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2.


Wer nicht liebt, kennt Gott nicht, denn Gott ist die Liebe. 1. Johannes 4,8

Aus zweierlei Gründen schlug Berchtold das Herz erneut bis hinauf in den Hals.

Zum einen war da die plötzliche Nähe dieser wunderbaren, schönen Frau.

Dann kam die Furcht vor einem erneuten Anfall in ihrer Gegenwart hinzu.

Und er zögerte, als er die Tür zu seinem Raum mit den Skulpturen öffnete. Sollte er Gudrun vielleicht darauf vorbereiten? Andererseits hatte er in der letzten Zeit kaum noch unter seiner Fallsucht gelitten, und während er an dem Guss einer neuen Figur arbeitete, wurde er noch nie davon überrascht. Natürlich wussten alle auf dem Gut tätigen Mägde und Knechte, was in einem solchen Fall zu tun war. Aber es wäre ihm doch sehr unrecht gewesen.

„Warum zögert Ihr, Berchtold? Bei mir ist Euer Wissen gut aufgehoben, ich rede mit keinem anderen Gelbgießer über die Arbeiten“, versicherte ihm Gudrun, die sein Zögern an der schweren Eichentür falsch deutete.

„Es geht mir nicht um andere Gelbgießer, Gudrun. Ich bin eigentlich ... ach, egal!“

Damit stieß er die Tür weit auf, eilte durch den nicht sonderlich großen Raum zur gegenüberliegenden Wand und öffnete dort den Fensterladen. Kaum fiel der Sonnenschein auf die aufgereihten Figuren, als die junge Frau einen erstaunten Ruf ausstieß.

„Das sind ja ganz hervorragende Arbeiten, Junker Berchtold!“, stieß sie dabei aus. „Darf ich sie berühren?“

Berchtold trat neben sie und roch zum ersten Mal den eigenartigen, aber angenehmen Geruch, der von ihren Kleidern ausströmte. Lavendel konnte er erkennen, weil er immer wieder einmal ein Bier mit Lavendel für sich brauen ließ, das seiner Krankheit gut bekam. Dann aber auch etwas Fruchtigeres, das er nicht klären konnte.

„Bitte, nennt mich nicht Junker. Natürlich dürft Ihr alles berühren und anfassen. Es ist mir eine große Ehre, wenn ein Mitglied einer Gelbgießerzunft meine Arbeiten begutachtet!“

Gudrun nahm ein Kruzifix auf, das wohl gut eine Elle maß, und hielt es an das Sonnenlicht.

„Welches Verfahren habt Ihr dafür verwendet? Wachsmodelle? Eure Darstellung des Heilands ist sehr, sehr beeindruckend, Berchtold. Sein Leidensgesicht ist so berührend, dass man weinend vor ihm knien möchte. Habt Ihr noch weitere Arbeiten dieser Qualität gefertigt?“

Stolz deutete Berchtold auf einen Tisch in Fensternähe, auf dem noch eine Wachsfigur zu erkennen war. Dabei handelte es sich jedoch nicht um ein weiteres Kruzifix, sondern um eine Aquamanile in Form eines Kopfes. Solche Gefäße wurden zum Lavabo-Ritus während der Heiligen Messe verwendet.

„Woher ... woher habt Ihr so etwas?“, erkundigte sich Gudrun staunend. „Ich sah vor längerer Zeit einen solchen Kopf, kann mich aber nicht mehr recht entsinnen, wo das war. Ihr müsst wissen, Berchtold, dass ich schon in frühen Kinderjahren gern die Kirchen aufgesucht habe und mir die Formen der Kruzifixe, Grabmale und der Aquamanilen betrachtete und mir schwor, eines Tages so etwas fertigen zu können.“

Berchtold war überglücklich.

Hier fand seine Kunst Anerkennung, und das tat ihm sehr gut.

Er trat noch einen Schritt näher und fuhr mit der Hand über den Kopf, den Gudrun jetzt hielt. Dabei berührten sich ihre Hände wie zufällig, und Berchtold spürte ein unglaubliches Gefühl, das durch seinen ganzen Körper zu jagen schien. Auch Gudrun musste etwas Derartiges gespürt haben, denn sie sah ihn plötzlich mit einem Blick aus ihren blauen Augen an, der dieses Gefühl noch verstärkte. Es hätte nicht viel gefehlt, und er hätte sie einfach geküsst – nicht auf den Mund natürlich, aber auf ihre schöne, weiße Stirn.

Doch Berchtold wusste, dass sich eine derartige Handlung von selbst verbot, und antwortete mit leiser Stimme: „Wart Ihr schon einmal im Dom zu Aachen? Dort habe ich einen ähnlichen Kopf gesehen, und das musste ich ausprobieren. Ich habe viele Versuche unternommen, die mir alle nicht recht zu glücken schienen – dann entstand dieser Kopf.“

„Er ist wundervoll und könnte das Haupt eines Königs sein.“

Lächelnd trat Berchtold einen Schritt beiseite und sagte: „Ich dachte mehr an einen Bischof. Hier ist sein Stab angedeutet.“

„Ein Bischof? Wie ungewöhnlich, aber wie ich schon jetzt Eure Arbeiten beurteile, habt Ihr Euch dazu etwas gedacht, Meister Berchtold!“, erwiderte Gudrun.

„Meister? Wie sich das aus Eurem Mund anhört, Gudrun! Nein, aber ich bin kein Meister. Schön, wenn Euch meine Arbeit so gut gefällt, aber ich fürchte, dass ich mich nicht mit Euch messen könnte.“

„Ihr seid einfach zu bescheiden, mein Lieber. Habt Ihr noch mehr dieser Art? Und vor allem, erklärt mir, wie Ihr diese Gusskanäle ausführt. Was nehmt Ihr für den Aufbau der Form?“

Lächelnd vermerkte Berchtold ihr Interesse, und während sie langsam Seite an Seite aus dem Raum gingen, erklärte er Gudrun, dass er mit einem besonderen Ton arbeite, den er ganz in der Nähe vorgefunden hatte. Früher nahm er Lehm, der seinen Anforderungen nicht genügte. Mit dem Auftragen der Tonschichten und dem anschließenden Brennen der Form kam mehr Haltbarkeit in das Modell und ermöglichte so auch große Ausführungen von Aquamanilen.

„Ihr habt bei Levin von Eurer Goldschmiedearbeit gesprochen“, sagte er gerade, als er einen weiteren Raum öffnete. Hier stand nur ein sehr fester Tisch direkt vor dem Fenster, dessen Bespannung mit dem Rahmen herausgenommen war und auf dem Boden stand. So fiel das Sonnenlicht direkt auf den Arbeitsplatz, und mit einem erneuten Jubelschrei sprang die junge Frau regelrecht darauf zu und streckte ihre Hand nach einem golden glänzenden Gegenstand aus.

Inmitten von Sticheln, Punzen und Treibhämmern lag ein Schmuckstück, das sie jetzt ganz behutsam aufnahm, um es näher zu betrachten.

„Eine Mantelschließe mit einem Vogel in der Mitte – Berchtold, ich bekomme langsam Angst vor Euch und Euren Talenten. Ihr seid, verzeiht mir, ein wahrer Meister.“

Wie andächtig hatte Gudrun diese Schließe vor ihr Gesicht gehoben und lange Zeit betrachtet. Berchtold störte sie dabei nicht, aber seine Augen hingen an ihrem Gesicht, nicht eine einzige Reaktion entging ihm dabei.

Und erneut das unglaubliche Gefühl, als sie sich zu ihm drehte, seine Hand nahm und die Schließe ganz behutsam darauflegte.

„Wenn Ihr der unbekannten Gelbgießerin überhaupt erlauben wollt, im gleichen Raum mit Euch zu arbeiten, Herr Berchtold, dann wäre das eine große Ehre für mich!“

„Ihr macht mich sehr glücklich, Gudrun, aber ich bin mir gewiss, dass ich noch sehr viel von Euch lernen kann!“, antwortete er und legte das Schmuckstück zurück auf den Tisch.

„Was soll das sein?“

„Ich möchte noch die Fertigkeit des Grubenschmelz erlernen!“, antwortete er rasch.

„Dann haben wir noch etwas gemeinsam. Ich habe es mal gesehen, aber nicht wirklich erlernt. Das wäre doch ein Anfang, Berchtold!“

Sie war den Schritt auf ihn zugetreten, den er gerade rückwärts ausgeführt hatte.

Beide sahen sich schweigend in die Augen, und Berchtold hatte das Gefühl, dass ihm gleich das Herz springen müsste. Jedenfalls schien es so laut zu klopfen, dass man es sicher im Raum vernehmen konnte. Er traute sich zu keiner Bewegung, um diesen Augenblick nicht zu zerstören, und als sich Gudruns Gesicht dem seinen näherte, ihre roten, schwellenden Lippen so unerwartet nahe waren, da war es vorbei mit seiner Beherrschung. Er schloss sie in seine Arme und küsste sie, zuerst zart, dann heftiger, leidenschaftlicher, und sie erwiderte seine Zärtlichkeiten in gleicher Weise, bis er sich plötzlich losriss und zur Seite trat.

„Was ist geschehen, Berchtold? Du bist doch nicht etwa gebunden und hast hier in deinem Haus ...“

„Das ist das Haus meines Bruders“, antwortete er, etwas atemlos. „Aber wir dürfen uns nicht so nahekommen, ich darf es jedenfalls nicht.“

Gudrun griff nach seiner Hand, die er ihr jedoch rasch wieder entzog.

„Warum darfst du es nicht, Berchtold? Hast du nicht eben in deiner Brust dieses Gefühl verspürt, als wir uns küssten? Ich habe es jedenfalls deutlich gespürt, es ist noch immer da. Berchtold, das ist doch kein Zufall, wie wir uns im Haus des Geldwechslers begegnet sind! Eine höhere Macht hat uns zusammengeführt, und ich spüre, dass wir uns dagegen nicht wehren können!“

„Wir müssen es, Gudrun, glaube es mir bitte!“

„Nein, das verstehe ich nicht. Nenn mir den Grund, Berchtold!“

„Ich habe ... ich bin ... es ist der Satan, der mich immer wieder in seinen Klauen hält und mich quält!“, brachte er gepresst heraus.

Trotz dieser furchtbaren Rede schrak Gudrun jedoch nicht zurück. Im Gegenteil, sie griff nach seinen Händen und hielt sie fest.

„Du hast die Fallsucht, Berchtold. Das ist mir doch aber längst bekannt. Levin sprach davon, als ich ihn das erste Mal aufsuchte. Er meinte daher, dass du wohl gar nicht ernsthaft eine Werkstatt haben willst, um dort zu arbeiten. Vielmehr glaubte er, dass du nur in das am Stadtrand gelegene Haus wolltest, um deine Krankheit vor anderen zu verbergen.“

„Das hat er dir gesagt? Mein Gott, ich glaube, ich muss mit Levin ein ernstes Wort reden!“

„Ja!“, sagte Gudrun und zog ihn an sich. „Über uns beide. Und den Kaufpreis. Berchtold, ich möchte mit dir zusammenarbeiten.“

Jetzt ging ein glückliches Lächeln über sein noch eben vom Kummer gezeichnetes Gesicht.

„Wirklich? Zusammenarbeiten?“

„Und Leben! Und wohnen!“

„Gudrun!“

Überglücklich schloss er die junge Frau in seine Arme, horchte dabei ängstlich in sich hinein und schickte ein Stoßgebet zum Himmel, dass man ihn vor dem nächsten Anfall bewahren möge.

Die Spuren des Bischofs: Tore aus Bronze 3

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