Читать книгу Patricia Vanhelsing und der geheimnisvolle Palazzo: Mysteriöser Krimi - Alfred Bekker - Страница 6
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"Guten Morgen, Mr. Swann", sagte ich, als ich das Büro unseres Chefredakteurs betrat. In einem der gediegenen Ledersessel, mit denen Swanns Büro ausgestattet war, saß bereits Jim Field - wie ich in der Redaktion der LONDON EXPRESS NEWS angestellt. Er war allerdings Fotograf, während ich hier als Reporterin arbeitete. Gemeinsam hatten wir so manche Story gemacht.
Michael T. Swann kam hinter seinem völlig überladenen Schreibtisch hervor. Er war breitschultrig und etwas untersetzt. Er hatte die Ärmel seines Hemdes hochgekrempelt und die Krawatte gelockert. Sein Kopf war hochrot und die Art und Weise, in der er mich musterte, verhieß nichts gutes.
Ich war zu spät dran.
Und wenn Swann außer schlecht recherchierten Stories noch etwas hasste, dann waren es unpünktliche Mitarbeiter. Swann war ein Mann, von dem man glauben konnte, dass er so gut wie überhaupt kein Privatleben besaß. Er lebte einzig und allein für seine Zeitung.
Dieses große Londoner Modemagazin wollte er dort halten, wo es seiner Ansicht nach hingehörte: ganz oben.
Dafür war er bereit, alles einzusetzen. Er war meistens der Erste im Büro und der Letzte, der ging. Und von seinen Mitarbeitern erwartete er ebenfalls, dass sie mit Haut und Haaren für ihren Job lebten.
"Patricia!", sagte er und die Art und Weise, in der er meinen Namen aussprach war Tadel genug.
"Ich weiß, dass ich zu spät bin, Mr. Swann, aber..."
"Schon gut, schon gut! Ich will gar nicht hören, was Sie mir sagen. Von wegen Verkehrschaos und der Baustelle auf der Oxford Street..."
Ich sah ihn etwas perplex an.
Zwar habe ich mich eingehend mit übersinnlichen Phänomenen befasst und bin in meinen Artikeln auch immer wieder auf Erscheinungen wie Telepathie und andere parapsychologische Fähigkeiten eingegangen, aber ich hätte diese Dinge niemals in Zusammenhang mit einem so nüchternen Mann wie Michael T. Swann gesehen.
"Sehen Sie mich nicht so erstaunt an, Patricia!", sagte er dann etwas versöhnlicher. "Ich fahre auch jeden Morgen die Oxford Street!" Er lächelte freundlich und deutete auf einen der Sessel. "Setzen Sie sich!"
Ich grüßte Jim knapp.
Der zwinkerte mir zu. Er saß ziemlich lässig da. Mit einer beiläufigen Handbewegung strich er sich das etwas zu lange blonde Haar zurück. Stoppeln eines drei Tage Bartes standen ihm im Gesicht. Seine Jeans war ziemlich oft geflickt und hatte beinahe Museumswert. Mit Interesse stellte ich fest, dass er ein neues Jackett anhatte. Dass er es noch nicht lange besaß, war daran zu erkennen, dass der Kragen noch nicht vom Riemen seiner Kameratasche ruiniert war. Es war jägergrün und vermutlich ein Teil vom Trödel.
Swann lehnte sich derweil mit der Hüfte gegen den Schreibtisch. Der Berg von Akten und Manuskripten, der sich darauf aufgetürmt hatte, wankte bedenklich, als er das Gewicht verlagerte. Er verschränkte die Arme vor der Brust und meinte dann: "Ich nehme an, dass Sie beide wissen, was Mode ist..." Sein Blick ging zu Jim und glitt von seinem strubbeligen Kopf bis zu den Füßen, die in Turnschuhen steckten.
Dann atmete Swann tief durch.
"Nun, jedenfalls weiß ich, dass Sie hervorragende Bilder auf diesem Gebiet gemacht haben, Jim!" Damit spielte Swann darauf an, dass Jim sich ab und zu ein paar Pfund nebenher verdiente.
Jim zuckte die Achseln.
"Man muss nur lange genug abwarten, dann kommt jeder Trend wieder", meinte er. Swann fand das nicht so witzig. Er wandte sich an mich.
"Der Name Gian-Franco Tardelli ist Ihnen ein Begriff?"
Natürlich war er das.
"Dieser italienische Modeschöpfer!", stieß ich hervor.
Swann nickte. "Ein Modezar par excellence. Seine Kollektionen haben in Mailand, Paris und New York seit Jahren die Fachwelt verzaubert. Er lebt seit einiger Zeit ziemlich zurückgezogen in der Nähe von Rom in einem alten Palazzo. Leider hat er bislang stets abgelehnt, jemanden zu sich nach Hause zu lassen. An eine Home Story war nicht zu denken! Nicht einmal die italienischen Kollegen haben das geschafft. Aber der Maestro scheint zu der Überzeugung gelangt zu sein, dass er vielleicht mal wieder etwas für sein Image tun könnte. Jedenfalls ist er bereit, ein Team unseres Magazins zu empfangen."
Der Gedanke, mit diesem genialen Modeschöpfer zusammenzutreffen, erfüllte mich mit freudiger Erwartung.
Selbstverständlich war eine Reporterin der EXPRESS NEWS nicht die Klientel, die sich ein Original von Tardelli leisten konnte. Aber sein Stil war prägend, so dass sein Einfluss bis in die Boutiquen und Kaufhäuser Londons zu spüren war.
Außerdem war Tardelli zweifellos eine schillernde Persönlichkeit, um die sich allerhand Legenden rankten.
Dieser Mann hatte es immer verstanden, eine gewisse geheimnisvolle Aura um sich herum zu verbreiten. Vielleicht war auch das ein Teil seines Erfolgsgeheimnisses.
"Hatte es einen bestimmten Grund, dass Tardelli sich in den letzten Jahren so rar gemacht hat?", fragte ich interessiert.
Swann zuckte die breiten Schultern.
"Vielleicht nur eine PR-Strategie. Andererseits..."
"Was?", hakte ich nach.
Swann drehte sich herum und wühlte in einer Art und Weise auf seinem Schreibtisch herum, die die Aktentürme an den Rand der Katastrophe brachten. Aber nur bis an den Rand.
Mit traumwandlerischer Sicherheit fischte er aus dem vermeintlichen Chaos einen Zeitungsausschnitt heraus. "Hier", sagte er. "Es gab vor ein paar Jahren einen Vorfall, der sehr einschneidend für Tardelli gewesen zu sein scheint..."
"Was für ein Vorfall?", fragte ich.
"Die Ermordung seiner Frau durch einen mysteriösen Täter... Die Sache hat damals ziemlich große Schlagzeilen gemacht!"
Ich erhob mich und nahm den Artikel an mich.
Swann sagte indessen: "Ihr Flug nach Rom ist übrigens schon gebucht. Übermorgen Vormittag, wenn's recht ist..." Der Chefredakteur der LONDON EXPRESS NEWS überließ eben nichts dem Zufall.