Читать книгу Killerrache: Krimi Koffer 9 Romane - Alfred Bekker, Frank Rehfeld, Karl Plepelits - Страница 59

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Später, in Tinas Wohnung, saß ich eine ganze Weile einfach da und dachte über diesen grauen Mann mit der dicken Brille nach. Aber so sehr ich meine Gehirnzellen auch anstrengte, es war ziemlich aussichtslos, dass ich darauf kam, wer er war. Ein Gangsterboss? Der Abgesandte eines Bosses? Der Abgesandte eines Abgesandten?

Nein, dachte ich. Die Sache war größer. Vorausgesetzt, er hatte es wirklich ernst gemeint, was er da von einer halben Million Franken gesagt hatte. Aber er schien es ernst zu meinen. Ich fühlte unwillkürlich an die Brust, wo ich den verdammten Umschlag mit den fünftausend Mäusen trug. Meine Gedanken bewegten sich im Kreis. Und im Zentrum dieses verfluchten Kreises war die halbe Million. Hier wollte nicht irgendein mittelschwerer Drogenbaron die Konkurrenz beseitigen. Also kam der Graue wahrscheinlich auch aus einem ganz anderen Milieu. Ich hatte es schon von Anfang an vermutet.

Instinktiv, sozusagen. Der Graue hatte etwas sehr Korrektes.

Etwas Beamtenhaftes, sozusagen. Und vielleicht war er das ja auch. Ein Beamter. Ein Geheimdienstler, der jemanden brauchte, der ihm die heißen Kartoffeln aus dem Feuer holte.

Und warum ich? Die Frage hämmerte mindestens zum fünfhundertsten Mal in meinem Schädel. Warum ich und nicht ein ausgekochter Spitzenprofi? Der Graue musste noch Gesichtspunkte in seiner Rechnung haben, die ich nicht kannte.

Ich fühlte wieder den Umschlag.

Die fünftausend Mäuse verpflichten dich zu nichts, dachte ich. Also nimm sie und brauch' sie auf. Nachgedacht hast du ja. Damit ist dein Teil des Jobs erledigt. Dachte ich.

Ich hätte mir gewünscht, dass die Sache so einfach gewesen wäre, aber natürlich wusste ich, dass dem nicht so war. Es hing ganz davon ab, mit wem ich es da zu tun hatte.

Vielleicht würden sie mir ebenfalls einen Todesengel vorbeischicken, wenn meine Antwort endgültig negativ ausfiel. Das konnte niemand ausschließen. Und die andere Sache waren die fünfhunderttausend Franken. Das war schon was. Damit konnte man neu anfangen. Andererseits musste derjenige, der diesen Job machte, das sicher auch. Aber ich hätte nichts dagegen gehabt. Nichts gegen die halbe Million und nichts gegen das Neu-Anfangen. Wäre mir auch ziemlich egal gewesen wo. Australien oder Südamerika, es hätte alles keine Rolle gespielt.

Später, als Tina nach Hause kam, saß ich noch immer ziemlich gedankenverloren da.

"Was ist denn mit dir los?", fragte Tina.

"Nichts."

"Ach komm schon, irgendetwas ist los. Das sehe ich dir doch an."

Wir waren immerhin schon lange genug zusammen, um uns gegenseitig solche Dinge an den Nasenspitzen ablesen zu können. Tina war Anfang zwanzig und ziemlich hübsch, wie ich fand. Ihre schulterlangen Haare hatte sie immer irgendwie zusammengesteckt, das gab ihr etwas Praktisches, Patentes.

Und genau so war sie auch. Sie wusste immer, was zu tun war.

Ihre Augen waren grün-grau.

Ein Paar Augen, das mir etwas bedeutete.

"So geht das nicht weiter mit dir", meinte sie. "Du hängst den ganzen Tag nur 'rum."

Ich atmete erst einmal tief durch und sagte gar nichts.

Meine Gedanken waren noch immer meilenweit entfernt. Ich überlegte, was ich mit dem Angebot machen sollte, das der graue Mann mir gemacht hatte. Eine halbe Million... Mir ging das einfach nicht aus dem Kopf. Jeder Mensch hat seinen Preis, ich bin überzeugt davon. Und vielleicht war das meiner. Ich dachte an die Abfindung, die ich vom französischen Staat für meine Dienste in der Legion bekommen hatte. Fast verbraucht. Irgendwie hatte ich nie eine besonders glückliche Hand gehabt, was Geld anging. Wie lange es wohl dauern würde, eine halbe Million Franken durchzubringen? Aber das war schon eine Summe, die selbst mich eine Weile über Wasser halten würde. Vermutlich sogar mehr als das.

"Was hältst du von etwas ganz Bürgerlichem?", meinte Tina.

"Häh?", machte ich. Ich schaute sie an, sie schaute zurück.

Ihre grauen Augen musterten mich. "Wovon sprichst du?", fragte ich.

"Von Arbeit. Einem Job. Ich meine damit allerdings nicht diese zwielichtigen Angelegenheiten, die du Geschäfte nennst."

"Lassen wir das Thema", winkte ich ab.

"Lassen wir das Thema", machte sie mich nach. "Das sagst du jedes Mal." Sie verschränkte die Arme unter ihrer Brust.

"Nächsten Monat wird die Miete steigen."

Ich hob die Augenbrauen.

"Davon hast du mir ja noch gar nichts erzählt."

"Na, dann erzähle ich es dir eben jetzt." Sie seufzte. "Ich erzähle es dir deshalb, weil ich finde, dass du langsam auch etwas beitragen könntest. Wir wohnen hier schließlich zusammen. Und soviel verdiene ich auch nicht, dass ich damit Bäume ausreißen könnte."

"Na gut", sagte ich. "Wie viel brauchst du?"

"So war das nicht gemeint."

Es war schon ziemlich lange her, dass sie mich um Geld gefragt hatte. Sie hasste so etwas, das wusste ich. Also war es wirklich dringend.

"Okay", sagte ich. "Tausend?"

"Hör mal..."

"Zweitausend?"

Ich langte in die Jackettinnentasche, holte zwei Scheine aus dem Umschlag und legte sie auf den Tisch. "Es ist in Ordnung", meinte ich dazu. "Das Geld steht dir zu." Sie starrte auf die beiden Tausender, als hätte sie noch nie so einen Schein gesehen. Dann schaute sie mich auf dieselbe Weise an.

"Woher hast du das?", fragte sie.

"Ist doch gleichgültig, oder?"

"Ich will's aber wissen."

"Frage ich dich vielleicht, woher dein Geld kommt?"

"Das ist kein Geheimnis."

"Ich frage dich aber nicht. Also frag' du mich auch nicht!"

Das war vielleicht ein bisschen schroff. Schroffer, als ich beabsichtigt hatte. Aber was hätte ich tun sollen? Ihr sagen, dass es sich um die Anzahlung für einen Mordauftrag handelte? Dann wäre es mit ziemlicher Sicherheit aus zwischen uns gewesen. Dafür hätte sie kein Verständnis gehabt.

Sollte sie also ruhig denken, dass ich irgendeine kleine Gaunerei durchgezogen hatte. Das war besser als die Wahrheit.

Sie nahm schließlich das Geld und steckte es weg. Dann lächelte sie ein wenig verlegen, aber auf ihre ganz besondere, unnachahmliche Weise. Vermutlich war es dieses Lächeln, wofür ich sie liebte. Ich erwiderte es.


Killerrache: Krimi Koffer 9 Romane

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