Читать книгу Der Kreis der Verschwörer: Die Seherin von Paris 5 - Alfred Bekker - Страница 8

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Auf diesem Weg kam er unweigerlich auch in das kleine Viertel, in dem vor allem Künstler, Gaukler, Quacksalber und Wahrsager hausten und wo auch Marie als Madame de Marsini eine Wohnung als Wahrsagerin angemietet hatte. Dorthin zu gehen wäre für sie zu gefährlich gewesen, seit der Zirkel die Adresse kannte. Und womöglich wurde die Wohnung sogar ständig bewacht von den Schergen des Zirkels, um nur ja Marie nicht zu verpassen, falls sie wirklich so leichtsinnig werden sollte, ihre Wohnung hier aufzusuchen.

Es wäre im Grunde genommen auch für Robert besser gewesen, er hätte von vornherein einen großen Bogen um dieses Viertel gemacht, doch er hatte keine Zeit zu verlieren. Schließlich musste er es unbedingt schaffen, heute noch zum König vorgelassen zu werden. Das durfte dann unter keinen Umständen zu spät sein. Dafür hätte Seine Majestät kein Verständnis gehabt.

Eingedenk der möglichen Gefahren, die ihn hier erwarten könnten, wurde Robert ganz besonders wachsam. Er wurde nicht müde, ständig nach allen Seiten zu sichern.

Als der kleine, ziemlich schmutzige und mit seinen abgerissenen Kleidern eher wie eines der Bettelkinder wirkende Junge Robert de Malboné überraschend den Weg vertrat, staunte dieser nicht schlecht. Damit hatte er nun wirklich nicht rechnen können.

Was wollte der Kleine denn von ihm?

Sogleich suchte er mit den Augen den Straßenjungen ab, um vielleicht etwas Verdächtiges rechtzeitig entdecken zu können. Straßenkinder, die man auch als Bettelkinder bezeichnete, konnten durchaus auch gefährlich werden. Selbst wenn sie allein auftraten. Ein blitzschnell geführtes kleines, aber scharfes Messer konnte auch in einer zierlichen Kinderhand tödliche Verletzungen verursachen. Zum Beispiel in die Halsschlagader gestoßen oder tief genug in ein ungeschütztes Auge.

Doch der Kleine machte einen eher harmlosen Eindruck, wobei er allerdings betont unauffällig tat, als hätte er etwas zu verbergen. Keine wie auch immer geartete Gefahr womöglich für Robert, die unmittelbar von ihm selbst ausging, sondern eher etwas anderes.

Aber was?

Robert ließ zu, dass er ihn am Hosenbein zupfte und dabei verstohlen in eine Richtung zeigte, in die Robert ihm anscheinend unbedingt folgen sollte. Was Robert natürlich nicht sogleich tat.

Er schob den Straßenjungen vielmehr unmissverständlich von sich weg, sanft genug, um dem Kleinen nicht weh zu tun, und dennoch nachdrücklich. Dabei fragte er eindringlich: „Was willst du von mir?“

„Du bist Robert de Malboné!“, stellte der Kleine anstelle einer Antwort fest und fuhr zum maßlosen Erstaunen Roberts fort: „Und ich kenne Madame de Marsini, und ich weiß etwas über sie, was du nicht wissen kannst, aber unbedingt wissen solltest. Weil es ganz besonders wichtig für dich ist.“

Robert zögerte jetzt. Inwiefern konnte er einem abgerissenen Straßenjungen vertrauen? Das durfte man eigentlich nie, denn deren Überleben hing ursächlich davon ab, wie gerissen sie waren.

Ja, eigentlich gar nicht!, bestätigte ihm sein Verstand ohne jegliche Einschränkung, doch seine Gefühle für Marie waren da ganz anderer Meinung: „Was glaubst du denn über sie zu wissen?“

„Ich muss es dir zeigen, weil du es mit eigenen Augen sehen musst. Du würdest mich sonst nur für einen Lügner halten. Was fatal wäre für dich und deine Zukunft. Also musst du schon mit mir kommen.“

Robert zögerte immer noch.

Jetzt begann der Kleine sogar zu drängeln: „Bitte, du musst mir folgen. Es ist wichtig. Es geht doch immerhin um Marie. Willst du es denn nicht wissen? Und wir dürfen nicht so lange an einem Ort bleiben, um nicht unnötig Aufmerksamkeit zu erregen. Weißt du denn nicht, wie gefährlich es hier ist? Nicht nur für dich, sondern auch für mich.“

Das leuchtete Robert jetzt durchaus ein. Er sicherte abermals nach allen Seiten. Es war nichts Verdächtiges zu bemerken. Und schon lief der Straßenjunge davon, ohne sich noch einmal umzusehen.

Robert hatte Mühe, dem Kleinen zu folgen, der wieselflink durch die Gassen huschte. Doch trotz der Eile, die nötig war, um nicht den Anschluss zu verlieren, blieb Robert höchst wachsam. Er wusste ja nicht, wer dieser Straßenjunge war, noch was er wirklich beabsichtigte. Vor allem nicht, ob dieser aus eigenem Antrieb handelte oder ob ihn jemand geschickt hatte.

Falls ihn jemand beauftragt hatte, wäre es sicherlich ein bemerkenswerter Zufall gewesen, dass er tatsächlich hier, in der Nähe von Maries Stadtwohnung, Robert getroffen hatte. Hätte ihn das nicht besonders misstrauisch machen müssen?

Das tat es auch, aber die Neugierde Roberts war dennoch größer als sein durchaus begründetes Misstrauen. Zumal er wirklich keinerlei Anzeichen von irgendeiner unmittelbaren Gefahr erkennen konnte.

Es war nicht allzu weit, wie es sich herausstellte. Der Straßenjunge führte Robert schließlich in eine schmale Gasse hinein, die Robert bekannt vorkam. Denn er kannte sich ja in Paris ziemlich gut aus, seit er hier als Ermittler für die Pariser Polizei tätig gewesen war. Handelte es sich bei dieser Gasse nicht sogar um eine Sackgasse? Sie führte nur höchstens dreißig Schritte tief und endete an einer hohen Mauer, die schier unüberwindbar war.

Die Häuser standen so dicht, dass hier unten ewiges Dämmerlicht herrschte. Nur im Hochsommer, wenn die Sonne genau im Zenit stand, verirrten sich zuweilen ihre Strahlen hier herunter.

Robert wurde langsamer. Der Straßenjunge merkte es, als hätte er am Hinterkopf zusätzliche Augen, und winkte aufgeregt: „Weiter, weiter, Monsieur Malboné!“

Robert blieb trotzdem stehen. Vor dem Straßenjungen war niemand. Es sah so aus, als wollte er Robert genau zu dieser Mauer führen. Oder vielleicht in eines der Häuser davor?

Robert stand da und beobachtete nur noch.

Da wandte sich der Straßenjunge wieder von ihm ab und lief zum zweitletzten Haus der Gasse hin, um darin zu verschwinden.

Jetzt war Robert allein in der Gasse. Wieso hatte der Junge am Ende so gedrängelt? Wenn er sowieso Robert in dieses Haus hatte führen wollen, hätte er nicht drängeln müssen. Robert wäre ihm sowieso gefolgt.

Hier stimmte etwas nicht!

Das sagten Roberts Instinkte, und auf diese konnte er sich für gewöhnlich gut verlassen. Sonst wäre er vielleicht längst nicht mehr am Leben gewesen.

So auch jetzt?

Robert zog sein Kurzschwert und schlich sehr vorsichtig weiter, wachsam wie kaum jemals zuvor in seinem Leben. Es roch nach einer Falle. So deutlich immerhin, dass es sicherlich besser gewesen wäre, einfach die Flucht zu ergreifen, ehe es dafür noch zu spät wurde.

Und genau dazu entschloss er sich im nächsten Augenblick und wirbelte halb herum, weil er zurückrennen wollte.

Und es war bereits zu spät: Da waren Schatten, wie aus dem Nichts aufgetaucht. Sie hatten Masken vor dem Gesicht und waren in bodenlange schwarze Kutten gehüllt. Über den Kopf hatten sie Kapuzen gezogen. In ihren Händen sah Robert jetzt Messer. Zwei trugen sogar Pistolen, die sie jetzt auf ihn richteten. Nicht um ihn damit zu bedrohen. Die Absicht war schlimmer: Sie wollten ihn damit auf der Stelle töten!

Robert sah das wie in Zeitlupe und wusste im gleichen Moment, dass seine Instinkte ihn nicht umsonst die ganze Zeit über gewarnt hatten.

Hätte er doch bloß auf sie gehört!

Der Kreis der Verschwörer: Die Seherin von Paris 5

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