefaltet!" Tanaka gehorchte, während Jo die Baretta wegsteckte und sein Gegenüber dann sorgfältig abtastete. Tanaka hatte keine weiteren Waffen dabei. Dafür allerdings ein mobiles Funktelefon, daß Jo ihm zurück in die Manteltasche steckte.

Dann ging es weiter hinauf. Zwei Stockwerke hatten sie geschafft, da geschah es.

Der Karatetritt kam blitzschnell und war äußerst gekonnt. Jo bekam ihn vor die Brust, taumelte rückwärts und ging zu Boden. Für den Bruchteil eines Augenblicks blieb ihm die Luft weg, während Tanaka nachsetzte.

Sein nächster Tritt kickte Kommissar X die Automatic aus der Hand.

Der, der dann folgte, hätte Jo im günstigsten Fall das Nasenbein zertrümmert, ihn aber auch ohne weiteres töten können... Doch der Privatdetektiv fing ihn mit den Händen ab und lenkte ihn zur Seite.

Fast gleichzeitig schnellte sein eigener Fuß nach vorne und fuhr Tanaka in die Kniekehle, so daß er ebenfalls zu Boden kam.

Tanaka robbte in Richtung der Automatic, drehte sich einmal herum und hatte die Waffe dann erreicht. Er griff nach ihr und wollte sie in Walkers Richtung reißen, aber da war Jo schon über ihm und drückte Tanaka die eigene Baretta an den Hals.

"Besser du machst das nicht noch einmal!" zischte Jo.

*


Der weitere Aufstieg ging dann ohne Zwischenfälle.

April kam ihnen entgegen.

"Ich habe durch den Schacht so einiges gehört!" meinte sie. "Da dachte ich mir, daß du vielleicht Hilfe brauchst!"

"Das stimmte auch beinahe!" erwiderte Jo. Er blickte auf die Uhr. "Jetzt werden wir wohl erst mal abwarten müssen, bis es acht wird."

In Tanakas Gesicht zuckte fast unmerklich ein Muskel. "Wollen Sie Dominguez eine Falle stellen?"

"Sie sind ein kluger Kopf, Tanaka."

"Ich zähle nur zwei und zwei zusammen. Aber was immer Sie auch genau vorhaben, Sie sollten es vergessen, Walker! Das haben schon ganz andere versucht und sind dabei auf die Nase gefallen!"

"Es gibt immer ein erstes Mal, Tanaka!"

Als sie oben angekommen waren, wo Teresa wartete, nahm Jo Tanaka das Funktelefon aus der Tasche und lächelte dünn. "Damit sollten Sie Ihren Boß informieren, was?"

Tanaka sagte nichts. Sein Gesicht blieb unbewegt und kühl, nur in seinen Augen blitzte es. Jo legte indessen den Apparat in Tanakas zusammengekettete Hände und hielt ihm den Pistolenlauf an den Kopf.

"Rufen Sie Ihren Boß an und sagen Sie ihm, daß er herkommen kann!"

*


Harry Dominguez stieg aus dem Ferrari und sah sich nach allen Seiten um. Die Tür ließ er dabei offen. Der Regen hatte indessen aufgehört. Nur ein unangenehmer, feucht-kalter Wind blies ihm um die Ohren.

Ein schneller Blick ging zu der Rolex an seinem Handgelenk.

Es war Punkt acht.

Irgendwo war Tanaka in Stellung gegangen und wartete nur darauf, das zu tun, was getan werden mußte. Die junge Frau mußte sterben, unabhängig davon, ob sie ihm wirklich den Stoff zurückgeben wollte.

Aber damit brauchte er sich nicht die Hände schmutzig machen. Dafür würde Tanaka sorgen...

Das Telefon im Wagen klingelte. Dominguez griff hinein und langte nach dem Hörer. "Ja?" Es war Teresa Marquez, wahrscheinlich von einem mobilen Funktelefon aus.

"Passieren Sie den Eingang des Gebäudes und wenden Sie sich zu den Treppen. Gehen Sie in den dritten Stock zum Aufzugschacht. Dort werden Sie ein kleines Päckchen finden. Es ist alles noch da."

Dominguez nickte. "Gut", meinte er, während ein Gesichtsmuskel unwillkürlich zuckte.

"Ist die Sache damit ausgestanden, Harry?"

"Natürlich, Kleines. Du kennst mich doch! Wir haben uns doch immer prima verstanden."

"Es war ein Fehler, der sich nicht wiederholen wird", sagte sie. Und er konnte ihr da nur zustimmen.

"Richtig", murmelte er. "Es wird sich nicht wiederholen..."

Sie hängte ein und er machte sich auf den Weg. Er blickte die fensterlose Fassade des Rohbaus empor und dachte: Wahrscheinlich beobachtet sie mich jetzt, in diesem Augenblick. Dominguez hoffte nur, daß Tanaka sie auch im Visier hatte... Aber das war eigentlich anzunehmen. Er hatte sich ja telefonisch gemeldet und durchgegeben, daß alles okay war. Und wenn man sich hier einigermaßen geschickt postierte, konnte einem niemand entgehen, der das Gelände betrat oder verließ. Dominguez tat, was Teresa gesagt hatte und ging zum Eingang, ging die Treppen hinauf bis in den dritten Stock und fand das Päckchen neben dem Fahrstuhlschacht.

Er blickte sich um und horchte. Es war nirgends etwas zu hören.

Dann nahm er das Päckchen und ging. Der Rest war Tanakas Sache.

Als er im Wagen saß, überprüfte er kurz den Inhalt des Päckchens und steckte es dann unter den Beifahrersitz. Es schien alles in bester Ordnung zu sein. Dominguez ließ den Ferrari an und fuhr los. Er atmete tief durch.

Dominguez war noch nicht bis zur nächsten Straßenecke gekommen, da schnitt ihm plötzlich ein überholender Wagen den Weg ab und zwang ihn dazu, nach rechts auszuweichen und zu stoppen. Nach vorne hin war er völlig eingekeilt. Er saß in einem Dreieck aus dem Überholer und der langen Reihe von Parkern am Straßenrand.

Verdammt! schoß es Dominguez durch den Kopf. Das konnte unmöglich ein Zufall sein! Er wollte zurücksetzen, aber auch von hinten kamen zwei Wagen. Männer in Zivil sprangen aus den Türen und in Sekundenschnelle war der Ferrari von ihnen umringt. Jemand riß die Tür auf und Dominguez blickte einerseits in die Mündung eines 38er Special und anderseits auf eine Dienstmarke der New Yorker Polizei.

"Steigen Sie aus und stellen Sie sich an den Wagen!"

"Was habe ich getan? Doch nicht etwa zu schnell gefahren? Ich wußte gar nicht, daß man dafür auch schon Fahnder in Zivil einsetzt!"

"Das ist nicht witzig, Sir!" gab einer der Männer zurück. Dominguez stieg aus dem Wagen und jemand nahm ihm den Kleinkaliber ab, den er bei sich hatte. Dann sah er den dicken Rowland herankommen, der sich zwischen seinen Leuten hindurch drängte.

Dominguez verzog das Gesicht. "Hätte ich mir ja denken können, daß das auf Ihrem Mist gewachsen ist!"

Rowland zuckte mit den Schultern. "Ich will mich nicht mit fremden Federn schmücken", raunte er. Indessen fiel das Heer seiner Mitarbeiter über den Ferrari her. Es dauerte nur ein paar Augenblicke und sie hatten das, wonach sie gesucht hatten: das Päckchen. Rowland nickte, nachdem er einen Blick hineingeworfen hatte. "Ich denke, das reicht, um Sie eine ganze Weile aus dem Verkehr zu ziehen, Dominguez..."

"Das ganze ist ein abgekartetes Spiel!"

"Haben Sie sonst nicht eine Vorliebe für solche Spiele? Nennen wir es so: Wir haben einen Hinweis bekommen, der sich als richtig erwiesen hat..." Er wandte sich an einen der Umstehenden. "Lieutenant Browne! Lesen Sie ihm seine Rechte vor und nehmen Sie ihn mit!"

Bevor Dominguez in einen der Dienstwagen gesetzt wurde, sah er noch Teresa Marquez in Begleitung von Jo Walker und seiner Assistentin auftauchen. Und da war noch jemand, dessen Anwesenheit ihm gar nicht gefiel. John Tanaka!

Dann wurde Dominguez weggebracht.

Rowland ging auf Jo zu und meinte: "Das war ein Vabanque-Spiel, Jo!"

"Ich weiß." Er gab Rowland Tanakas Waffe. "Hier", sagte er. "Es würde mich nicht wundern, wenn das die Baretta ist, mit der Dick Fowler getötet wurde."

Rowland nickte zufrieden. "Langsam setzt sich das ganze Puzzle zusammen." Er wandte sich an Teresa Marquez. "Der Killer, der Ihnen in das Hotel gefolgt ist, wurde übrigens höchstwahrscheinlich nicht von Dominguez geschickt."

Sie schaute verwundert drein und hob die Augenbrauen.

"Von wem denn dann?"

"Sagt Ihnen der Name Jim Lacroix irgendetwas?"

"Nein."

"Er ist übrigens tot", wandte sich Rowland an Kommissar X.

Jo hob die Augenbrauen.

"Wie ist das denn geschehen?"

"Auf ähnliche Weise, auf die auch der junge Bogdanovich getötet wurde. Ihm wurde reines Heroin gespritzt. Da er selbst kein Konsument war, ist ihm das schlecht bekommen. Er wollte sich gerade per Flieger davonmachen, da hat man ihn in den Toilettenräumen erwischt. Er hat sich ziemlich gewehrt... und dem Mörder das Gesicht zerkratzt."

"Weiß man schon, wer?"

"Man hat Spuren von Haut und Blut unter den Fingernägeln gefunden. Aber könnten vielen Leuten gehören." Rowland zuckte mit den Schultern.

"Es könnte der Vater des jungen Bogdanovich sein. Schließlich starb Lacroix auf dieselbe Weise wie sein Sohn. Ich habe jemanden hingeschickt..."

"Um nachzuschauen, ob Mister Bogdanovich zufällig ein paar Kratzer im Gesicht hat?"

"Wäre doch ein Anfang, Jo."

"Sucht besser in einer anderen Richtung."

"Und welche?"

"Du hast gesagt, der Killer, der Teresa aufgelauert hat, kam nicht von Dominguez, sondern von Lacroix."

"Richtig. Cal Matthews, du hast den Namen vielleicht schon gehört."

"Das gibt nur einen Sinn, wenn Lacroix von dem Diebstahl des Kokains wußte. Er wollte an den Stoff kommen."

"Woher sollte er von Teresa wissen?"

"Weil er vermutlich von Anfang an mit Fowler unter einer Decke steckte. Fowler könnte Lacroix angesprochen haben, um das Zeug loszuwerden..."

Rowland nickte nachdenklich. "Ja das macht Sinn. Das heißt..."

"...daß Lacroix' Mörder wahrscheinlich unter Dominguez' Leuten zu suchen sind. Wie wär's mit Peters und McCarthy? Hat schon mal jemand nachgeschaut, ob einer von denen ein beschädigtes Gesicht hat?"

"Holen wir nach, Jo! Aber die werden jetzt alle so schnell wie möglich abzutauchen versuchen, wenn sie erst einmal mitgekriegt haben, daß ihr Boß im Loch sitzt!"

Jo wandte sich an Teresa.

"Wissen Sie schon, was Sie jetzt anfangen werden, Teresa?"

Sie zuckte mit den Schultern. "Keine Ahnung. Aber ich werde schon was finden. Erst einmal bin ich froh, am Leben geblieben zu sein."

Jo grinste. "Beinahe hätten Sie das ja noch verhindert!"

"Ich danke Ihnen! Mit dem Honorar werden Sie sich wohl noch ein bißchen gedulden müssen..."

"Lassen Sie nur", erwiderte Jo. "Ich selbst stand ja auch auf Dominguez' Liste und habe daher gewissermaßen in eigenem Interesse ermittelt!"

"Trotzdem..."

ENDE

11 Urlaubskrimis auf 1207 Seiten

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