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Ladet alle eure Sorgen bei Gott ab, denn er sorgt für euch. 1. Petrus 5,7

„Du weißt, was das bedeutet, Gudrun!“

Die junge Frau aus der altehrwürdigen Familie der Bronzegießer in Mogontiacum hielt die Hand Berchtold von Brachtal fest in ihrer.

„Wir haben das schon so oft besprochen, Berchtold. Du leidest unter der Fallsucht, und deshalb halten dich viele Menschen in unserer Stadt als vom Teufel besessen. Aber das ist Unsinn, wie wir beide und einige andere Bürger wissen. Und wir haben den Medicus Gerbert, von dem du mir so oft erzählt hast. Er hat mir Mut gemacht und mir erklärt, dass es Mittel gibt, die vielleicht nicht heilen, aber doch lindern können.“

„Du hast mit dem Medicus gesprochen, Gudrun?“

„Ja, denn ich will dich ein Leben lang an meiner Seite wissen, Berchtold! Vertrau mir und deinen eigenen Kräften!“

Erneut verstärkte sie den Druck auf seine Hand, und Berchtold entrann sich ein schwerer Seufzer.

„Dann wird dir Medicus Gerbert aber auch gesagt haben, dass es keine wirkliche Heilung von der Fallkrankheit gibt, nicht wahr?“

Gudrun nickte und lächelte dazu.

„Natürlich. Warme Bäder hat er angeraten, ein Bier aus Lavendel hergestellt, vielleicht noch gelegentlich Pulver aus der Zunge oder der Leber eines Bibers, vermischt mit Honig.“

Berchtold erstaunte über die Energie der jungen Frau. Es war noch keine sehr lange Zeit vergangen, als sie sich zufällig begegneten. Das war im Haus des Geldwechslers Levin, dessen Vorfahre einst die Bronzegießerei des legendären Meisters Berenger gekauft hatte. Viele Jahre später war es ein gewisser Hantz, Sohn des Meisters Ulrych, der die Bronzegießerei zwar als Meister beherrschte, aber lieber Skulpturen schuf, die zum großen Teil unverkäuflich waren und zusammen mit dessen verschwenderischer Ehefrau den Ruin der Gießerei verursachte. Hantz starb im Siechenhaus, seine Frau verließ samt Kind die Stadt und lange Zeit hörte niemand mehr etwas von dieser Familie, die sich schon mehrfach mit dem Beinamen Meyster von anderen unterschied.

Berchtold, der am Tage der Rückkehr seines jüngeren Bruders das Rittergut verlassen musste, weil er aufgrund seiner Krankheit nicht das Erbe übernehmen durfte, kannte den Zustand der alten Bronzegießerei inzwischen sehr gut. Eine Weile waren Werkstatt und Haus vermietet, und verschiedene Handwerker nutzten die großen Räumlichkeiten. Zuletzt war hier ein Zimmerer eingezogen, der eines Tages bei Reparaturen im Gebälk des Domes abstürzte und verstarb. Seine Frau musste zu Verwandten ziehen, und seit dieser Zeit stand erneut alles leer. Der Zahn der Zeit nagte kräftig, und bald sah das Wohnhaus so aus, als würde es nicht mehr lange zusammenhalten.

Das alles wollte nun Junker Berchtold für sich erwerben, das Haus instandsetzen und die Werkstatt sollte ihm für eigene Arbeiten dienen. Ein wandernder Gelbgießer, wie man die Bronzegießer auch nannte, war eines Tages, an einem bitterkalten Wintertag, auf dem Gut erschienen, und Berchtold nahm den erschöpften Mann auf, bot ihm Unterkunft für einige Tage sowie Essen und Trinken an, bis er wieder zu Kräften kam. Aus Dankbarkeit wies er den sehr interessierten Berchtold in die Kunst des Bronzegießens mit Hohlformen ein, und weckte damit eine neue Leidenschaft bei dem Junker.

An diesem Tag nun betrat Berchtold erwartungsfroh das Haus des Geldwechslers Levin, um mit ihm über den Kaufpreis zu verhandeln. Levin war ein freundlicher, stets lächelnder Geschäftsmann, gekleidet mit schlichter Eleganz, der ihm zur Begrüßung sofort die Hand entgegenstreckte.

„Willkommen, Junker Berchtold, wie geht es Euch? Man hat Euch ja in der letzten Zeit häufiger in der Stadt gesehen, und ich vernahm ja bereits von dem Knecht, der Euch anmeldete, dass Ihr Interesse an der alten Gießerei hegt. Nun, das sollte mich freuen, aber wie es manchmal im Leben so geht – jahrelang verkam das alte Anwesen und drohte schon zusammenzubrechen – dann kommt Euer Knecht, und noch am selben Tag spricht eine Frau wegen der Werkstatt bei mir vor.“

„Eine Frau?“, erkundigte sich Berchtold ein wenig misstrauisch, denn so freundlich die Anrede bei der Begrüßung war, so wenig liebte er den Titel. Damit wurde er immer wieder an seinen Gesundheitszustand erinnert, der ihm trotz seiner Erstgeburt das Recht absprach, das väterliche Erbe zu übernehmen und den Titel eines Ritters zu führen. Außerdem witterte er sofort, dass der gewiefte Geldhändler den Kaufpreis für das marode Haus und die kaum besser erhaltene Werkstatt höher schrauben wollte.

„Ja, und ich dachte mir, es wäre doch ganz gut für alle Beteiligten, wenn wir uns hier in meinem Comptoir zusammensetzen und über alle Möglichkeiten reden.“

„Na, wenn Ihr meint!“, antwortete Berchtold lakonisch und setzte sich auf den Stuhl, den ihm Levin mit einem verbindlichen Lächeln anwies. Kaum hatte er jedoch Platz genommen, als an der Tür geklopft wurde und ein Knecht die Ankunft des zweiten Besuchers mitteilte.

Als die junge Frau eintrat, versetzte es Berchtold einen Stich. Er spürte, wie sein Herz rascher schlug und ihm der Schweiß auf die Stirn trat. Nein, das waren nicht die Anzeichen für einen erneuten Anfall. Das traf mitten in sein Herz. Selten hatte er in seinem Leben bislang in ein so freundliches Gesicht einer jungen Frau geblickt. Seine Fallsucht beeinträchtigte sein Leben, aber deshalb waren seine Gefühle zum anderen Geschlecht nicht weniger ausgeprägt als bei anderen Männern seines Alters. Berchtold erhob sich zur Begrüßung, spürte, die sein Gesicht sich rötete, und verneigte sich mit einem heiseren Gemurmel, als sie sich lächelnd vorstellte.

„Guten Tag, Junker Berchtold. Ich bin die Gelbgießerin Gudrun, genannt Meyster. Wie ich von Herrn Levin hörte, haben wir das gleiche Ziel. Die Werkstatt, die einst Meister Berenger gehörte.“

„Oh!“, presste Berchtold heraus und spürte, wie ihm der Mund trocken wurde. „Und ... und Ihr nennt Euch ... Meyster, seid selbst Gelbgießerin? Wie ist das möglich?“

Levin schmunzelte, bat die junge Frau, doch am Tisch Platz zu nehmen und gab seinem Knecht ein Zeichen, ihnen die Becher mit Wein zu füllen, während Gudrun antwortete: „Meine Großmutter floh damals mit meinem Vater Huno aus der Stadt, weil mein Großvater wohl das letzte Geld vertrunken hatte. Wie auch immer, ich wuchs zunächst in Augsburg auf, wo wir Unterstützung durch einen Patrizier bekamen, für die wohl einst mein Urgroßvater, Meister Ulrych, eine Bronzetür fertigte. In seinem Haus fand meine Mutter eine Anstellung, Herr Ignatius – so der Name des Mannes, der schließlich mein Stiefvater werden sollte, erkannte mein Talent und förderte mich.“

„Talent!“, hauchte Berchtold, der noch immer von dem einerseits so lieblichen Wesen gefesselt war und andererseits auch ihre lebendige Erscheinung bewunderte. Diese Gudrun sprach mit lebhaften Gesten, ihre strahlend blauen Augen wanderten zwischen ihm und Levin hin und her, und ihr kirschroter Mund wies eine Reihe derart weißer Zähne auf, dass Berchtold kaum seinen Blick von ihm lösen konnte.

„Ja, Herr Berchtold, das ist auch bei einer jungen Frau möglich, auch wenn es noch immer viele bestreiten!“, warf sie auf seine Bemerkung ein.

Erneut stieg die Röte in Berchtolds Gesicht, er spürte, wie ihm abwechselnd heiß und kalt zumute wurde. Dabei zweifelte er mit seiner Bemerkung keineswegs am Talent der jungen Frau – in diesem Moment hätte er ihr wohl alles zugetraut.

„Ihr seid also ... Gelbgießerin geworden?“, brachte er endlich heraus.

„Oh ja, ich habe das Gießen richtig gelernt und wurde in die Zunft aufgenommen“, erwiderte Gudrun und lächelte erneut gewinnend. „Aber nicht in Augsburg, da nahm mich niemand in die Werkstatt auf, ganz gleich, in welchem Beruf. Aber mein Stiefvater Ignatius gab nicht auf und fand durch seine Handelsverbindungen einen Glockengießer in Zürich, der bereit war, mich in seine Werkstatt aufzunehmen.“

„Und da ... wurdet Ihr Gelbgießer?“, erkundigte sich Berchtold mit steigender Hochachtung vor dieser ungewöhnlichen Frau.

„Ja, außerdem auch Goldschmied, denn der Meister formte neben den Glocken gern auch Skulpturen. Wie mir meine Ahnfrau Mathilde erzählte, hatte mein Ahne Hantz dafür ein großes Talent, das ich wohl ebenfalls habe. Mein Stiefvater wurde aufmerksam, weil ich als Kind schon sehr viele Figuren aus einfachem Lehm formte, die ihm gefielen. Und er war der Meinung, dass ein solches Talent nicht vergeudet werden dürfte. Aber da rede und rede ich nur von mir – was ist mit Euch, Junker Berchtold? Warum wollt Ihr die alte Werkstatt kaufen?“

Bei dieser Anrede zuckte Berchtold regelrecht zusammen.

„Wenn ich ... wenn ich darum bitten dürfte“, begann er und bemühte sich, seine Stimme zu festigen, „wenn ich darum bitten dürfte, nennt mich nicht Junker. Es genügt mein Name Berchtold. Und ich habe ebenfalls meine Freude an der Herstellung von Skulpturen gefunden, auf meinem ... dem Gut meines Bruders selbst eine Reihe von Sandgüssen probiert und muss nun ... also, kurz und gut, ich kam auf die Werkstatt, weil ich ein neues Heim suche.“

Levin schmunzelte, betrachtete seine beiden Gäste und schwieg weiter dazu. Er war sich nun vollkommen sicher, dass er ein gutes Geschäft mit den maroden Gebäuden machen würde.

Als die beiden nun schwiegen und sich nur noch in die Augen sahen, räusperte sich Levin und erkundige sich fröhlich: „Wie kommen wir nun weiter? Bei Junk ... bei Berchtold weiß ich um seine Finanzen. Aber wie steht es mit Euch, Gudrun Meyster? Ihr wisst den Grund, wie einst das Eigentum Eurer Familie in den Besitz meiner Familie gelangte.“

„Nun, ich habe gute Arbeit geleistet und gutes Geld dafür verdient. Nennt Euren Preis, und wir werden sehen, wie wir auseinanderkommen.“

Levin lehnte sich zurück und musterte die beiden Kaufinteressenten. Dann sagte er in die eingetretene Stille hinein: „Hundert Silberlinge.“

„Euer Ernst, Herr Levin?“, antwortete Gudrun, und der Geldwechsler zuckte die Schultern.

„Der Gegenwert eines jungen Ochsen oder eines guten Pferdes.“

Berchtold scharrte unruhig mit den Füßen.

Er hatte sich schon gedacht, dass Levin den Preis in die Höhe treiben würde, wenn es gleich zwei Kaufinteressenten gab. Doch das Geld hatte er, es wäre kein Problem. Ein rascher Blick zu Gudrun zeigte ihm, dass die eben noch so lustigen Augen der jungen Frau zu kleinen Schlitzen verzogen waren und Blitze zu Levin sprühen schienen. Er räusperte sich rasch und hatte nun seinen Entschluss gefasst. Das war vielleicht die Chance seines Lebens.

„Ich mache Euch einen Vorschlag, Gudrun Meyster.“

Jetzt traf auch ihn ein Blitz aus himmelblauen Augen. Berchtold erhob sich.

„Vielleicht finden wir einen Weg, der uns beiden weiterhilft. Ich habe mir erst kürzlich den Raum der Gießerei angesehen. Da ist noch viel Platz, aber nichts mehr von der Gießerei vorhanden. Das Wohnhaus muss dringend durch Zimmerleute überholt werden, bietet aber ebenfalls viel Raum. Wie wäre es denn, wenn wir unsere Vorhaben zusammentun und alles gemeinsam nutzen?“

„Das würdet Ihr tun, Berchtold? Für eine Euch vollkommen Fremde?“

Ihr Gesicht hatte wieder den freundlichen Ausdruck angenommen, und wenn Berchtold eben noch zögerte, seine spontane Idee zu äußern, so gab es jetzt kein Zurück mehr für ihn.

„Ja, würde ich wirklich. Wir wollen beide Skulpturen im Bronzeguss fertigen. Ihr als Gelbgießerin, ich zum Zeitvertreib. Vielleicht schaut Ihr Euch einfach mal meine Arbeiten an und entscheidet danach, ob wir zusammenarbeiten können.“

„Die Arbeit in der großen Gießerei wird sicher keine Schwierigkeiten machen, auch wenn ich daran denken muss, dass ich das meiste Geld mit der Glockenfertigung verdiene. Aber auch das wird überwiegend eine Arbeit sein, die ich in der Nähe der Kirche ausführen muss, weil ich sonst die fertige Glocke nicht von der Stelle bringe.“

„Also?“, drängte jetzt Berchtold, der seinen Vorschlag schon fast als angenommen sah.

„Wie soll das sein, wenn wir unter einem Dach wohnen?“

Erneut spürte Berchtold, wie ihm die Hitze in den Kopf stieg.

„Die Zimmerleute können eine zweite Tür einbauen.“

Jetzt lachte Gudrun hell auf. „Das hört sich ja so an, als hättet Ihr schon das Ganze von langer Hand vorbereitet?“

„Nun ...“, weiter kam Berchtold nicht, spürte er doch erneut, wie seine Kehle wieder trocken wurde.

„Also kann ich davon ausgehen, dass der Herr Berchtold das Anwesen erwirbt? Zu meinem genannten Preis?“, wollte nun auch Levin Sicherheit haben.

Aber der Junker wandte sich mit seiner nächsten Frage wieder an Gudrun. „Könnt Ihr reiten?“

„Wie ein Ritter, glaubt es nur!“, antwortete die junge Gelbgießerin und verzog ihr Gesicht zu einem schelmischen Lächeln.

„Gut, ich nehme Euch beim Wort. Kommt mit mir hinaus auf das Gut und schaut Euch meine Arbeiten an. Danach entscheidet Ihr, wie es weitergeht.“

„Und das Pferd?“

„Besorge ich, keine Sorge!“

So kam es, dass zum Nachmittag dieses Tages ein überglücklicher Berchtold an der Seite der jungen Frau ritt und ihr unterwegs vieles erklärte.

„Dort drüben legen die Schiffe an, die Erze und Baumaterialien nach Mogontiacum bringen. Deshalb hat man die Straße hier so gut befestigt. Wusstet Ihr, dass hier schon die Römer ihre Waren gelandet haben, als die Stadt noch das Lager der Legionen war? Und diese Römer brauchten viele Handwerker, um ihr Lager auszubauen. So entstand hier nach und nach eine Art freie Stadt.“

„Interessant, Herr Berchtold! Woher wisst Ihr das alles?“

Berchtold lächelte glücklich. „Ich lese sehr viel, alles, was ich finde. Darunter gibt es auch Abschriften, die von den Mönchen gefertigt wurden.“

„Das verstehe ich zwar, aber wenn Ihr ein Rittergut besitzt, müsst Ihr da nicht sehr viel Anderes arbeiten? Ich meine, Ihr habt noch Zeit für Eure Skulpturen und für das Lesen, das erstaunt mich schon.“

Eine Weile schwieg Berchtold, bevor er auf das vor ihnen auftauchende Gut mit der wieder instand gesetzten Motte, dem Wehrturm, zu sehen war.

„Das gehört meinem Bruder. Und ich ... verwalte es für ihn nur. Außerdem haben wir zahlreiche Knechte, die einen Großteil der Arbeit versehen. Ich bin nämlich ...“

Er brach gerade noch rechtzeitig ab und ärgerte sich darüber, dass er um ein Haar von seiner Krankheit gesprochen hätte.

„So ist das verständlich, aber was wolltet Ihr noch sagen?“

„Nichts weiter. Kommt, lasst Euer Pferd laufen, ein kleines Wettrennen bis zum Tor!“

Damit hieb er seinem Pferd die Fersen in die Weichen und genoss den schnellen Lauf des Tieres.

Die Spuren des Bischofs: Tore aus Bronze 3

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