Читать книгу Sammelband 4 Krimis: Amok-Wahn und andere Thriller - Alfred Bekker - Страница 46
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Ein schöner Tag.
Als Benedict am späten Sonntagabend ins Ramada-Hotel zurückkommt, ist er so glücklich, dass er sich nicht einfach so ins Bett legen kann. Zu erregt sind seine Sinne. Zu gereizt die Haut. Es ist einer dieser Tage, die man bei vollem Bewusstsein bis zum Ende auskosten will. Deren herrliche Unbeschwertheit man gerne mit möglichst vielen Menschen teilen möchte. Wo man das Gespräch sucht, damit die eigene Leichtigkeit als freundliches Lächeln von den Gesichtern Fremder zurückspringt. Einer der wenigen Tage im Leben eines alternden Mannes, wo es plötzlich doch noch eine andere Zukunft zu geben scheint.
So ein Tag.
Aber die Pavilion Bar ist leer. Bis auf den schmalbrüstigen Barkeeper und einen gedrungenen Mann mit blauschwarzen Haaren auf einem der Hocker vor der Theke. Seine gewöhnliche Zurückhaltung beiseite wischend, setzt sich Vitus H. Benedict auf den Hocker direkt neben den einsamen Gast und bestellt sich einen Black Bush. Wendet sich dann freundlich an den Mann mit dem dunklen Gesicht. »Was trinken Sie? Kann ich Sie zu einem Drink einladen?«
Misstrauen liegt in den braunen Augen. Wulstige Falten auf der niedrigen Stirn vertiefen diesen Ausdruck noch, und aus dem Mund des Eingeladenen quetscht sich ein Breitwurmsatz heraus. »Wasndegrundmisser?«
Irritiert versucht der Düsseldorfer die Lauthieroglyphen zu enträtseln. Scheint ein Ami zu sein. Tiefer Süden? Heute aber lässt sich ein Benedict durch nichts entmutigen.
»Einfach, weil ich mich unheimlich gut fühle! Akzeptieren Sie ‘nen Drink, oder lassen Sie‘s bleiben. Aber vermiesen Sie mir nicht die Stimmung!«
Der Ami klappt nachdenklich die schweren Augenlider runter. Als er sie wieder öffnet, liegt so etwas wie sanftmütige Nachsicht in ihnen. Dem ersten Wurm lässt er jetzt einen zweiten folgen. »Bööbenfremmer!«
Mittlerweile hat sich Benedict schon etwas auf die merkwürdige Lautsprache eingestellt. Nach ein paar kurzen Schrecksekunden ordert er einen Bourbon Whisky.
»Cheers!«, meint er, als der Keeper das knapp eingeschenkte Glas vor dem Mann hinstellt. »Darf ich mich Ihnen vorstellen, ich bin Benedict aus Düsseldorf ... in Deutschland!«
Der Mann mit den Lackhaaren und der fleischigen Hakennase im auffallend gebräunten Gesicht hebt das Glas und prostet ihm zu.
»Cheers!«
Mit einem Zug hat er das Glas geleert. Dann verharrt die Hand, die es auf die Theke zurückstellen will, kurz in der Luft. Benedict bewundert den schweren Silberring mit dem merkwürdig geformten Stein. Das leere Glas knallt auf die Platte. Aus seiner Jackentasche fischt der Mann ein beschriebenes Blatt Papier und fährt mit dem dicken Zeigefinger hastig über die Zeilen. »Wusst ich doch!«
Der dicke Zeigefinger deutet jetzt auf Benedicts Brust. Das Misstrauen in den Augen des Dunkelhäutigen ist verschwunden, als er langsam von dem Papier abliest: »Benedict, V. H., Hauptkommissar. Kriminalpolizei. Polizeipräsidium Düsseldorf. FRG – Noch einmal dasselbe. Für mich und meinen glücklichen Freund!«, wendet er sich dann an den Barkeeper.
Einiges ist dem Düsseldorfer mittlerweile klargeworden. Er hat auch so einen Zettel. Oben steht »Internationales Anti-Terror-Symposium, Ramada-Hotel, Reading« und eine Zeile tiefer gesperrt »Teilnehmerverzeichnis«. Also noch ein Früheintreffer.
Als die zweite Runde vor ihnen steht, liegt neben seinem Black Bush ein Dienstausweis mit einem Foto des Hakennasigen. Federal Bureau of Investigation. Las Vegas Field Office. William W. Washoe. Supervisory Special Agent.
»Schon lange hier?«, fragt er und schiebt den Ausweis wieder rüber. Es ist, als kröche eine Schildkröte in ihren Panzer. Wieder schieben sich schwere Lidfalten über die braunen Augen.
»Vorhin eingecheckt.«
»Schon was von Reading gesehen? Ist eine überraschende Stadt!«
»Nein, keine Zeit dazu gehabt.«
»Schönen Ring haben Sie da!«
Darüber scheint Herr Washoe aus Las Vegas lieber zu sprechen, denn das tiefbraune Gesicht gewinnt an plötzlicher Offenheit.
»Silber und ein Halbedelstein aus den Bergen Nevadas. Schöne Handarbeit. Sehr wertvoll. Ist ein Stammeszeichen der Paiute-Indianer.«
Nach Nevada war Benedict während seiner Studienzeit an der University of Maryland nie gekommen. Hatte sich irgendwie nicht ergeben. Er hatte auch mal einen Nebenkurs belegt gehabt. Indianerstämme Nordamerikas oder so. Etwas mehr als ein durchschnittlicher Karl-May-Leser weiß er also schon. Aber von Paiutes hat er noch nichts gehört. »Hat der Ring was zu bedeuten?«
»Meine Vorfahren sind Paiutes. Bin in einer Reservation groß geworden ...«
Der FBI-Mann bricht abrupt ab, als durch die Drehtür am Hoteleingang neue Gäste eintreffen. Jeden scheint er aufmerksam zu mustern.
»Warten Sie auf jemanden?«
»Nein«, brummt er lakonisch, »professionelle Neugier. Wenn Sie wissen, was ich meine. Also, der Ring ... ja, ist unser Stammeszeichen.«
»Und wie ... wie sind Sie da zum FBI gekommen?«
Die Augen unter den vorspringenden Stirnknochen sehen den Frager jetzt belustigt an. »Sie meinen, wie kommt ein dummer Reservatsindianer zu so einem tollen Job!?«
Der Deutsche beißt sich ärgerlich auf die Lippe. Er muss in Zukunft vorsichtiger sein. So Leute sind wahrscheinlich höllisch empfindlich.
»Ist schon o. k., Mr. Benedict. Wer zahlt die nächste Runde?«
Der Hauptkommissar bestellt diesmal zwei Doppelte bei dem englischen Geizhals hinter der Bartheke.
»Gibt schließlich überall schwarze Schafe. Bei uns waren‘s genau genommen sogar drei, die die Aufnahme an der University of Nevada geschafft haben und ...«
»University of Nevada? Wann war das?«
»Na, so um 1973 oder 74 rum. Wieso?«
»Unser Football Team hat euch mal fürchterlich eins auf die Mütze gegeben! Wir hatten ein Ausscheidungsspiel gegen eure Running Rebells, und das ist so in der Gegend 49 zu 7 für meine Maryland Terps ausgegangen!«
»Waas? Dieses Spiel! 1974 war das genau. Ausscheidung Atlantic Coast Conference gegen Big West Conference. Wir hatten das Pech, auf die stärkste Mannschaft der AACC zu treffen. Maryland Terps. Mein ganz persönliches Unglück. Ich war damals Running Back bei den Rebells. Davon träume ich heute noch manchmal. Es war ein Alp!«
»Dann sitzt einer der Alps neben Ihnen! Ich war damals an der University of Maryland für ein Gaststudium. Und ich war auch als Reservereserve Quarter Back bei den Terps. Mr. Washoe, wir sind uns wahrscheinlich damals auf dem Spielfeld begegnet. Coach Zemperino hatte mich aus purer Freundlichkeit, war ja nichts mehr zu verlieren, in den letzten Minuten noch eingewechselt!«
Was für ein würdiger Abschluss für einen solchen Tag.
Benedict bestellt für Bill und sich jetzt eine Flasche Bourbon. Das freundliche Entgegenkommen des früheren Siegers.
»Ist das o. k., Bill?«
»Ja, ja. Das ist o. k., Benny. Aber glaube bloß nicht, dass du damit das 74er Spiel ungeschehen machen kannst. Nie!«
»Gut. Ist in Ordnung!«
Endlich werden die Gläser richtig voll.
»Und was machen die Running Rebells heute so? Verlieren sie immer noch so hoch?«
»Unsinn! Alles ist besser geworden. Und wir haben jetzt Jim Zaccheo als Quarter Back. Heute würden uns die Terps nicht mehr so abziehen! No, Sir!«
Irgendwann, die Flasche auf dem Tisch ist kaum noch wiederzuerkennen, steht Bill Washoe schwankend auf.
»Muss mal ... ganz schön dringend wohin ...«
»Kannst du das schon alleine ... oder soll ich mitkommen?«, kichert Benedict laut vor sich hin.
»Da-da-danke! Bin alt genug. Aber ... was ich dich fragen wollte, hast du mal was Sp-Spitzes für mich ... nein, nein, du Idiot ... was richtig Spitzes!«
»Frag doch mal den Barkeeper ... vielleicht hat der ‘n Messer.«
Der Las-Vegas-Mann torkelt wie ein Bär zur Bar und rüttelt an den bereits heruntergelassenen Gittern. Bevor der Aufruhr zu groß wird, findet Benedict in seiner Hosentasche zum Glück sein Schweizer Offiziersmesser.
»Ich hab was für dich, Bill. Hör auf mit dem verdammten Lärm! Sind doch nicht im Zoo!«
Mit dem roten Taschenmesser in der Hand zieht der indianische Poltergeist Richtung Toiletten.
Zufrieden lässt sich Benedict zurück in den Sessel sinken. War das ein Wirbel gewesen. Die Flughafenkontrolleure in Düsseldorf waren fast durchgedreht, als sie sein Taschenmesser gefunden hatten. Hätte ja den Piloten in seinen Hintern pieksen können mit dem Ding. Nur nach Vorlage seines Dienstausweises hatte man ihm dann endlich gestattet, sein kleines Spielzeug mit nach England zu nehmen. Musste es allerdings gegen Quittung der Fluggesellschaft dem Piloten aushändigen. So ein Quatsch. In London hatte ihm die Stewardess das rote Messer einfach so in die Hand gedrückt. Die Quittung hat er immer noch. Viel Affentheater um nichts.
Ob er eingenickt war?
Er langt nach der Flasche und gießt sich den letzten Schluck ins Glas. Versteh nicht, wo der Indianerbulle so lange bleibt. Und mit meinem Messer. Nach einer Weile steht Benedict mühsam auf. Bemüht aufrechten Ganges visiert er den Weg zur Toilette an. Irgendwie verfehlt er dann doch die letzten drei Stufen abwärts und landet mit einem taumeligen Sprung vor der Tür. Niemand zu sehen und niemand zu hören. Na, wo er schon mal da ist, kann er auch gleich ...
Auf dem Rückweg schreitet er noch angestrengter auf gedachten Linien. Wahrscheinlich hat sich der Nevada-Mensch einfach nach oben verdrückt. Schläft schon seinen Rausch aus ... oder kotzt sich die Seele aus dem Leib. Bloß mein Messer muss er mir morgen wiedergeben. Darf nicht vergessen, ihn danach zu fragen.
Hinter dem Empfangsschalter steht die Nachtschicht.
»Äh ... ist der Mr. Sakamoto inzw... ein... eingetroffen?«
»Bedaure, nein, Sir. Gute Nacht, Sir!«
»Guute Nacht, jawohl! Gute Nacht.«
Morgen würde er sie Wiedersehen.