Читать книгу Der Kreis der Verschwörer: Die Seherin von Paris 5 - Alfred Bekker - Страница 6

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Robert de Malboné befand sich in seinen eigenen Gemächern. Ebenfalls nicht allein. Die drei Helfer Barnabas, Georg und Milan bemühten sich nun schon seit Tagen gemeinsam mit ihm, die von Milan gefundenen Briefe zu entschlüsseln. Das einzige, was sie bislang herausgefunden hatten, war, dass es irgendwie um Verbindungen ging zwischen Paris und Schloss Versailles einerseits und andererseits mit Wien und sogar dem Vatikan.

Konnte es denn wirklich sein, dass sich die eigentliche Führung des Circle Rufucale in Wien befand? Oder gar im Vatikan?

So richtig glauben mochten sie das noch nicht. Deshalb forschten sie unermüdlich weiter.

Und noch etwas hatte sich inzwischen herausgestellt: Die Briefe zeugten von einem regen Schriftverkehr zwischen Pedro de Cunha und vor allem Wien. Der Baron, der ja hier, auf Schloss Versailles, und auch in Paris zuletzt der Anführer des Zirkels gewesen war, hatte da anscheinend mit mehreren Personen korrespondiert, überwiegend mit einem ganz bestimmten. Das ergab sich, obwohl natürlich keine Namen genannt wurden.

Um was war es da gegangen? Ohne Zweifel um Angelegenheiten der okkulten Verschwörer innerhalb des Zirkels. Mitteilungen mithin, die von brisantem Inhalt waren. Falls man in der Lage war, sie zu lesen, hieß das.

Eigentlich waren sie längst an dem Punkt angekommen, an dem es unmöglich erschien, noch mehr herauszufinden. Zumindest nicht ohne so etwas wie einen Schlüssel. Doch genau darauf hatte es auch in den Gemächern des Verblichenen keinerlei Hinweis gegeben.

Am Morgen hatte Robert nur wenig geschlafen. Sie hatten immer nur abwechselnd recht kurze Pausen gemacht. Und eigentlich hätten sie ja nicht hier, in seinen Gemächern, sein dürfen, sondern bei Marie, die nur noch von Pascal und Jacques beschützt wurde. Aber es war Marie selbst gewesen, die darauf bestanden hatte, nur von diesen beiden beschützt zu werden, während Robert sich mit dem Rest um die Entschlüsselung der Briefe bemühte.

In den vergangenen Tagen war nichts Besorgniserregendes passiert. Weder hatte es Übergriffe gegeben von Seiten des Zirkels, noch vom Exorzisten-Kolleg. Was nicht bedeuten sollte, dass sie sich in Sicherheit wiegen durften.

Als dann Marie, flankiert von Pascal und Jacques, überraschend in den Gemächern Roberts auftauchte an diesem Morgen, war Robert zunächst ergrimmt ob der in seinen Augen leichtsinnigen Handlungsweise. Wieso setzte sie sich unnötig einer Gefahr aus auf dem Weg zu ihm? Hätte Marie denn nicht warten können, bis er zu ihr kommen würde?

Konnte sie nicht, wie sie mit fester Stimme erklärte. Um das zu präzisieren, erzählte sie allen ihren visionären Traum.

Robert reagierte gewohnt skeptisch darauf, was Marie großzügig ignorierte. Alle anderen waren bei Weitem nicht so ungläubig wie Robert. Vor allem nicht, als Marie Papier und einen Zeichenstift verlangte, um das Wappen aufzumalen.

Sie tat dies ziemlich gekonnt, wie Robert anerkennend bemerkte, und das Wappen war immerhin so deutlich erkennbar, dass er schon wusste, um welches es sich handelte, noch bevor Marie mit dem Zeichnen überhaupt fertig war.

„Ist das denn nicht das Wappen des vor Jahrzehnten in Eger ermordeten Herzogs von Wallenstein?“, entfuhr es ihm ungläubig.

„Bist du sicher?“, wunderte sich Marie. „Mir kam es bloß irgendwie bekannt vor. Sogar jetzt, da du das sagst, fällt mir nichts dazu ein. Ich muss es irgendwann einmal gesehen haben, vielleicht als kleines Kind oder so? Mir ist nur entfallen, in welchem Zusammenhang.“

Milan tippte mit dem Zeigefinger auf die Zeichnung.

„Ja, ich glaube auch, dass es sich um dieses Wappen handelt. Zwar bin ich alles andere als ein Experte darin, aber ausgerechnet dieses hier ist ja zu trauriger Berühmtheit gelangt, eben durch die Ermordung des berühmten Herzogs von Wallenstein. Aber wie steht das im Zusammenhang mit dem, was die Comtesse gesehen hat? Ich meine, wie kommt dieses Wappen in ihre Träume?“

Marie schürzte nachdenklich die Lippen wie zu einem Kuss. „Das allerdings möchte ich mich auch fragen.“

„Nun, es sind nur Träume“, versuchte Robert, dies alles herunterzuspielen.

„Nicht, wenn man sich vielleicht bemüht, eine Verbindung zu ziehen zwischen diesem Traum und dem Hinweis auf Wien!“, wandte jetzt Georg ein.

„Aber was hat ein ermordeter Herzog von Wallenstein mit Wien zu tun?“, meinte jetzt Barnabas, was ihm einen dankbaren Blick Roberts einbrachte.

„Ja, was hat das eine mit dem anderen zu tun?“, fragte auch er.

Marie lächelte nachsichtig.

„Vielleicht ja gar nichts. Aber wie wollen wir das je erfahren, wenn wir uns nicht dahingehend bemühen?“

Robert schüttelte entschieden den Kopf.

„Nein, ich bin eher dafür, dass wir weiter versuchen, die Briefe zu entschlüsseln. Was dieses Wappen betrifft, sehe ich einfach keinen Anhaltspunkt, den wir verfolgen könnten.“

„Es sei denn eben, wenn man eine Verbindung zieht zwischen dem Wappen und Wien“, versuchte es Georg erneut. „Wie auch immer diese Verbindung aussehen mag.“

„Es ist ja nicht nur das Wappen“, erinnerte Marie sie alle, „sondern auch die Kleidung des Alten. Ein Landsknecht wie im dreißigjährigen Krieg. Also womöglich jemand, der unter Wallenstein gedient hat? Er muss ja nicht heute auch noch dieses Wappen zur Schau tragen. In meinen Visionen ist nichts so wie in der Realität. Also nichts genauso. Wir müssen das, was ich gesehen habe, im Grunde genommen erst einmal richtig interpretieren. Und auch die Augenklappe deutet darauf hin, dass dieser Mann wohl sein Auge im Kampf verloren hat.“

„Dann ist dieser eher diffuse Schatten, wie du ihn bezeichnest, vielleicht sogar Herzog von Wallenstein selbst, oder wie?“, wandte jetzt Robert ein.

Marie winkte mit beiden Händen ab.

„Ich kann nicht mehr dazu sagen. Außer eben, dass es wohl tatsächlich diese Verbindung gibt, wie von Georg vermutet. Die Briefe weisen in erster Linie auf Wien hin. Was, wenn wir in Wien am Ende tatsächlich diesen Mann mit der Augenklappe finden? Vielleicht bringt uns genau das näher ans Ziel als wir jetzt auch nur vermuten können?“

Robert sagte nichts mehr dazu, um Marie nicht zu nahe zu treten. Er liebte sie. Das wusste er, weil er es fühlte. Nicht nur tief in seinem Herzen, sondern mit jeder Faser seines Daseins. Am liebsten hätte er sie jetzt in die Arme genommen, um sie niemals wieder loszulassen. Aber das durfte er nicht. Obwohl Marie wohl genau das längst von ihm erwartete. Er durfte es nicht, weil zu viel noch zu tun war.

Sie durften ja keine Sekunde lang vergessen, dass sie alle in tödlicher Gefahr waren. Nicht nur während ihrer Ermittlungen, sobald sie diese fortsetzten, sondern auch, wenn sie einfach nur ihre Ruhe haben wollten. Weil sie niemals mehr ihre Ruhe haben würden, so lang es den Circle Rufucale gab.

Andererseits ... Robert schielte nach den Briefen, die ausgebreitet auf dem Nachbartisch lagen. Wien war auf jeden Fall ein Anhaltspunkt. Sie mussten auf jeden Fall also dorthin. Nicht etwa, weil Marie von einer solchen Vision erzählte, die ja eigentlich nicht den Hinweis auf Wien gab oder auf sonst einen Ort. Außer vielleicht auf Eger, aber wie sollte das denn letztlich mit Wien in Verbindung gesetzt werden können?

Gar nicht!, entschied Robert insgeheim und spielte schon mit dem Gedanken, tatsächlich den Aufbruch anzuordnen. Sie alle gemeinsam in Richtung Wien. Wieso eigentlich nicht?

Deshalb nicht, weil er erst noch einmal versuchen wollte, diese vermaledeiten Briefe zu entschlüsseln. Hätte der Hofschreiber François Delacroix, sein alter Freund, noch gelebt, hätte er diesen mit hinzugezogen. Vielleicht hätte er ihnen sogar helfen können. Leider war das ja nicht mehr möglich.

Robert nickte vor sich hin.

„Also gut, wir werden nach Wien gehen. Wir alle zusammen. Nicht nur, weil Marie und ich sowieso beschlossen haben, zusammenzuarbeiten, sondern auch, weil wir sie unmöglich allein zurücklassen könnten, bei der Gefahr, in der sie sich befindet. Aber erst müssen wir noch weiterhin versuchen, die Briefe zu entschlüsseln.“

Marie fasste ihn an der Schulter, um ihn zu sich hin zu drehen.

„Ich weiß, wie du zu meinen Visionen stehst, Robert, und ich nehme es dir wirklich nicht einmal übel, aber du musst mir versprechen, dass wir dem trotzdem nachgehen werden, was ich gesehen habe. Kannst du zumindest das?“

Er sah sie an, ohne etwas zu sagen. Sein Blick versank in ihren wunderschönen Augen, so tief, dass er das Gefühl hatte, sich darin zu verlieren.

„Ja, das kann ich versprechen, Marie. Keine Sorge, wir haben in Wien ja kein bestimmtes Ziel. Noch nicht. Also werden wir das, was du in deiner Vision gesehen hast, zu unserem Ziel machen. In Wien. Was aber, wenn es sich herausstellt, dass deine Vision gar nichts mit dem Zirkel zu tun hat und auch nichts mit unseren Ermittlungen?“

Sie lächelte entwaffnend.

„Dann werde ich dir niemals mehr in unsere beider Leben mit irgendwelchen Visionen kommen!“, versprach sie nun ihrerseits. Was ihm offenbar in aller Deutlichkeit beweisen sollte, wie sehr sie davon überzeugt war, dass ihre Visionen nicht nur ihrer reinen Fantasie entsprangen, sondern tatsächlich in Bezug zur Wirklichkeit standen.

Robert spürte, dass dies wieder seine Sorge um das seelische Wohl seiner geliebten Marie schürte. Was, wenn sie in der Vergangenheit gar an irgendwelchen okkulten Ritualen teilgenommen hatte und dabei ihre eigene Seele nachhaltig verdarb? Sie war dabei zwar nicht zu einem schlechteren Menschen geworden, aber vielleicht hatte sie es zu intensiv betrieben? Dermaßen intensiv sogar, dass eben ihr Geist zwangsläufig dabei Schaden hatte nehmen müssen?

Er dachte an Docteur Bastian Tomaré, den er wegen Marie ja in Paris schon aufgesucht hatte. Vielleicht sollte er diesen erneut aufsuchen, um ihn genau danach zu fragen?

Marie unterbrach diesen Gedankengang, indem sie die Hand ausstreckte und ihm sanft und zärtlich über die Wange streichelte.

„Liebster Robert, du machst dir einfach zu viele Gedanken in die falsche Richtung, ohne es sehen zu können. Muss ich mir Sorgen um dich machen? So lange, bis du es endlich selbst erkennen kannst und damit aufhörst?“

Robert sagte lieber gar nichts dazu. Dafür nahm er Marie endlich in die Arme. Weil er nicht mehr anders konnte. Weil es ihn so sehr dazu drängte, dass er seine Helfer ringsum dabei völlig vergaß. Er musste Marie endlich spüren, ganz nah.

Aber auch Marie zeigte ihm, wie sehr sie sich nach ihm sehnte. Sie klammerte sich regelrecht an ihn wie eine Ertrinkende, die dringend gerettet werden wollte.

So standen sie minutenlang, innig umarmt. Alle sahen ihnen zu, und jeder spürte, was da vor sich ging. Dass diese beiden Menschen so waren in diesem Moment, als würde sich eine Seele verteilt in zwei Körpern befinden.

Niemand grinste darüber. Weil jeder daran teilnahm, auf seine Weise. Keiner von ihnen hatte in seinem Leben jemals an so etwas wie wahre Liebe geglaubt, doch dies hier, direkt vor ihren Augen, genau das war der eindeutige Beweis für ihre Existenz.

Hätten sie nicht alle hier auf dem Schloss so sehr in Gefahr geschwebt, dass sie möglichst zusammenbleiben mussten, um aufeinander aufzupassen, hätten sie sich jetzt abgewendet und die beiden Liebenden allein gelassen. Um ihnen endlich die Gelegenheit zu gestatten, sich gegenseitig ihre Liebe zu beweisen.

So aber blieben sie einfach nur stehen. Bis sich Robert und Marie wieder voneinander lösten. Sie sahen sich tief und glücklich lächelnd in die Augen, bevor sie es zuließen, dass die Wirklichkeit sie wieder einholte.

Robert sah nach den noch zum größten Teil verschlüsselten Briefen hinüber und Marie nach ihrer Zeichnung, die noch den einen oder anderen ergänzenden Strich benötigte.

Der Kreis der Verschwörer: Die Seherin von Paris 5

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