Читать книгу Elbkiller: 7 Hamburg Krimis - Alfred Bekker, Frank Rehfeld, Karl Plepelits - Страница 15

9. Kapitel

Оглавление

Hauptkommissar Brock und sein Assistent Horst Sprenger beugten sich gemeinsam über einen stark vergrößerten Ausschnitt einer Karte des Stadtteils Altona. Sie saßen in einem Kommandofahrzeug der Polizei, das mit allerlei Technik vollgestopft war, hauptsächlich Überwachungs- und Kommunikationseinrichtungen. Der Einsatzleiter des SEK-Teams leistete ihnen Gesellschaft.

Brock hatte angeordnet, bei diesem Einsatz äußerst vorsichtig vorzugehen. Sie wussten nicht, wie viele Leute sich im Gebäude der Büroreinigung aufhielten oder ob es möglicherweise Widerstand geben würde. Russische Gangster galten nicht gerade als zimperlich.

Der Grundriss des Gebäudes schien recht übersichtlich. Eine Mauer mit einer Toreinfahrt zur Straße, die jeden Einblick auf den Innenhof verwehrte. Der Hof diente als Parkplatz für eine Reihe Fahrzeuge. Das wussten sie seit ihrer Verfolgung des Firmeninhabers, als sie einen kurzen Blick durch das geöffnete Tor werfen konnten.

Auf der rechten Seite des Hofes lag das zweistöckige Bürogebäude. Auf der linken Seite war nur die hohe und fensterlose Wand des Nachbargebäudes. Die Rückseite wurde von einem niedrigen Schuppen gebildet. Dahinter war unbebautes Gelände.

„Kein Fluchtweg zu sehen“, stellte der SEK-Mann fest.

Brock schüttelte den Kopf. „Das glaube ich nicht. Solche Typen halten sich immer einen Fluchtweg offen.“

Er tippte auf den Plan. „Wir haben links das Nachbarhaus, davor ist nur der gepflasterte Parkplatz. Auf der Rückseite könnte es einen geheimen Ausgang geben, den wir auf der Karte nicht sehen können. Ich halte es jedoch für möglich, dass es rechts zum dortigen Nachbarhaus einen geheimen Durchgang gibt. Wir werden das gleich überprüfen.“

Er wandte sich an den Techniker, der vor einer Reihe von Monitoren saß und Brock erwartungsvoll anblickte.

„Lassen Sie den Vogel fliegen, zuerst über das Gelände auf der Rückseite.“

Der Techniker nickte und bediente seine Tastatur. Sekunden später erschien ein verwackeltes Bild der Drohne, die sich langsam höher schraubte. Das Bild stabilisierte sich.

„Wird man das Ding nicht sehen?“, fragte Spengler.

„Eher nicht“, sagte der Techniker. „Wir fliegen ziemlich hoch, sodass die Drohne nur ein Punkt am Himmel ist. Den Motor hört man dann auch nicht mehr, jedenfalls nicht vor den Hintergrundgeräuschen des normalen Verkehrs. Wir werden trotzdem genügend Einzelheiten sehen – die Kamera ist sehr leistungsfähig.“

Er hatte recht, wie sie kurz darauf sahen. Der Techniker schaltete die Vergrößerung ein, und mit einem Schlag rückte das unbebaute Gelände ganz nahe heran.

„Fliegen Sie die Umgebung ganz langsam ab“, ordnete Brock an.

Das Grundstück entpuppte sich als großer verwilderter Garten, der zu dem Haus an der Parallelstraße gehörte. Sie sahen einen Haufen Bretter, hohes Gras, durchsetzt mit verschiedenen Büschen und einigen kleinen Obstbäumen, aber nichts, das als Ausstieg für einen geheimen unterirdischen Gang dienen könnte.

„Da ist nichts“, konstatierte Spengler.

Die Drohne überflog das Grundstück der Gebäudereinigung. Irgendwelche Personen waren nicht zu sehen. Auf dem Parkplatz standen Fahrzeuge, das Tor zur Straße war geschlossen.

„Wie gehen wir rein?“, wollte der SEK-Mann wissen.

„Wir haben nur einen Durchsuchungsbeschluss“, antwortete Brock. „Also müssen wir wohl klingeln. Das Bürogebäude hat einen Ausgang zur Straße. Dort melden wir uns an.“

„Wohin jetzt?“, fragte der Techniker.

„Ich würde gern das Nachbarhaus sehen, das an das Bürogebäude grenzt.“

Der Techniker tippte Befehle ein, und die Drohne wechselte ihren Standort. Bei dem Gebäude handelte es sich um ein normales vierstöckiges Wohnhaus, das noch aus der Kaiserzeit stammte. Auf der Rückseite war ein umzäunter Garten, der auch als Spielplatz diente.

Dann sahen sie auf dem Monitor die Vorderseite in Schrägsicht.

„Ist das eine Garagenausfahrt?“, wollte Brock wissen.

Der Bildausschnitt wurde größer. Da war eine Ausfahrt. Man sah, dass sie zu einem späteren Zeitpunkt hinzugefügt worden war. In vielen alten Häusern hatte man in jüngerer Zeit in den Kellern Garagen eingerichtet, da die Parkplätze auf den Straßen der Großstadt sehr begrenzt waren.

Auf Brocks Stirn hatte sich eine steile Falte gebildet. „Diese Ausfahrt muss blockiert werden. Ich möchte nicht, dass unsere Zielpersonen uns auf diesem Fluchtweg durch die Lappen gehen. Außerdem müssen die Rückseiten gesichert werden, und natürlich das Tor zum Hof.“

Er sah den SEK-Mann an. „Haben wir dafür genügend Leute?“

„Auf jeden Fall. Wenn wir alles sichern, habe ich noch ein halbes Dutzend Kollegen, um mit Ihnen hineinzugehen.“

Brock nickte. „Wir lassen die Drohne vorsichtshalber in der Luft, um das komplette Gelände zu überwachen. Wenn Ihre Leute alles gesichert haben, können wir loslegen.“

Der SEK-Mann gab seine Befehle in sein Mikrofon, das an seiner linken Schulter befestigt war.

„Ich bin sehr gespannt, was uns dort drinnen erwartet“, sagte Spengler.

Brock sah ihn nur schweigend an.

*

Zur gleichen Zeit ließ es sich Tim Holler gut gehen. Das warme Wasser des Whirlpools umspülte ihn bis zum Hals. Er hatte die Augen geschlossen und genoss das erregende Gefühl der nackten Haut zu beiden Seiten seines Körpers. Die attraktiven jungen Damen trugen nur einen äußerst knappen Slip. Doch den würden sie später auch noch ablegen.

Tim grinste. Er hatte Zeit. Viel Zeit.

Nach dem Ärger und den Aufregungen der letzten Tage hatte er sich ein besonderes Vergnügen verdient. Er war nicht zum ersten Mal in dieser prachtvollen Villa an der Außenalster, die ein sehr diskretes Etablissement beherbergte. Doch in jüngerer Zeit hatte sich kaum die Gelegenheit geboten, den besonderen Service des Hauses in Anspruch zu nehmen.

Die Dienstleistungen dieser speziellen Art waren teuer, nun ja, sogar sehr teuer. Doch er besaß ein Zahlungsmittel, das hier sehr gefragt war, und daher war er ein geschätzter Kunde.

Tim hatte diesmal eine längere Buchung vorgenommen, sozusagen das komplette Programm inklusive opulentem Abendessen, das von einem Sterne-Restaurant in der Nähe stammte, Champagner, und natürlich der entsprechenden Gesellschaft. Diese Buchung kostete einen fünfstelligen Betrag, aber das war es ihm wert.

Seine Gedanken schweiften ab, während sich die Damen intensiv um ihn kümmerten.

Der Weg an die Spitze der Reederei war jetzt einfach geworden, seit Markus das Zeitliche gesegnet hatte. Der Alte würde nicht mehr allzu lange leben. Notfalls konnte man die Frist etwas verkürzen. Da würde ihm schon etwas einfallen.

Wenn die Reederei ihm gehörte, würde das Geschäft erst richtig brummen. Er konnte sich kaum vorstellen, welche Geldmengen dann hereinströmen würden. Vor allem wäre dann seine winzige Wohnung aus zwei Zimmern und einem Bad in der ersten Etage der Villa seines Onkels Geschichte.

Es galt dann, genau zu überlegen, in welchem Stadtteil er sich niederlassen sollte. Die richtige Adresse war in Hamburg sehr wichtig! Vielleicht wäre eine Jugendstilvilla in Eppendorf das Richtige. Oder an der Alster. Der Preis würde keine Rolle spielen. Geld wäre dann sein geringstes Problem. Doch Helfer würde er brauchen, zuverlässige und skrupellose Leute, die kein Problem damit hatten, ihre Fäuste zu benutzen.

Allein mit Fiete und dem unterbelichteten Stefan würde er nicht auskommen, wenn das Geschäft sich richtig entwickelte.

Tim lächelte. Ein Schritt nach dem anderen.

„Ist es gut so?“, gurrte eine helle Stimme mit einem Akzent, den er nicht einordnen konnte.

„Oh, ja!“

Tim spürte, wie seine Erregung wuchs, und seine Tagträume verflüchtigten sich vorerst.

*

Cornelius Brock studierte das Klingelschild an der Tür des Bürohauses, einem schmucklosen Zweckbau aus den siebziger Jahren. Merkwürdigerweise waren neben der Gebäudereinigung noch drei weitere Firmen aus der Export-/Import-Branche aufgeführt. Durch die Glastür konnte man in das Gebäude hineinsehen: ein Foyer mit einem unbesetzten Tisch, links davon ein Gang, der weiter ins Innere führte. Rechts gab es eine Treppe nach oben.

Er sah sich kurz um. Alle Polizisten hatten ihre Positionen eingenommen, ein Streifenwagen blockierte die Garagenausfahrt.

„Komisch“, meldete sich Spengler zu Wort und deutete auf die Klingeln. „Laut unseren Unterlagen sollte es hier nur eine Firma geben.“

„Vermutlich Briefkastenfirmen“, kommentierte Brock lakonisch. „Wenn es hier um Drogen geht, wovon wir ausgehen, dann ist auch Geldwäsche ein wichtiges Thema. Solche Tarnfirmen eignen sich hervorragend, um Gelder hin- und herzuschieben und damit ihre Herkunft zu verschleiern.“

Entschlossen drückte er die Klingel.

„Lassen Sie mich vorgehen“, murmelte der SEK-Mann, der hinter den beiden Kriminalbeamten stand.

Spengler trat sofort einen Schritt zur Seite.

„Die werden uns schon nicht gleich über den Haufen schießen“, entgegnete Brock.

„Die Tür ist nicht abgeschlossen“, stellte er plötzlich überrascht fest und drückte gegen das Glas. Ein Spalt wurde sichtbar, und mit einem Ruck stieß er den rechten Türflügel ganz auf.

„Ist ja auch erst Freitagnachmittag“, murmelte Spengler. „Da sollten die Firmen noch geöffnet sein. Nicht alle können früh Feierabend machen.“

„Wir schon mal gar nicht“, fügte Brock leise hinzu, der die Anmerkung durchaus richtig verstanden hatte.

Der Kollege vom Sondereinsatzkommando drängte sich vorbei und betrat mit vorgehaltener Waffe das kleine Foyer. Trotz des hellen Lichtes draußen war es hier drinnen düster. Von fern waren Stimmen zu hören. Sie lauschten.

„Klingt nach Fußball“, kommentierte Spengler.

In diesem Augenblick erschien jemand im Gang und kam auf sie zu.

Er reagierte zu spät, als er begriff, wer im Foyer stand. Während er nach seiner Hüfte griff, hatte der Mann vom SEK einige rasche Schritte zurückgelegt und seine Maschinenpistole auf die Herzgegend des Mannes gerichtet.

„Das würde ich lieber bleiben lassen!“, knurrte er.

Der Mann hob langsam die Hände in Schulterhöhe.

„Das ist Sergei Iwanow“, sagte Brock. Er hatte ein gutes Gedächtnis für Namen und Gesichter, und dieses Gesicht kannte er von einem Foto auf ihrer Pinnwand. Es war einer der beiden Gefolgsleute von Jennisew, einer der beiden, die ihn in der Elbklause mit einem Tisch zu Boden gestoßen hatten.

Brock lächelte. „Schön, dass wir uns hier wiedersehen.“

Spengler war inzwischen neben den Russen getreten und zog ihm eine Pistole aus dem Gürtel.

„Eine Makarow, ein russisches Modell.“

Brock nickte. „War ja nicht anders zu erwarten.“

Er drehte sich zum Eingang um und winkte den Kollegen zu, die sich inzwischen vor der Tür versammelt hatten – uniformierte Polizisten, Leute von der Spurensicherung und der Drogenfahndung.

Dann zog er den Durchsuchungsbefehl aus der Tasche und hielt ihn Iwanow vor die Nase. „Bevor Sie sich lautstark beschweren – hier steht drin, was wir alles dürfen. Und was Sie angeht, Sie sind zunächst festgenommen.“

Er blickte auf die Pistole, die Spengler in der Hand hielt. „Ich wette, wir können Sie erst mal wegen unerlaubtem Waffenbesitz drankriegen. Doch ich bin sicher, dass noch einiges dazukommen wird.“

Er überließ den Russen seinen Kollegen, die ihm Handschellen anlegten und nach draußen führten. Brock gab dem Rest der Truppe das Zeichen, mit der Durchsuchung in der ersten Etage zu beginnen.

Sie folgten dem SEK-Mann den Gang hinunter. Der Lärm der Sportübertragung wurde lauter. Sie kamen an einigen leer stehenden Büros vorbei, bis sie die halb geöffnete Tür des Raumes erreichten, in dem der Fernseher stand.

Brock gab ein Zeichen, und der Bewaffnete wechselte zur anderen Seite. Brock lugte um die Ecke. Er blickte in eine Art Konferenzraum. Vor einem riesigen Fernsehgerät saß ein weiterer Mann auf einer Ledercouch. Nur sein Hinterkopf war zu sehen, während er dem Geschehen auf dem Bildschirm folgte. Seine Füße hatte er auf einem niedrigen Tisch platziert, auf dem eine Wodkaflasche, Gläser und ein voller Aschenbecher standen.

Außerdem lag dort eine Pistole gleichen Typs wie die eben beschlagnahmte in Reichweite des Mannes.

Brock machte ein Zeichen, und der SEK-Mann stürmte in den Raum. Bevor der andere nach seiner Waffe greifen konnte, spürte er den Lauf der Maschinenpistole in seinem Nacken, und er zog seine Hand vorsichtig wieder zurück.

Brock trat vor. „Wladimir Rostrow, wenn ich mich nicht irre.“

Der Russe biss die Zähne zusammen und funkelte den Hauptkommissar wütend an.

„Fehlt nur noch der Chef“, sagte Brock, während Spengler Handschellen aus einer seiner Taschen zog.

Rostrow grinste. Spengler schaltete den Fernseher aus.

Einige Minuten später ertönte Gesprächslärm aus dem Gang. Eine wütende Stimme mit deutlichem Akzent war besonders laut. Die Ursache wurde kurz darauf sichtbar, als zwei Uniformierte einen sich sträubenden, gut gekleideten Zivilisten mit sich schleppten, dem man Handschellen angelegt hatte.

„Ihr Verdacht war richtig“, sagte einer der Polizisten. „Er hat versucht, aus der Tiefgarage zu fliehen, kam allerdings nicht weit. Ich nehme an, diesen Kerl suchen Sie ebenfalls. Er hatte keine Waffe bei sich.“

Sie ließen ihn los, und Igor Jennisew starrte Brock hasserfüllt an. „Das wird Ihnen noch leidtun!“, stieß er hervor. „Mein Anwalt holt mich hier ganz schnell wieder raus. Was immer Sie vermuten, ich habe nichts damit zu tun. Ich führe hier ein ganz normales, legales Unternehmen.“

Brock reagierte nicht auf die Anfeindung. Rostrow bekam ebenfalls seine Handschellen verpasst, und Spengler drückte Jennisew auf die Couch.

„Bringt Rostrow und Iwanow getrennt unter“, befahl Brock. „Ich möchte nicht, dass sie sich absprechen.“

Wenig später waren nur noch Brock, Spengler und Jennisew im Raum. Der SEK-Mann bewachte die Tür von draußen.

„Und was jetzt?“, fragte der Russe aufsässig.

„Wir warten“, kam die kühle Antwort.

„Worauf?“

„Auf das, was die Kollegen finden.“ Brock hatte den Durchsuchungsbeschluss auf den Tisch gelegt, sodass Jennisew ihn lesen konnte. Er überflog den Text nur. Vermutlich hatte er ein solches Dokument schon häufiger gesehen.

Eine halbe Stunde verging nahezu schweigend. Dann waren schwere Schritte auf dem Gang zu hören. Zwei Uniformierte erschienen, jeder mit einer prall gefüllten schwarzen Sporttasche in der Hand. Sie ließen die Taschen auf den Boden fallen und öffneten die Reißverschlüsse. In Plastik eingewickelte Pakete, ringsum mit Klebeband versiegelt, wurden sichtbar.

„Das haben wir unter einer versteckten Falltür im Geräteschuppen entdeckt“, bemerkte der Ranghöhere der beiden. „Es war reiner Zufall, dass einer der Kollegen über den Ring stolperte, mit dem man die Klappe hochziehen konnte.“

Jennisew schloss die Augen. Diese Entdeckung kam unerwartet für ihn.

Brock setzte sich vor den Russen auf die Tischkante. „Was sagen Sie dazu?“

„Das habe ich noch nie gesehen“, behauptete Jennisew. „Ich weiß noch nicht mal, was das ist.“

Brock grinste. „Das werden Ihnen die Kollegen von der Drogenfahndung bestimmt glauben. Mein Interesse gilt allerdings einer ganz anderen Sache. Warum haben Sie Markus Holler ermordet?“

„Mord?“

Der Russe schüttelte wild den Kopf. „Das lasse ich mir nicht anhängen! Ich habe niemanden getötet!“

„Was ist mit Dieter Schmitz?“

„Wer?“

„Der Inhaber der Elbklause. In seinem Warenlager wurde Holler von Ihnen und Ihren Handlangern ermordet. Dafür gibt es Beweise.“

Jennisew lachte laut auf. „So? Gibt es die? Wenn Sie in meine Sakkotasche fassen, finden Sie mein Smartphone. Nehmen Sie es!“

Brock zögerte kurz, da er einen Trick vermutete, doch dann beugte er sich vor und griff nach dem Handy.

„Es ist eingeschaltet“, sagte der Russe. „Checken Sie die Videos.“

Brock reichte das Gerät an Spengler weiter. „Machen Sie das. Sie kennen sich mit diesen Dingern besser aus.“

Spengler wischte und tippte auf dem Bildschirm, dann wurde sein Blick starr.

„Das müssen Sie sehen“, sagte er schließlich mit erstickter Stimme. „Ich gehe noch mal zum Anfang.“

Brock trat neben ihn. Auf dem kleinen Display erschien ein Raum, den Brock bereits kannte: der Lagerschuppen der Elbklause. Auf der Werkbank war ein Mann festgebunden, der sich heftig gegen seine Fesseln wehrte: Markus Holler!

Sein Mund bewegte sich, doch das Video war ohne Ton aufgenommen worden. Neben der Werkbank standen Iwanow und Rostrow, die auf ihren Gefangenen einzureden schienen und dabei mit den Händen gestikulierten.

Dann erschien ein dritter Mann seitlich im Bild. Er schien außer sich vor Wut zu sein und den Gefesselten anzubrüllen. Plötzlich griff er zur Seite in das dort stehende Regal. Es war nicht zu sehen, doch Brock wusste, dass es sich an der Stelle befand.

Der Arm kam wieder ins Bild, die Faust des Mannes war um die Griffstücke des indischen Dolches geballt. Mit raschen Schnitten durchtrennte er die Fesseln des Gefangenen. Markus Holler richtete sich auf, doch bevor er seine Füße auf den Boden setzen konnte, rammte ihm der andere Mann mit brutaler Gewalt den Dolch in den Nacken. Holler fiel wie vom Blitz getroffen zur Seite und rührte sich nicht mehr.

Das Bild fror ein. Die beiden Kriminalbeamten starrten fassungslos auf das Schlussbild.

„Was sagen Sie jetzt?“, meldete sich Jennisew zu Wort.

„Warum haben Sie das aufgenommen?“, fragte Brock mit rauer Stimme.

„Es ist doch immer besser, einen Beweis in der Hand zu haben. Sie sehen, wie wichtig so etwas sein kann. Meine Leute oder ich haben mit dem Mord nichts zu tun. Nur der Typ auf dem Video, das Sie gerade gesehen haben, ist für alles verantwortlich. Er hat präzise erklärt, was mit dem Toten geschehen sollte. Vom Fluss aus hat er sich dann angesehen, ob alles nach seinen Wünschen erledigt wurde.“

„Sie meinen, wie Markus Holler in der Elbphilharmonie zur Schau gestellt werden sollte?“

Der Russe nickte. „Genau! Doch meine Leute können Sie nicht für den Mord belangen.“

„Beihilfe ist auch eine Straftat“, bemerkte Spengler.

„Sie haben das doch nur aufgenommen, damit Sie den Mörder notfalls erpressen könnten, wenn er aus der Reihe tanzt“, sagte Brock.

Jennisew quittierte die Aussage mit einem breiten Grinsen.

„Auch wenn wir Ihnen keine direkte Beteiligung an dem Mord nachweisen können“, erklärte Brock. „Ihre beiden Kumpel werden wegen Beihilfe und wegen des Mordes an Dieter Schmitz für lange Zeit ins Gefängnis wandern. Der Handel mit Drogen kommt noch dazu. Dafür werden wir auch Sie persönlich drankriegen.“

„Wir werden sehen“, knurrte der Russe.

Ein Uniformierter erschien. „Die Räume oben sind weitgehend leer. Zwei Zimmer werden offenbar als Schlafgelegenheit genutzt, sieht alles ziemlich verdreckt aus. Gefunden haben wir nichts.“

„Das werden wohl die Suiten für das obere Management der Firma sein.“

Jennisew äußerte sich nicht zu Brocks sarkastischer Bemerkung.

Der Hauptkommissar machte eine Handbewegung. „Führen Sie den Kerl ab.“

Der Uniformierte nickte und verschwand mit dem Russen nach draußen.

Brock und sein Assistent blieben allein zurück.

„Die Ermittler und Staatsanwälte werden eine Menge zu tun bekommen“, sagte Spengler.

Brock nickte. „Ich denke, es wird genügend Beweise geben, wenn erst alles durchforstet ist. Jetzt brauchen wir ganz schnell einen weiteren Durchsuchungsbeschluss und vor allem einen Haftbefehl. Vielleicht haben wir Glück und erwischen heute noch jemanden, der uns die Dokumente ausstellt. Und sorgen Sie dafür, dass diese beiden Taschen gut verwahrt werden. Wenn Markus Holler den Inhalt zweier ebenso gut gefüllter Taschen vernichtet hat, dann kann ich verstehen, dass die Drogenbande außer sich vor Wut gewesen sein muss. Es war ein Racheakt, jedoch ganz anders, als wir es uns ursprünglich vorgestellt hatten.“

„Hoffentlich reichen die Beweise gegen Jennisew aus“, sagte Spengler. „ Leute wie er verfügen über die besten Anwälte.“

Brock seufzte. „Das liegt nicht mehr in unserer Hand. Leider haben wir es oft erlebt, dass Ganoven, die wir nach mühsamer Ermittlungsarbeit verhaften konnten, mangels Beweisen oder auf Bewährung schnell wieder draußen waren.“

Elbkiller: 7 Hamburg Krimis

Подняться наверх